Prolog
Edle, chromblitzende Besprechungsstühle. Eine meterlange Tischplatte aus amerikanischem Nussbaum, glänzend poliert und kalt wie eine Kunsteisbahn am frühen Morgen. Hartes Licht aus teuren Designerleuchten, das jede Unreinheit und jede Unebenheit im Gesicht gnadenlos ausleuchtet. Gemütlichkeit fühlt sich anders an. Aber um Gemütlichkeit soll es heute auch nicht gehen, sondern ums Geschäft – und um Umsatz. Viel Umsatz mit gutem Gewinn.
An der einen Seite des Tisches sitzen drei Männer mit »bk«-Badges an ihren Anzugrevers: zwei leitende Mitarbeiter der bk Group aus dem beschaulichen Endsee in Franken und ich, Gründer und CEO dieser Firma, die auf den schlüsselfertigen Ladenbau sowie den Innenausbau von Hotels, Restaurants, Autohäusern und Shoppingcentern spezialisiert ist.
Auf der gegenüberliegenden Seite ebenfalls drei Männer, die hier zu Hause sind, auch sie tragen Anzüge. Es ist Januar 2013, wir befinden uns im großen Besprechungsraum des Europa-Headquarters eines weltbekannten amerikanischen Retailers aus der Unterhaltungsbranche. Ein Spezialistenteam der bk Group hat für diesen Auftraggeber gerade drei hypermoderne Stores mit allen Finessen gebaut, die die hochpreisigen Produkte der Edelmarke angemessen in Szene setzen. Der Kunde ist so zufrieden mit den neuen Läden, dass er noch in diesem Jahr fünfzehn weitere bei uns in Auftrag geben will.
Verlockende Aussichten also auf einen prächtigen Umsatz, den wir gut gebrauchen können. Wenn die Sache nicht einen entscheidenden Haken hätte, über den ich mich maßlos ärgere. Und das heißt etwas, denn ich ärgere mich selten richtig.
»Herr Wolfarth, sind Sie interessiert an diesem Auftrag?«, höre ich gerade die Stimme des Leiters der Abteilung »Ladenbau International«. Ein schlanker, fast zwei Meter großer Mann mittleren Alters mit dunklem, zurückgekämmtem Haar. »Und wenn ja, wie sieht es mit den Terminen aus?«
Ich drücke mein Kreuz durch und hole tief Luft. Mein verantwortlicher Projektleiter, der rechts neben mir sitzt, wird mich steinigen. Er hat unglaublich viel Energie in die Realisierung der drei ersten Stores investiert.
»Wir bauen gern weitere Stores für Sie. Unter einer Voraussetzung ...« Ich mache eine Kunstpause und nehme aus dem Augenwinkel wahr, wie mich mein Kollege zur Linken, unser Abteilungsleiter für den Bereich Ladenbau, erstaunt ansieht: »Die Bedingung ist, dass Sie und Ihre Leute meine Mitarbeiter künftig als gleichberechtigte Partner behandeln. Fair und mit Respekt. Sie sind weder Ihre Laufburschen noch Ihre Fußabtreter. Andernfalls können wir nicht noch einmal für Sie tätig werden.«
Neben mir höre ich, wie unser Projektleiter scharf einatmet. Und noch während ich spreche, kann ich sehen, wie das Gesicht meines Gegenübers rot anläuft und seine Schläfenadern anschwellen.
»So etwas habe ich ja noch nie erlebt!«, schreit er ohne Vorwarnung, als ich mein Statement beendet habe, und springt so unvermittelt auf, dass sein Besprechungsstuhl nach hinten kippt. »Ist das Ihr Ernst? Sie wollen mir vorschreiben, wie wir Ihre Mitarbeiter zu behandeln haben?«, fragt er in den Lärm, den sein umfallender Stuhl macht.
»Ja, genau das.«
»Vergessen Sie’s. Wenn Sie mit uns zusammenarbeiten wollen, dann zu unseren Bedingungen! Sie können sich glücklich schätzen, wenn Sie für eine so renommierte Marke wie unsere tätig werden dürfen! Ihr Projektteam wird genau so behandelt wie bisher.«
Jetzt hält es auch mich nicht mehr auf dem Stuhl. Und wenn ich wütend werde, kann auch ich nachdrücklich werden. »Es tut mir leid, aber unter diesen Umständen haben wir kein Interesse an einer Realisierung Ihrer fünfzehn Stores!« Mir ist bewusst, dass sich gerade einige Millionen Umsatz in Luft aufgelöst haben, aber das ist mir egal. Hier geht es um eines der Grundprinzipien der bk Group und um meine Unternehmens- und Unternehmerphilosophie. Die würde ich niemals verkaufen, nur um unserer Referenzliste einen weiteren berühmten Namen hinzufügen zu können.
»Die Mitarbeiter des bk-Projektteams sind hart im Nehmen«, setze ich nach. »Die Zufriedenheit des Kunden und die Qualität der Arbeit stehen für uns alle immer an erster Stelle. Aber in der Zusammenarbeit mit Ihren Leuten wurde eine Grenze überschritten. Meine Mitarbeiter fühlten sich schlecht behandelt, der Umgangston war rau und von oben herab. Das ging, wie mir meine Leute berichtet haben, so weit, dass man ihnen vorgeschrieben hat, wann sie sich nebenan bei Starbucks einen Kaffee holen durften. Wir leben im 21. Jahrhundert, nicht im Zeitalter der Sklaverei! Unter Partnerschaftlichkeit und Fairness verstehe ich jedenfalls etwas anderes!«
Die Gesichtsfarbe meines Gegenübers wechselt während meiner Rede noch einmal, jetzt nähert sie sich einem ungesunden Rotblau. Als ich fertig bin, schreit er etwas von »Unverschämtheit« und »noch nie erlebt« und verlässt unter Türenknallen den Raum.
