DIE SCHRIFTLOSE ZEIT
250.000 V. CHR. – BEGINN DER ZEITRECHNUNG
Die frühesten menschlichen Ansiedlungen – neueste Forschungen bezeichnen unsere Vorfahren als Neumenschen im Unterschied zum Entwicklungsstrang des Neandertalers – auf heutigem österreichischen Staatsgebiet gehen auf die Steinzeit zurück, als die Menschen in wärmeren Klimaphasen der Jagd in den alpinen Höhenregionen frönten und sich in Höhlen zurückzogen. In kälteren Phasen dieser Entwicklungsgeschichte wagten sie sich hinunter in die Flusstäler. Ältere, möglicherweise vorhandene Spuren, waren durch die folgende Eiszeit verwischt worden. Es existieren Höhlenfunde, die bis etwa 250.000 vor Christi zurückreichen und die die Verwendung einfachster Werkzeuge beweisen. Die in der Gudenushöhle bei Krems (Niederösterreich) entdeckten Steinwerkzeuge werden auf ein Alter von etwa 90.000 Jahren geschätzt. Die Eiszeitjäger lauerten an den Wasserstellen auf das Großwild, das sie mit Steinen und Lanzen erlegten. Die Beute wurde gleich an Ort und Stelle verzehrt. Gegen die Unbillen der Witterung schützten sich die Menschen der Steinzeit durch die Anlage von Wohngruben.
Erst in der Jungsteinzeit sind erste Tendenzen nachweisbar, dass der Mensch nicht nur überleben wollte, sondern sein Leben zu gestalten begann. Er verzierte die Gegenstände des täglichen Gebrauchs, er entwickelte Ängste und Gefühle, Vorstellungen und Ideen. Der Mensch fürchtete höhere Mächte – für ihn augenscheinlich die Gewalten der Natur – und widmete ihnen Idole, mit denen er seine Wünsche und Bitten verknüpfte. Es sind vor allem Fruchtbarkeitsidole, die Reproduktion des Lebens als kostbarstes Gut verehrend. Als Beispiele seien die „Venus von Willendorf“ genannt, ein 1908 in der Nähe von Krems aufgefundenes Sandsteinfigürchen, dessen überbetont weibliche Formen keinen Zweifel an seiner Sinnhaftigkeit lassen, oder die erst vor wenigen Jahren aus den Tiefen der Erde gehobene „Venus vom Galgenberg“, deren grazile Weiblichkeit einen frühen Sinn für Ästhetik ahnen lässt. Diese aus grünlichem Schiefer geschnitzte, vollplastische Figur wird der Epoche „Aurignacien“ (35.000–28.000 V. Chr.) zugeordnet und ist die bisher älteste, eindeutig weibliche Darstellung dieser Frühzeit. Als Tanzfigur hat sie möglicherweise einen Zusammenhang mit Einweihungsriten. Österreichs Geschichte beginnt – zumindest was die erhaltenen wertvollen Zeugnisse betrifft – weiblich.
In dieser Jungsteinzeit bildeten sich Jagdgemeinschaften, aus denen Sippen hervorgingen. Die Produktion von Werkzeugen aus Stein und Knochen erfuhr eine größere Vielfalt. Waffen für die Jagd, aber auch Nähnadeln oder Musikinstrumente erleichterten das Leben und dienten den Menschen zur Freude. Sie verzierten diese Kostbarkeiten und schützten sie mit magischen Zeichen.
Um etwa 10.000 V. Chr. brachte eine Klimaerwärmung das Ende der Eiszeit. Die Folge war eine wesentliche Änderung von Fauna und Flora in den alpinen Regionen. Die Großsäugetiere starben aus, daher mussten die frühen Menschen ihre Jagdgewohnheiten ändern. Auf dem Speiseplan standen nun Rot- und Niederwild, die Seen lieferten Fische und Schalentiere. Noch war der Mensch nicht sesshaft, sondern wanderte zu ertragreichen Jagdrevieren. Erst um etwa 5.000 V. Chr. verbreiteten sich durch einwandernde Siedler die ursprünglich aus dem Zweistromland kommenden Kenntnisse von Ackerbauwirtschaft und Haustierzucht. Auch im Donauraum wurden nun Bauern ansässig, sie zogen Getreidesorten und domestizierten Wildtiere. Neben dem Rind waren es vor allem Schafe und Ziegen, die die Nahrungspalette wesentlich bereicherten. Ein verbessertes Nahrungsangebot führte in der Folge zum Anwachsen der Bevölkerung. In Gebieten mit Lößböden florierte der Getreideanbau zunächst am besten, die sesshaft gewordenen Menschen errichteten dauerhaftere Häuser aus Holz, die Wolle von Schafen verwendeten sie zur Herstellung von Bekleidung. Damals entdeckten sie auch, wie man aus Ton einfache Keramikgefäße herstellt, die für den täglichen Gebrauch, aber auch für die Vorratshaltung einen enormen Fortschritt brachten. Durch Rodung der Wälder entstanden offene Siedlungs- und Anbauflächen.
