2Christina von Schweden (1626–1689)
»Semiramis des Nordens«
Am 6. November 1657 kommt es in Schloss Fontainebleau bei Paris zu einer abscheulichen Bluttat: Graf Gian Rinaldo Monaldesco, der einunddreißigjährige Günstling Christinas von Schweden, wird auf Befehl der Königin in einem dreistündigen Tötungsritual von zwei Wächtern und dem italienischen Adligen Francesco Santinelli abgemetzelt. Die Schreie des Opfers, das von der Königin des Geheimnisverrats bezichtigt worden ist und dem man zuvor unter Folter ein Geständnis abgepresst hat, hallen durchs Schloss. Doch die jämmerlichen Wehklagen und Bittrufe um Gnade erweichen Christinas Herz nicht.
Christina zeigt sich von dem brutalen Mord an ihrem einstigen Günstling unbeeindruckt, selbst als sie vom französischen Hof, dessen Gast die Königin ohne Land ist, scharf kritisiert wird. Schaulustigen, die es damals schon gibt, zeigt Christina höchstpersönlich den Tatort und verweist auf das Blut, das in die Steinfliesen eingesickert ist. An Kardinal Jules Mazarin, Premierminister des französischen Staats, der die Königin auf die möglichen politischen Folgen ihres Tuns hinweist, schreibt Christina uneinsichtig: »Wir Menschen aus dem Norden sind ein bisschen wild und von Natur aus wenig furchtsam. Ich bitte Sie zu glauben, dass ich bereit bin, Ihnen alles zu Gefallen zu tun, nur nicht, mich zu fürchten. Was meine gegen Monaldesco ausgeführte Tat betrifft, so sage ich Ihnen, dass ich, wenn ich sie nicht getan hätte, diesen Abend nicht zu Bett ginge, ohne sie zu tun, und dass ich keinen Grund zur Reue habe, aber hunderttausend Gründe, höchst zufrieden zu sein.«
Spätestens nach dieser Gräueltat verleiht man ihr den Beinamen »Semiramis des Nordens«, in Anlehnung an die legendäre Königin von Babylon, die für ihre Prunkliebe, aber auch für ihre Grausamkeit und ihre Rachsucht bekannt war. Damals macht ein Spruch die Runde, der das scheinbar Widersprüchliche in Christinas Wesen zu umschreiben versucht: »Königin ohne Reich, Prinzessin ohne Untertanen, großzügig ohne Geld, politisierend ohne Motiv, Christin ohne Glaube, Urheberin ihres eigenen Ruins.« Doch das erklärt kaum das komplexe und komplizierte Seelenleben der Königin. Auch wenn nicht alles in Christinas Wesen psychologisch gedeutet werden kann, muss doch betont werden, dass man ihr weder gerecht wird, stellt man sie als Ungeheuer dar, noch wenn man sie als strahlende Heldin und Vertreterin einer frühen Emanzipation verklärt. Die Wahrheit liegt wie so oft in der Mitte, und Christina besaß bei aller Grausamkeit, Rücksichtslosigkeit und Machtbesessenheit auch einige bewundernswerte Züge: eine hohe Bildung, ein unablässiges Verlangen nach philosophischer und religiöser Erkenntnis, einen Drang nach persönlicher Freiheit. Nicht alle ihre Handlungen sind im Nachhinein verständlich, trotz oder gerade wegen der großen zeitlichen Distanz. Manches wird auf immer Christinas Geheimnis bleiben. Aber gerade das macht ihr Leben bis heute so unerhört interessant, lässt ihre Biografie wie eine Oper erscheinen. Und tatsächlich haben etliche Komponisten, Librettisten und Romanciers sich von der »Semiramis des Nordens« inspirieren lassen – mehr oder weniger frei auf den historischen Quellen fußend.
»Sie hat uns alle genarrt«
Bereits ihre Geburt am 17. Dezember 1626 (nach dem Gregorianischen Kalender) ist von einem Geheimnis umwittert – oder von einem Skandal, je nach Sichtweise. Christina selbst hat das später in ihrer Fragment gebliebenen Autobiografie beschrieben: »Ich war ein Sonntagskind, hatte eine raue, kräftige Stimme, und der ganze Körper war behaart. Auf all das hin glaubten meine Hebammen, die mich in Empfang nahmen, ich sei ein Knabe. Sie füllten das Schloss mit ihren falschen Freudenrufen, die eine Zeit lang sogar den König betrogen. Wunsch und Hoffnung verbanden sich, um alle zu täuschen, und höchst verlegen wurden die Frauen, als sie sahen, dass sie sich geirrt hatten. Sie waren in großer Bedrängnis, wie sie dem König die Wahrheit sagen sollten. Prinzessin Katharina, des Königs Schwester, übernahm es. Sie trug mich so in ihren Armen, dass der König selbst bemerken konnte, was sie ihm nicht zu eröffnen wagte.«
Der königliche Vater: Gustav II. Adolf aus dem Hause Wasa, der im Dreißigjährigen Krieg als Heerführer großen Ruhm erwirbt (und gleichermaßen viel Hass auf sich zieht) und Schweden auf die Höhe seiner Macht bringt. Die Mutter: Maria Eleonora von Brandenburg, eine schöne, aber psychisch labile Frau, die pathologisch auf ihren Mann fixiert ist und – das empfindet sie als ihre größte Niederlage – dem König keinen Stammhalter zur Welt bringt. Mehrere Kinder sterben bei oder nach der Geburt, einzig Christina bleibt am Leben. Doch der Vater sieht die Geburt des Mädchens nicht nur gelassen, sondern sogar mit Freude. Christina berichtet: »[…] doch dieser große Fürst zeigte keine Überraschung und nahm mich so liebevoll in Empfang, als wären seine Hoffnungen nicht enttäuscht worden. Und er sagte zu der Prinzessin: ›Lass uns Gott danken, meine Schwester. Ich hoffe, dieses Mädchen wird mir ebenso taugen wie ein Junge. Ich bitte Gott, dass er sie bewahre, da er sie mir gegeben hat. […] Sie wird schlau werden, denn sie hat uns alle genarrt.‹«
Gustav Adolf, der eiserne Soldat und große Feldherr, der von seinen katholischen Gegnern aus Verachtung und Furcht als »Löwe aus Mitternacht« betitelt wird, ist als Vater ein durch und durch liebevoller Mensch. Anders als die Mutter Maria Eleonora sieht Gustav Adolf das Mädchen immer als Erfüllung seiner Wünsche. Das Geschlecht des Kindes interessiert ihn herzlich wenig – das ist außergewöhnlich für jene patriarchalische Zeit. Im Gegenteil: Er nimmt es von der komischen Seite und unterstützt dieses Wechselspiel der Geschlechterrollen, indem er Christina wie einen Jungen erziehen lässt. Das ist mehr als eine königliche Laune: Christina soll später einmal den Thron besteigen und die Staatsgeschäfte übernehmen. Damit will er dem lutherischen Zweig des Hauses Wasa (der katholische Zweig herrscht in Polen) den Bestand sichern und auch Schwedens Vormachtstellung innerhalb des protestantischen Lagers wahren.
