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E-Book

Che Guevara

AutorFrank Niess
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2018
ReiheRowohlt Monographie 
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783644402034
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,99 EUR
Che Guevara (1928-1967) hat wie kaum ein anderer die sozialen Utopien und Träume einer ganzen Generation verkörpert. Seine Unerbittlichkeit gegen sich selbst, seine Willenskraft, seine Todesverachtung - all das hat ihn zum Idol werden lassen. Die Monographie beschreibt den Mythos und die Realität eines außergewöhnlichen, bewegten Lebens, das bis heute Menschen in aller Welt fasziniert und begeistert. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Frank Niess, 1942-2011. Studium der Germanistik, Geschichte und Politikwissenschaft in Bonn und Heidelberg. Bis Juni 2003 Wissenschaftsredakteur beim Südwestrundfunk. Veröffentlichungen: «Der Koloss im Norden. Geschichte der Lateinamerikapolitik der USA», 2. verb. Auflage 1986. «Das Erbe der Conquista. Geschichte Nicaraguas», 2. Auflage 1989. «Sandino. Der General der Unterdrückten. Eine politische Biographie», 1989. «20mal Kuba», 1991. «Am Anfang war Kolumbus. Geschichte einer Unterentwicklung. Lateinamerika 1492 bis heute», 1991. «Eine Welt oder keine. Vom Nationalismus zur globalen Politik», 1994. «Die europäische Idee. Aus dem Geist des Widerstands», 2001. Bei rowohlts monographien erschienen die Bände über Che Guevara (2003, rm 50650) und Fidel Castro (2008, rm 50679).

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Leseprobe

Wissensdurst und politisches Interesse


Die Eltern ließen nicht nach in ihrer Sorge um den asthmakranken Sohn. Sie zogen in der Hoffnung, das Klima in Buenos Aires werde Ernestito besser bekommen, in die Hauptstadt um. Die Hoffnung trog, dem umhegten Sohn ging es dort genauso schlecht wie in San Isidro. Man entschied schließlich, alle Taue zu kappen und sich im Nordwesten Argentiniens in zuträglicheren klimatischen Verhältnissen anzusiedeln. Der Weg führte auf ärztlichen Rat nach Alta Gracia, eine ruhige Kleinstadt nicht weit von Córdoba, am Fuß der Sierra Chica, 600 Meter hoch gelegen.

Dort ließ sich die Familie 1933, um Sohn Roberto angewachsen, erst in einem Hotel und dann nach einem weiteren Wohnungswechsel in der «Villa Nydia» nieder, einem geräumigen alten Haus mit großem Garten, das in den sogenannten besseren Kreisen des Städtchens unter dem Namen «Leb wie du willst» bekannt war.

Obwohl Ernestos Eltern stets in finanziellen Nöten waren, machten sie dem libertären Geist, der aus diesem Namen sprach, doch alle Ehre. Ihr Haus stand für jedermann offen, unabhängig von seiner sozialen Herkunft, gleichgültig, ob arm oder reich. Und die Kinder der Umgebung nahmen dieses Angebot in hellen Scharen freudig wahr.

In Alta Gracia lernte Ernestito die Natur als «wichtige Lehrmeisterin» kennen. In den umliegenden Zuckerrohrfeldern, in den nahen Wäldern und in den Bergen. Er reifte, wie sein Vater mit einigem Stolz vermerkte, zu einem «Experten des Urwalds» heran. Aber nicht nur das: Er lernte auch, sich in den sozialen Beziehungen durchzusetzen. Immer wenn die Kinder von Alta Gracia etwas Verwegenes planten, hieß der Anführer Ernestito. «Bereits mit sechs Jahren befehligte er die ganze Kinderclique der Nachbarschaft.»

Doch er war nicht jedermanns Darling. So haben nicht wenige Nachbarskinder, Mitschüler und Lehrer ihm ihre Sympathien versagt. Sie erlebten ihn als rebellischen, waghalsigen, widerspenstigen, respektlosen und starrköpfigen Jungen. Manchen galt er auch als schweigsam, introvertiert, ja sogar als schüchtern und gehemmt. Seine Krankheit zwang Ernestito zu vielen Ruhepausen. Zeit, die er nutzte, um alles zu lesen, dessen er im Hause Guevara habhaft werden konnte. Mit Feuereifer verschlang er Abenteuerbücher, Romane und Reisebeschreibungen von Robert Louis Stevenson, Jules Verne, Alexandre Dumas oder Jack London, um nur einige zu nennen. Vater Ernesto attestierte dem Zwölfjährigen den Bildungsstand eines Achtzehnjährigen.

