Warum du wichtig bist
Es gibt keine wichtigere Beziehung im Leben als die zu uns selbst. Doch statt uns die Aufmerksamkeit und Fürsorge zukommen zu lassen, die wir verdienen, stellen wir unsere Bedürfnisse hintenan. Nur, wenn wir nicht für uns sorgen, wer tut es dann?
ERST SICH LIEBEN HEISST, GUT ZU LEBEN
Wie du über dich selbst denkst und wie du mit dir umgehst, wirkt sich in jeder Minute auf alle Bereiche deines Lebens aus.
Eigentlich wissen wir es ja: Je schonungsloser wir unsere Ressourcen ausschöpfen, desto schneller brennen wir aus. Je stärker wir mit uns ins Gericht gehen, desto schlechter denken wir von uns. Je weniger Rücksicht wir auf uns nehmen, desto bedeutungsloser fühlen wir uns. Je seltener wir uns etwas gönnen, desto freudloser wird jeder Tag. Je fremdbestimmter wir uns verhalten, desto sinnloser wird unser Tun.
Für dich selbst zu sorgen bedeutet, Verantwortung für dein Wohlergehen zu übernehmen. Es bedeutet, für dich da zu sein und die Beziehung zu dir selbst positiv zu gestalten. Dazu ist es nötig, deine Bedürfnisse ernst zu nehmen und Körper, Geist und Seele die Pflege zukommen zu lassen, die sie benötigen, damit es ihnen gut geht und sie sich ganz entfalten können. Geschieht das nicht, kann es leicht passieren, dass du deine körperlichen oder seelischen Grenzen überschreitest. Überforderung, Unzufriedenheit, Erschöpfung, Frust, Stress und Krankheit können die Folge sein.
Leider ist es da mit einem gelegentlichen Wohlfühlschaumbad nicht getan. Vielmehr geht es darum, in Beziehung zu dir zu treten, dich neu zu entdecken, einen liebevollen Umgang mit dir zu erlernen und den Mut zu finden, deinen Weg zu gehen. Diese besondere Form der Zuwendung sollte dich an jedem einzelnen Tag begleiten, denn jede Entscheidung, die du triffst, kann mehr oder weniger fürsorglich sein.
Mehr Freude, Genuss und Entspannung zu erleben kann ein wunderbarer Anfang auf dem Weg zu mehr Selbstliebe sein. Fürsorglich mit dir umzugehen kann jedoch genauso gut bedeuten, längst überfällige Konflikte auszutragen, Bitten auszuschlagen, Grenzen zu setzen und für dich einzustehen. Es geht weniger darum, dir das zu geben, was du gerade willst, als um das, was du brauchst. Das kann unangenehm sein und auch zu Missmut im Umfeld führen. Auf lange Sicht ist es jedoch der einzige Weg, wie du dein Wohlbefinden, deinen Selbstwert und deine Lebensfreude erhalten kannst.
JA, ICH DARF!
Im Grunde wissen wir es ja, dass wir gut zu uns selbst sein sollten, und dennoch erlauben wir uns viel zu selten, unsere Bedürfnisse wichtig zu nehmen.
Zwei Vorurteile halten uns oft davon ab, fürsorglicher mit uns umzugehen: Wir halten es für verschwendete Zeit oder egoistisch, sobald wir uns in den Mittelpunkt stellen.
KEINE VERSCHWENDETE ZEIT
Jeden Tag sind wir unzähligen Belastungen ausgesetzt: Wir müssen unsere Arbeiten erledigen, den Haushalt führen, dafür sorgen, dass genug Essen im Kühlschrank ist, die Kinder zur Schule bringen, vielleicht die Eltern pflegen, Haustiere versorgen, die Buchhaltung machen, mit Handwerkern telefonieren und den Müll rausbringen.
Was heute unerledigt liegen bleibt, kann uns morgen in die Bredouille bringen. Vor die Wahl gestellt, uns eine halbe Stunde zu entspannen oder die Zeit zu nutzen, um schon einmal das Bad zu putzen, erscheint uns Letzteres in der Regel sinnvoller. Aber ist das vielleicht zu kurz gedacht?
Vielleicht kennst du die Geschichte von dem Holzfäller, der an seinem ersten Arbeitstag gleich achtzehn Bäume fällte? Angestachelt von seinem Erfolg, wollte er sich am nächsten Tag noch übertreffen. Doch trotz aller Bemühungen gelang es ihm nicht mehr als fünfzehn Bäume zu fällen. Tags darauf waren es nur noch acht, dann sieben und zuletzt benötigte er einen ganzen Tag, um einen zweiten Baum zu fällen. Der Holzfäller konnte sich dieses Ergebnis nicht erklären. Er stand früh auf, war hoch motiviert und schuftete jeden Tag bis zum Umfallen. Nur seine Axt – die hatte er schon lange nicht mehr geschärft. Er war schließlich zu sehr damit beschäftigt, Bäume zu fällen.
- • Geht es dir ähnlich?
- • Bist auch du ständig am Tun und Machen und hast dennoch das Gefühl, nicht voranzukommen?
- • Arbeitest du von früh bis spät, aber es ist nie genug?
Möglicherweise ist es an der Zeit, auch deine Axt zu schärfen. Die besten Absichten und die größte Disziplin nutzen wenig, wenn du dir nicht die Zeit nimmst, neue Kraft zu tanken. Jeder von uns muss regelmäßig seine Werkzeuge warten, wenn wir unsere Arbeitskraft und Teilhabe erhalten wollen. Dieses Werkzeug mag dein Verstand sein, wenn du darauf spezialisiert bist, Probleme zu lösen. Es kann deine Gelassenheit sein, wenn du im Umgang mit deinen Kindern ruhig bleiben möchtest. Es kann deine Kreativität sein, wenn dein tägliches Brot darin besteht, innovative Produkte zu gestalten.
