KÖRPERFETT IST NICHT GLEICH KÖRPERFETT
Das Deutschland des 21. Jahrhunderts hat ein gravierendes Gewichtsproblem: Hierzulande – so gibt das Robert Koch-Institut an – leidet jeder zweite Mann und jede dritte Frau an Übergewicht. Ein Viertel der Erwachsenen ist sogar stark fettleibig (adipös). Alarmierend ist auch die Zahl der übergewichtigen Kinder und Jugendlichen: Schätzungen zufolge bringen bereits 18 % der Schulanfänger zu viel auf die Waage. Bis zur Pubertät steigt dieser Anteil auf etwas 28 %.
HAUPTVERURSACHER LEBENSSTIL
Nur selten ist eine Erkrankung die Ursache für das Übergewicht. In den allermeisten Fällen sind die überflüssigen Pfunde das Ergebnis unseres Lebensstils: Wir essen mehr, als unser Körper benötigt, und wir bewegen uns zu wenig, um die überschüssigen Energiereserven sinnvoll zu verwerten. Das bleibt nicht ohne Folgen für die Gesundheit.
Die Rolle der Gene
Besonders ungünstig wirkt sich der Wohlstands-Lebensstil aus, wenn eine genetische Prädisposition vorliegt. Hinter diesem nüchternen, von den Adipositasforschern inzwischen oft verwendeten Begriff verbirgt sich eine große Ungerechtigkeit: Es gibt Menschen, die essen und essen, ohne ein Gramm zuzunehmen. Und es gibt andere, die essen viel weniger und nehmen trotzdem zu. Wir Nicht-Forscher nennen diese beiden Gruppen gern auch schlechte beziehungsweise gute Futterverwerter. Wobei mit »gut« eigentlich »schlecht« gemeint ist, weil die aufgenommene Nahrungsenergie bei den guten Futterverwertern schnell als unerwünschte Fettpolster ansetzt. Dagegen verbrennen die schlechten Futterverwerter die aus der Nahrung gewonnene Energie leichter und geben diese dann in Form von Wärme ab – damit ist bei ihnen auch der Grundumsatz (siehe >) höher. Verschiedene Studien haben nun gezeigt, dass bereits in unserem Erbgut festgelegt ist, wer ein guter beziehungsweise ein schlechter Futterverwerter ist. Und es sind heute über 140 Gene bekannt, die die Neigung zu Übergewicht begünstigen. Einige dieser Gene kontrollieren den Energieumsatz und den Appetit.
Der kleine Unterschied
Dass das Erbgut mit entscheidet, wohin das Körpergewicht geht, ist aber nur ein Faktor im vielschichtigen Problem Übergewicht. Mittlerweile haben die Forscher weitere Unterschiede zwischen den guten und schlechten Futterverwertern ausgemacht.
ZUSAMMENSETZUNG DER DARMFLORA
Übergewichtige haben offenbar eine andere Bakterienzusammensetzung im Darm als Menschen ohne Gewichtsprobleme. Ihre Darmbakterien holen aus der Nahrung mehr Energie heraus, die dann in Körperfett umgewandelt wird. Derzeit laufen Untersuchungen, ob es möglich ist, der Fettleibigkeit mit einer gezielten Änderung der Darmflora zu begegnen, und welche Wege dafür infrage kommen könnten. Andererseits lässt sich die Zusammensetzung der Darmbakterien bereits mit einer Ernährungsumstellung hin zu einer energiereduzierten Vollwertkost positiv beeinflussen, also mit viel Gemüse, Obst, Vollkorn- und fettarmen Milchprodukten, aber wenig Fleisch und Süßigkeiten.
ADIPOSITAS
Als Adipositas bezeichnen die Mediziner Übergewicht, bei dem der Anteil der Fettmasse am Körpergewicht bei Frauen mehr als 30 Prozent bzw. bei Männern mehr als 20 Prozent ausmacht. Das entspricht einem BMI (Body-Mass-Index, siehe >) ab dem Wert 31.
BEWEGUNGSVERHALTEN
Studien zufolge verbringen Übergewichtige bis zu zweieinhalb Stunden pro Tag länger im Sitzen als Schlanke. Dabei sind es vor allem die Alltagsabläufe (öfter Treppensteigen, häufiger Rad fahren, intensivere Haus- und Gartenarbeit, das Erledigen von kleineren Einkäufen zu Fuß), die letztlich den Unterschied im Aktivitätsniveau ausmachen.
ESSGEWOHNHEITEN
Wer sein Essen eilig hinunterschlingt, riskiert nicht nur Aufstoßen und Magendrücken, sondern auch überflüssige Pfunde. Bei jeder Mahlzeit dehnt sich der Magen und sendet mithilfe von Hormonen und Nervenreizen Signale an das Gehirn. Durch zu schnelles Essen wird dieser Mechanismus gestört, und das Sättigungsgefühl stellt sich zu spät ein. Die Folge: Man isst mehr als nötig und nimmt zu. Untersuchungen zeigen, dass viele Übergewichtige beim Essen größere Happen in den Mund schieben, weniger oft kauen und auch seltener Pausen zwischen den einzelnen Bissen machen – also typische Schnellesser sind. Wer ein bedächtigeres Esstempo pflegt, hat dagegen seltener Gewichtsprobleme.