Christina wird bereits als kleines Mädchen zu ihrer Tante Katharina gegeben. Es ist eine Schutzmaßnahme für das Kind, auf dem die ganze Last und die ganze Hoffnung eines Königreichs ruhen. Die Mutter Maria Eleonora, eine neurotische Person, hasst das Mädchen, wirft es – offensichtlich in der Absicht, es zu töten – einmal sogar zu Boden. Christina wird davon eine verwachsene Schulter zurückbehalten, später werden Besucher bei Hof von der schiefen Statur der Königin berichten.
Früher als erwartet tritt das königliche Dekret der weiblichen Thronfolge in Kraft: Am 6. November 1632 – Christina ist noch nicht einmal sechs Jahre alt – fällt Gustav Adolf in der Schlacht bei Lützen in Sachsen. Schweden steht zu jener Zeit auf der Höhe seiner Macht: Schwedische Truppen haben Vorpommern besetzt und sind in mehreren siegreichen Feldzügen durch Sachsen und Bayern bis nach München vorgedrungen. Feierlich wird der Leichnam des mächtigen Königs nach Stockholm überführt. Maria Eleonora versinkt in lähmende Depressionen: Sie lässt den Sarg in ihren Gemächern aufstellen und verweigert zunächst, dass der König bestattet wird. Das Herz ihres Gemahls lässt sie in eine goldene Kapsel legen, die über ihrem Bett aufgehängt wird.
Christina, die bei der Tante wohnt, schließt Freundschaft mit ihrem vier Jahre älteren Cousin Carl Gustav. Die Vormundschaft liegt in Händen des Kanzlers Axel Oxenstierna und zweier Mitglieder des schwedischen Reichsrats. Christina wird wie ein männlicher Thronfolger erzogen: Sie lernt reiten und fechten und erhält einen gründlichen und breit angelegten Unterricht nach besten humanistischen Maßstäben. Später beherrscht sie acht Sprachen. Zudem hat sie fundierte Kenntnisse in Literatur, Kunst und Musik, in Theologie, Mathematik, Astronomie, Geografie, Geschichte und Staatslehre. Ihr Lehrer ist Johan Matthiäe, einer der besten Köpfe des Landes, der sich im schwedischen Königreich, in dem die lutherische Konfession bis zum Jahr 2000 Staatskirche ist, für eine Annäherung der Bekenntnisse einsetzt. Auch Axel Oxenstierna, der vierzig Jahre lang als Kanzler die Geschicke Schwedens bestimmt, unterrichtet die Prinzessin, vor allem in Staatslehre und Geschichte. Christina ist lernbegierig und von schneller Auffassungsgabe. Zu ihrem Lehrer Matthiäe entwickelt sie ein enges, liebevolles Vertrauensverhältnis. Zwölf Stunden täglich dauert der Unterricht, der das Mädchen mehr anspornt denn ermüdet. »Ich liebte«, schreibt sie, »gute Bücher und las sie mit Vergnügen. Ich hatte einen grenzenlosen Wissensdurst, war in allen Disziplinen bewandert und begriff alles mühelos.« Später wird sie sogar ihren Feinden, die sie politisch und moralisch verurteilen, in puncto Gelehrsamkeit Respekt abnötigen.
Eine doppelte Bürde
Obgleich der Reichsrat Christina vertritt und die Regierungsgeschäfte übernimmt, gilt es, ein Machtvakuum zu verhindern, denn der konkurrierende katholische Zweig der Wasa erhofft sich eine Rückkehr nach Schweden. Bereits am 15. März 1633, gut vier Monate nach Gustav Adolfs Tod, wird Christina vor den Reichsständen auf ihr Amt als Königin vereidigt. 1644, mit Vollendung des achtzehnten Lebensjahres, wird sie für volljährig erklärt, aus der Vormundschaft entlassen und mit der Übernahme der Regierungsgeschäfte betraut. Sie herrscht nicht nur über das Gebiet des heutigen Schweden, sondern auch über Vorpommern und Rügen, die einstigen Hansestädte Stralsund, Greifswald und Wismar, über...