Auf der fundamentalsten Ebene entspricht das Werkzeug deiner Gesundheit, denn ohne sie kannst du keiner deiner Pflichten nachkommen. Ein fürsorglicher Umgang mit dir selbst macht produktives und effektives Arbeiten erst möglich. Er ist die Voraussetzung dafür, dass du den Herausforderungen der Welt begegnen kannst.
»Wenn ich fünf Stunden Zeit hätte, einen Baum zu fällen, würde ich vier Stunden meine Säge schärfen.«
ABRAHAM LINCOLN (16. PRÄSIDENT DER USA)
Wie ist es um dein Wohlergehen bestellt?
Wie viel Zeit hast du darauf verwendet, dein Werkzeug gut zu schärfen?
DU BIST NICHT EGOISTISCH
Manche Menschen meinen, dass es sich nicht gehört, für sich selbst da zu sein. Sie halten es für falsch und meinen, egoistisch zu sein, sobald sie sich gut um sich kümmern. Dieser Glaube kommt nicht von irgendwoher. Kannst du dich noch an das Märchen »Die Sterntaler« erinnern? Es ist von den Gebrüdern Grimm und handelt von einem armen Waisenmädchen, das sein letztes Hemd für andere Menschen hergibt und am Ende vom Himmel für sein selbstloses Handeln mit herabfallenden Sterntalern belohnt wird.
DIE STERNTALER
Es war einmal ein kleines Mädchen, dem war Vater und Mutter gestorben und es war so arm, dass es kein Kämmerchen mehr hatte, darin zu wohnen, und kein Bettchen mehr hatte, darin zu schlafen, und endlich gar nichts mehr als die Kleider auf dem Leib und ein Stückchen Brot in der Hand, das ihm ein mitleidiges Herz geschenkt hatte. Es war aber gut und fromm. Und weil es so von aller Welt verlassen war, ging es im Vertrauen auf den lieben Gott hinaus ins Feld. Da begegnete ihm ein armer Mann, der sprach: »Ach, gib mir etwas zu essen, ich bin so hungrig.« Es reichte ihm das ganze Stückchen Brot und sagte: »Gott segne dir’s« und ging weiter. Da kam ein Kind, das jammerte und sprach: »Es friert mich so an meinem Kopfe, schenk mir etwas, womit ich ihn bedecken kann.« Da tat es seine Mütze ab und gab sie ihm. Und als es noch eine Weile gegangen war, kam wieder ein Kind und hatte kein Leibchen an und fror: da gab es ihm seins; und noch weiter, da bat eins um ein Röcklein, das gab es auch von sich hin. Endlich gelangte es in einen Wald und es war schon dunkel geworden, da kam noch eins und bat um ein Hemdlein und das fromme Mädchen dachte: »Es ist dunkle Nacht, da sieht dich niemand, du kannst wohl dein Hemd weggeben« und zog das Hemd ab und gab es auch noch hin. Und wie es so stand und gar nichts mehr hatte, fielen auf einmal die Sterne vom Himmel und waren lauter blanke Taler; und ob es gleich sein Hemdlein weggegeben, so hatte es ein neues an und das war vom allerfeinsten Linnen. Da sammelte es sich die Taler hinein und war reich für sein Lebtag.
Jacob und Wilhelm Grimm: Die schönsten Kinder- und Hausmärchen
Viele von uns sind mit Geschichten und Botschaften wie dieser groß geworden. Sie erzählen von Selbstaufopferung und Selbstaufgabe, davon, die eigenen Bedürfnisse immer hintanzustellen und andere Menschen wichtiger zu nehmen als sich selbst.
Gerade Mädchen und Frauen wurde über Jahrhunderte hinweg beigebracht, brav, bescheiden und anspruchslos zu sein und sich in erster Linie um alle anderen zu kümmern. Auch heute noch glauben viele, es sei falsch, für sich zu sorgen, und empfinden Schuldgefühle, wann immer sie im Vordergrund stehen. Aussagen wie »Nimm dich nicht so wichtig!« oder »Was glaubst du eigentlich, wer du bist?!« ermahnen uns noch heute, uns keine große Aufmerksamkeit zu schenken.
Doch können wir erst dann für andere da sein, wenn es uns selbst entsprechend gut geht. Überleg einmal, wann du eher bereit bist, einem Nachbarn in Not auszuhelfen: wenn du körperlich angeschlagen bist, Stress im Job hast und schon länger mit deinem Leben haderst oder wenn du gesund und ausgeruht bist, deinen Beruf magst und Freude am Leben hast? Jeder, der schon einmal mit dem Flugzeug gereist ist und einer Bordeinweisung zugehört hat, weiß: Erst muss jeder sich selbst die Sauerstoffmaske aufsetzen, um sicherzustellen, dass er bei Bewusstsein bleibt. Dann können wir uns um andere Passagiere kümmern. Würden wir erst alle anderen versorgen, ginge uns selbst darüber die Luft aus. Wir würden ohnmächtig werden und könnten niemandem mehr eine Hilfe sein.
Dieses Schicksal hätte auch das Sterntaler-Mädchen ereilt. Denn nachdem das Kind zwei Tage lang unvernünftigerweise alles hergegeben hatte,...