Geben wir es ruhig zu:
Wir haben uns auch früher schon geirrt
Könnte es sein, dass unsere gegenwärtigen Annahmen über Gott fehlerhaft sind und dass in manchen Fällen sogar das genaue Gegenteil dieser Annahmen zutrifft? Würde das unser Weltbild verändern?
Hat es viel Gutes bewirkt, während all dieser Jahrhunderte vermeintlich recht gehabt zu haben? Könnte es demnach großen Schaden anrichten, wenn wir diese Annahmen kritisch überprüfen?
Wenn wir nicht bereit sind, unsere Annahmen auf den Prüfstand zu stellen, können wir ebenso gut unsere menschliche Evolution für beendet erklären. Dann kommen wir nicht weiter. Dann bleibt alles so, wie es immer schon war. Nichts würde sich je ändern.
Ist die Welt keine Scheibe? Ist die Erde nicht der Mittelpunkt des Universums, um den die Sonne und die Sterne kreisen?
Die Menschheit muss endlich ihr dysfunktionales Festhalten an überholten Lösungsansätzen aufgeben (und alle Versuche, diese Ansätze rachsüchtig und mit Gewalt durchzusetzen). Dann, und nur dann, wird sie die Ursachen für ihr destruktives Verhalten erkennen können.
Tatsächlich ist es so, dass unser Glaube unser Verhalten bestimmt, und wir glauben an einen rachsüchtigen und gewalttätigen Gott. An einen eifersüchtigen Gott. Einen Gott des Zorns und der Vergeltung. »Mein ist die Rache«, spricht der Herr.
Wirklich? Nun, es scheint so. Die Bibel berichtet, dass über zwei Millionen Menschen durch Gottes Hand oder auf seinen Befehl getötet wurden.
Kann das wahr sein? Oder könnte die Bibel hier »irren«? Kann die Bibel überhaupt Irrtümer enthalten?
Oder der Koran? Und was ist mit der Bhagavad Gita? Was mit der Tora, der Mischna, dem Talmud?
Enthalten der Rigveda, die Brahmanas, die Upanishaden Fehler? Gibt es Irrtümer im Mahabharata, im Ramayana, den Puranas? Was ist mit dem Tao-Te-King, dem Buddha-Dharma, dem Dhammapada, dem Shiji, dem Pali-Kanon?
Und müssen wir jedes einzelne Wort im Buch Mormon glauben?
Nicht alle diese Quellen sprechen von einem gewalttätigen Gott, aber alle sprechen von größeren Wahrheiten, und Millionen Menschen wurden von dem berührt, was in diesen Texten aufgezeichnet wurde.
Der Punkt ist: Wir haben den Worten in diesen heiligen Schriften Glauben geschenkt, sei es die eine oder die andere, und – um eine berechtigte Frage erneut zu stellen – wohin hat es uns gebracht? Ist es nicht an der Zeit, die Grundannahme zu hinterfragen?
Vermutlich.
Nein, auf jeden Fall!
Aber warum? Welchen Unterschied würde es machen, wenn unsere Annahmen über Gott falsch sind?
Hätte es praktische Auswirkungen auf unseren Alltag? Könnte es sich gar auf den ganzen Planeten auswirken?
Natürlich. Zweifellos würde es sich auf die ganze Welt auswirken.
Aber jeder denkende Mensch muss sich zuerst fragen: Wenn Gott seine Wahrheiten einzelnen Menschen direkt mitteilt, wie kommt es dann, dass die Botschaften, die diese Menschen an ihre Mitmenschen weitergaben, nicht identisch sind? Warum gibt es all diese Unterschiede?
Es wird immer klarer, dass die Botschaften zwar von Gott gesendet wurden, empfangen wurden sie aber von Menschen. Und wieder andere Menschen haben sie interpretiert.
Kurz gesagt: Die ursprüngliche Botschaft war unmissverständlich, doch das trifft nicht auf alle Boten zu. Vor allem, wenn jemand die Botschaft aus zweiter oder dritter Hand empfing. Mit anderen Worten, das, was der erste Bote unmittelbar gehört und mitgeteilt hatte, wurde von anderen ausgelegt und dabei verzerrt.
Das ist nicht der Fehler desjenigen, der sie interpretierte. Es spiegelt sich darin einfach die Fähigkeit all jener innerhalb einer Spezies, denen die Botschaft übermittelt wird, sie völlig zu verstehen, wenn sie zum ersten Mal präsentiert wird. Das wiederum hängt davon ab, wann im Verlauf der Evolution einer Spezies die Botschaft ursprünglich empfangen wurde.
Im Fall der Menschheit geschah das vor vielen Tausend Jahren. Seitdem hat unsere Spezies sich beträchtlich weiterentwickelt – und somit ist auch unsere Fähigkeit gewachsen, die ursprüngliche Botschaft zu verstehen.
Geben wir es also ruhig zu: Die ersten Interpretationen der Botschaft könnten nicht hundertprozentig korrekt gewesen sein und durchaus den einen oder anderen kleinen Fehler enthalten. Und genau darum geht es. Es soll keineswegs behauptet werden, die Religion hätte alles falsch gemacht. Aber die Informationen könnten unvollständig – und deshalb etwas ungenau sein.
Können wir das einfach zugeben?
Immerhin beginnen wir jetzt allmählich damit, es zuzugeben. Es hat lange gedauert, aber wir beginnen.
