Grundprinzipien des Ayurveda
Der Kosmos besteht aus der Kombination zweier grundlegender Energien: Purusha (universale Seele) und Prakriti (kosmische Substanz). Die Kombination dieser beiden Grundenergien ruft dreiundzwanzig verschiedene Existenzmerkmale im Universum hervor. Ohne auf die Details des Entstehungsmythos und der Kosmologie einzugehen, möchte ich versuchen zu erklären, wie die Existenz im Ayurveda gesehen wird und welche Überlegungen hinter den Prinzipien des Ayurveda stecken.
Fünf Elemente und drei Lebensenergien: Alles, was existiert, ob belebt (Chetana) oder unbelebt (Jadda), besteht aus fünf Elementen. Das erste Element ist Äther, der Raum, ohne den nichts existieren kann. Im Raum befindet sich das zweite Element, die Luft. Das dritte Element, Feuer, benötigt sowohl Raum als auch Luft, um existieren zu können. Das vierte Element ist Wasser. Es ist von den vorherigen drei Elementen abhängig. Das fünfte Element ist die Erde, das vollständigste und schwerste der Elemente. Diese fünf Elemente nehmen in Lebewesen (Chetana) die Form von drei Lebensenergien an. Die Lebensenergien werden auch Vata (Äther und Luft), Pitta (Feuer) und Kapha (Wasser und Erde) genannt. In der Ayurveda-Terminologie heißen sie auch Doshas. Sie sind für die körperlichen und mentalen Funktionen von Lebewesen verantwortlich.
Funktionen der Lebensenergien: Die drei Lebensenergien üben alle für unsere Existenz nötigen Funktionen aus. Die Funktionen jeder Energie richten sich nach den Elementen, aus denen sie besteht.
Vata besteht aus Äther und Luft. Daher übt Vata alle Körperfunktionen aus, die allgegenwärtig sind und mit Bewegung assoziiert werden. Vata ist verantwortlich für körperliche und geistige Aktivität, die Blutzirkulation, Atmung, Ausscheidung, Sprache, Empfinden, Tastsinn, Gehörsinn, Gefühle wie Angst, Trauer, Beklemmung, Begeisterung etc., natürliche Bedürfnisse, die Entwicklung des Fötus sowie den Sexualakt und seine Dauer.
Pitta besteht aus Feuer und ist verantwortlich für Sehvermögen, Verdauung, Hunger, Durst, Wärmeregulierung, Geschmeidigkeit, Glanz, Fröhlichkeit, Intellekt und sexuelle Vitalität.
Kapha ist aus Wasser und Erde. Es sorgt für einen soliden Körperbau und ist verantwortlich für den Flüssigkeitshaushalt, die Bindungskraft, Festigkeit, Schwere, Stärke, Geduld, Zurückhaltung, ein Fehlen von Gier oder sexuellen Sekreten, aber auch für sexuelle Potenz.
Dynamik der Lebensenergien: Da wir unsere Lebensenergien ständig benötigen, müssen wir sie durch Atmen und Nahrung wieder auffüllen. Über die Atmung nehmen wir die kosmische Energie oder Prana Shakti auf. Unsere Atemluft enthält aber nicht nur Sauerstoff, der vom Herz in unserem Körper verteilt wird, sondern auch das Licht und die Wärme der Sonne am Tag, die sanfte Energie der Nacht, den besonderen Duft jeder Jahreszeit und vieles mehr. So nehmen wir über den Atem die fünf Elemente des Kosmos als feinstoffliche Energie auf. Unsere Nahrung versorgt uns mit den fünf Elementen in konkreter Form, um unsere drei Lebensenergien wiederaufzubauen. Daher sind das richtige Atmen, Gleichgewicht und diszipliniertes Essen die Grundfaktoren unseres Wohlbefindens. Indem wir Energie aus dem Kosmos aufnehmen und verbrauchen, stehen wir in einem zyklischen Austausch mit dem Kosmos. Daher ist es wichtig, dass ein Gleichgewicht zwischen aufgenommener und verbrauchter Energie besteht.
Einheit mit den kosmischen Prinzipien: Wir sind Teil des Kosmos, und daher unterliegt unser Körper denselben Prinzipien, die für den gesamten Kosmos gelten. So wie die fünf Elemente im Kosmos im Gleichgewicht sein sollten und starke Winde, Feuer, Flut oder Erdbeben zu Zerstörung führen, sollten auch die drei Energien oder Doshas in unserem Körper im Gleichgewicht sein, um Gesundheit und Wohlbefinden zu garantieren. Um dieses Gleichgewicht zu halten, müssen wir uns Wissen aneignen und einige einfache, praktische Regeln für einen harmonischen Lebensstil befolgen.
Prakriti: Die individuelle Konstitution
Menschen sind unterschiedlich, und dies liegt an den verschiedenen Prakriti oder individuellen Grundkonstitutionen, die wir haben. Die Bedeutung des Sanskrit-Wortes »Prakriti« geht dabei weit über die der deutschen Umschreibung hinaus. Es umfasst die gesamte Individualität einer Person, die man als eine Art inneres Gesicht beschreiben kann. Es umfasst die Handlungen und Reaktionen eines Menschen auf körperlicher wie geistiger Ebene.
