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E-Book

Geschichte Kambodschas

Von Angkor bis zur Gegenwart

AutorBernd Stöver
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783406674334
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Kambodscha ist durch die grandiosen Tempel aus der Angkor-Zeit bekannt, aber auch als Ort des Völkermords der Roten Khmer. Bernd Stövers kompakte, anschauliche Darstellung beginnt mit den frühen Gottkönigtümern und der Entstehung der Tempelkomplexe in Angkor Wat und Angkor Thom, die nach dem Niedergang des Khmer-Reiches, vom Dschungel überwuchert, zentrale Erinnerungsorte kambodschanischer Identität blieben. Während der französischen Kolonialherrschaft erwachte ein Nationalbewusstsein, Phnom Penh avancierte zum 'Paris des Ostens', aber der Traum von Demokratie und Unabhängigkeit endete nach 1954 schnell. Bernd Stöver beschreibt eindrucksvoll, wie Indochina- und Vietnamkrieg, der Steinzeit-Kommunismus der Roten Khmer und Bürgerkriege das Land Jahrzehnte lang ausbluteten. Erst seit 1999 kommt Kambodscha wieder zur Ruhe, im Schatten der Killing Fields, aber auch im Licht der Tempel von Angkor.

Bernd Stöver ist Professor für Neuere Geschichte an der Universität Potsdam.

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Leseprobe

1. Kambodscha, vergessenes Land


Zugegeben: Wer heute an Kambodscha denkt – «Kambuja» oder «Kambujadesa», das Land der Nachkommen des mythischen Kambu, wie es die Khmer noch heute nennen, oder Kampuchea, wie es offiziell heißt –, dem wird wahrscheinlich zunächst der blutigste Teil seiner jüngsten Geschichte in den Sinn kommen: die Herrschaft der Roten Khmer, der Khmer Krahom, zwischen 1975 und 1979, die wiederum eine Folge der Einbeziehung des Landes in den Vietnamkrieg war. Kaum jemand bestreitet heute noch, dass es dieser Krieg war, der den Grundstock für das mörderische Pol-Pot-Regime legte.

Die weit über zweihunderttausend US-Bombenangriffe, die bereits 1965 begannen, 1969 bis 1973 einen blutigen Höhepunkt erreichten und erst 1975 ihr Ende fanden, erfolgten zwar nicht ohne Grund: Der «Ho-Chi-Minh-Pfad», der die rund 40.000 Viet Cong, wie die kommunistischen Einheiten seit Mitte der 1950er Jahre genannt wurden, in Südvietnam versorgte, verlief als «Sihanouk-Pfad» durch kambodschanisches Gebiet.[1] Um den Viet Cong die Deckung zu nehmen, wurden auch in Kambodscha schon ab 1962 hochgiftige Entlaubungsmittel eingesetzt, unter anderem das berüchtigte Agent Orange.

Völkerrechtlich blieben dies alles jedoch illegale Angriffe auf einen neutralen und souveränen Staat, die man in Washington so lange wie möglich verschwieg. Auf dem Schlachtfeld Kambodscha war das internationale Kriegs- und Völkerrecht tatsächlich außer Kraft gesetzt. Dies machte der 15. Mai 1975 – auf den Tag genau fast zwei Monate nach dem Fall von Phnom Penh und zwei Jahre nach der in Paris geschlossenen Vereinbarung über die Beendigung des Krieges vom Januar 1973 – noch einmal spektakulär deutlich. Damals ließ die US-Regierung unter Protest selbst von Verbündeten die mit sieben Tonnen Sprengkraft größte konventionelle Bombe aus ihren Waffenarsenalen über der kleinen kambodschanischen Insel Koh Tang abwerfen, um sich für die Entführung eines Containerschiffs durch die damals bereits siegreichen Roten Khmer zu rächen.

Angkor als Bezugspunkt der Khmer-Identität Das Königreich Kambodscha empfängt seine Besucher am Grenzübergang Poipet mit der Nachbildung von drei Prasats aus der klassischen Kambuja-Zeit.