Beispiel: Am 22. April 2007 hob die katholische Kirche ihre Lehre von der Vorhölle auf.
Seit Jahrhunderten lehrte die Kirche, dass die Seelen der Kinder, die ungetauft sterben, in die Vorhölle, den sogenannten Limbus, kommen würden. Dort würden sie zwar ewig glücklich sein, aber die »Gottesschau« bliebe ihnen verwehrt. Mit anderen Worten, sie dürften nicht in der Gesellschaft Gottes im Paradies sein.
Dann, im Jahr 2007, veröffentlichte die päpstliche Internationale Theologiekommission ein Dokument mit dem Titel »Die Hoffnung auf Rettung für ungetauft sterbende Kinder«. In diesem von Papst Benedikt XVI. autorisierten Dokument erklärte die Kommission, dass die jahrhundertealte Auslegung der ursprünglichen Botschaft, wonach ungetauft verstorbene Kinder nicht in den Himmel kommen, möglicherweise unzutreffend ist.
Die katholische Kirche gelangte, in den Worten der Kommission, zu dem Schluss, »dass es theologische Grundlagen und ernst zu nehmende Liturgien gibt, die hoffen lassen, dass ungetaufte Säuglinge erlöst werden, wenn sie sterben«.
Dann wurde in dem Dokument ein erstaunliches und enorm wichtiges Eingeständnis gemacht:
»Wir betonen, dass es sich eher um Gründe für betende Hoffnung als um Gründe für sicheres Wissen handelt. Es gibt vieles, was uns einfach nicht offenbart worden ist.«
(Hervorhebung durch mich.)
Dieser bemerkenswerte Satz besagt, dass die erhabene und heilige römisch-katholische Kirche öffentlich zugibt, wenn auch erst im einundzwanzigsten Jahrhundert, also reichlich spät, dass bisher nicht alles über Gott offenbart wurde. Woraus man wohl folgern kann, dass es mehr zu offenbaren gibt.
Dass die katholische Kirche das zugibt, ist keine Kleinigkeit!
Beispiel: Im Jahr 1978 hob die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (auch Kirche Jesu Christi HLT oder Mormonen genannt) ihr Verbot auf, farbige Männer als Priester zuzulassen.
Seit der Kirchengründung im Jahr 1849 wurde dieses Verbot mit der mormonischen Bibelauslegung begründet, wonach auf Farbigen der sogenannte »Fluch Hams« laste. Deshalb schloss man Farbige nicht nur vom Priesteramt aus, sondern farbige Frauen und Männer durften überhaupt nicht an Zeremonien in den HLT-Tempeln teilnehmen.
Farbige durften also keine Mormonentempel betreten – und dennoch hielt man diese Tempel für heilige Häuser Gottes! Die Bibelstelle, auf der dieses Verbot beruhte, findet sich im Buch Genesis. Es geht darin um Noachs (Noahs) Trunkenheit und das beschämende Verhalten seines Sohnes Ham, des Vaters Kanaans.
Im englischen Wikipedia-Artikel zu diesem Thema heißt es: »Über die Natur der von Ham begangenen Sünde und die Frage, warum Noach Kanaan verfluchte, obwohl doch nur Ham gesündigt hatte, wird seit zweitausend Jahren diskutiert. Der ursprüngliche Zweck der Geschichte bestand darin, die Unterwerfung der Kanaaniter unter die Israeliten zu rechtfertigen, doch in späteren Jahrhunderten interpretierten manche Juden, Christen und Muslime Noachs Fluch als eine Verfluchung der schwarzen Hautfarbe und eine Erklärung für ihren Ursprung sowie als Rechtfertigung für die Sklaverei.«
Wie dem auch sei, 1978 erklärte die Erste Präsidentschaft der Kirche und der Rat der Zwölf, unter Vorsitz von Spencer W. Kimball, sie hätten eine Offenbarung empfangen, in der sie aufgefordert wurden, den Ausschluss Farbiger aufzugeben.
Die sogenannte »Amtliche Erklärung Nr. 2«, mit der das Verbot, Schwarze für das Priesteramt zuzulassen, aufgehoben wurde, beruhte, wie die Kirche nachdrücklich erklärte, auf einer Offenbarung Gottes.
Dieser bemerkenswerte Satz besagt, dass die erhabene Kirche der Heiligen der Letzten Tage öffentlich zugab, wenn auch erst im späten zwanzigsten Jahrhundert, dass nicht alles über Gott bereits offenbart wurde – und dass auch heutzutage von normalen Menschen Offenbarungen empfangen werden.
Warten Sie einen Moment. Wir sollten darüber nicht so einfach hinweggehen.
Da wurde von einer großen, weltweit verbreiteten Kirche eine göttliche Offenbarung im Jahr 1978 offiziell bestätigt?
Ja.
Und erst 2007 wurde von der weltgrößten Kirche die weitreichende Änderung einer alten Doktrin angeordnet?
Ja.
Demnach haben also Offenbarungen Gottes nicht nur in grauer Vorzeit stattgefunden.
Das bringt uns zu einer interessanten Frage. Ist es möglich, dass Menschen heute göttliche Offenbarungen empfangen?
Ja.
Aber sind solche Offenbarungen auf Kirchenpräsidenten und Päpste beschränkt? Haben nur ganz wenige Menschen göttliche Offenbarungen empfangen?
Nein.
Jetzt kommt das große Was wäre,...