LUST AUF GANZ VIEL LEBEN
Was bedeutet Älterwerden für Sie? Empfinden Sie den Zuwachs an Jahren als Gewinn – oder würden Sie am liebsten das Lebensrad zurückdrehen? Es lohnt sich, diesem Thema mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
Viele Fragen, die uns persönlich beschäftigen, können wir nur individuell beantworten – es gibt immer ebenso viele Lösungen, wie es Menschen gibt.
ANTI-AGING: FUNKTIONIERT DAS ÜBERHAUPT?
Ein ganzer Industriezweig lebt heute davon, dass wir nicht altern wollen, und die Branche wächst. Antifaltencremes, Anti-Grau-Haartönungen, Mittel für volles Haar oder gegen Frauenbart, das Abo im Fitnessstudio, obwohl man lieber eine Zehnerkarte fürs Kino hätte – all das ist erst der Anfang. Richtig aufwendig und teuer wird es mit Anti-Aging-Pillen und Forever-young-Tropfen sowie Luxusfluids und Pflegeextrakten »für die reife Haut«. Mit Superfoods aus fernen Landen und, am oberen Ende der Preisskala, mit Schönheitsoperationen, Hormongaben und diversen Wundermitteln. Die Älteren sind ins Visier der Werbung geraten und die Aktienkurse entsprechender Unternehmen erleben Höhenflüge. Viel Geld wechselt den Besitzer, damit die Gleichung »Jung bleiben = schön, glücklich, gesund, erfolgreich sein« aufgeht. Altwerden dagegen ist lästig. Ja, es gibt 60-jährige Models, doch die zeigen uns vorzugsweise, wie »Schöner Altern« geht: schlank, sportlich, mit fester Haut, strahlendem Blick und hübschem Push-up-BH. Unsere Töchter könnten unsere Schwestern sein und wir sind das personifizierte, sorgenfreie Glück: Um diesem Bild zu entsprechen, tun wir eine Menge und greifen tief ins Portemonnaie.
Glück und Chance des Älterwerdens
Doch wäre es nicht eine große Chance für inneres Wachstum und Zufriedenheit, wenn wir unsere Falten und unsere grauen Haare annehmen könnten? Denn nichts macht unzufriedener, als der eigenen Vorstellung nicht zu entsprechen und dieser Tatsache täglich im Spiegel zu begegnen. Sollten wir also nicht langsam einmal anfangen, dem Alter wieder etwas Positives abzugewinnen? Welche Vorteile haben wir als ältere Menschen? Mal Hand aufs Herz: Möchten Sie wirklich noch mal 25 sein? Ich für meinen Teil möchte die Erfahrungen und Einsichten, die ich seitdem gesammelt habe, nicht mehr missen.
Brauchen wir also dieses ganze Anti-Aging wirklich, und was haben wir davon? Können wir dem Alter davonlaufen, dem Sterben entfliehen? Oder versuchen wir uns eher vor dem Alter zu verstecken, in der Hoffnung, es möge einen Bogen um uns machen?
Es gibt doch auch die Möglichkeit, sich dem Alter zu stellen, ihm erhobenen Hauptes zu begegnen und es anzunehmen als das, was es ist: eine wunderbare Möglichkeit, sich innerlich weiterzuentwickeln, nicht mehr so sehr von äußeren Werten abhängig zu sein und das Leben zu entschleunigen, statt alles »mitnehmen« zu müssen. Ein wenig Müßiggang haben, innerlich reif und selbstbestimmt sein, entspannt dem hektischen Treiben zusehen – klingt das nicht verlockend? Wäre es nicht erleichternd, kein Held mehr sein zu müssen, keine Superfrau?
Hierher gehört auch das liebevolle, gelassene Für-sich-Sorgen mit natürlichen Mitteln, wie ich sie Ihnen in diesem Buch vorstelle.
JUNGBRUNNEN
Schon in der Antike träumte man vom ewigen Quell der Jugend. Das Thema zieht sich durch die Kunst und Kultur der Jahrhunderte, hat es bis in die moderne Popkultur und sogar in die Welt der Computerspiele geschafft. Dahinter steckt wohl der Wunsch, die Zeit anzuhalten und den Gesetzen der Natur ein Schnippchen zu schlagen. Doch Leben wird durch Veränderung erst möglich.
In sich ruhen macht schön
Je weniger wir mit dem Älterwerden hadern, umso mehr strahlen wir das gelassene Einverstandensein mit uns selbst aus – und das macht uns sympathisch und anziehend. Statt uns an Äußerlichkeiten festzuhalten, sind wir jetzt eingeladen, auf wirklich Wichtiges zu schauen. Wir müssen gar nicht mehr probieren, wie Barbie und Ken auszusehen, denn es gelingt uns sowieso nicht mehr. Beim einen früher, beim anderen etwas später sorgt das Leben dafür, dass wir das auch akzeptieren können. Ein paar Pfund mehr auf den Hüften als früher hauen uns nicht um, und wenn wir mal einen Tag lang ohne Schminke durch die Gegend laufen, sieht uns das jeder nach.
Wir können gemütlich eine Tasse Tee schlürfen, ohne gleich wieder zum nächsten Termin hetzen zu müssen. Ist doch herrlich, das Alter!
Ob die Erfahrung des Alterns für uns schmerzlich ist, hängt sicher von vielen persönlichen Faktoren ab. Ein ganz wichtiger ist die Frage, über was wir uns in unserem bisherigen Leben definiert haben.
JAHRE LEHREN MEHR ALS BÜCHER.
