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E-Book

George Sand

AutorRenate Wiggershaus
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783644402027
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,99 EUR
Die französische Schriftstellerin George Sand (1804-1876) hat als Vorkämpferin der Frauenemanzipation Geschichte gemacht. Dass sie es liebte, in Männerkleidern aufzutreten und in der Öffentlichkeit Zigarren zu rauchen, hat zu ihrem Ruhm durchaus beigetragen. Über ihre Liebesbeziehung mit dem Komponisten Frédéric Chopin schrieb sie den Bericht «Ein Winter auf Mallorca» (1842), der in die Weltliteratur einging. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Renate Wiggershaus lebt als freie Schriftstellerin und Funkautorin bei Frankfurt am Main.Buchveröffentlichungen: George Sand, Geschichte meines Lebens (Hg.), Frankfurt a. M. 1978; Geschichte der Frauen und der Frauenbewegung in der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik nach 1945, Wuppertal 1979; Frauen unterm Nationalsozialismus, Wuppertal 1984; Malwida von Meysenbug, Memoiren einer Idealistin (Hg.), Frankfurt a. M. 1985; Virginia Woolf - Leben und Werk in Texten und Bildern, Frankfurt a. M. 1987; Joseph Conrad - Leben und Werk in Texten und Bildern, Frankfurt a. M. 1990; Marcel Proust - Leben und Werk in Texten und Bildern, Frankfurt a. M. 1992; Die deutschen Weintäler, Frankfurt a. M. 1997; Joseph Conrad, München 2000, dtv portrait; Virginia Woolf, München 2004, dtv portrait.

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Leseprobe

Kindheit und Jugend


George Sand wurde am 1. Juli 1804 als Amantine-Aurore-Lucile Dupin in Paris geboren. In ihrer fünfteiligen, mehr als eineinhalbtausend Seiten starken Histoire de ma vie (Geschichte meines Lebens) schrieb sie:

Ich bin geboren im Jahre der Krönung Napoleons, dem XII. Jahre der französischen Republik (1804).

Diese Geburt, die in bezug auf beide Zweige meiner Familie so oft und in so eigentümlicher Weise besprochen wurde, hat etwas Sonderbares und hat mich zu häufigem Nachdenken über die Frage der Abstammungen veranlaßt.

Ich habe besonders meine ausländischen Biographen im Verdacht, sehr aristokratisch zu sein, denn sie alle haben mich mit einer vornehmen Herkunft beschenkt, ohne, wie sie als wohlunterrichtete Leute getan haben müßten, auf einen sehr sichtbaren Fleck in meinem Wappen Rücksicht zu nehmen.

Man ist nicht allein das Kind seines Vaters, man ist, wie ich glaube, auch ein wenig das seiner Mutter – es scheint mir sogar, als wären wir dies am meisten; als wären wir auf das unmittelbarste, mächtigste, heiligste mit dem Wesen verbunden, das uns unter seinem Herzen getragen hat. Wenn also mein Vater der Urenkel Augusts II., Königs von Polen ist, so daß ich mich von dieser Seite, zwar auf illegitime, aber unzweifelhafte Weise mit Karl X. und Ludwig XVIII. nahe verwandt fühle, ist es nicht weniger wahr, daß ich durch mein Blut dem Volke ebenso nah stehe – und auf dieser Seite ist noch dazu kein Bastardtum.

Meine Mutter war ein armes Kind der alten Stadt Paris; ihr Vater Anton Delaborde war Ballspielhaus-Aufseher und Meister Vogler, das heißt, er verkaufte Kanarienvögel und Stieglitze auf dem Quai aux oiseaux, nachdem er in irgendeinem Winkel von Paris ein kleines Estaminet (Kaffeehaus) mit Billard besessen hatte, wobei er jedoch schlechte Geschäfte machte …

Der Urgroßvater meines Vaters, Friedrich August, Kurfürst von Sachsen und König von Polen, war der größte Wüstling seiner Zeit. Es ist gerade keine seltne Ehre, etwas von seinem Blute in den Adern zu haben, denn er hatte, wie man behauptete, einige hundert Bastarde. Von der schönen Aurora von Königsmarck, der großen gewandten Kokotte, vor welcher Karl XII. zurückwich, so daß sie sich an Furchtbarkeit einer Armee überlegen glauben konnte, hatte er einen Sohn, der ihn an Adel bei weitem übertraf obwohl er nie mehr war als Marschall von Frankreich. Es war Moritz von Sachsen, der Sieger von Fontenay; er war gutmütig und tapfer wie sein Vater und nicht weniger unsittlich; aber er war geschickter in der Kriegskunst, war glücklicher in seinen Unternehmungen und wurde besser unterstützt.

