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E-Book

Gott

Vom Wagnis der Hoffnung

AutorLuis Antonio Gokim Tagle
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783451812781
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Tagle spricht über persönliche Erfahrungen oder auch biblische Geschichten und ihre Bedeutung für den Glauben heute. Die biblische Geschichte der Begegnung am Brunnen Sicar ist dabei exemplarisch: Tagle erzählt, dass Jesus keine Angst vor dem Anderen hatte. Er zeigt, wo in unserem Leben die 'Brunnen' sind. Und vor allem geht es Tagle um die Frage, wie man heute von Gott erzählen kann. Er erzählt zum Beispiel, wie er einem Landstreicher hilft, der ein Baby hat und fast verhungert ist und der ihn nur fragt: 'Sind Sie Priester?' 'Ja.' 'Wo ist Gott?' Und Tagle zeigt in diesem Buch, wo Gott ist.

Kardinal Luis Antonio Tagle, geb. 1957, ist Erzbischof von Manila. Er gilt als einer der wichtigsten Kardinäle der katholischen Kirche, gilt als exzellenter Theologe und als ungemein beliebt bei den Gläubigen. Außerdem wird er von vielen als möglicher zukünftiger Papst gehandelt.

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Leseprobe
I.
Das Wagnis, Gott zu sagen
Wir befinden uns auf der Zeugnisvergabefeier einer Schule für Theologie. Aber was genau habt ihr eigentlich studiert? Was ist Theologie? Was haben wir euch auf dieser Schule beigebracht? Und worin besteht die Aufgabe dieser Einrichtung, die sich Schule für Theologie nennt?
Mich hat der Artikel eines kanadischen Dominikaners beeindruckt, Jacques Lison, der schreibt: »La préoccupation essentielle de la théologie est de dire Dieu«; das wesentliche Anliegen der Theologie besteht darin, »Gott« zu sagen. Diese Aussage beeindruckt mich, weil wir normalerweise zu hören bekommen, dass die Theologie von Gott spricht oder dass sie über Gott forscht. Lison dagegen erklärt: »Nein, die Aufgabe der Theologie, das Grundanliegen der Theologie besteht darin, ›Gott‹ zu sagen.« Ich frage mich, ob es das ist, was ihr gelernt habt, was wir euch beigebracht haben. Besteht die Aufgabe der Loyola School of Theology (LST) und anderer Schulen für Theologie wirklich darin, »Gott« zu sagen?
Die Theologie ist kein Sprechen von Gott. Sie ist auch Doxologie. Sie ist eine mystische Wirklichkeit. Sie ist Einsicht. Sie ist Kontemplation. Sie ist Teilhabe an Gott. »Keiner«, erklärt der heilige Paulus, »kann sagen: Jesus ist der Herr!, außer im heiligen Geist« (1 Kor 12,3), und: »Weil ihr aber Söhne seid, sandte Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen, der ruft: Abba, Vater.« (Gal 4,6) Wenn also die Theologie etwas damit zu tun hat, »Gott« zu sagen, dann muss sie in erster Linie ein Handeln des Geistes sein – und ein Handeln der Menschen, die bereit sind, sich dem Geist so zu öffnen, dass sie Gott sagen können.
Ich denke doch, dass ihr – die Absolventen, die derzeitigen und die zukünftigen Studenten der LST – vielerlei Arten des »Gott-Sagens« gehört habt. Nicht nur, weil jeder Theologieprofessor eine bestimmte Theologie anwendet, sich auf einen bestimmten Denkhorizont bezieht oder seine ganz eigene Art hat, Gott zu sagen, sondern auch, weil ihr durch die verschiedenen Lehrveranstaltungen in die große Tradition der Kirche eingeführt worden seid – der Kirche, die ihr eigenes Leben weitergibt. Die Theologie steht immer im Dienst der Kirche.
Ihr habt ganz sicher unzählige Arten des Gott-Sagens gehört und gesehen, die im Laufe der Kirchengeschichte eine Rolle gespielt haben. Ich selbst schöpfe noch immer aus dem großen Reichtum dessen, was ich als Student hier vor etwa 25 Jahren von meinen Professoren gelernt habe. Jetzt aber möchte ich selbst hier und da etwas hinzufügen – neue Arten, Gott zu sagen. Ich möchte euch auf einige Etappen in der Kirchengeschichte aufmerksam machen, wie sie in einer Untersuchung von Peter Schineller SJ dargestellt werden.
Wer sagt Gott? Wo? Für wen? Mit wem? Und wie?
Früher waren es an den Seminaren ausschließlich männliche Professoren in ihren schwarzen Talaren, die Gott gesagt haben. Dann durften nach und nach auch die Dozenten und Dozentinnen Gott sagen. Ich habe ein Foto von der ersten Studierendengruppe der LST gesehen: Eine einzige Frau war dabei, Vicky Palanca, eine freundliche junge Schwester vom Unbefleckten Herzen Mariens. Heute gibt es neue Stimmen, die Gott zu sagen wagen. Diese neuen Stimmen bringen Gott von ihren Welten, ihren Erfahrungen und ihren je besonderen Sensibilitäten aus zum Ausdruck; und sie entwickeln vielfältige Arten, Gott zu sagen.
In der Urkirche waren die Bischöfe, war der Episkopat dafür zuständig, Gott zu sagen. In der Folgezeit wurde die monastische Welt der Ort, wo man Gott sagte. Noch später wurden die großen Universitäten und, nach dem Konzil von Trient, die Seminare zu den Orten, an denen man Gott sagte. Alle diese historischen Etappen haben sich größtenteils in Europa abgespielt; Gott musste in Europa gesagt werden. Heute sind es viele Orte, die Gott sagen. In jedem Land kann man Gott sagen. Selbst in kleinen Dörfern und in kirchlichen Basisgemeinschaften wird Gott gesagt.
