Einführung von Andrea Micus
Marina, Marina, Marina ... wunderbares Mädchen...« Aus allen Radios trällerte Rocco Granata in den 60er Jahren dieses Lied. Es war ein Hit, weil die Mischung das Herz der Hörer traf. Sonne, Süden, Palmen, Fernweh und Liebe. Zutaten, die noch heute alle Zuhörer zum Träumen bringen.
Damals wurde die Urlaubsreise erstmals auch für die breite Masse erschwinglich. Und damals begann auch der Urlaubsflirt seinen rasanten Aufstieg. Exotik kehrte in die Betten ein. Gisela aus Wanne-Eickel schwärmte nicht mehr vom Verkäufer Kurt aus dem Lebensmittelgeschäft nebenan, sondern vom Pizzabäcker Antonio aus Alassio.
Italien verkörperte die Sehnsucht von Millionen Deutschen, und die italienischen Männer beflügelten die Träume der deutschen Frauen. Scharenweise ging’s über die Alpen direkt an Adria und Riviera und damit auch in die Arme der Papagalli. Die stürzten sich förmlich auf die hoch gewachsenen blonden Frauen aus Münster, Gladbeck oder Ingolstadt, weil die ihren Charme noch nicht kannten und leichtere Beute waren als die einheimischen Frauen.
»Diese Männer sind einfach anders als unsere. Sie sind charmant, tanzen gut und geben einem immer das Gefühl, ein Star zu sein«, erinnert sich Veronika aus München, die damals zum Entsetzen ihrer Familie Francesco aus Rimini direkt vom Urlaub mit ins bayrische Garmisch-Patenkirchen brachte. Er war wohl das erste lebende Souvenir in Oberbayern. Heute gehört ihm eine gut gehende Pizzeria auf der berühmten Münchner Leopoldstraße. Francesco kam aus Liebe nach Deutschland. Die Ehe hält heute noch.
»Aber dass alles so gut lief, lag daran, dass er genau wusste, was ihn hier erwartete, und er klare Ziele hatte«, erklärt Veronika. »Francesco war auch in Italien erfolgreich. Er hatte Startkapital in der Tasche und konnte sich so bei uns schnell etwas aufbauen. Deutschland war ihm nie richtig fern. München-Alassio, das war nicht nur entfernungsmäßig, sondern auch im Herzen ein Katzensprung.«
Urlaubslieben wie diese bereicherten beide Seiten. Deutsche Frauen erlebten ihr »Dolce Vita«. Italienische Männer bauten sich Existenzen auf.
Doch wenn mehr als ein Katzensprung zwischen den Ländern liegt, sind oft auch die sozialen, kulturellen und religiösen Unterschiede größer. Wer zunächst meint, in der Ferne sein lang ersehntes Glück gefunden zu haben und brauche nur noch zuzugreifen, kann bald großen Problemen gegenüberstehen. Also nur den lockeren Flirt genießen und mit dem Ende des Urlaubs aus dem Gedächtnis streichen? Oder sicherheitshalber einfach ganz die Finger davon lassen? Das sagt sich so leicht. Wer träumt nicht vom ewigen Glück? Und was ist schon Urlaub ohne Liebe? Sommer, Sonne, Glücklich-Sein, die Hochglanz-Magazine der Touristik-Unternehmen versprechen viel. Doch so mancher Tourist will mehr als gutes Essen und Traumstrände. In einer Gesellschaft, in der fast 40 Prozent der Bevölkerung Singles sind, in Großstädten sogar mehr als die Hälfte, soll es in den schönsten Wochen des Jahres auch etwas für Herz und Unterleib sein.
Über vier Millionen Deutsche verreisen mehrmals im Jahr. 90 Prozent der Reisefreudigen haben in den Ferien auch schon mal jemanden näher kennen gelernt. »Im Urlaub muss die Ferienliebe blühen«, wünschen sich nach einer Umfrage der Frauenzeitschrift Cosmopolitan immerhin 25 Prozent der Deutschen, wenn sie ihre Koffer packen. Bei einer Repräsentativumfrage der Universität Koblenz bekannten sich sogar 44,8 Prozent der ledigen Touristinnen zu einem heftigen Urlaubsflirt, der aber meist schon vergessen war, wenn der Flieger abhob und die Turtler zurück in den Alltag brachte.
Absolute Spitzenreiter im Herbeiführen von Love and Kisses sind Ferienclubs mit ihrer breiten Palette von Urlaubsangeboten. Bei den Animateuren, den professionellen Spaßmachern der Urlaubsbranche, die die Gäste bei guter Laune halten müssen, liegt die Verkupplungsquote bei achtzig Prozent. Die meisten Bekanntschaften werden übrigens bei Festen am Ferienort gemacht, dann folgen Strandpartys, Discos, Sprachkurse.
Allerdings entwickeln sich nur 16,2 Prozent aller in den Ferien eingegangenen Verbindungen später zu einer festen Beziehung, und nur drei Prozent der Urlaubsflirts enden vor dem Standesamt. Doch viele dieser Ehen haben keinen Bestand. Sie scheitern, weil der Partner, der ins Ausland zieht, den Kulturschock nicht verkraftet oder weil Urlaub einfach anders funktioniert als Alltag.
Der Umfrage von Cosmopolitan zufolge haben sechs Prozent aller deutschen Single-Frauen am Urlaubsort regelmäßig Sex mit einheimischen Männern. Wofür hat man denn schließlich bezahlt? Und man bekommt im globalen Tourismusgeschäft nun mal überall Gefühle oder was man im Rausch der Ferien dafür hält.
