Anstatt einer Einleitung: Ein Dialog über Gottes Allwissenheit und menschliche Freiheit
Georg Gasser und Johannes Grössl
Protagonisten: Peter, der Skeptiker; Wilhelm, der Ockhamist; Ludwig, der Molinist; Anselm, der Eternalist; Thomas, der Thomist; Richard, der Offene Theist; Eva und Hans, zwei Philosophiestudierende
[Nach der Sommerpause treffen sich Hans und Eva zufällig in der Cafeteria der philosophischen Fakultät und trinken zusammen einen Kaffee. Nachdem sie sich über den Verlauf der Sommerferien ausgetauscht haben, wirft Hans plötzlich diese Frage in den Raum: „Glaubst Du, dass Gott schon vor den Sommerferien gewusst hat, dass wir uns heute hier treffen werden?“ Eva schaut anfangs leicht irritiert, aber dann entwickelt sich ein Dialog, in den bald auch schon die Freunde von Hans und Eva hineingezogen werden.]
Eva Deine Frage ist also, ob Gott denn alles wissen kann.
Hans Ja, genau. Ich meine, klar, Gott weiß unheimlich viel, viel mehr als jeder Mensch sich auch nur vorstellen kann, aber alles? Kann Gott wirklich alles wissen?
Eva Über diese Frage habe ich mir noch nie eingehender Gedanken gemacht. Aber wieso sollte Gott nicht alles wissen können? Wenn Gott so etwas wie das ist, über das hinaus etwas Größeres nicht gedacht werden kann, dann lässt sich in Bezug auf Gott so etwas wie eine Maximalforderung stellen, oder? So nach der Art: Wenn x Gott ist und x die Eigenschaft F zukommt, dann muss x F maximal zukommen, d. h. F darf x nicht nur ein wenig oder meinetwegen auch sehr viel zukommen, sondern x muss F in einem umfassenden Sinn besitzen. Es darf sozusagen nicht nur kein anderes Wesen geben, das F in einem größeren Umfang als Gott besitzt, sondern es darf gar nichts von F geben, das x nicht besitzen würde. Angenommen F steht für Wissen, so bedeutet das: Gott muss nicht nur mehr wissen als alle anderen möglicherweise oder wirklich existierenden Wesen, sondern Gott muss alles wissen, was es zu wissen gibt. Es darf gar kein Wissen geben, das nicht von Gott gewusst wird.
Hans: An so was habe ich auch schon gedacht. Und zuerst fand ich diesen Vorschlag ja auch ganz gut. Aber ich habe im letzten Semester ja dieses Seminar über Willensfreiheit besucht. Und dann ist mir folgende Frage gekommen: Wenn ich wirklich frei bin und mich zu einem bestimmten Zeitpunkt frei entscheiden kann, so oder anders zu handeln, und diese alternativen Handlungsmöglichkeiten nicht irgendwie vor der Entscheidung durch meinen Charakter, meine inneren Zustände, einen mir unbewussten Zwang, die Naturgesetze oder was weiß ich was bereits festgelegt war, wie kann Gott dann diese meine freie Entscheidung vorherwissen? Wie kann es sein, dass Gott weiß und schon immer wusste, was ich morgen aus freien Stücken tun werde? Angenommen, ich würde Gott jetzt fragen, ob ich morgen um 9:00 Uhr in die Vorlesung gehen werde oder nicht und er würde mir darauf mit einem klaren und deutlichen „Ja“ antworten, wäre ich dann noch frei, es mir morgen um 8:59 Uhr anders zu überlegen? Irgendwie habe ich den Eindruck, dass mir diese Möglichkeit nicht mehr offensteht. Und wenn ich tatsächlich die Möglichkeit hätte, mich anders zu entscheiden und die Vorlesung zu schwänzen, würde ich dann nicht Gottes heutiges Urteil falsch werden lassen? Aber wie soll das gehen? Wie soll ich vergängliche arme kleine Kreatur in der Lage sein zu bewirken, dass sich das Urteil eines unendlich großen mächtigen und weisen Wesens als falsch herausstellt? Könnte ich tatsächlich Gottes Allwissenheit aufheben, bzw. noch radikaler formuliert: Wenn Gott, wie du vorhin gemeint hast, notwendigerweise Allwissenheit zukommt, könnte ich dann die Ursache dafür sein, dass ein Wesen nicht mehr allwissend und damit nicht mehr Gott ist? Das erscheint mir als absurd!
Eva O Mann! Ich hätte doch wissen müssen, dass es mit dir wieder ziemlich kompliziert wird. Was soll ich jetzt sagen? Deine Gedanken scheinen mir einleuchtend zu sein. Aber ich weiß nicht so recht, was ich davon halten soll. Sind viele Philosophen einfach falsch gelegen, wenn diese Gott Allwissenheit zugesprochen und trotzdem menschliche Freiheit verteidigt haben? Auf dein Problem werden Philosophen und Theologen in früheren Zeiten ja auch schon gestoßen sein und sie werden dann vermutlich nicht einfach stur an der Allwissenheitslehre festgehalten haben, weil sich das so gehört hat. Ich bin mir sicher, dass es da eine Reihe von Lösungsansätzen gibt, welche die Vereinbarkeit von Gottes Allwissen und menschlicher Freiheit aufzeigen können oder dies zumindest ernsthaft versuchen.