Die «Sideshow», wie der Journalist William Shawcross das Schlachtfeld Kambodscha 1979 in seinem berühmten, für den Pulitzer-Preis vorgeschlagenen Bericht nannte,[2] zerstörte in diesen Jahren eines der letzten relativ stabilen Länder Südostasiens, das noch in den 1950er Jahren eine der großen demokratischen Hoffnungen in der Region gewesen war, und ebnete damit den Weg für Pol Pots Regime, das 1975 seine mörderische Herrschaft begann. Die rund 2,4 Millionen Bomben trafen zwar auch Truppenansammlungen, insbesondere aber Zivilisten, was die Roten Khmer erst in die Lage versetzte, massenhaft jugendliche Waisen zu rekrutieren.[3] Heute weiß man, dass diese Kindersoldaten zu ihren gläubigsten und rücksichtslosesten Anhängern wurden. Nicht zuletzt trafen die Teppichbombardements der B-52-Bomber aus großer Höhe auch das kulturelle Erbe der Khmer. Schwer getroffen wurde unter anderem die 1500 Jahre alte Ruinenstadt Ishanapura (Iśanapura, heute: Sambor Prei Kuk) und die spektakulär auf einem Berg platzierte tausendjährige Tempelanlage Phnom Chisor.

Erfolgreiche Hollywood-Streifen wie Francis Ford Coppolas Apocalypse Now kultivierten bereits 1979 – bezeichnenderweise in jenem Jahr, als auch die monströse Diktatur des «Steinzeitkommunisten» Pol Pot unterging – weltweit das Bild eines vergessenen Winkels der Welt, in dem irrationale, grauenhafte Dinge geschahen. Gerade dieser stilbildende und mit Millionen Zuschauern wirkmächtige Film prägt mit seinen verstörenden Bildern bis heute die Sicht auf das Land.[4] In apokalyptischen Szenen tauchte es wie aus einer anderen Welt auf, mit vom Dschungel verschluckten jahrhundertealten Tempeln, mit steinzeitlichen Bergvölkern, die mit Speeren bewaffnet jeden bekämpften, der in ihr Gebiet eindrang: ein vergessener Ort, in dem kein Gesetz mehr zu gelten schien und in dem deshalb auch Psychopathen wie der von Hollywoodstar Marlon Brando verkörperte Colonel Kurtz eine brutale Herrschaft etablieren konnten, ohne dass sich dagegen irgendein Widerstand erhob. «Hier sind Sie am Arsch der Welt, Captain», wird der von Martin Sheen dargestellte Filmheld Captain Willard begrüßt, der Kurtz im Auftrag der US-Armee töten soll, als er die Grenze Kambodschas überschreitet. Alles das schien dem westlichen Publikum so fremd wie das fast achtzig Jahre alte literarische Vorbild, Josephs Conrads berühmte Kongo-Novelle Heart of Darkness.

Noch bestürzender waren die Berichte, die die Welt zur gleichen Zeit aus dem untergegangenen «Demokratischen Kambodscha» Pol Pots erreichten. Das am 17. April 1975, dem «Tag Null» der Khmèrs Rouges, gestartete und an Maos «Großem Sprung» orientierte Gesellschaftsexperiment kostete nach den Toten des Vietnamkrieges noch einmal mindestens 1,67 Millionen Kambodschaner das Leben.[5] Weltweit bekannt gewordene Kinofilme – insbesondere The Killing Fields (1984; dt.: Schreiendes Land) – präsentierten erneut unvorstellbares Grauen. Selbst langjährige Kenner des Landes wie der Anthropologe François Bizot glaubten angesichts dieser Katastrophe, dass es eine besonders ausgeprägte Brutalität der Khmer gebe.[6]