Sexreisen für Männer gibt es schon lange. Man reist der Lust wegen nach Thailand oder Jamaika. Der Deal ist klar. Die Frau verkauft ihren Körper, der Mann zahlt. In diesen Ländern boomt mit dem Tourismus auch die Prostitution.
Frauen dagegen wollen in der Regel von professionellen Liebhabern nichts wissen, auch wenn an der Hotelrezeption schon mal unter der Hand ein männlicher Begleiter für eine Woche angeboten wird. Ihre Lust segelt meist unter romantischer Flagge. Sie wollen Liebe nicht kaufen, sie wollen umworben und erobert werden. Getreu dem Motto: Heirat nicht ausgeschlossen.
Mit der Zunahme des Reisegeschäfts, besonders im Segment der allein reisenden Frauen, haben auch die einheimischen Männer die Liebe im Bereich Tourismus für sich entdeckt. Rund um den Erdball haben die einheimischen jungen Männer eine Einnahmequelle daraus gemacht. Man kann Souvenirs verkaufen, nette Gespräche fuhren, aber auch ganz gezielt mit einer Frau anbandeln und ihr Liebe vorgaukeln. Solche Profi-Casanovas gehören längst zum Bild aller Urlaubsmetropolen. Meist sind es Urlaubsländer mit großem ökonomischem und sozialem Gefälle, in denen die jungen Strandcharmeure vom Reichtum der Nordländerinnen profitieren wollen, indem sie ihren Körper zu Markte tragen. Sie locken mit einer Mischung aus Romantik und Potenz und kümmern sich nur allzu gern um einsame Touristinnen.
Ob in Kenia oder auf Jamaika, im Senegal, in der Türkei, in Tunesien oder Marokko, sie sind oft schon auf dem Flughafen zur Stelle, bieten sich charmant als Kofferträger an, wollen das Taxi besorgen oder zu den billigsten Umtauschbüros führen. Spätestens am Strand oder in den Diskotheken und Bars der Urlaubszentren entkommt keine Frau mehr der professionellen Anmache einheimischer Männer. Die Beziehung zu ihnen bewegt sich in einer Grauzone aus Anmache und Anziehung, sexueller Ausbeutung, Helfersyndrom und immer wieder Gefühl.
»Er behandelt mich wie eine Prinzessin. Da fühlt man sich toll als Frau. Und was den Sex betrifft: einfach klasse«, lautet das einhellige Urteil der Frauen, die es ausprobiert haben. Die Strandjünglinge ziehen nämlich alle Register der Verführung. Ihr Handwerkszeug ist Einfühlungsvermögen und viel Gespür für die Wünsche und Träume der Touristin. Die Frauen glauben nicht selten, endlich ihren ersehnten Prinzen gefunden zu haben. Bei dieser Art von Begegnung verknüpfen sich die emotionalen Wünsche der Frauen auf ganz eigene Weise mit den ökonomischen Bedürfnissen der Männer.
Für die Frauen selbst fällt ihre Affäre nicht in die Kategorie Sextourismus. Sie bezahlen ja auch nicht in barer Münze, wie es bei Männern und ihren gekauften Liebesdamen in Thailand oder Brasilien üblich ist. Sie schenken vielmehr Parfüm und Kleidung, laden ihren Liebhaber zum Essen ein oder nehmen ihn ein paar Tage mit auf den Trip durchs Land. Diese verschämte Bezahlung ordnen sie gern als »Liebesdienst« ein oder sprechen gar von »Entwicklungshilfe«.
So verbringt Gertrud, eine über siebzigjährige Beamtenwitwe, Jahr für Jahr die Wintermonate in Agadir, sitzt dort gertenschlank und durchtrainiert im sonnengelben Bikini an den Strandbars und schäkert mit Männern, die jünger sind als ihre Enkelkinder. Sie reist mit Kisten voll Bohrmaschinen, Handys und edlen Rasierwässern an. »Das gibt’s dann immer zwischendurch«, strahlt sie. Ihre Großzügigkeit hat sich herumgesprochen. An Flirtkontakten mangelt es ihr nicht. Sie geht selten allein in ihr schickes Ferienapartment.
Die Einheimischen kennen und akzeptieren die »Jobs« ihrer Landsleute. Viele profitieren davon: die Kneipen, in denen bei den Schmusetouren kräftig bestellt wird, die Taxifahrer, die die Liebeswilligen nach Hause bringen. Meist kommen die männlichen Gespielen aus der Unterschicht. Die Familien freuen sich über das Zusatzeinkommen. Bei den Freunden gilt man als potent, als ganzer Mann, und besitzt Statussymbole wie Handy und Markenfeuerzeuge, die fürs Image gut sind.
Wenn beide wissen, dass es so läuft, why not? Schmerzen bereiten diese Verbindungen aber dann, wenn Frauen sich nicht nur Abenteuer, sondern lebenslanges Glück erhoffen. Da ist ein Desaster vorprogrammiert. Was viele nicht wahrhaben wollen: Urlaubsflirts sind oft einseitig. Die Frauen lieben, aber die Männer wollen Geld und Perspektive.
»Hier wollen doch alle nur weg«, hört man von Mohammed in den Suks von Agadir. Er ist 25 Jahre alt und schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch. Am liebsten arbeitet er in der Nähe der großen Hotels. Da kann man schnell Frauen kennen lernen. Sein Freund Iman erklärt: »Bei einem Durchschnittseinkommen von rund 250 Euro gibt es kaum eine Perspektive. Wir haben kein Geld, eine Familie zu gründen, keine Aussicht auf eine feste Arbeit. Was bleibt, ist die Hoffnung, eine Touristin kennen zu...