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E-Book

Gesundheitsdaten verstehen

Statistiken lesen lernen - ein Einsteigerbuch

AutorJoseph Kuhn, Manfred Wildner
VerlagHogrefe AG
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl136 Seiten
ISBN9783456759128
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
'Der Käsekonsum entwickelt sich von 2000 bis 2010 parallel zur Anzahl der Menschen, die auf tragische Weise unter ihrer Bettdecke erstickt sind.' (Bartens, W., 18. März 2018. Die Folge der technisch aufgerüsteten Absicherungsmedizin ist - Verunsicherung. Süddeutsche Zeitung) ) Im Umgang mit Gesundheitsdaten die Spreu vom Weizen zu trennen, erfordert neue Lesefähigkeiten! Dieses Buch führt allgemeinverständlich in die Welt der uns täglich umgebenden Gesundheitsdaten ein und fordert 'Glaube nur der Statistik, die du verstanden hast'. Es zeigt anschaulich, wie man Statistiken lesen muss, wie man Prävalenzen, Risiken und Scheinzusammenhänge richtig einschätzt und welche Fallstricke dabei zu beachten sind. Vorkenntnisse der Statistik oder Medizin sind nicht erforderlich. Durch zahlreiche Beispiele erfährt man außerdem ganz nebenbei, wie es um die Gesundheit der Menschen in Deutschland bestellt ist und lernt auf unterhaltsame Weise: - 'Deutsch-Epidemiologisch'- ein Sprachkurs für die wichtigsten Erklärungen epidemiologischer Begriffe und Kennziffern - relevante Daten und Datenquellen zu suchen und zu finden - aber sich dabei nicht im Datendschungel zu verirren - durch aufschlussreiche Beispiele, wie Daten auch manipulativ dargestellt werden können - Lerneffekt garantiert! Neu in der 2.Auflage: Komplette Aktualisierung aller Kapitel, zusätzliche neue Kapitel zu den Themen Depressionen, Krankenstand und Big Data

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Leseprobe

|9|1 Wenn Daten sprechen könnten: Einladung zu einer hermeneutischen Reise durch Statistiken und Studien


Der griechische Philosoph Pythagoras (570–480 v. Chr.) hielt Zahlen für das Wesen der Welt. Wenn man sich ansieht, welche Rolle Zahlen heute als Begründung für Entscheidungen in der Politik und in unserem Alltagsleben spielen, sind wir wohl alle praktizierende Pythagoräer.

„Hermeneutik“ ist übrigens die Lehre vom Verstehen und Auslegen und darum geht diese „Reise“ letztlich: um ein besseres Verstehen von statistischen Zahlen. Und weil wir in einer Gesellschaft leben, in der Geld erstens wichtig und zweitens knapp ist – Letzteres zumindest in den öffentlichen Kassen –, schauen wir besonders aufmerksam auf Finanzzahlen. Im Gesundheitswesen ist das nicht anders, das Gesundheitswesen kostet schließlich viel Geld, sehr viel Geld. Im Jahr 2016 waren es in Deutschland etwa 357 Mrd. Euro, wie Tabelle 1-1 zeigt. Zum Vergleich: Das Bruttoinlandsprodukt des gesamten Saarlandes betrug im gleichen Jahr nur ca. 34 Mrd. Euro, das Bruttoinlandsprodukt Hessens ca. 269 Mrd. Euro.