Auch die vietnamesische Besatzungszeit ab 1979 veränderte das Bild kaum. Ruhe kehrte nicht ein, zumal die bis 1989 das Land kontrollierenden Truppen Hanois bei den Khmer traditionell unbeliebt waren und es ihnen trotz ihrer militärischen Stärke nicht gelang, Frieden zu bringen. Erst 1999 ergaben sich die letzten Einheiten der Roten Khmer. Zurück blieben vier bis sechs Millionen Landminen und eine unbekannte Anzahl Blindgänger, die sogenannten UXOs, darunter vor allem auch die besonders heimtückischen Cluster-Bomben.[7] Offiziell schätzte man 2002, dass rund 4500 Quadratkilometer des Landes mit noch nicht geräumten Altlasten der Kriege, die das Land seit 1940 heimgesucht hatten, kontaminiert sind. Dazu gehören auch heute noch Bereiche um weltberühmte Tempel. In kaum einem anderen Land der Welt gibt es so viele Amputierte wie in Kambodscha, da niemand weiß, wo die Sprengsätze liegen. Identifiziert sind heute nur rund 11.500 Minen in rund 15.000 Dörfern. Daher gefährden sie bis heute nicht nur rund 45 Prozent der Einheimischen, sondern auch unvorsichtige Touristen, die vielleicht nur einmal kurz von ausgeschilderten Wegen abweichen (s. Karte S. 156).

Tatsächlich schien sogar das Ende des Kalten Krieges 1991 Kambodscha kaum zu helfen. Zwar zogen die unbeliebten Vietnamesen schon 1989 ab, aber die Entsendung von zwei zwar gut gemeinten, aber schlecht geführten UN-Missionen zwischen Oktober 1991 und November 1993 (UNAMIC/UNTAC) brachte eine weitere Katastrophe: die bis heute kaum eingedämmte Welle von HIV-Infektionen, die das Bild eines gescheiterten Staates noch verstärkte.

Zudem wurde nun auch im Ausland das problematische Nebeneinander von Opfern und Tätern in Kambodscha immer deutlicher, wie es aus vielen anderen nachdiktatorischen Ländern bekannt war. Zum Synonym dafür wurde der kleine Ort Pailin im Nordwesten, der zum Rückzugsort selbst hochrangiger Kader der Roten Khmer geworden war. Nuon Chea, der einstige «Bruder Nr. 2» neben Pol Pot, fühlte sich hier sogar lange Zeit so unbehelligt, dass er Journalisten ausführliche Interviews gab. Mit Pailin rückte auch die auffallende Nachsicht gegenüber den Tätern in den Fokus, die die Regierungen unter den ehemaligen Khmèrs-Rouges-Funktionären Heng Samrin und Hun Sen seit 1979 gezielt betrieben hatten. Samrin ist bis heute Präsident der Nationalversammlung, Sen Premierminister. Gezielt waren sogar weitere einschlägig Belastete in hohe Ämter gebracht worden, so Ee Chheau, der einstige Leibwächter Pol Pots, der Gouverneur wurde. Unter diesen Gegebenheiten schien es bezeichnend, dass es für die juristische Abrechnung mit den alten Kadern internationalen Drucks bedurfte.

So bleibt das Land bis heute weit entfernt von westlichen Vorstellungen einer demokratischen Gesellschaft. Nach Recherchen von Transparency International gehört es zu den korruptesten Staaten der Welt: 2013 gab es weltweit nur 15 andere, in denen es noch mehr Korruption gab.[8] Auch Menschenrechte finden wenig Beachtung: Als Anfang des Jahres 2014 berechtigte Forderungen von kambodschanischen Textilarbeitern im Gewehrfeuer kambodschanischer Soldaten und Polizisten erstickt wurden, blieben mehrere Tote zurück.[9]

Dass Kambodscha aber dennoch viel mehr ist, nämlich eine faszinierende tropische Kulturlandschaft mit jahrhundertelanger großer Geschichte, rückte erst ab 1999 wieder ins internationale Bewusstsein: 2012 besuchten nach offiziellen Angaben fast vier Millionen Touristen das «Kingdom of Wonder», als das sich das Land der Khmer heute vermarktet. Hauptziele sind vor allem die zwischen dem 9. und dem 14. Jahrhundert entstandenen Tempelanlagen der Angkor-Dynastien, von denen einige seit 1992 zum...

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