Etwas ratlos sehen meine Kollegen und ich uns an und warten ab. Nach einer Viertelstunde kommt unser cholerischer Gesprächspartner zurück, jetzt ist er fast blass.
»Haben Sie Ihre Entscheidung noch mal überdacht?«, will er wissen und sieht mich erwartungsvoll an. »Wir können immer noch handelseinig werden, wenn Sie Ihre Forderung zurückziehen. Ich wäre sehr daran interessiert, dass Sie unsere Läden bauen.«
»Ja«, entgegne ich, während ich in aller Ruhe die vor mir liegenden Unterlagen zusammenräume und in meiner Aktenmappe verstaue, »wir haben uns entschieden. Wir werden unter diesen Umständen nicht für Sie arbeiten. Auf Wiedersehen.« Während sich im Gesicht unseres soeben verlorenen Kunden Fassungslosigkeit ausbreitet, verlassen wir das Gebäude.
Ich werde diese Szene wohl nie vergessen. Als wir kurz darauf im Taxi saßen und zum Flughafen fuhren, fragte mich mein Projektleiter, wie es jetzt weitergehen solle. Er hatte von einem Moment auf den anderen keine Arbeit mehr und machte sich sichtlich Sorgen. »Das ist ganz schön viel Umsatz, der uns da gerade flöten gegangen ist. Wie stopfen wir dieses Loch jetzt?«
»Ganz einfach«, erwiderte ich. »Wir haben heute den Weg für Kunden frei gemacht, die besser zu uns passen. Und solche Kunden werden sich bald einfinden, das spüre ich. Macht euch keinen Kopf.«
Und tatsächlich: Bereits eine Woche später rief mich der Leiter der Bauabteilung eines führenden europäischen Hörgeräte-Akustik-Unternehmens an, mit dem wir noch nicht gearbeitet hatten. Er erkundigte sich, ob wir gut zwanzig Stores für ihn realisieren können, im aktuellen Kalenderjahr? Das Ende vom Lied: Er wurde unser Kunde und ist es bis heute – wie viele andere, mit denen ich mittlerweile seit gut zwanzig Jahren einen gemeinsamen und sehr erfolgreichen Weg gegangen bin.
Aus den jahrzehntelangen Erfahrungen mit den unterschiedlichsten Kunden und Menschen kann ich heute jedenfalls eines mit Überzeugung sagen: Nicht Druck führt zum Erfolg, denn Druck erzeugt immer nur Gegendruck. Wesentlich erfolgreicher ist mein Weg der Partnerschaft, der gegenseitigen Achtung und der Wertschätzung.
Mein Leben als der Unternehmer, der ich heute bin, begann im März 2006, sechs Jahre nachdem ich die spätere baukreativ AG gegründet hatte. Ein lauter Knall begleitete diesen Moment: Ein dicker Leitz-Ordner landete auf dem sorgsam gepflegten, hochpreisigen Holzfußboden im Besprechungszimmer meiner Hausbank. Papier, Papier, Papier, sicherlich dreieinhalb Kilo schwer. Zahlen und Fakten über eine prosperierende, auf schlüsselfertigen Ladenbau spezialisierte Firma, jedes Thema säuberlich durch Trennstreifen eingefasst. Das Abbild eines aufstrebenden Unternehmens und seines Gründers, ein Werdegang, der erst vor Kurzem im Hochglanz-Kundenmagazin der Bank als wegweisend dargestellt worden war! Die Erfolgsgeschichte eines Vorzeigeunternehmens in unserer Region lautete die Überschrift.
Mit diesem Knall, der mir noch heute in den Ohren klingt, drohte meine Erfolgsstory abrupt zu Ende zu gehen. Mit einer einzigen Armbewegung beförderte der Leiter der Kreditabteilung den Ordner auf den Boden, schaute mich dabei nicht einmal an und sagte ohne jede erkennbare Emotion: »Wissen Sie, Herr Wolfarth, all das, was wir jetzt hier haben, ist von nun an Geschichte. Das war’s.«
Mir war das passiert, was Unternehmen leicht passieren kann, wenn sie erfolgreich sind und mit hohem Tempo wachsen: Wir hatten Außenstände und Schulden und brauchten kurzfristig einen Überbrückungskredit, um durch diesen Liquiditätsengpass hindurchzukommen und Verbindlichkeiten begleichen zu können. Was macht man da? Man macht einen Termin bei seiner Hausbank.
Du gehst also zur Bank, sagst: »Passt auf, Leute, ich brauche zweihunderttausend Euro, wir müssen kurzfristig da durchkommen«, und erhältst die Antwort: »Nein, das Risiko ist uns zu groß. Sie bekommen das Geld nicht, außerdem sehen wir uns gezwungen, Ihnen den Kontokorrentkredit von sechshunderttausend Euro zu streichen, den Sie momentan bei uns haben.« Und du denkst: Falscher Film, ich will hier raus.
Aber niemand hält den Film an. Das bekam auch ich deutlich zu spüren. »Sie wissen schon, was das bedeutet?«, fragte ich nach einer Weile und versuchte mir den Schock nicht anmerken zu lassen. »Dann kann ich morgen meine Firma schließen!«
»Das tut uns leid, aber wir können nichts für Sie tun.«
Sechs Jahre. Und das sollte es gewesen sein? Ich konnte es nicht glauben....