Vorwort
Ein freundlich gemeinter Hinweis an den Leser1
Es erscheint vielleicht merkwürdig und unüblich, ein Buch mit einem Hinweis zu beginnen. Wenn es aber um Gestalttherapie geht, dann kann das sehr wohl nötig sein. Fritz Perls, deren Begründer, hat in die Psychotherapie und in die psychotherapeutische Situation zwischen Patient und Therapeut Begriffe eingebracht wie »Kontakt«, »Beziehung«, »Gewahrsein« usw. Für uns heutige Psychotherapeuten sind sie zu einem fachlichen Allgemeingut geworden, aber für die damalige Zeit, in der die klassische Psychoanalyse dominierend war, war das eine Revolution.
Welches Risiko, welches Wagnis ist Perls dabei eingegangen?! Er ist davon ausgegangen, dass ein Mensch, der Therapeut, der mit einem anderen Menschen, dem Patienten, arbeitet, überhaupt in der Lage ist, einen wirklichen Kontakt, eine wirkliche Begegnung, von Mensch zu Mensch (i. S. von Buber 1965; 1984) eingehen zu können. Es ist so einfach zu glauben, dass »man« das schon kann … »Kontakt«, »Beziehung«, »Ich-Du-Dialog«, alles kein Problem! Genau genommen sagt die Gestalttherapie, dass genau das, diese scheinbar »einfache« Beziehung zu sich, der Welt und dem Lebendigen um sich herum nicht möglich ist, ohne eben den Prinzipien, die in der Gestalttherapie formuliert werden, zu folgen.
Lieber Leser, wenn Sie durch dieses Buch zu ersten Mal mit der Gestalttherapie »Kontakt« aufnehmen, dann seien Sie gewarnt: Sie werden darin Begriffe wiederfinden, deren Sinn und Bedeutung Ihnen vermeintlich bekannt vorkommen. Mit den erfahrenen Augen eines Psychotherapeuten gelesen, ist die Gefahr dieses vermeintlichen »kenne ich schon« noch größer …
Doch hier versteckt sich m. E. eine Falle. Nur weil wird durch die Psychologie und Psychotherapie in der Lage sind, Einfaches mit kompliziert klingenden Begriffen zu benennen, so heißt das noch lange nicht, dass man diese wirklich verinnerlicht hat. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich selbst bin mir nach diesem Buch noch unsicherer ob meines Verständnisses geworden. Es gab Augenblicke und z. T. Phasen, wo ich glaubte, endlich etwas »wirklich« verstanden zu haben. Dann versuchte ich, frei nach Einstein, dem man die Aussage nachsagt: »Du hast nicht wirklich etwas verstanden, wenn du nicht in der Lage bist, es deiner Großmutter zu erzählen« mein Verständnis jemandem dar zu legen, schrieb für dieses Buch ein Beispiel oder dachte darüber nach und merkte währenddessen meinen Irrtum.
Ich bin mir nicht sicher, ob Perls sich selbst der Konsequenzen bewusst war, als er diese Begriffe beschrieb und ihr Verständnis der damaligen Zeit revolutionierte. »Kontakt«, »Beziehung«, »Gewahrsein« etc. muten so einfach an, wenn sie in einem Buch gelesen werden. Wenn sie aber im konkreten Kontakt mit einem Menschen, den wir in diesem Fall als »Patienten« bezeichnen, Anwendung finden sollen, dann ist der Unterschied immens.
Im Vorwort des Buches »Therapie der Gefühle – Forschungsbefunde zur Gestalttherapie« (Strümpfel 2006) geschrieben von Prof. Dr. Willi Butollo erscheint eine ähnliche Warnung: »Seid ihr ohne Beobachtung denn wirklich ständig und zu hundert Prozent auf die Belange eurer Klienten konzentriert? Ist es nicht eine Illusion über die Natur unserer Wahrnehmungen und unseres Denkens, diese volle und ungeteilte Aufmerksamkeit ständig einzufordern?« (ebd., S. 18). Ich finde, das ist eine sehr gute Frage!
An dieser Stelle möchte ich mich sehr herzlich bei den Herausgebern dieser Reihe bedanken, allen voran bei Frau Prof. Dr. Rita Rosner, der ich die Einladung verdanke, daran teilnehmen zu dürfen. Ebenso meinen herzlichen Dank an Herrn Dr. Ruprecht Poensgen, Frau Anita Brutler und den Kolleginnen und Kollegen des Kohlhammer Verlags für die stets freundliche und sehr professionelle Zusammenarbeit und Unterstützung. Einen besonderen Dank möchte ich Herrn Christof Weber, Gestalttherapeut (DVG), aussprechen! Er steuerte auf sehr freundliche und unkomplizierte Weise das abgebildete Foto bei. Sein Film2 mit Wolf Lindner über Laura Perls ist mehr als sehenswert. Nicht zuletzt möchte ich Frau M.Sc. Janina Stiebert für die hervorragende Unterstützung bei der Recherche und für die stets anregenden Diskussionen bzgl. der verschiedenen gestalttherapeutischen Konzepte danken. Durch ihren kritischen Geist »zwang« sie mich, mein Verständnis zu hinterfragen.
