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E-Book

Geschichten vom Dachboden 4

Ein Soldatenschicksal aus Magdeburg im 1.Weltkrieg

AutorMarc Brasil
Verlagneobooks Self-Publishing
Erscheinungsjahr2018
ReiheGeschichten vom Dachboden 4
Seitenanzahl255 Seiten
ISBN9783742756152
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis1,99 EUR
Nun kann ich schon die dritte Geschichte eines jungen Menschen erzählen, dessen Schicksal sich während des 1.Weltkriegs entscheiden wird. Ermutigt durch den Erfolg meines ersten Buches, dass immerhin im dreistelligen Bereich interessierte Leser gefunden hat, ohne dafür auch nur in irgendeiner Form Werbung gemacht zu haben, bin ich auf den Geschmack gekommen. Spannend, wendereich und erschütternd wird es auch diesmal wieder werden. Nach über 100 Jahren greife ich Hans unter die Arme und mit meiner Unterstützung erzählt er seine Geschichte, die nun historisch interessierten Lesern erhalten bleiben wird.

Marc Brasil, geboren 1969 in Erlangen, interessiert sich seit seinem 13.Lebensjahr für Geschichte rund um den 1.Weltkrieg. Auf einem Flohmarkt wird er auf Feldpost aufmerksam und erlernt die altdeutsche Schreibschrift Kurrent. Die Schicksale der Familien, welche er den Korrespondenzen entnehmen kann, fesseln ihn auch während seines Studiums der Elektrotechnik und späteren Arbeitslebens. 2016 veröffentlicht er ein erstes transkribiertes Feldpostkonvolut, danach folgen weitere Publikationen.

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Leseprobe

Ein neues Betätigungsfeld


Cherisy, den 14.5.15

Geliebte Eltern und Geschwister!

Jedenfalls habe ihr doch meine Karte mit der Nachricht, dass wir von Beaurains fortkommen, schon erhalten. Ich glaube, die Sache hing mit den vorhandenen Gewitterwolken, die sich am südlichen Himmel zusammenballten, zusammen. Da aber inzwischen die Sache bei uns hier selbst brenzlig wurde, so blieben wir vorläufig in Beaurains. Vor einigen Tagen wurde ich als Sachverständiger herangezogen und sollte feststellen, ob die in Beaurains vorgefundenen Motoren und Dampfmaschinen usw. wieder betriebsfähig gemacht werden könnten. Zu meinem größten Leidwesen war dies nicht der Fall. Ich hoffte schon, bei dieser Gelegenheit irgendeinen guten Posten ergattern zu können, um endlich einmal vom Schützengraben erlöst zu werden. Gestern Abend ließ mich mein Feldwebel nochmals rufen und empfing mich mit den Worten: „Bernsdorf, Sie kommen nach Cherisy und sollen die Arbeiten bei den Reparaturen landwirtschaftlicher Maschinen leiten. Können Sie das?“ „Ich weiß nicht, aber…..“ „Ach was aber, natürlich können sie das! Sind sie dumm? (ich roch den Braten). „Nein, Herr Feldwebel, ich bin sterbensdumm.“ „Na, sehen Sie, so sind sie ja ein ganz schlaues Aas!“ Also, ich packte meine Sachen und kam heute früh in Cherisy an, aus der Schussweite der Kanonen heraus. Ich stellte mich beim Herrn Rittmeister von Stemplitz vor, der mich auch gleich in mein Amt einführte. Vorläufig konnten meine Augen noch nichts von einer Fabrik entdecken. Die mir angewiesenen Räumlichkeiten gähnten vor Öde. Es war eine ehemalige Großschlächterei. Zu meiner Unterstützung bekomme ich 6 tüchtige Schlosser und eine Reihe von Gefangenen. Jetzt heißt es aber arbeiten. In den nächsten Tagen fahre ich nach Chauny zwecks Einkauf von Rohmaterialien und Handwerkszeug. Meine Reise wird mich voraussichtlich bis Köln führen. Unsere reparaturbedürftigen Maschinen hole ich mir aus einem Umkreis von 30 km bis Lille hinauf zusammen. Mir stehen mehrere Fuhrwerke und ein leichter Wagen zur Verfügung. Mutter, was sagst du jetzt zu deinem Jungen? Vor Freude habe ich einen Hopser bis an die Zimmerdecke getan. Ich tue ja alles dir zu liebe, damit du endlich von deiner größten Sorge befreit wirst. Auch meine jetzt endlich gekommene Beförderung zum Vize habe ich hiermit ausgeschlagen. Mit liegt ja gar nichts an einer Beförderung. Deine Ruhe ist mir erst einmal Hauptbedingung. In Beaurains begleitete ich seit dem Tode unseres Feldwebels Möhring die Stelle eines vertretenden Zugführers des ersten Zuges 13/26 und habe diesen Posten zur größten Zufriedenheit meines Hauptmanns ausgefüllt. Als ich gestern von ihm Abschied nahm, entließ er mich mit den herzlichsten Glückwünschen für das neue Unternehmen und legte mir dringend ans Herz, der 13.Kompagnie Ehre zu machen. Ich könnte mir dadurch, dass ich hinter der Front für Maschinen zur Bebauung des Bodens sorgte, ebenso große, vielleicht noch größere Lorbeeren erwerben, wie mit der Flinte in der Hand. Denn ohne Brot sind wir nichts. Nun werdet ihr es mir nicht verwehren, wenn ich zur Feier des Tages mir ein Fläschchen „Kupferberg Gold“ geleistet habe. Ein Glas auf das Wohl meiner Lieben daheim! Ich würde euch sehr dankbar sein, wenn ihr mir noch einige Sachen schicken würdet: 1. Einen kleinen Monteuranzug (meine Arbeit wird mich voraussichtlich bis zur Ernte festhalten), 2. Einen Zollstock und einige Bleistifte, 3. Einen blauweiss-gestreiften oder weißen Gummikragen. Meine Halsweite wisst ihr ja noch. Meine Adresse bleibt vorläufig noch die Alte. Ich wohne jetzt bei ein paar alten Leuten und komme jetzt endlich dazu, meine Französisch-Kenntnisse anzuwenden und zu erweitern. Ich lasse tägliche Berichte folgen. Herzinnige Grüße, euer Hans.

