Glaube und Lernen 1/2008 Themenheft: Schöpfung und Natur
Verlag | Edition Ruprecht |
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Erscheinungsjahr | 2008 |
Seitenanzahl | 96 Seiten |
ISBN | 9783846999981 |
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Kopierschutz | Wasserzeichen |
Geräte | PC/MAC/eReader/Tablet |
Preis | 28,50 EUR |
Vor mehr als 30 Jahren hat Wolfgang Stegmüller im zweiten Band seines Werks ‚Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie’ das Thema der Evolution in philosophischer Perspektive behandelt.
Er bewertete die Ereignisse in der Kette der Evolution unter dem Gesichtspunkt der Wahrscheinlichkeit ihrer Entstehung. Dabei hielt er fest, dass ein Proteinmolekül mit 100 Einheiten zu je 20 Aminosäuren 10130 unterschiedliche Sequenzen bilden könnte, aber seit der Entstehung der Erde erst 1017 Sekunden vergangen seien. Die Bildung des Lebens sei also äußerst unwahrscheinlich. Einem geradezu extremen Zufall verdanke sich die Entstehung menschlichen Lebens, weil die Bedingungen auf der Erde eine höchst unwahrscheinliche Konstellation bildeten, etwa wenn die kosmisches Strahlung durch den Sonnenwind, der Sonnenwind aber durch die Magnetosphäre in Schranken gehalten werden müssten. 1 Sollte der aggregierte Zufall eine Richtung oder eine Intention widerspiegeln?
Zu gleicher Zeit wurde die Wahrscheinlichkeit der Entstehung menschlichen Lebens von Naturwissenschaftlern interpretiert. Folgt aus der Summe des Zufalls, dass alles auf eine dahinter liegende Notwendigkeit deutet? Oder müssen wir bei dem Zufall stehen bleiben? Die zuerst genannten Frage wurde mit dem ‚anthropischen Prinzip’2 interpretiert. Es fand vor allem in der katholischen Theologie Aufnahme und wurde so gedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit der Entstehung menschlichen Lebens einen Schluss auf eine überweltliche Absicht und damit eine negative Theologie erlaube. Festzuhalten bleibt, dass die Deutungen der Koordination ungeheurer Zufälle zuerst von naturwissenschaftlicher Seite aufgenommen worden sind. Die biblizistischen Fundamentalisten nahmen es neuerdings teils unmittelbar, teils mittelbar auf, aber sie haben es nicht erfunden. Insofern ist die heutige Entrüstung über Vertreter des ‚intelligent designs’,3 die sich auf den Zufall und eine dahinter verborgene göttliche Intention berufen, etwas fadenscheinig, weil bestimmte Vertreter der Naturwissenschaften mit einer ähnlichen Interpretation vorangegangen sind.
Das ist die Fragestellung, von denen die Beiträge dieses Heftes ausgehen. Die Vorgeschichte ist nur zum Teil im Kennwort-Artikel aufgenommen worden. In ihm wird auf die Spannung von Lebenswelt und Intention auf der einen, Evolution und Zufall auf der anderen Seite hingewiesen. Vertreter beider Seiten neigen zu Analogiebildungen, die entweder aus naturwissenschaftlichen Erkenntnissen naive Schlüsse ziehen oder ebenso naiv die Struktur bewussten menschlichen Handelns auf das Werden evolutionär gedeuteter Systeme übertragen.
Die Frage nach einer universalen Intention tritt – biblisch gesehen – allerdings hinter der Frage der Leben gewährenden Ordnungen zurück. Der Alttestamentler Hans-Christoph Schmitt fragt deshalb nach der Bedeutung der Ordnungen der Schöpfung und bezieht diese auch auf den Kult, in dem sich ein Handlungsspielraum für Menschen erschließt. Der Spielraum gibt über Menschen hinaus und wird als Spielraum Gottes des Schöpfers erkannt.
Der Systematiker Ernstpeter Maurer zeigt die metaphysischen Tendenzen mancher Interpretationen naturwissenschaftlicher Erkenntnisse auf, aber kritisiert ebenso sehr den Missbrauch biblischer Aussagen. Er lenkt die Aufmerksamkeit auf Strukturen, die sich mit Interpretationen verbinden und – wie in der Ästhetik – ein Licht auf das Phänomen des Geistes werfen. Damit kann er an die These der Selbstorganisation der Natur und des Lebens anschließen. Gottes Transzendenz geht über die bottom-up- und die top-down-Kausalität im evolutionären System hinaus.
Der katholische Theologe Hans Kessler erkennt die Evolutionstheorie an, aber versucht, die Kluft zwischen der Alltagserfahrung und dem wissenschaftlichen Weltbild mit Hilfe eines übersteigenden biblischen Verständnisses zu überwinden. Gott bleibt das Gegenüber schlechthin, aber er ist zugleich auch in der Schöpfung. Insofern kann von einem Panentheismus die Rede sein. Die Schöpfung stellt sich als absolut, als relativ und als eschatologisch dar.
Die Philosophin Brigitte Falkenburg erörtert das historisch gewachsene Verständnis der Physik und geht dabei von deren Zugriff auf die Wirklichkeit aus. Ihre Frage zielt auf das Verhältnis des Ganzen zu seinen Teilen und sucht damit nach Möglichkeiten, eine einheitliche physikalische Sicht zu gewinnen. Das anthropische Prinzip kann dann höchstens ein Hinweis sein.
Der Physiker Jürgen Audretsch stellt mit Hilfe elementarer Schritte den Aufbau konstruktivistisch zu deutender Systeme dar. Er führt einen solchen Aufbau in elementaren Schritten vor. Die Sicht der Wirklichkeit in der Physik ist theorieabhängig, aber bedarf der Interpretation. sie führt allenfalls bis an die Grenzen einer negativen Theologie.
Der Religionspädagoge Veit-Jakobus Dieterich zeigt die unterschiedlichen Rezeptionen der Schöpfungsaussagen im Religionsunterricht der letzten Jahrzehnte. Das Schöpfungsthema kennt unterschiedliche Zugangsweisen, die in ebenso unterschiedliche Interpretationen und Versuche der Vermittlung mit modernen Kosmologien münden können. Um die von beiden Seiten in ihren Interpretationen ausgehende Willkür sachgemäß zu gestalten, ist einen Vermittlung mit der alltäglichen Sinnwelt der Schüler notwendig. Sie kann einem Konstruktivismus folgen, ohne ihn zur Metaphysik zu erheben.
Das mit dieser Einleitung vorgestellte Heft möchte weder das gleichgültige Nebeneinander der aus der Naturwissenschaft hervorgehenden Deutungen der Evolution und der Schöpfungsaussagen noch deren Vermischung anstreben, sondern einen kritischen Diskurs der Deutungen von beiden Seiten fördern.
C.F.