Zu den Vorfahren George Sands gehörten also väterlicherseits August der Starke (1670–1733; d.i. Friedrich August I., Kurfürst von Sachsen und später zugleich August II., König von Polen) sowie dessen Geliebte, die Gräfin Maria Aurora von Königsmarck, die wegen ihrer Schönheit und vielseitigen Bildung berühmt war. Sie hatte ungewöhnliche Sprachkenntnisse, spielte virtuos Laute und Viola da Gamba und schuf eine ganze Reihe von Kompositionen. Ihr gemeinsamer Sohn, Moritz von Sachsen, später Marschall von Frankreich, war George Sands Urgroßvater. Die Frucht seiner Liaison mit Marie Rainteau, die unter dem Namen Mlle de Verrières an der Oper sang, war Marie-Aurore de Saxe, George Sands Großmutter. Sie heiratete in zweiter Ehe den 33 Jahre älteren Louis-Claude Dupin, genannt de Francueil. Ihr einziges Kind, Maurice Dupin (1778–1808), war der Vater George Sands.

Der Großvater mütterlicherseits war Vogelhändler auf den Quais der Seine. Ihre Mutter Antoinette-Sophie-Victoire Delaborde (1773–1837) begleitete viele Jahre die Heere der Republik. Als sie und Maurice Dupin 1804, einen Monat vor der Geburt George Sands, heirateten, brachte sie ein uneheliches Kind mit in die Ehe, dessen Vater unbekannt war: Caroline. George Sands Vater hatte bereits einen illegitimen Sohn mit einer Magd gezeugt: Pierre Laverdure, genannt Hippolyte Chatiron.

In der Geschichte meines Lebens ging George Sand ausführlich auf das Leben ihrer Ahnen ein. Erst im achten Kapitel des zweiten Teils (auf S. 466 der französischen Ausgabe) stellte sie ihre eigene Geburt dar. Die weitschweifige Schilderung des Lebens ihrer Vorfahren rief bei vielen Zeitgenossen Verwunderung und auch Enttäuschung hervor. Sie hatten skandalöse Enthüllungen über ihr intimes Leben erwartet und sahen sich stattdessen auf Hunderten von Seiten konfrontiert mit der Darstellung einer Ahnengalerie, mit dem Abdruck zahlreicher Briefe ihres Vaters an seine Mutter, mit Erzählungen ihrer Großmutter usw. Befremden löste Mitte des 19. Jahrhunderts auch die Freimütigkeit aus, mit der George Sand über die niedrige Herkunft ihrer Mutter sprach, deren Vorleben sie nicht zu verheimlichen suchte.

Es ist ein charakteristischer Zug an George Sand, dass sie Konventionen wenig achtete, dass sie gegen gesellschaftliche Regeln verstieß, vor allem wenn es darum ging, Menschen aus einfachen Verhältnissen zu unterstützen und Menschen aus gehobenen Schichten nicht mehr als die ihnen zukommenden Rechte zu gewähren. Beispielsweise half sie Arbeiterschriftstellern auf materielle und ideelle Weise. Ihrem ersten Arbeitgeber, Henri de Latouche, hingegen verweigerte die Anhängerin des Gleichheitsgedankens den Adelstitel. Sie nannte ihn zeit ihres Lebens «Delatouche».