 

Cherisy, den 15.5.15

Geliebte Eltern!

Ich hoffe doch, dass ihr inzwischen meinen ersten Brief, der euch die Veränderung meiner Lage schildert, erhalten habt. Ich bin hier bei einem Paar alten Leuten, sehr aufmerksam und zuvorkommend einquartiert worden. Außerdem sind noch vorhanden, eine Tochter, deren Mann im Krieg gefallen ist und zwei Jungen, im Alter von 6 und 12 Jahren. Die ganze Familie der echte Typ der Pisaings. Ich habe mit meinen Leuten ein Zimmer angewiesen bekommen und habe nach sieben Monaten zum ersten Mal wieder auf einer Matratze gelegen, aber nicht schlafen können. Das Ding war mir zu weich. Jetzt habe ich mich wieder daran gewöhnt. Jetzt merkt man erst, was für wundervolle Posten es hinter der Front gibt. Wir leben hier tatsächlich wie der Herrgott in Frankreich. Hier gibt es ständig geöffnete Kantinen, Platzkonzerte usw. Wohl aber das Allerbeste ist, ich brauche mich nach niemanden zu richten. Ich bin vollkommen mein eigener Herr. Gestern bin ich mit einem Fuhrwerk bald durch halb Frankreich gefahren und habe Handwerkzeug eingekauft. Abends ging ich, um meine Postsachen zu regeln, nach Fontaine, wo unsere große Bagage liegt. Hierselbst traf ich verschiedene alte Bekannte wie Heisinger, einige ehemalige Kompagnie-Kameraden und Willi Thielecke aus Sudenburg. Willi Thielecke hat schon zwei Brüder verloren. Wir haben alle Jugenderinnerungen ausgetauscht. Hier erreichte mich auch die Nachricht, dass meine 13.Kompagnie heute aus der Linie herausgezogen wird und anderswo Verwendung finden soll. Die Leute sind neu eingekleidet. Die Kompagnie trifft heute 11 Uhr hier ein. Ich bin doch wirklich gespannt, wo es hingehen soll. Mich lassen sie hier nun sitzen. Na, ich bin nicht böse. Gestern besichtigte ich die zu reparierenden Maschinen, na, da kann ich meinen Spaß daran haben. Alle sind total verdreckt und zerbrochen. Schlimm ist es nur, dass nichts Geld kosten soll und wir uns infolgedessen mit altem Handwerkzeug begnügen müssen. Um zum Beispiel eine Wagendrechsel herstellen zu können, haben wir nichts weiter als eine starke Bohle, eine kleine Handsäge, eine Axt und ein Ziehmesser. Na, das kann spaßig werden. Meine Post schickt vorläufig noch unter der alten Adresse. Jedenfalls werde ich zu einer anderen Formation übergeschrieben. Vorläufig herzinnige Grüße, euer Hans.