Nach Ablauf etwa eines Jahrtausends entwickelte sich eine funktionell gegliederte dörfliche Struktur. Hausbauten wurden widerstandsfähiger und wettersicherer. Die Dörfer schützte man durch Erdwälle, denn man verfügte über Besitz, der das Leben erleichterte, aber auch die Begehrlichkeit erweckte. Aufgrund spezieller Fertigkeiten entwickelten sich Berufe, was weiters zu sozialen Differenzierungen führte. Die Aufgaben des täglichen Lebens wurden rationeller verteilt, wer mit der Waffe verteidigte, wer anbaute, wer jagen ging oder die nötige Bekleidung herstellte, jede Funktion wurde nun nach Bedarf und Befähigung ausgeübt. Die Dorfbewohner nahmen Kontakt zu anderen Dörfern auf, man tauschte Waren und baute Handelswege auf. Güter aus entfernten Ländern gelangten in unsere Region, so fand man bei Ausgrabungen Werkzeugteile aus Obsidian, einem Stein, der in unseren Breiten nicht vorkommt. Die Ausbeutung von Bodenschätzen setzte erst um etwa 4.000 V. Chr. ein.
Jüngste Ausgrabungen im nördlichen Niederösterreich beweisen, dass schon in der frühen Jungsteinzeit, etwa 5.000 V. Chr. Krieg geführt wurde. Bisher hatte es noch nie Funde in diese Richtung gegeben. Sicherlich fanden kleine, mit Waffengewalt geführte Auseinandersetzungen statt, aber die Spuren eines brutalen Krieges waren in Österreich noch nicht entdeckt worden.
Bei Ausgrabungen in Asparn an der Zaya, wo die Archäologen nach Spuren der linearbandkeramischen Kultur suchten, wurden nun die Reste eines Kriegszuges gefunden. Die Archäologen legten eine Ansiedlung frei, die etwa ab 5.300/5.200 V. Chr. besiedelt war. Es fanden sich Spuren von Verfärbungen durch Eichenpfosten, Speicher- und Abfallgruben sowie Haustierknochen. Die gesamte Anlage war durch einen ovalen Graben geschützt, der im Längsdurchschnitt etwa 330 Meter betrug. Die Tiefe des Grabens erreichte zwei bis drei Meter. Diese Größe der Anlage deutet auf eine wohl organisierte Gemeinschaft hin, denn der Aushub eines derartigen Grabens allein bedurfte einer hierarchischen Organisation. Möglicherweise war die Anlage bei Asparn eine befestigte Siedlung bzw. Fluchtstelle für die gesamte Gegend. Es wurde nämlich auch eine mehrere Meter tiefe Brunnenanlage gefunden, obwohl ganz nahe außerhalb des Befestigungsgrabens eine Quelle vorhanden war. Das lässt darauf schließen, dass sich die Bewohner bedroht fühlten. Inzwischen nimmt man auf Grund anderer Funde in Deutschland an, dass insgesamt die Zeiten unruhiger wurden und möglicherweise Missernten, durch Klimaschwankungen hervorgerufen, zu einer europaweiten Krise geführt hatten.
Im Bereich dieser Schutzanlage wurden Skelettteile von etwa 150 bis 300 Personen gefunden, die alle eines gewaltsamen Todes gestorben waren. Die Zahl der Bewohner der Siedlungsanlage lässt sich deshalb nicht mehr genau eruieren, da die Skelette sehr zerstückelt sind. Die Toten blieben offenbar lange unbeerdigt, weil einzelne Knochenteile Bissspuren von Hunden oder anderen Tieren aufweisen. Fast alle Schädel haben tödliche Hiebverletzungen. Auch die Alters- und Geschlechtsverteilung der Überreste lässt auf die durchschnittliche Bevölkerungsstruktur eines Dorfes schließen. Lediglich junge Frauen und Mädchen fehlen, wobei anzunehmen ist, dass sie verschleppt wurden.
Aus diesem archäologischen Befund – der sich übrigens mittels der Radiokarbonmethode exakt auf 5040 V. Chr. datieren lässt – kann man auf eine systematische Ausrottung eines Dorfes, also auf einen regelrechten Krieg schließen. Kein Dorfbewohner scheint das Massaker überlebt zu haben, da niemand die Toten bestattete, wie dies um diese Zeit schon allgemein üblich war. Über den Angreifer oder die Angreifer lassen sich nur Vermutungen anstellen, jedenfalls dürften sie entscheidend in der Übermacht gewesen sein.
Die Kenntnis der Metalle kam aus anderen Kulturen, vorwiegend des Vorderen Orients. Dank klimatischer Begünstigung hatten sie bereits einen höheren Grad an Zivilisation erreicht. Die Epoche von etwa 3.900 bis 2.200 V. Chr. war durch die Verwendung des Kupfers gekennzeichnet. Um den Erzabbau zu bewerkstelligen, bedurfte es einer weiteren Spezialisierung. Das Wissen um die Metalle und ihre Gewinnung aus der Erde ließ neue Berufe entstehen, die in der sozialen Hierarchie eine führende Position einnahmen. Die Verarbeitung von Kupfer in Verbindung mit der Erfindung des Rades erweiterte den Lebensraum, erleichterte die Beschaffung von Subsistenzmitteln. Über die soziale Gliederung geben uns die rituellen Beisetzungsformen Auskunft. Die Verstorbenen wurden an speziell dafür vorgesehenen Orten zumeist in Hockerlage beigesetzt, je nach Stellung in der Hierarchie waren die Grabbeigaben sehr reich oder bescheiden.
Neue Siedlungsformen entwickelten die Menschen an den fischreichen inneralpinen Seen, indem sie ihre Häuser auf Pfählen in ufernahen Zonen...