SCHLAFMANGEL
Kurzschläfer, die weniger als sechs Stunden pro Nacht schlafen, wiegen mehr als Langschläfer – und dies, obwohl sie sich in der Regel am Tag deutlich mehr bewegen als die Mitglieder der Vergleichsgruppe, die regelmäßig sechs und mehr Stunden pro Nacht schlafen. Eine mögliche Erklärung ergibt sich aus dem nächtlichen Stoffwechsel: Durch zu wenig Schlaf sinkt unter anderem der Spiegel des Sättigungshormons Leptin. Dies hat zur Folge, dass tagsüber das Bedürfnis nach Essen steigt. Die Experten haben errechnet, dass auf diese Weise pro Tag 300 bis 900 Kalorien zusätzlich verzehrt werden. Wer das über einen längeren Zeitraum tut, wird ein Mehr an Pfunden auf Dauer praktisch kaum vermeiden können.
ERKRANKUNGEN UND MEDIKAMENTE
Mitunter wird Übergewicht durch eine Krankheit hervorgerufen, etwa durch hormonelle Erkrankungen wie eine Schilddrüsenunterfunktion, das polyzystische Ovarialsyndrom oder Störungen des Kortisolhaushalts (Cushing-Syndrom). Aber auch Medikamente, vor allem Kortisonpräparate, trizyklische Antidepressiva, die Antibabypille, Betablocker oder einige blutzuckersenkende Arzneien, können eine Gewichtszunahme zur Folge haben. Wird die zugrunde liegende Erkrankung angemessen behandelt beziehungsweise das jeweilige Medikament abgesetzt, normalisiert sich das Gewicht meist wieder.
BMI – NICHT MEHR DAS MASS DER DINGE
Wann ist der Mensch »zu dick«? Jahrzehntelang entschieden die Ärzte auf der ganzen Welt darüber anhand des Body-Mass-Index
BMI-TABELLE
Die Mediziner bewerten den BMI wie folgt:
(BMI) und leiteten vom ermittelten Wert dann das individuelle Risiko ab, über kurz oder lang krank zu werden.
Bei der Ermittlung des BMI wird das Körpergewicht (kg) durch die Körpergröße (m)2 geteilt. Wenn also eine 1,70 Meter große Frau 65 Kilogramm wiegt, beträgt ihr BMI: 65 : (1,7 × 1,7) = 22,5.
Wie dick ist »zu dick«?
Experten stellen den Wert des BMI als Indikator für gewichtsbedingte Gesundheitsprobleme jedoch nun infrage. So haben zum Beispiel Mediziner der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität im Jahr 2010 zwei große Studien der Technischen Universität Dresden (DETECT-Studie) und der Universität Greifswald (SHIP-Kohorte) mit knapp 11 000 Teilnehmern ausgewertet – mit spektakulärem Ergebnis. Zu Beginn der Studie wurden zunächst für jeden Probanden drei Maße ermittelt:
der Body-Mass-Index (BMI), der das Verhältnis von Gewicht zu Größe bestimmt,
das Verhältnis zwischen Taillen- und Hüftumfang (Waist-to-hip ratio, WHR),
der Waist-to-height ratio (WHtR), also das Taille-zu-Körpergröße-Verhältnis.
Die Forscher beobachteten die gesundheitliche Entwicklung ihrer Schützlinge nun über einen Zeitraum zwischen drei und acht Jahren. Danach kamen sie zu folgendem Ergebnis: Ob ein Mensch ein erhöhtes Risiko für einen Herzinfarkt- oder einen Schlaganfall aufweist, lässt sich am besten mit dem WHtR abbilden: Je höher dieser ist, desto größer das entsprechende Risiko. Die beiden anderen Maße waren dagegen bei dieser Studie weitaus weniger (WHR) oder überhaupt nicht (BMI) aussagekräftig.
Apfel- oder Birnentyp?
Ein Problem bei der Ermittlung des Body-Mass-Index ist, dass hierbei nur das Gesamtgewicht berücksichtigt wird. Wie sich das Gewicht genau zusammensetzt, wird mithilfe des BMI nicht erfasst. Dabei macht längst nicht allein der Fettanteil das Körpergewicht aus. Auch Wasser und insbesondere die Muskelmasse können die Anzeige auf der Waage nach oben treiben. So kann ein durchtrainierter Sportler mit hoher Muskelmasse und wenig Fett laut BMI zum Übergewichtigen werden. Vor allem aber: Der BMI gibt keine Auskunft darüber, wo sich das Fett im Körper angesammelt hat. Ob Übergewicht zum Wegbereiter für Erkrankungen wird, hängt jedoch, wie man heute weiß, gar nicht so sehr von der Fettmenge, sondern vor allem von der Verteilung der Fettmasse ab. Haben sich die Fettpolster vornehmlich an Bauch und Taille festgesetzt, hat sich höchstwahrscheinlich auch im Inneren des Bauchs Fett angesammelt und umhüllt Organe wie Bauchspeicheldrüse, Leber, Darm, Nieren oder auch die Hauptschlagadern. Wegen der Körperkontur, die sich aus dieser Form der Fettverteilung ergibt, haben die Mediziner das griffige Wort »Apfeltyp« eingeführt.
Die Krux: Das Bauchfett – oder Viszeralfett, wie die Mediziner sagen – verhält sich wie ein eigenständiges Organ, das unter anderem zahlreiche Hormone und entzündungsfördernde Botenstoffe produziert. Auf diese Weise nimmt es aktiv auf Stoffwechselprozesse Einfluss und setzt zahlreiche Entzündungsprozesse, etwa an den Gefäßen, in Gang – und entfacht so im gesamten Organismus einen Schwelbrand, der zahlreiche Krankheiten zur Folge haben kann.
Fettdepots, die von außen sichtbar sind und sich vor allem in der Unterhaut von Po, Hüften und Oberschenkeln eingelagert haben, sind dagegen...