 

 

Cherisy, den 16.5.15

Geliebte Eltern!

Meinem Vorsatz getreu, jeden Tag in einigen Zeilen euer zu gedenken, will ich auch heute ausführen. Meine Arbeit schreitet richtig fort. Ich liege jetzt den ganzen Tag auf der Landstraße mit dem Fuhrwerk. Bis jetzt habe ich 20 Mähmaschinen. Die Dinger sind teilweise total zerschossen. Am Sonnabend haben wir ein Schmiedefeuer mit Blasebalg gebaut. Schleifmaschinen, Bohrmaschinen, Hobelmaschinen, Stanzen und Scheren werden nächste Woche aufgestellt. Ich lege die ganze Anlage so, dass ich später einen Gasmotor einbauen kann. Vorläufig spielen sechs gefangene Pariser Motor. Am Sonnabend rückte meine Kompagnie 13/26 durch Cherisy mit unbekanntem Bestimmungsort fort. Mich lassen sie alleine hier. Unsere Mittagsbeköstigung ist äußerst reichlich und gut, jeder Mann bekommt ¾ Pfund Fleisch, ¾ Pfund Mischobst, 1 ½ Pfund Salzkartoffeln. Mein Herz, was willst du noch mehr. Wir werden äußerst zuvorkommend behandelt, Essen können wir bestellen, was wir haben wollen. Jetzt lerne ich meiner Wirtin deutsch kochen, denn die französische Methode ist für uns ungenießbar. Zwei bis drei Hände voll weise Bohnen, zehn große Zwiebeln, ½ Dutzend Stücke Suppengrün und sonstiges Gemüse tun sie hinein. Mit der Sauce kann man sich die Kehle ausbrennen. Die Leute leben sehr genügsam. Mittagessen: Kartoffelbrei ohne Zutaten, nur Salz, hierzu ein Stück Weißbrot und ein sehr streng schmeckender grüner Salat ohne Zutaten, nur gewaschen. Heute gehe ich nach Vis-en-Artois und will meine Kompagnie noch einmal besuchen. Meine Postsachen der letzten 4 Tage sind verloren gegangen. Die übrige Post hole ich jeden Abend von der Etappe, die Adresse bleibt vorläufig dieselbe. Innige Sonntagsgrüße, euer Hans! Ich habe 12 Bilder zum Entwickeln an Frau Oberleutnant Becker, Sternstr.21 geschickt. Geht mal hin und schickt mir auch einige Bilder. Bezahlt die Bilder gleich, da ihr Sohn auch mit fortgekommen ist.

 

 

Oben: Hans Bernsdorf (hintere Reihe zweiter von rechts) mit seinen Männern

 

 

Oben: Hans Bernsdorf (vorne in der Mitte) mit seinen Männern

 

 

Oben: Kameraden beim Arbeiten vor dem Quartier

 

 

Oben: Kameraden beim Arbeiten vor dem Quartier

 

Italien ist seit 1882 Mitglied des „Dreibundes“, einem Bündnis mit den Mittelmächten Deutschland und Österreich-Ungarn. Der Vertrag verpflichtet Italien im Falle eines Kriegsausbruchs zu keiner Waffenhilfe, nur zu einer Neutralität gegenüber den Mittelmächten. Zwischen Italien und Österreich-Ungarn besteht seit vielen Jahren ein gespanntes Verhältnis, da Italien seit langem Gebietsansprüche auf Südtirol, das Trentino und Triest hegt. Mit Kriegsausbruch verhält sich Italien zunächst neutral, führt aber zugleich Verhandlungen mit den Mittelmächten und den Ententemächten, um die Möglichkeit einer Durchsetzung seiner Gebietsinteressen auszuloten. Die Forderungen Italiens finden auch Unterstützung in Berlin, welche aber vom österreichisch-ungarischen Kaiser Franz Joseph abgelehnt werden. Im Londoner Geheimvertrag vom April 1915 erreicht Italien größere Zugeständnisse seitens der Ententemächte und entschließt sich auf deren Seite in den Krieg einzutreten. Am 3. Mai 1915 kündigt Italien den Dreibund und der italienische Botschafter überreicht am 23. Mai 1915 in Wien die Kriegserklärung an Österreich-Ungarn. Auf Seiten der Mittelmächte wird Italien aufgrund des Kriegseintritts des Verrats bezichtigt.

 

Cherisy, den 24.5.15

Geliebte Eltern und...

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