Was glückliche Beziehungen ausmacht:
die Wir-Ebene
»Nachdem ich nicht weniger als sechzehn Jahre lang glückliche Paare beobachtet habe, weiß ich heute, dass der Schlüssel zur Wiederbelebung oder zum Schutz einer Beziehung nicht darin liegt, wie man mit Streitpunkten umgeht, sondern wie man sich einander gegenüber verhält, wenn man nicht streitet.«
John Gottman
(einer der berühmtesten Beziehungsforscher der USA)
Wollte ich all das, was aus der Perspektive von Paarforschern zwischen zwei Menschen stattfinden muss, damit sie eine glückliche, stabile Beziehung führen können, hier gleich zu Beginn schon einmal für Dich in einem einzigen Satz zusammenfassen, dann würde er lauten: Sie müssen es schaffen, in allen Lebenslagen einen liebevollen Blick aufeinander zu haben – und sich diesen aller Routine, Rückschläge und Probleme zum Trotz zu bewahren. Denn sofern das der Fall ist, passiert alles andere, worauf es im Detail noch ankommt, fast von allein. Glückliche Paare unterscheiden sich von unglücklichen (oder weniger glücklichen) Paaren nach den Erkenntnissen von Wissenschaftlern im Kern nämlich durch folgende Dinge:
Glückliche Paare …
… gehen konstruktiv mit Konflikten um, bleiben also auch im Streit miteinander verbunden und suchen nach gemeinsamen Lösungen – anstatt gegeneinander anzukämpfen.
… zeigen Interesse aneinander und den Dingen, Menschen und Themen, die ihrem Partner wichtig sind.
… öffnen und vertrauen sich einander im wahrsten Sinne an, wodurch ein stabiles Gefühl von Nähe entsteht.
… kommunizieren viel und auf respektvolle, wohlwollende Art und Weise miteinander – anstatt sich beispielsweise gegenseitig zu kritisieren, zu sticheln, zu verachten oder abzuwerten.
… haben Verständnis füreinander und nehmen den anderen so an, wie er ist – akzeptieren seine Schwächen und Macken als Teil des Gesamtpakets also genauso wie seine Stärken.
… versuchen nicht, einander zu verändern.
… sind ehrlich zueinander und können sich entschuldigen und verzeihen, wenn es angebracht ist.
… leben ein gemeinsames Wir, genauso wie zwei Ichs – investieren also Zeit und Energie in ihre Beziehung, aber auch in ihr jeweils eigenes Leben.
… zeigen einander durch aufmerksame Gesten, kleine Überraschungen, gemeinsame Zeit und Rituale, wie zugetan sie sich sind – und wie sehr sie ihre Partnerschaft wertschätzen.
… fühlen sich in ihrer Beziehung gleichberechtigt – emotional genauso wie in Bezug auf ihre Alltagspflichten und -rechte.
… haben oft ein ähnliches Wertesystem – sind sich also in grundsätzlichen Überzeugungen, was zum Beispiel Treue, Ehrlichkeit oder Freiheit angeht, einig.
Der amerikanische Paarforscher Dr. John Gottman ist mit seinen Studien über das Beziehungsglück weltweit bekannt geworden. In seinem »Love Lab«, das im Deutschen meist als »Liebeslabor« übersetzt wird, untersuchte er zigtausend Paare und deren Beziehungsqualität.3
Du kannst Dir dieses »Love Lab« im Grunde wie ein ganz normales Hotelzimmer vorstellen: Hier checkten zwei Partner für 24 Stunden ein und taten dann all das, was sie an jedem anderen, ganz gewöhnlichen Tag tun würden – Gespräche über Alltagsdinge führen, sich möglicherweise über Konfliktthemen austauschen, Zeitung lesen, zärtlich zueinander sein (oder auch nicht) … Mit dem einzigen Unterschied, dass Kameras in dem Zimmer installiert waren, die Bild und Ton aufnahmen, und die Herzfrequenz der Teilnehmer während des gesamten Aufenthalts gemessen wurde. Zusätzlich wurden die beiden in einem Interview noch gebeten, gemeinsam ein paar Fragen zu ihrer Partnerschaft zu beantworten.