Der Verdacht, dass das Geld im Gesundheitswesen nicht immer sinnvoll ausgegeben wird, treibt daher die Gesundheitspolitik genauso um wie den Steuer- und Beitragszahler. Ein Beispiel: Infektionskrankheiten verursachen in Deutschland nur noch 5 % aller Sterbefälle – vor allem durch Grippe und Lungenentzündung. In den Gesundheitsämtern entfällt jedoch etwa ein Drittel der Personalkosten auf den Infektionsschutz, wobei es hier sogar nur um die meldepflichtigen Erkrankungen geht, deren Anteil an den Sterbefällen bei etwa 1 % liegt. Das scheint auf eine schlechte Kosten-Nutzen-Relation hinzudeuten: viel Geld für (fast) nichts. Gleichzeitig kann man in allen Zeitungen lesen, dass Übergewicht die Epidemie des 21. Jahrhunderts ist. In Deutschland gelten den Schuleingangsuntersuchungen zu|10|folge je nach Bundesland 8–12 % der Einschulungskinder als übergewichtig, bei den Erwachsenen sind es nach der DEGS-Studie des Robert Koch-Instituts 67 % der Männer und 53 % der Frauen (Mensink, Schienkiewitz, Haftenberger, Lampert, Ziese & Scheidt-Nave, 2013). Auch die Zukunft ist düster. In den USA liegen die Zahlen noch viel höher und das wird gelegentlich als Prognose für Deutschland gehandelt.

Jahr 2014

Jahr 2015

Jahr 2016

öffentliche Haushalte

 14 812

 15 230

 16 391

gesetzliche Krankenversicherung

191 767

200 032

207 181

soziale Pflegeversicherung

 25 452

 27 995

 29 445

gesetzliche Rentenversicherung

  4 363

  4 439

  4 527

gesetzliche Unfallversicherung

  5 213

  5 366

  5 577

private Krankenversicherung

 29 084

 30 536

 31 016

Arbeitgeber

 13 818

 14 464

 15 015

private Haushalte und private Organisationen ohne Erwerbscharakter

 44 688

 46 091

 47 384

insgesamt

329 198

344 153

356 537

Starkes Übergewicht, Fachleute sprechen von Adipositas, ist eine der wichtigsten Ursachen für lebensstilassoziierte Erkrankungen, bis hin zu vielen vorzeitigen Sterbefällen bei den Herz-Kreislauf-Krankheiten. Für die Prävention von Übergewicht geben die Gesundheitsämter aber so gut wie kein Geld aus.

Was also liegt näher, als die Mittel der Gesundheitsämter umzuschichten: beim Infektionsschutz sparen, bei der Prävention von Übergewicht mehr ausgeben. Die Daten sprechen jedenfalls dafür, oder? Aber wäre ein solcher gesundheitspolitischer Eingriff wirklich durch die Daten gedeckt, „evidence-based“, wie man heute sagt? Könnte es nicht sein, dass so wenig Menschen an Infektionskrankheiten sterben, weil der Infektionsschutz so gut ist? Dann wären die Zahl der an Infektionskrankheiten Gestorbenen und die Ausgaben für den Infektionsschutz sozusagen „kommunizierende Röhren“. Gibt man weniger aus, sterben mehr, gibt man mehr aus, sterben weniger. Das Umschichten von Ressourcen würde sich dann nur lohnen, wenn ein zusätzlich ausgegebener Euro im |11|Infektionsschutz weniger bringt als ein zusätzlich ausgegebener Euro in der Prävention von Übergewicht. Weiter wäre zu fragen, ob es überhaupt effektive Strategien zur Prävention von Übergewicht gibt. Und wenn ja, ist der Return on Investment nur anhand von Sterbefällen zu berechnen oder auch anhand von Erkrankungen oder schon am Rückgang der Übergewichtigen – was also sind unsere Outcome-Größen?

Ganz so einfach scheinen die Dinge also nicht zu liegen. Die Daten selbst sprechen eben nicht (und wenn sie es könnten, würden sie sicher manchmal schreien müssen, damit man sie nicht missversteht). Was die Daten scheinbar sagen, hat viel mit unseren Annahmen, unseren Theorien über die Sachverhalte hinter den Daten zu tun. Genauer formuliert: Daten sind erst vor dem Hintergrund von Annahmen und Theorien zu einem Gegenstandsbereich verständlich. Das ist übrigens eine der wichtigsten Erkenntnisse der Wissenschaftsphilosophie des 20. Jahrhunderts.

Daten und Wissen

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