Aristoteles
GOLDENE JAHRE, AKTIV GESTALTET
Laut Angaben des statistischen Bundesamtes lag die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland zu Beginn des letzten Jahrtausends für Männer bei 46,4 und für Frauen bei 52,5 Jahren. Unsere Lebenszeit hat sich in nur etwas mehr als hundert Jahren um 50 Prozent verlängert, Tendenz steigend: Während 2006 das durchschnittliche Sterbealter bei Männern bei 72,2 Jahren und bei Frauen bei 80,4 Jahren lag, waren es 2014 bereits bei Männern 74,7 und bei Frauen 81,4 Jahre. Wir werden also immer älter und haben im Durchschnitt noch ein Viertel unseres Lebens vor uns, wenn wir unseren Sechzigsten feiern. Vielen von uns stehen noch jede Menge Möglichkeiten der Lebensgestaltung offen, wir sind fitter, gesünder, unternehmungslustiger und neugieriger denn je.
Es ist noch nicht so lange her, da waren Menschen mit 60 Jahren uralt. Müde, abgearbeitet und vom Leben gezeichnet, verrichteten sie zwar immer noch die nötige Arbeit, soweit es möglich war. Die Lebensgeister liefen aber oft auf Sparflamme, Lachen und Freude am Leben waren häufig erloschen. Für einige galt allerdings: Sie wurden nach wie vor auf Haus und Hof gebraucht, nachfolgende Generationen zählten auf sie. Sie schauten nach den Tieren und den Kindern, kochten und flickten, stritten und herrschten, mischten sich ein und gaben ihre Erfahrung weiter. Sie wurden gebraucht bis zum Schluss.
Heute gibt es diese familiäre, generationenübergreifende Lebensform nur noch selten. Die meisten Menschen leben in Städten und wohnen in späteren Jahren allein beziehungsweise mit dem Partner, aber nicht mit Kindern und Kindeskindern zusammen. Nach dem Arbeitsleben stellt sich daher die große Frage: Was nun anfangen mit meiner Zeit? Wenn wir ein einigermaßen gutes Auskommen haben und bei guter Gesundheit sind, stehen uns alle Türen offen und es liegt an uns zu entscheiden, wie wir den Rest unseres Lebens verbringen wollen.
Zwei Omas, zwei Welten
Während ich dieses Kapitel schreibe, erinnere ich mich an meine beiden Omas. Die eine war damals, Mitte der 1970er-Jahre, Anfang 60, arbeitete als städtische Angestellte und fuhr einen grünen VW Käfer. Ihre langen dunklen Haare steckte sie zu einem Dutt hoch, und ihre Lippen schminkte sie mit einem schönen roten Lippenstift, der mich als Kind sehr beeindruckte. Sie trug schmale Röcke, der damaligen Mode entsprechend. Sie war aktiv, attraktiv und manch älterer Herr schaute sich nach ihr um, wenn sie durch die Einkaufsstraße der kleinen Stadt lief. Sie war nicht unbedingt die Oma, die wir Kinder uns wünschten. Bei ihr roch es nicht nach Pflaumenkuchen, sie las uns auch nichts vor, saß nicht im Schaukelstuhl und strickte uns keine Pullover. Der Vanillepudding zum Nachtisch, wenn wir am Wochenende einmal bei ihr schliefen, war das Einzige, das so richtig »wie bei Oma« war. Aber ich war stolz auf meine Oma, sie war so schön und so unternehmungslustig. Keine meiner Freundinnen hatte eine solche Oma.
Meine andere Oma war vier Jahre älter und durchaus eine »richtige« Oma. Sie war rundlich und hatte immer Kuchen im Haus. Ihre Wohnung war wie die von einer Oma, sie fuhr weder Auto, noch arbeitete sie, sie hatte keine Hobbys und ihr Zeitvertreib waren der Plausch mit der Nachbarin und die Pflege ihres Wellensittichs. Sie saß immer sonntags am Fenster und wartete darauf, dass meine Eltern mit uns Kindern unseren Pflichtbesuch absolvierten, der weder uns noch ihr sonderlich Spaß machte. Später dann hat meine Großmutter meine Kinder so gut wie nie gesehen. Sie wusste – obwohl sie geistig fit war – nicht einmal, ob ich Jungen oder Mädchen habe, und es interessierte sie auch nicht besonders. Sie war zwar irgendwie unkompliziert und hatte immer ausreichend Zeit, aber sie hatte keine Interessen, keine Freunde, hat die Verantwortung für ihr Leben irgendwann in ihrem Leben aufgegeben. Ich war als Kind nicht gerne bei ihr, und obwohl sie »richtig« Oma hätte sein können, war sie es für mich nicht. Heute glaube ich, sie wartete einfach darauf, dass das Leben wieder durch ihre Tür trat. Aber sie machte keinerlei erkennbare Anstalten, es zu sich einzuladen. Es steht mir nicht zu, ihre Lebensweise zu bewerten, vielleicht waren ihre jungen Jahre so von Elend und Not geprägt, dass sie einfach keine Kraft mehr hatte, aktiv ihr Leben in die Hand zu nehmen, vielleicht hatte sie dies auch nie lernen können.
Wie will ich später sein?
Ich selbst habe zwar noch so einige Jahre bis zum »Oma-Alter«, aber ich frage mich natürlich manchmal: Wie werde ich sein, wenn ich alt bin? Richtiger müsste die Frage eigentlich lauten: Wie möchte ich sein, wenn ich alt bin? Ich bin fest davon überzeugt, dass wir einen großen Teil der Art und Weise, wie wir altern, in den eigenen Händen haben und dass wir die Möglichkeit haben, unser Alter und unsere Zufriedenheit, unser Glück zu gestalten. Ich glaube und hoffe, dass es nicht nur davon abhängt, wie es uns körperlich...