Apotheke – ein moderner Supermarkt?
Gerd Glaeske, Stanislava Dicheva, Kristin Sauer
Warum überhaupt Apotheken?
Wirksame Arzneimittel gehören, wenn sie richtig eingesetzt werden, zu den effizientesten Mitteln in der medizinischen Versorgung. Sie werden vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zugelassen, von pharmazeutischen Unternehmen hergestellt und vermarktet und vor allem in Apotheken angeboten und abgegeben – entweder aufgrund einer ärztlichen Verordnung oder direkt und ohne Rezept im Rahmen der Selbstmedikation. Rund 1,6 Milliarden Packungen werden im Jahr verbraucht, der Anteil der rezeptpflichtigen und nicht rezeptpflichtigen Arzneimittel ist nahezu gleich; auf jede Gruppe entfallen circa 800 Millionen Packungen. Nur wenige Arzneimittel, die sogenannten Freiverkäuflichen, dürfen auch in Supermärkten oder Drogerien angeboten werden, beispielsweise Präparate mit Vitaminen oder Mineralstoffen oder auch einige pflanzliche Arzneimittel (BAH 2014).
Bei rezeptpflichtigen oder rezeptfreien Arzneimitteln ist eine Beratung über die Wirkungsweise, über die möglichen unerwünschten Wirkungen, über die Zusammensetzung oder über Wechselwirkungen, die zusammen mit anderen Arzneimitteln oder mit Nahrungsmitteln auftreten können (etwa mit Grapefruitsaft, Milch oder Tee), unerlässlich, damit die größtmögliche Sicherheit bei der Anwendung gewährleistet werden kann. Diese Beratung qualifiziert, verständlich und möglichst unabhängig von ökonomischen Interessen durchzuführen, gehört zu den wichtigsten Aufgaben in den rund 20.400 Apotheken in Deutschland (ABDA 2015) – es geht also nicht nur um die Vorratshaltung und die Distribution von Arzneimitteln, sondern auch um die begleitende Information zu einer Arzneimitteltherapie. All dies ist gesetzlich zusammengefasst als Auftrag an die Apotheken, eine ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung der Bevölkerung sicherzustellen.
Auf diese Weise sollen die Therapiesicherheit erhöht, der bestimmungsgemäße Gebrauch gefördert und der nicht bestimmungsgemäße Gebrauch, der beispielsweise zu unerwünschten Ereignissen wie Überdosierung, Missbrauch oder Abhängigkeit führen kann, vermieden oder zumindest verringert werden. Weiterhin übernehmen Apotheker Aufgaben in Konzepten der integrierten Versorgung oder in der Umsetzung der pharmazeutischen Betreuung und Schulung (etwa bei Asthma-Arzneimitteln mit einem Inhalator oder bei Hilfsmitteln wie Injektionshilfen für Insulin und Blutzuckermessgeräten). Sie sind somit in der primär- und sekundärärztlichen Versorgung (Allgemeinärzte und Fachärzte) als Fachleute für Arzneimittel in die Begleitung und Betreuung der Einnahme oder Anwendung von verordneten und selbst gekauften Medikamenten an verantwortlicher Stelle involviert.
Im Jahr 2013 besuchten pro Tag 3,6 Millionen Kunden Apotheken in Deutschland. Der Apothekenumsatz betrug 2013 rund 44,6 Milliarden Euro (ohne Mehrwertsteuer; ABDA 2014). Davon entfielen etwa 91 Prozent auf Arzneimittel: 80 Prozent auf verschreibungspflichtige Arzneimittel, knapp zehn Prozent auf nicht verschreibungspflichtige, aber apothekenpflichtige Arzneimittel (sogenannte OTC-Produkte/»over the counter« – Verkauf ohne Rezept über den Handverkaufstisch).
Lediglich 0,7 Prozent des Umsatzes entfielen auf frei verkäufliche Arzneimittel (z.B. viele Tees, Vitamin- und Mineralstoffprodukte), die im Rahmen der Selbstbedienung angeboten werden dürfen – auch außerhalb von Apotheken, etwa in Supermärkten, Reformhäusern oder Drogerien. Der Umsatz des apothekenüblichen Ergänzungssortiments, zu dem unter anderem Nahrungsergänzungsmittel, Diätetika, Kosmetik- und Hygieneprodukte gehören, betrug immerhin 2,3 Milliarden Euro (rund 5 % des Gesamtumsatzes). Krankenpflegeprodukte und der weitere medizinische Bedarf wie Messgeräte, Thermometer, Pflaster- und Wundverbände sowie Inkontinenzartikel machten weitere 1,8 Milliarden Euro Umsatz (4 % des Gesamtumsatzes) aus. In der Selbstmedikation mit nicht rezeptpflichtigen Arzneimitteln wurden 4,7 Milliarden Euro Umsatz erzielt, vor allem mit Erkältungs-, Schmerz-, Abführ- oder Stärkungsmitteln.
