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Gemeindenahes Wohnen für Menschen mit geistiger Behinderung

AutorMirjam Günther
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl171 Seiten
ISBN9783638026970
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis27,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Soziale Arbeit / Sozialarbeit, Note: sehr gut, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, 98 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Gegenstand und Ziel der Arbeit ist es, ein geschlossenes Bild dieser Bemühungen um gleichberechtigte Wohnmöglichkeiten für Menschen mit geistiger Behinderung im Vergleich zu den Wohnmöglichkeiten von Menschen ohne Behinderungen zu geben. Dabei soll schwerpunktmäßig ein besonderes Augenmerk darauf liegen, ob die aktuellen Entwicklungen und Neuerungen in den Wohn- und Unterstützungsangeboten für Menschen mit Behinderungen auch für den Personenkreis der Menschen mit (schwerer) geistiger Behinderung konzipiert sind und für diese Menschen einen gleichberechtigten Zugang zur Formen des gemeindenahen Wohnens bieten. Im ersten Teil der Arbeit werde ich einen Überblick über die geschichtliche Entwicklung der Wohnmöglichkeiten für den genannten Personenkreis geben. Dieses Kapitel wird mit den neueren Entwicklungen zum Heimgesetz und den aktuellen Paradigmen für die Arbeit mit Menschen mit geistiger Behinderung abschließen. Das folgende Kapitel wird mit der Untersuchung und Beschreibung von Wohnwünschen und Wohnbedürfnissen von Menschen mit geistiger Behinderung beginnen.Anschließend werden die aktuellen gemeindenahen Wohnmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen dargestellt und erläutert werden. Zum Schluss des dritten Kapitels werde ich verschiedene Systeme und Angebote der Unterstützung von Menschen mit geistiger Behinderung benennen und erklären, die in gemeindenahen und eigenständigen Wohnformen leben. Im vierten Kapitel meiner Diplomarbeit werde ich die Arbeit der Bundesinitiative 'Daheim statt Heim' vorstellen. Diese Initiative wurde vor circa einem Jahr von Vertretern aus den Bereichen der Politik, der Wissenschaft, der Interessenvertretung von Menschen mit Behinderungen und der praktischen Arbeit in der Behindertenhilfe gegründet. Das Ziel der Initiative ist es, systematisch die Heimunterbringung von Menschen mit Behinderungen und von alten Menschen zu stoppen und zu verbieten und stattdessen dafür zu sorgen, dass diesen Menschen ausreichend kleine, dezentrale und gemeindenahe Wohn- und Unterstützungsmöglichkeiten angeboten werden.

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Leseprobe

3. Die Neugestaltung des Wohnens für Menschen mit geistiger Behinderung


 

Im folgenden Kapitel sollen die aktuellen Möglichkeiten des Wohnens näher betrachtet werden, die für Menschen mit Behinderungen zur Verfügung stehen. Dabei wird der Schwerpunkt der Betrachtung auf den spezifischen Wohnbedürfnissen und Wohnwünschen der Menschen mit Behinderungen liegen und auf der Abwägung, ob diese Wünsche und Bedürfnisse durch die verfügbaren Wohn- und Unterstützungsformen erfüllt werden.

 

3.1 Wohnwünsche und –bedürfnisse


 

Zunächst werde ich also die generelle Funktion des Wohnens und die damit verbundenen menschlichen Wohnbedürfnisse darstellen und erläutern, wobei ich auch auf das Konzept der Lebensqualität als Zielkategorie des Wohnens eingehen werde. Weiterhin werde ich anhand von 2 Studien aus Deutschland und den Niederlanden konkrete Wohnwünsche von Menschen mit geistiger Behinderung aufzeigen.

 

Das Wohnen hat für alle Menschen, egal ob mit oder ohne Behinderung eine herausragende Bedeutung. Wie wir wohnen hat großen Einfluss auf unser Wohlbefinden und darauf, welche Qualität wir unserem aktuellen Lebensstandard beimessen. Die Wohnung wird von den meisten Menschen als der einzige ganz private Raum angesehen, in dem man sich vor den sozialen Anforderungen der Gesellschaft zurückziehen kann und somit völlig frei entscheiden und gestalten kann. Daher hat der Wohnraum auch eine besondere Bedeutung für die Entwicklung von Selbstbewusstsein und Identität des Einzelnen (vgl. RAUSCHER 2005, S. 145).