In der Urkirche sagte man Gott, um die Heiden und die Irrlehrer zu bekehren, damit sie Gott anerkannten und dem wahren Glauben folgten. Später betrieb man an den Seminaren Theologie für die zukünftigen Kleriker. Heute sagen wir Gott für die Opfer der Gesellschaft, für die Unpersonen, für die Vergessenen. Für sie sagen wir Gott: um ihnen die Gewissheit zu geben, dass da einer ist, der sie nicht vergisst. Laut David Tracy wendet die Theologie sich heute an viele Zielgruppen und somit an unterschiedliche Hörerschaften: Man sagt Gott und wendet sich an die Kirche. Man sagt Gott und wendet sich an die Universität. Man sagt Gott und wendet sich an die Gesellschaft.
Früher trieb man Theologie mithilfe der Philosophie. Heute ist es interdisziplinärer angelegt. Heute müssen wir – und das gilt auf allen Ebenen: sowohl innerhalb der Kirche, um unsere Tradition und unsere Geschichte besser zu verstehen, als auch ad extra – mit den Humanwissenschaften Gott sagen. Vor allem müssen wir so Gott sagen, dass die sozialen, ökonomischen, politischen und kulturellen Le­bens­wirklichkeiten der Völker einbezogen werden. Mit alledem sagen wir Gott.
Früher sagte man Gott mit der sogenannten Denzinger-Methode: Du hattest eine These. Du wusstest Bescheid über die biblischen Grundlagen. Du kanntest die Lehren der Konzilien und der Väter und fügtest hier und da eine Kleinigkeit hinzu. Und hattest so Gott gesagt. Seither ist die Art, Gott zu sagen, immer mehr historisiert worden. Man versucht kritische Korrelationen herzustellen. Einige engagieren sich nicht nur in der Orthodoxie, sondern auch in der Orthopraxie. Heute gibt es viele verschiedene Arten, Gott zu sagen.
Ihr habt eine Einführung in diese vielfältigen Arten erhalten. Unsere Schule für Theologie ermutigt uns natürlich, zu dieser lebendigen Vielfalt von Arten in Kontakt zu treten, die sämtlich im Dienst der Kirche, ihres Lebens und Sendungsauftrags stehen. Zum Teil besteht das Ziel der LST darin, Männer und Frauen darauf vorzubereiten, dass sie auf eine Weise Gott sagen können, die für ihr jeweiliges Umfeld Bedeutung hat und ihren Charismen und Berufungen entspricht.
In unserer Zeit dieses Wagnis eingehen
Wir sind sicher, dass das, was wir euch Studenten geboten haben, nicht erschöpfend ist, doch kostbar ist es allemal. Es mag sogar geschehen, dass ihr die Loyola School of Theology und die Arten, wie eure Professoren Gott sagen, vergesst – doch das Gott-Sagen selbst vergesst bitte nicht, denn sonst wird es auch die Welt vergessen und denken, Gott sei überflüssig. Wichtiger, als sich an die jeweiligen Arten des Gott-Sagens zu erinnern, ist vielleicht, dass man es tut: dass man Gott sagt, weil man davon überzeugt ist, dieses Wagnis in unserer Zeit eingehen zu müssen. Gott zu sagen ist nicht leicht. Es ist ein großes Risiko. Erlaubt mir, euch einige wenige Anhaltspunkte zu geben:
Die heutige Welt befindet sich in einem Globalisierungsprozess, bei dem es sich genaugenommen um eine elitäre Globalisierung handelt. Nicanor Perlas1 sagt, diese elitäre Globalisierung sei de facto ein gnadenloses Wachstum: paglago na walang puso, ein »Wachstum ohne Herz«. Es ist ein Wachstum ohne Zukunft, weil es keine Arbeitsplätze bietet. Es ist ein Wachstum ohne Wurzeln, weil es uns von den Wurzeln unserer Werte und unserer Traditionen abschneidet. Und es ist ein Wachstum ohne Sinn, weil die Menschen oft seinetwegen die Orientierung im Leben verlieren. Angesichts dieser Probleme versucht die Welt uns davon zu überzeugen, dass wir – im Namen des Profits und der Wettbewerbsfähigkeit – unseren Nächsten, ja Gott vergessen sollen. Es ist nicht leicht, in einer Welt, die den Nächsten vergessen will, Gott zu sagen. Wenn wir die ­Menschen um uns herum vergessen, sind wir nicht mehr imstande, Gott zu bekennen. Wir hoffen jedoch, dass euch eure Ausbildung an dieser Schule für Theologie gelehrt hat, wie man auf eine Art Gott sagt, die Bedeutung hat.
Ich bitte euch, weiterzumachen, wie ihr es von uns gelernt habt, und mit den Kleinen dieser Welt Gott zu sagen, mit jenen, die die Globalisierung vergessen und verleugnen will. Lernt von den Vergessenen. Lernt von den Unpersonen. Lasst euch von ihnen zeigen, wie man Gott sagt.
Als ich zum Bischof geweiht wurde, hatte die besondere Messnovene, die Simbang Gabi2 genannt wird, bereits begonnen. Nach der Eucharistiefeier in der Kathedrale begrüßte ich die Menschen am Ausgang der Kirche. Da sah ich, dass einige Kinder, die Blumen verkauften, den Menschen im Weg standen, die die Kathedrale verlassen wollten. »Bulaklak po! Bulaklak! Bulaklak!« (Blumen! Blumen! Blumen!). Laut rufend und in vollem Ornat lief ich hinter...
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