Er machte sich genauso mit Cervantes und Anatole France, mit Chiles marxistischem Poeten Pablo Neruda und Horacio Quiroga sowie mit den spanischen Dichtern Antonio Machado y Ruiz und Federico García Lorca bekannt. Wenn stimmt, was der Vater später über das Lektürepensum seines ältesten Sohnes die Öffentlichkeit hat wissen lassen, dann hatte Ernestito, kaum sechzehn Jahre alt, schon sämtliche Bücher im Hause Guevara gelesen: an die 3000 Bände – zur Geschichte, Literatur, Poesie und insbesondere Politik.

Obwohl die Guevaras gewissermaßen der Aristokratie angehörten, wuchs Ernestito in einem ausgesprochen egalitären Klima auf, für das beide Elternteile gleichermaßen sorgten. Durch seine vielfältigen sozialen Kontakte lernte er die Ungerechtigkeiten in der argentinischen Gesellschaft kennen. Von seinen Freunden, von denen die meisten zur Unterschicht gehörten, erfuhr er, was soziales Elend hieß, was es bedeutete, sich als Arbeiter in den Bergwerken, auf den Baustellen oder auf den Mate-Anpflanzungen für einen Hungerlohn abzurackern, ohne die geringste soziale Sicherheit zu haben. Er bekam Einblicke in die unsäglichen Wohnverhältnisse, in denen manche seiner Spielgefährten aufwachsen mussten.

Möglicherweise lehrte ihn seine Krankheit, sich zu beherrschen, sich nicht unterkriegen zu lassen und sich keinen trügerischen Illusionen hinzugeben. Vermutlich löst das Asthma bei den Erkrankten einen Mechanismus aus, der das Selbstbewußtsein stärkt.

Ernesto Guevara Lynch

Was Ernesto in seiner Kindheit und dann als Jugendlichen besonders geprägt hat, waren die langen Schatten und der Widerhall des Spanischen Bürgerkriegs in Argentinien. Während dieser Zeit wohnte Celias älteste Schwester Carmen mit ihren zwei Kindern im Hause Guevara. Ihr Mann, der kommunistische Schriftsteller und Journalist Cayetano «Policho» Córdova Iturburo, hatte sich als Kriegsberichterstatter für die Zeitschrift «Crítica» nach Spanien an die Front begeben. Er schrieb Carmen viele Briefe: hochwillkommene Lebenszeichen und zugleich wichtige Informationen über den Spanischen Bürgerkrieg. So konnte man sich in Alta Gracia ein recht genaues Bild von den Ereignissen in Spanien machen.

Keine Frage, dass Ernestitos Eltern Partei für die bedrohte Republik ergriffen. Sie taten dies nicht nur in lebhaften Gesprächen, sie ließen den Worten auch Taten folgen. Ernesto sen. hob ein lokales Comité de Ayuda a la República mit aus der Taufe, einen örtlichen Ableger des landesweiten Netzwerkes der Solidarität mit der gefährdeten spanischen Republik. Und er nahm Kontakt zu den politischen Flüchtlingen auf, die in immer größerer Zahl nach Argentinien strömten. Darunter der Arzt Juan González Aguilar und der Held der Schlacht von Guadalajara (1937) General Jurado. Er hatte die italienischen Truppen geschlagen, die im Dienste Francos auf spanischem Boden kämpften. Ernesto jun. saß wie gebannt dabei, wenn diese Augenzeugen des Spanischen Bürgerkriegs von ihren Erlebnissen berichteten. Es waren Schlüsselerlebnisse für ihn, wie sein Vater registrierte: «Ernesto schnitt sorgfältig alle Nachrichten aus den Zeitungen aus, und in seinem Zimmer hing eine große Spanienkarte, auf der er die Truppenbewegungen verfolgte und kleine Fähnchen an die Stelle der verschiedenen Fronten steckte. Ich glaube, daß er in dieser Zeit begann, seine ablehnende Einstellung gegenüber Diktaturen, die die Völker unterdrückten, zu entwickeln.»