 

3.1.1 Wohnbedürfnisse – Die Funktion des Wohnens


 

Menschen mit Behinderungen haben, genau wie Menschen ohne Behinderungen, verschiedene Grundbedürfnisse, die erfüllt sein müssen, um ein gutes und ausgefülltes Leben zu führen. In der Literatur werden diese Grundbedürfnisse meist dreigeteilt in Biologisch-physiologische Bedürfnisse (wie zum Beispiel das Bedürfnis nach Nahrung, Schlaf, körperlicher Unversehrtheit und Sicherheit), Soziale Bedürfnisse (das Bedürfnis nach Kommunikation, sowie nach Zugehörigkeit und sozialer Anerkennung) und Psychische Bedürfnisse (nach Selbstverwirklichung und Selbstdarstellung). Nach MASLOW (1978) stehen diese Bedürfnisse in einer bestimmten Rangfolge, die er als Bedürfnispyramide bezeichnet. Danach müssen zuerst die physiologischen und elementarsten Bedürfnisse erfüllt sein, bevor der Mensch sich zur Erfüllung der höheren Bedürfnisse (soziale und psychische) hinwenden kann (vgl. WEINWURM-KRAUSE 1999(a), S. 20ff.).

 

Diese Grundbedürfnisse betreffen alle Lebensbereiche des Menschen, so auch das Wohnen. Nach BOLLNOW (1984, S. 123) ist „das Wohnen eine Grundverfassung des menschlichen Lebens, die erst langsam in ihrer vollen Bedeutung erkannt wird“ (ebd., zit. n. THESING 1998, S. 31). Um Zufriedenheit im Bezug auf die eigene Wohnsituation zu erreichen, müssen die verschiedenen Funktionen, die das Wohnen seit Beginn der Menschheitsgeschichte einnimmt erfüllt sein.

 

MASLOWS Bedürfnishierarchie folgend ist es die erste Funktion des Wohnens, dass die Wohnung einen Raum für Geborgenheit, Schutz und Sicherheit bietet. Die eigene Wohnung bietet nicht nur Schutz vor Kälte, Hitze und sonstigen schädigenden äußeren Einflüssen, sondern sie ist auch ein sicherer Ort, um zu schlafen, zu essen oder Kinder großzuziehen. Es steht jedem Menschen frei, die eigene Wohnung zu verlassen und zu ihr zurückzukehren, wann immer er möchte. Die Wohnung bietet eine Art sicherer Basis, in welche man sich jederzeit zurückziehen kann und in der verlässlich alles so wieder vorgefunden wird, wie man es verlassen hat. Dieses Gefühl von Sicherheit und Halt ist eine wichtige Voraussetzung, um Selbstständigkeit entwickeln zu können, was besonders für Menschen mit geistiger Behinderung oftmals nicht einfach ist. Umso wichtiger ist es für diesen Personenkreis, dass sie einen eigenen Wohnbereich haben, den sie verschließen können und in dem sie sich absolut sicher vor allen äußeren Einflüssen fühlen können. Wie wichtig dieser geschützte Raum des Wohnens in unserer Gesellschaft ist, zeigt sich im Artikel dreizehn des Grundgesetzes, welcher die Unverletzlichkeit der Wohnung als Grundrecht schützt (vgl. THESING 1998, S. 35).

 

Als zweite Funktion bietet die Wohnung Beständigkeit und Vertrautheit. Eine Wohnung gilt üblicherweise als wohnlich, wenn sich deren Bewohner mit Dingen umgeben können, die ihnen vertraut sind und welche sie mögen. Dies können zum Beispiel Fotos, Bücher, die Lieblingsmusik oder persönliche Erinnerungsstücke sein. Diese Dinge bilden für die Bewohner eine Verbindung zur ihrem gegenwärtigen Leben und/oder zu ihrer Vergangenheit. Sie sind Teil der persönlichen Lebensgeschichte, sie vermitteln ihnen Konstanz und Identität. Durch das Einbringen von vertrauten Gegenständen in den eigenen Wohnbereich, macht man sich diesen Bereich gleichermaßen vertraut und zu Eigen. Auch bestimmte Personen, mit denen man zusammenlebt können diese Funktion erfüllen. Daher ist es auch für das psychische Wohlbefinden eines jeden Menschen nicht förderlich, wenn er seinen Wohnort häufig wechseln muss oder wenn die Bezugspersonen (dies können sowohl Mitbewohner, als auch Betreuer sein), mit denen er zusammen lebt sich oft ändern. Die Konstanz der räumlichen Umgebung und der Beziehungen vermittelt dem Menschen ein Gefühl von Zugehörigkeit und von Heimat. Bei Menschen mit geistiger Behinderung, die aus ihrem gewohnten Wohnumfeld in ein Heim oder eine andere Wohngruppe umziehen müssen, kann es oft hilfreich sein, wenn sie an der Gestaltung dieser neuen Wohnung oder des neuen Zimmers aktiv beteiligt sind, wenn sie also eigene Möbel oder persönliche Gegenstände mit in den Wohnraum hineinbringen können (vgl. ebd., S. 37).