Hans Zum Glück gibt es in unserem Freundeskreis viele Philosophen und Theologen. Und sie sind von der Sorte, dass sie auf jedes Problem eine Antwort haben. Sie könnten uns sicher weiterhelfen.
Eva Dann lass uns sehen, ob wir einige von ihnen finden.
Hans Du hilfst mir beim Finden einer Antwort? Super! Allein würd ich das wohl nicht machen, aber zu zweit macht’s ja Spaß. Lass uns zuerst zu Peter gehen. Der ist um eine gute Antwort nie verlegen. Wobei ich mich korrigieren muss: Wie ich Peter kenne, hat er keine direkte Antwort auf das Problem, sondern er wird uns vielmehr erklären, dass das Problem eigentlich gar nicht existiert…
[Eva und Hans machen sich auf den Weg. Peter, der Skeptiker, wohnt nur einen Block von der Fakultät entfernt. Er ist von scheuer Natur und lebt meistens in seiner kleinen Wohnung eingeschlossen mit vielen dicken Wälzern. Sein fast abgeschlossenes Philosophiestudium hat er sein lassen und schreibt jetzt an seiner Promotion in Theologie. Eva und Hans klingeln. Nach einiger Zeit macht Peter auf…]
Peter Hallo ihr zwei! Was macht ihr denn hier?
[Eva und Hans drängen sich in das schmale Arbeitszimmer von Peter. Überall Bücher und Zettel. Peter setzt sich, vergisst aber ganz den beiden auch einen Sessel anzubieten. Sie schauen sich etwas unsicher an, bis Eva etwas schüchtern meint.]
Eva Wir müssen dich was fragen. Kannst du uns sagen, wie es sein kann, dass Gott weiß, was wir morgen tun, und wir trotzdem frei sind?
Peter Ihr müsst aufpassen, wie ihr diese Frage formuliert. Falsch formulierte Fragen machen Knoten im Hirn und, was noch schlimmer ist, sie führen zu den falschen Antworten. So wie du die Frage vorgebracht hast, Eva, scheint mir die Frage falsch formuliert zu sein. Und hier ist die Antwort warum: du nimmst an, dass du vom Wissen über die Welt auf ein Wissen über Gott schließen kannst. Aber Gott ist nicht Teil der Welt. In der Welt findest du kein Wissen, das du auf Gott anwenden könntest. Insofern kannst du stricto sensu nichts von Gott wissen, und daher kannst du von Gott auch nichts über die Welt ableiten. Wenn du dir also die Frage stellst, ob Gott unfehlbar wissen kann, was ich morgen tun werde, und ein solches Wissen in Konflikt mit meiner Freiheit steht, dann tust du so, als ob du von Gott irgendein Wissen über die Welt ableiten könntest. Mit dieser Annahme irrst du aber bereits.
Hans Verstehe ich dich richtig, wenn du behauptest, dass wir gar nichts über Gott aussagen können, da wir kein Wissen über ihn haben?
Peter Gott ist unbegreiflich. Aber erinnere dich an die Analogielehre. Die meisten Philosophen und Theologen waren und sind der Ansicht, dass wir zumindest auf analoge Weise über Gott sprechen können. Dabei ist aber im Auge zu behalten, dass die Unähnlichkeit analoger Aussagen über Gott größer als ihre Ähnlichkeit ist, wie das 4. Laterankonzil im fernen Jahr 1215 bereits festgelegt hat. Ich möchte daher betonen, dass wir auf keinen Fall die Welt und Gott unter einen Begriff fallen lassen können.
Eva Und was ist mit dem Begriff „Existenz“?
Peter Nach Kant ist Existenz gar kein Prädikat. Vielleicht hat Kant darin Recht. Wenn Existenz aber ein Prädikat ist, dann auf jeden Fall ein besonderes Prädikat und ich bin davon überzeugt, dass Gott nicht in derselben Weise wie endliche Dinge existiert. Demzufolge kann auch Existenz in Bezug auf Gott nur analog ausgesagt werden.
Eva Das heißt, wenn ich von Gottes Allwissenheit spreche, so darf ich diese nicht so verstehen, als ob Gott wahre Sachverhalte als wahre Sachverhalte kennt?
[Peter gestikuliert und seine Stimme wird schriller. Eva und Hans merken, dass sie seine Geduld strapazieren…Er wird immer ein wenig ungeduldig, wenn man seine Theorien nicht überzeugend findet.]
Peter Gott ist nicht nur...