Aber obgleich sie sich von klein an unwürdigen und sie einengenden Konventionen und gesellschaftlichen Normen widersetzte, obgleich sie zumeist freimütig, offen und aufrichtig war, hielt sie es doch für nötig, viele der Briefe ihres Vaters an seine Mutter zu schönen, das heißt zu verfälschen. Georges Lubin, der größte George-Sand-Kenner unserer Zeit, der ihre Briefe, ihr autobiographisches Werk und viele ihrer Romane neu herausgegeben und kommentiert hat, meint, man könne ihr zwar nicht vorwerfen, etwas dazuerfunden, wohl aber, starke Retuschen vorgenommen zu haben. In seiner Einleitung zu George Sands autobiographischem Werk schreibt er:

«Sie hatte das Glück, die Briefe ihres Vaters, diese Dokumente aus erster Hand, in ihrem Schreibtisch in Nohant zu finden, in dem die Großmutter sie ehrfurchtsvoll zusammengebunden aufbewahrte. Die Romanschriftstellerin konnte sich nicht enthalten, diese Briefe neu zu schreiben, zu verdrehen, umzuändern, miteinander zu verquicken, um ihnen eine literarische Form zu geben, und, gestehen wir es ein, manchmal, ja sogar häufig ihren Sinn zu verändern.»

Das Motiv für diese Verfälschungen ergibt sich aus einem ausgeprägten Zug ihres Charakters: sie war eine Frau, die es mit allen, die nicht ihre Feinde waren, gut meinte, die nicht verletzen wollte, die Verständnis zeigte, die liebte und lieben wollte, wohinter das noch dringendere Bedürfnis stand, selber geliebt zu werden. 1847, als die Idee, eine Geschichte ihres Lebens zu schreiben, konkrete Formen annahm, schrieb sie auf ein weißes Blatt Papier:

Barmherzigkeit gegenüber den anderen. – Würde gegenüber sich selbst. – Aufrichtigkeit gegenüber Gott. Dieses Motto stelle ich dem Buch voran, das ich schreiben möchte. 15. April 1847. Im Dezember desselben Jahres schrieb sie an ihre Freundin Charlotte Marliani, die Frau des spanischen Konsuls in Paris: Ich schreibe eine Geschichte meines Lebens (keine Bekenntnisse); die Leute sind zu gemein, als daß ich ihnen die Ehre geben würde, mich anzuklagen oder mich zu rechtfertigen. Es ist auch unmöglich, den einen oder anderen darzustellen, ohne fast alle Menschen, mit denen man im Leben zu tun hatte, entweder anzuklagen oder sich zu ihnen zu bekennen. Jean-Jacques Rousseau hat es bewiesen, und ich bewundere sein Buch, dennoch mißbillige ich es als eine eher schlechte Tat. Daher werde ich niemandem Übles tun und niemandem Kummer bereiten. Ich habe genug aus meinem intellektuellen und moralischen (Künstler)leben zu erzählen, ohne jemanden zu meinem intimen Vertrauten machen zu müssen. Mein Buch wird ernst und nützlich sein …

Und an den Maurer und Arbeiterdichter Charles Poncy schrieb sie während der Arbeit an ihrem Buch: Übrigens ist unser Leben verwoben mit all jenen, die uns umgeben, und man kann sich nicht wegen einer Sache rechtfertigen, ohne gezwungen zu sein, jemanden anzuklagen, manchmal unseren besten Freund. Nun möchte ich niemanden anklagen oder betrüben. Das wäre mir widerwärtig und würde mir noch weher tun als meinen Opfern. Ich glaube, daß ich ein brauchbares Buch mache, das keiner zu fürchten braucht, in dem es keine Skandale gibt, das weder eitel noch unterwürfig ist, und ich arbeite mit Vergnügen daran.

Die Eigenschaft George Sands, niemanden betrüben zu wollen, wurde stärker, je älter sie wurde, das heißt eben auch, je mehr sie selber – wenn vielleicht auch unwillentlich – Kummer zufügte und je mehr sie selber verletzt wurde. Als sie 1847, mit 43 Jahren, an die Niederschrift der Geschichte meines Lebens ging, wollte sie auch gegenüber ihren Ahnen freundlich sein, von denen sie ihrer Meinung nach vieles geerbt hatte. Um ihr eigenes Leben erzählen und erklären zu können, hielt sie es für notwendig, das ihrer Vorfahren verständlich zu machen.

Nach der ausführlichen Darstellung besonders auch des Lebens ihres Vaters, der starb, als er erst 30 Jahre alt war, kommt sie endlich auf ihre eigene Geburt...

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