 

Die eigene Wohnung dient auch zur Erfüllung der sozialen Bedürfnisse nach Kommunikation und Zusammenleben mit anderen Menschen. Nach BOLLNOW (1984, S. 153) ist Wohnen „nur als Gemeinschaft möglich, und das wahre Wohnen verlangt die Familie“ (zit. n. THESING 1998, S. 40). Die große Anzahl an Singlehaushalten in unserer heutigen Gesellschaft belegt zwar, dass Wohnen durchaus auch alleine möglich ist, aber der Grundgedanke, den BOLLNOW zum Ausdruck bringen wollte ist dennoch aktuell – Menschen sind von Natur aus keine Einzelwesen, sondern soziale Wesen, die eine Gemeinschaft nötig haben, in der sie leben können. Das Bedürfnis der Menschen nach sozialen Kontakten und nach Kommunikation in ihrem Wohnumfeld ist ebenso wichtig wie die Möglichkeit, sich gegen die Außenwelt zu schützen und abzuschirmen. Das Zusammenwohnen mit geliebten und vertrauten Menschen, zum Beispiel mit dem Lebenspartner oder mit eigenen Kindern, gemeinsame Mahlzeiten und Gespräche in der Wohngemeinschaft strukturieren und bereichern für viele Menschen ihren Tagesablauf und ihr Leben (vgl. ebd.).

 

Obwohl das Bedürfnis nach Schutz und Privatsphäre auf den ersten Blick dem Bedürfnis nach Kommunikation und Gemeinschaft zu widersprechen scheint, sind dennoch beide für den Menschen von großer Bedeutung und müssen miteinander vereint und gegeneinander ausgeglichen werden, wenn der Mensch mit seiner Wohnsituation zufrieden sein soll. Ein zu stark ausgeprägtes Schutzbedürfnis kann dazu führen, dass man sich von seiner Umgebung absondert und dadurch vereinsamt (vgl. THESING 1998, S. 40; WEINWURM-KRAUSE 1999(a), S. 18). Wohnbereiche sollten also nach Möglichkeit so geschaffen sein, dass sie sowohl Zonen zur Sicherheit und Abgrenzung nach außen ermöglichen (zum Beispiel ein privates Schlafzimmer und Badezimmer), als auch Bereiche, in denen Gemeinschaft und Kommunikation mit Mitbewohnern ermöglicht wird (gemeinsames Esszimmer, Küche, Wohnzimmer) und auch Bereiche, in denen man Kontakt zu seiner Umwelt aufnehmen und pflegen kann (zum Beispiel im Hausflur oder Garten) (vgl. THESNIG 1998, S. 41).

 

Als vierte Funktion der Wohnung lässt sich die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung und zur Selbstverfügung anführen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Lebensbereichen, wie der Arbeit oder als Mitglied der Gesellschaft, ist die eigene Wohnung oft der einzige Bereich, über den man frei verfügen und den man ganz nach den eigenen Wünschen gestalten kann. Die eigene Wohnung oder das eigene Haus vermittelt dem Menschen das Gefühl von Unabhängigkeit und der Möglichkeit, etwas Persönliches und Eigenes hervorzubringen. Dort ist man frei von sozialen Kontrollen und Normen und kann allein das tun, was man selbst will. Den meisten Menschen sind aber in diesem Bedürfnis nach Gestaltung des Lebensraums und damit nach Selbstentfaltung und Selbstdarstellung ziemlich enge Grenzen gesetzt, zum Beispiel durch ihren finanziellen Spielraum. Umso mehr ist dies bei Menschen mit Behinderungen der Fall, die in Heimen leben und dort oft nicht viel an ihrem Wohnraum verändern und gestalten dürfen. Weiterhin gibt es besonders für Menschen die in Heimen leben auch viele äußere Beschränkungen für die Selbstverwirklichung durch Gestaltung des Wohnraumes, zum Beispiel durch Architektur und Mietverträge.[1]

 

Besonders radikal werden Menschen in ihrer Möglichkeit zur Selbstverwirklichung eingeschränkt, wenn sie sich ihren einigen Wohnraum mit einer oder mehreren anderen Personen teilen müssen, wie dies in vielen Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen leider immer noch der Fall ist. Ohne diese Art von Selbstverwirklichung ist eine wirkliche Entspannung und Erholung nicht möglich, wie sie die eigene...

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