Der nächste Schritt in der politischen Sozialisation des jungen Ernesto war denn auch folgerichtig das Bestreben, nicht mehr nur den Erwachsenen gespannt zuzuhören, sondern selbst teilzuhaben. Ein Verlangen, dem Vater Ernesto Guevara nachkam, als er den Elfjährigen in die Jugendorganisation der von ihm in Alta Gracia gegründeten Ortsgruppe der «Acción Argentina» aufnahm. Diese Organisation hatte es sich zum Ziel gesetzt, gegen die antisemitischen, rassistischen und faschistischen Tendenzen in Argentinien anzukämpfen.

Sie versuchte es auf verschiedenste Weisen. Mit Kundge-bungen, Geldsammelaktionen für die Alliierten, Unternehmungen gegen das Eindringen der Nazis in Argentinien, mit dem Nachweis der Infiltrierung durch ehemalige Mannschaftsmitglieder des 1940 in der Bucht von Montevideo gesunkenen deutschen Schlachtschiffs «Graf Spee» und der Verbreitung von Informationen über die Erfolge der Alliierten im Krieg. Wann immer Ernesto sen. die Gebirge rund um Córdoba auf der Suche nach Spuren nazistischer Infiltration durchstreifte, war Ernesto jun. mit dabei.

1941 kam die Zeit, da Ernestito aufs Gymnasium wechseln sollte. Und ein solches gab es nur in Córdoba. Es war ein langer Schulweg, den er tagtäglich vor sich hatte: hin und zurück etwa 70 Kilometer. Für den Dreizehnjährigen ein unerhörter Stress. Zumal sich sein Asthma keineswegs gebessert hatte.

Es war ein ereignisreiches Jahr, in dem Ernesto in das «Colegio Nacional Dean Funes» aufgenommen wurde. Im Juni 1941 marschierte die deutsche Wehrmacht in Russland ein. Und im Dezember bombardierten japanische Flugzeuge die Pazifikflotte der USA in Pearl Harbor. Der Zweite Weltkrieg eskalierte. Eine mörderische Konfrontation zwischen den Alliierten und den Achsenmächten spitzte sich zu. Wobei Argentinien, nicht zuletzt wegen seiner starken wirtschaftlichen Verbindung zu Nazi-Deutschland, eine dubiose Rolle spielte. Es entwand sich den Bestrebungen seiner Nachbarn, klipp und klar für die Vereinigten Staaten zu optieren. Im Gegenteil: Es ließ sich von der Achse als Stützpunkt in der westlichen Hemisphäre, mit eindeutiger Spitze gegen die USA, benutzen. Und es wurde zum Standort sinistrer politischer Kräfte. Nazis, Falangisten und Faschisten gaben sich hier ein Stelldichein. Sie schleusten Spione ein und trieben Propaganda.

Das politische Hauptereignis der Jugendzeit Ernestos wurde die Machtergreifung von Juan Domingo Perón, damals für die Öffentlichkeit noch ein unbeschriebenes Blatt. Dieser Bewunderer Mussolinis und auch Hitlers, der als führendes Mitglied der allem Anschein nach faschistisch angehauchten «Gruppe Vereinigter Offiziere» (GOU) am Putsch gegen die herrschende Militärfraktion beteiligt war, stieg zum Arbeitsminister, dann zum Kriegsminister und schließlich, 1944, auch zum Vizepräsidenten auf. In der neuen Militärregierung war Perón vor allem auf eine progressive Sozialpolitik bedacht. Höhere Löhne für die sogenannten kleinen Leute und mehr gewerkschaftliche Rechte standen auf seinem populistischen Programm. Er verstand es, mit Hilfe seiner späteren Frau Eva Duarte, einer ehemaligen Sängerin und Filmschauspielerin, die als «Madonna der Armen» nahezu mystische Verehrung genoss, das Arbeitsministerium zu einem Schlüsselinstrument seiner Politik zu machen.

Geschickt, mit raffinierter volksnaher Attitüde, umwarb er die Enkel der spanischen und italienischen Arbeiter und mit ihnen die größte Gewerkschaft Argentiniens, die «Confederación General de Trabajadores» (CGT), in der diese die Mehrheit stellten. Wie eine gute Fee erfüllte Evita Perón nach ihrer Heirat als «Presidenta» den «Descaminados», den «Hemdlosen», und...

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