Die verschiedenen Prakriti oder individuellen Variationen beruhen auf den fundamental unterschiedlichen Eigenschaften der fünf Elemente, aus denen das Universum aufgebaut ist. Jedes Individuum hat sein eigenes Prakriti. Es definiert nicht nur die grundlegenden Charakteristika des Körpers, sondern auch die fundamentalen Charaktereigenschaften jedes Einzelnen. Das individuelle Prakriti ist praktisch der zweite Aspekt der Individualität nach der äußeren Erscheinung. So wie unsere grundlegende äußere Erscheinung unser gesamtes Leben lang gleich bleibt, bleibt auch unser Prakriti, die Gesamtheit unserer fundamentalen Charaktereigenschaften, gleich.
Das Wort »Prakriti« hat aber noch weitere Bedeutungen. Es steht für die Natur, aber auch, wie oben bereits erwähnt, für die kosmische Substanz.
Die körperlichen und geistigen Aspekte des Menschen sind eng miteinander verwoben und bedingen einander. Das Prakriti wird dabei von einem oder zwei Doshas bestimmt. So entstehen sieben Prakriti-Grundtypen mit zahlreichen Untertypen.
Vata
Pitta
Kapha
Vata-Pitta
Pitta-Kapha
Kapha-Vata
Samadosha (alle Doshas sind ausgeglichen)
Die zahllosen Variationen bei jedem der sieben Grundtypen ergeben sich aus der unterschiedlich stark ausgeprägten Dominanz eines Doshas, der verschiedenen Gewichtung der beiden Doshas bei einem gemischten Prakriti und der unterschiedlichen wesentlichen körperlichen und geistigen Energie, die wir aufgrund unseres früheren Karmas von Geburt an mitbringen.
Praktische Aspekte des Prakriti
Schauen wir uns an, warum das Wissen über Prakriti und die Bestimmung des eigenen Prakriti von Bedeutung sind. An diesem Punkt ist es vor allem wichtig, die praktischen und umsetzbaren Aspekte der alten Ayurveda-Weisheit zu kennen, die uns Wohlbefinden und Harmonie schenken. Lassen Sie mich mit einem einfachen Beispiel beginnen: Ein Ehepaar geht gerne aus. Der Ehemann benötigt aber immer viel länger, um sich für besondere Gelegenheiten fertig zu machen, als seine Frau. Das ärgert die Frau, und sie schimpft mit ihrem Mann. Dadurch wird er noch nervöser und benötigt noch länger, um sich anzuziehen. Er nimmt vieles hin, dennoch kommt es so immer wieder zu Streit. Jedes Mal, wenn sie das Haus verlassen, ist sie gereizt und ärgert sich über die Verspätung, und er fühlt sich schuldig. Würden die Eheleute ihr jeweiliges Prakriti kennen, könnte das für mehr gegenseitiges Verständnis sorgen. Sie könnten so die negative Energie aus ihrer Beziehung verbannen. Die Frau hat ein Vata Prakriti, der Mann aber ein Kapha Prakriti. So, wie sie sich auch vom Äußeren her unterscheiden, unterscheidet sich auch ihre innere Natur, ihr inneres Gesicht. Gegen die eigene, gegebene Natur kann man nicht ankämpfen, so wie man nicht gegen seine äußere Erscheinung ankämpfen kann. Akzeptieren die Eheleute aber die grundlegende Natur des anderen, können sie toleranter miteinander umgehen und sich gegenseitig helfen, indem sie sich besser organisieren.
Ein anderes Beispiel: Ein Elternpaar hat zwei kleine Söhne von fünf und sechs Jahren. Verspätet sich das Abendessen, wartet der Jüngere geduldig, während der Ältere murrt, wütend und laut wird und manchmal sogar zu weinen anfängt. Dank seines Pitta Prakriti kann der ältere Junge Hunger von Natur aus schlecht aushalten. Der jüngere ist Kapha Pakriti. Sein Verdauungsfeuer ist schwach, und er kann Hunger gut ertragen. Die Eltern machen den Fehler, dem Älteren zu sagen: »Sieh dir deinen kleinen Bruder an, von dem kannst du was lernen. Er ist kleiner, aber viel vernünftiger als du.« Damit verurteilen die Eltern den älteren Jungen aufgrund seiner Natur. Das Wissen um Prakriti kann also auch Eltern bei der Erziehung und beim Verständnis der Unterschiede zwischen Geschwistern helfen. Ein Kind mit Pitta Prakriti benötigt in diesem Fall eher Trost.
Dies waren Beispiele für die psychologischen Aspekte im menschlichen Umgang miteinander. Lassen Sie uns Prakriti nun auf körperlicher Ebene betrachten: Zwei Schwestern gehen gemeinsam zur Schule. Die eine beschwert sich, wenn es heiß ist (Pitta Prakriti), die andere nicht. Sie mag es hingegen nicht, wenn es regnet (Kapha Prakriti), was die erste Schwester wiederum genießt.
»Du hast so schöne weiche Haut«, sagt eine Freundin zur anderen. »Meine ist so furchtbar trocken und rau.« Die Gesprächspartnerinnen haben Kapha Prakriti (glatte Haut) und Vata Prakriti (trockene und raue Haut). Die trockene Haut benötigt regelmäßige Ölmassagen und eine Seife mit Öl.
Ich finde es interessant, dass Mütter in Europa Prakriti bei ihren Babys anerkennen und ihnen ihren grundlegenden Charakter zugestehen. Ich habe Mütter oft Dinge erzählen gehört wie: »Mein Ältester hat nachts so ruhig durchgeschlafen (Kapha), aber der Kleine war die...