Verschreibungspflichtige Arzneimittel müssen in Deutschland in geschlossenen Zieh- oder Schubladenschränken, für die Kunden und Patienten nicht einsehbar, oder in den hinteren Apothekenräumen aufbewahrt werden. Regeln gibt es auch für die nicht verschreibungs-, aber apothekenpflichtigen Arzneimittel: Diese dürfen nicht im Selbstbedienungsbereich einer Apotheke angeboten werden. Auch sie werden daher teilweise in nicht einsehbaren Räumlichkeiten der Apotheke aufbewahrt. Viel beworbene und daher viel verkaufte Arzneimittel werden allerdings auch in der sogenannten Sichtwahl platziert, in Regalen hinter dem Verkaufstisch, zu denen die Kundschaft allerdings keinen Zugriff haben darf.
Der Offizinbereich – der Bereich, in dem der Verkauf stattfindet und frei verkäufliche Arzneimittel sowie weitere apothekenübliche Produkte angeboten werden – fällt je nach Apotheke unterschiedlich groß aus. Die Offizin muss laut Apothekenbetriebsordnung einen Zugang zu öffentlichen Verkehrsflächen haben und barrierefrei erreichbar sein. Ihre Gestaltung darf den Vorrang des Arzneimittelversorgungsauftrags nicht beeinträchtigen und muss für die in der Offizin ausgeübten wesentlichen Aufgaben, insbesondere die Beratung von Patienten und Kunden, genügend Raum bieten. Dazu ist beispielsweise eine abgetrennte Beratungsecke gesetzlich vorgeschrieben. Hier sollen auch intime Fragen, etwa zur Behandlung von Pilzerkrankungen, zu Inkontinenz oder zur Auswirkung auf die Libido, gestellt werden können, die andere Kunden oder Patienten nicht mithören sollen.
In der Offizin, also im Verkaufsraum der Apotheken, werden auch häufig Aufsteller und Plastikschütten mit frei verkäuflichen Waren wie Bädern, Bonbons oder Tees platziert, an denen sich die Kundschaft selbst bedienen kann. Dadurch entsteht oft der Eindruck, dass Apotheken inzwischen wie Drogerien oder Supermärkte aussehen – häufig muss man sich an diesen Angeboten vorbei bis zum Handverkaufstisch und zu den Apothekern oder pharmazeutisch-technischen Assistenten »durchkämpfen«, um ein Rezept einzulösen, Fragen zu stellen oder sich beraten zu lassen. Wenn aber die Verkaufs- und Umsatzstrategien schon optisch so in den Vordergrund rücken, besteht die Gefahr, dass die wichtigste Aufgabe von Apotheken, nämlich die ordnungsgemäße Versorgung mit Arzneimitteln und die qualifizierte Beratung der Patienten, in den Hintergrund gerät.
Die Apotheken – kompetente Beratungsinstitutionen?
Tests zur Beratungsqualität in Apotheken haben immer wieder Defizite in der Qualität der Kommunikation gezeigt und oft eine geringe Berücksichtigung der vorliegenden Evidenz bei der Auswahl oder Empfehlung von Arzneimitteln der Selbstmedikation. So publizierte die Stiftung Warentest im Mai 2014 in ihrem »test«-Heft, dass von 38 exemplarisch einbezogenen Versand- und Vor-Ort-Apotheken nur acht in der fachlichen Qualität, bei der es um Empfehlungen zur Selbstmedikation, zu Wechselwirkungen und zu Rezepturen ging, gut abgeschnitten haben.
Apotheker haben die wichtige Aufgabe, in der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung gegenüber den oft übertriebenen Werbeaussagen pharmazeutischer Hersteller eine Art Filterfunktion auszuüben – schließlich sollten nur solche Produkte empfohlen werden, bei denen ein Nutzen bei der Behandlung oder zur Vorbeugung eines bestimmten Krankheitssymptoms nachgewiesen wurde. Dieser Auftrag an die Apotheker oder auch an die pharmazeutisch-technischen Assistenten, die ebenfalls Beratungsgespräche führen dürfen, wird aber laut Stiftung Warentest offensichtlich nur in geringem Umfang kompetent erfüllt: Noch immer werden im Rahmen der Selbstmedikation viel beworbene Arzneimittel wie »WickMedinait« oder »Grippostad C« empfohlen, die zwar unter ökonomischen Aspekten für die Apotheke interessant und lohnend sind, bei denen aber erhebliche Zweifel am Nutzen bestehen.
Die Frage ist daher, ob sich die Kunden in der Bewertung einer Apotheke an den bekannten Alltagsindikatoren wie freundlich, kommunikativ, hilfsbereit, empathisch und humorvoll orientieren oder ob sie wirklich die Qualität der Beratung beurteilen können, die vor allem Informationen über die Wirksamkeit, den Nutzen, die Anwendungshäufigkeit und -dauer sowie die unerwünschten Wirkungen enthalten sollte.
Was meinen die Kunden und Patienten zur Apotheke?
Im Rahmen einer Befragung sollten die Meinungen, die Wahrnehmung und die Erfahrungen von Kunden und Patienten bezüglich der Institution Apotheke und der Arzneimittelberatung erhoben und evaluiert werden. Weiterhin wurde gefragt, wie der Eindruck der Apothekenräumlichkeiten und -mitarbeiter sowie das angebotene Warensortiment eingeschätzt werden. Zudem ging es um die Erfahrungen der Befragten in Apotheken mit Informationsmöglichkeiten bei intimen Problemen, mit der Ansprechbarkeit des Personals oder mit...