Mithilfe der so gewonnenen Informationen analysierten Gottman und sein Team von der University of Washington anschließend die Art und Weise, wie die Paare miteinander interagierten. Und sie fanden heraus, dass sie mit über neunzigprozentiger Gewissheit (!) vorhersagen konnten, welche der untersuchten Partnerschaften halten und welche zerbrechen würden – und das, während die Paare noch verliebt waren oder sich zumindest in einer stabilen Beziehung wähnten! Denn, so Gottman, es gab in den Interaktionsmustern der Paare bereits in einem sehr frühen Stadium ihrer Partnerschaft bestimmte Hinweise darauf, dass ihre Verbindung später einmal scheitern könnte. Das findest Du bestimmt auch etwas unheimlich, oder? Deshalb lass uns schnell schauen, anhand welcher Anzeichen diese Prognose den Wissenschaftlern gelang:
Paare, deren Beziehungen mit großer Wahrscheinlichkeit scheitern werden …
… machen im Rahmen von Konflikten sarkastische und abwertende Kommentare dem anderen gegenüber. Beim Streitthema »Hausarbeit« reagiert ein Partner also beispielsweise sofort scharf mit: »… oder besser gesagt, das Fehlen deiner Hausarbeit!«
… zeigen die »vier apokalyptischen Reiter«. Für diesen Begriff in Beziehungen ist Gottman besonders bekannt geworden. Gemeint sind die vier Verhaltensweisen Kritik, Verachtung, Rechtfertigung und Mauern, die in Konfliktsituationen zum Tragen kommen (und Konflikte gibt es auch in der glücklichsten Beziehung). Kritik sieht beispielweise so aus, dass vor allem in negativen Verallgemeinerungen gesprochen wird (»immer kommst du zu spät«, »nie gibst du dir Mühe«), Verachtung äußert sich oft durch zynische Kommentare (»Ja, ja, du bist sowieso die Schlauste«). Um sich zu rechtfertigen, geht dann einer von beiden Partnern (oder auch beide) in die Verteidigungshaltung oder blockiert den Austausch, indem er schweigt, schmollt oder den Raum verlässt – das nennt Gottman »mauern«.
… überfluten einander regelrecht mit Kritik, Verachtung oder Rechtfertigung – das bedeutet, dass die apokalyptischen Reiter so häufig und so intensiv vorkommen, dass wenig Raum für anderes bleibt.
… zeigen körperliche Stressreaktionen während einer Diskussion. Reagiert der Körper auf ein Problemgespräch mit dem Partner mit Herzklopfen und Schweißausbrüchen, sind die eigenen Handlungsmöglichkeiten bereits stark eingeschränkt. Das Gehirn schaltet dann auf »Notfallprogramm« um – und das führt meist wiederum zu einem der vier apokalyptischen Reiter.
… scheitern bei dem Versuch, einen Konflikt – zum Beispiel durch Humor – aufzulockern. Während einer von beiden versucht, einen Scherz zu machen, um einem Konflikt die Schärfe zu nehmen, zeigt sich der andere also weiterhin beleidigt, aggressiv oder entzieht sich dem Gespräch.
… erinnern sich eher an die negativen als an die positiven Aspekte ihrer gemeinsamen Geschichte und ihrer Beziehung. Anstatt das erste romantische Date in allen schönen Details zu schildern, würde einer von beiden zum Beispiel erst einmal erzählen, dass der andere an besagtem Abend eine halbe Stunde zu spät ins Restaurant kam: »Schon am ersten Abend hast du mich warten lassen – tja, du warst damals schon respektlos und bist es heute noch.«
Schau Dir die beiden Aufzählungen über »Glückliche Paare« und »Paare, deren Beziehungen mit großer Wahrscheinlichkeit scheitern werden« jetzt bitte noch einmal im Vergleich an: Was fällt Dir auf?
Auf der einen Seite sind da die glücklichen Paare, die respektvoll miteinander umgehen, auch im Streit miteinander verbunden bleiben, Verständnis füreinander haben und sich gegenseitig nicht zu verändern versuchen. Auf der anderen Seite stehen die, die im Rahmen von Konflikten sarkastisch und abwertend werden, sich gegenseitig kritisieren und mit Verachtung strafen. Da drängt sich einem der Eindruck auf, dass bereits die Grundstimmung zwischen dem ersten und dem zweiten Paar auf einer ganz fundamentalen Ebene vollkommen unterschiedlich ist, oder? Es scheint – auch, wenn Gottmans Ergebnisse sich in erster Linie auf das Verhalten in Konfliktsituationen beziehen – eigentlich um viel mehr zu gehen als nur ums »richtige Streiten«. Und ja, tatsächlich kommt auch Gottman zu diesem Schluss: »Als ich herausbekam, wie man eine Scheidung vorhersagen konnte, dachte ich, ich hätte den Schlüssel zur Bewahrung von Ehen gefunden. Ich meinte, dass man den Menschen nur beibringen müsse, wie man diskutierte (…). Doch wie so viele Experten vor mir hatte ich unrecht.« Das wirkungsvollste Gegenmittel gegen all die negativen Muster, so stellte Gottman nämlich schließlich fest, sei nicht etwa, Paaren das richtige Streiten beizubringen – sondern stattdessen »die Freundschaft zu stärken, die das Herz einer jeden Ehe« darstellt. Denn erst, wenn man das täte, verändere sich die Grundstimmung zwischen zwei Menschen wirklich. Gottman nennt es »Freundschaft« – meint damit aber im Grunde das Gleiche, was ich hier als den liebevollen Blick aufeinander bezeichnen möchte.
Auf Basis dieser Erkenntnis entwickelte Gottman dann auch seine sogenannte »5 zu 1«-Regel, die bedeutet, dass man jedes einzelne negative Verhalten seinem Partner gegenüber mit mindestens fünf positiven Aktionen ausgleichen sollte. Also einmal Kritik, fünfmal Lob. Oder einmal Unaufmerksamkeit, fünfmal Interesse, um so immer wieder »freundlich« aufeinander zuzugehen.
Ich weiß nicht, wie es Dir geht, aber in meinen Ohren klang die Sache mit dem Zählen immer sehr theoretisch, auch wenn sie mit Sicherheit funktioniert! Ich...