Folgende Menschen haben mir die Gestalttherapie näher gebracht und dafür möchte ich ihnen an dieser Stelle meinen tiefsten Dank aussprechen:
Prof. em. Dr. Willi Butollo. Prof. Butollo ist nicht nur mein Lehrer, mein langjähriger Chef, sondern auch mein Mentor gewesen. Ich bin sehr stolz darauf, zu den Menschen zu gehören, die noch einen Mentor haben durften. Mir scheint, dass ein Mentorat immer mehr zu einer Ausnahme geworden ist, gleichwohl ich den Eindruck habe, dass sich nicht wenige eine solche Beziehung zwischen Lehrer und Schüler wünschen. In der heutigen Zeit wird ein Mentor als jemand verstanden, der einem »Türen öffnen kann«. Das mag wichtig sein. Was einen wirklichen Mentor – und somit auch ihn – auszeichnet, ist in meinen Augen jedoch etwas anderes. Neben der kritischen Auseinandersetzung mit der Tiefe des Verständnisses, der Unterstützung und Ermahnung, dem Lob und dem Tadel gehört auch der Mut des Mentors, sich als »Modell« zur Verfügung zu stellen. An diesem sind Reibung und Wachstum möglich.
Dr. Gisela Röper. Frau Dr. Röper gehört zu den Psychotherapeutinnen, welche die Verhaltenstherapie von der Pike auf gelernt haben und sie von England nach Deutschland gebracht haben. Wenn auch in klassischer KVT ausgebildet, so schimmert in Ihrem therapeutischen Handeln in meinen Augen immer ein humanistisches Grundverständnis durch. In ihrer Art, den Studenten (einer von diesen war vor vielen Jahren ich selbst) Psychologie und Psychotherapie beizubringen, schwingt immer etwas Ruhiges und Freundliches mit. Stets bestrebt, die Grenzen des anderen zu wahren und sie nur dann zu tangieren, wenn es dessen Wachstum dient, ist sie in meinen Augen die Gestalttherapeutin unter den Verhaltenstherapeutinnen.
Dr. Thomas Maurer. Mit Herrn Dr. Maurer verbindet mich, schon seit ich als Student in seinen Seminaren saß, eine Nähe, die sonst nur unter wirklichen Freunden möglich ist, ohne jedoch, dass ich ihn im üblichen Sinne einen Freund nennen könnte. Was ihn auszeichnet, ist die unglaubliche Fähigkeit, präsent zu sein, ohne Raum einzunehmen. Vieles von dem, was ich heute »meine therapeutische Haltung« und »mein therapeutisches Werkzeug« nennen darf, ist Ergebnis eines Lernens, das für mich die »Haupt-Art« des Lernens ist, nämlich »Lernen durch Nachahmung«. Obwohl er derjenige war, der mir Vieles durch sein Vorleben beibrachte, versteht er es wie kaum ein anderer, mir heute einen Raum zu offerieren, in dem ich sein darf. Aber die Art, mit der er das tut, ist leicht als eine »bescheidene« zu missinterpretieren. Es ist keine Bescheidenheit; es ist viel mehr als das: er gibt, d. h., er bietet diesen Raum großzügig an. Und indem er das tut, ergibt sich – und das ist der Zauber – nicht nur für mich, sondern auch für ihn eine Öffnung. Erstaunlich leicht – oder?
Dr. Hanne Dirlich-Wilhelm. Im Rahmen meiner psychotherapeutischen Ausbildung habe ich Frau Dr. Dirlich-Wilhelm als meine Selbsterfahrungsleiterin kennengelernt und ich komme seitdem nicht mehr von ihr los. Was mich schon damals bei ihr beeindruckte, war ihr steter Versuch, »präsent« zu sein. Ich durfte lernen, dass das Aufrechterhalten von Kontakt ohne eine Anstrengung nicht möglich ist. Diese Anstrengung lohnt aber! Es gibt etwas an ihr, was stets wach ist, immer im Versuch, bereit zu sein, an dem teilzunehmen, was gerade passiert.
Das Gestalt-Gebet (engl.)
»I do my thing and you do your thing.
I am not in this world to live up to your expectations
And you are not in this world to live up to mine.
You are you, and I am I,
and if by chance we find each other, it’s beautiful.
If not, it can’t be helped.«
Perls 1969, o. S.;
s. a.: https://www.youtube.com/watch?v=QM0BwCFVxQ4
(Zugriff am 13.02.2016)
Das Gestalt-Gebet (dt.)
»Ich bin ich und du bist du.
Ich bin nicht auf dieser Welt, um deinen Erwartungen zu genügen.
Und du bist nicht auf dieser Welt, um meinen zu genügen.
Ich ist ich und du ist du.«
Perls 2013, S....