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E-Book

Gottfried Wilhelm Leibniz

AutorGerd van den Heuvel, Reinhard Finster
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl152 Seiten
ISBN9783644575424
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,99 EUR
Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) war der letzte Universalgelehrte, der diesen Namen verdient. Als Mathematiker und Physiker, als Historiker und Sprachwissenschaftler stand er an der Spitze der Wissenschaften seiner Zeit. Die vorliegende Monographie gibt einen Überblick zu Leben und Werk dieses großen Denkers, dem die Verbindung von Theorie und Praxis, die Anwendung der Wissenschaft zum Nutzen aller Menschen oberste Maxime war. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Reinhard Finster, geb. 1955. Studium der Philosophie, Germanistik und Politischen Wissenschaften an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken und an der Universität Trier. 1981-1982 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Trier. 1984 Forschungsaufenthalt an der University of Toronto. 1985 Promotion an der Universität Trier; 1985 -1992 wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Leibniz-Archiv der Niedersächsischen Landesbibliothek, Hannover.Publikationen zur Leibnizschen Philosophie und ihrer Wirkung sowie zur Philosophie der deutschen Aufklärung, Mitherausgeber der Philosophischen Hauptwerke von Christian August Crusius (Hildesheim/New York 1987) und des 'Leibniz-Lexicons' (Hildesheim/New York 1988).

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Leseprobe

Im Dienste des Hauses Hannover
(1676–1698)


So berühmt und geschätzt Leibniz schon zu Lebzeiten war, so wenig erfahren wir von den Zeitgenossen über Persönlichkeit und Charakter des Universalgelehrten. Die meisten Aussagen dazu gehen auf Leibniz selbst zurück, der sich zu Beginn seiner hannoverschen Tätigkeit so sieht: Er ist hagerer mittelmäßiger Statur, hat ein blasses Gesicht, sehr oft kalte Hände, Füße, die wie die Finger seiner Hände nach Verhältniß der übrigen Theile seines Körpers zu lang und zu dünn sind, und keine Anlage zum Schweiß. Er hat bräunliches Haar auf dem Haupte, am Leibe ist er nur sparsam damit versehen. Er hatte von Kindheit an kein scharfes Gesicht, seine Stimme ist schwach und mehr fein und hell als stark … Er hat schwache Lungen, eine trockene und hitzige Leber und Hände, die mit unzähligen Linien durchkreuzt sind. Er liebt das Süße z.B. den Zucker, womit er auch den Wein zu vermischen pflegt … Sein nächtlicher Schlaf ist ununterbrochen, weil er spät zu Bette geht und das Nachtsitzen dem Arbeiten am frühen Morgen bei weitem vorzieht. Schon seit seinem Knaben-Alter führte er eine sitzende Lebensart und machte sich wenig Bewegung … Sein Hang zur Gesellschaft ist schwächer als derjenige, welcher ihn zum einsamen Nachdenken und zur Lectüre treibt. Befindet er sich aber in einer Gesellschaft, so weiß er sie ziemlich angenehm zu unterhalten, findet aber seine Rechnung mehr bei scherzhaften und heiteren Gesprächen als bei Spiel oder Zeitvertreiben, welche mit körperlicher Bewegung verbunden sind. Er geräth zwar leicht in Hitze, sein Zorn ist aufbrausend, geht aber schnell vorüber. Man wird ihn nie weder ausschweifend fröhlich, noch traurig sehen. Schmerz und Freude empfindet er nur mäßig. Das Lachen verändert häufiger seine Mine, als es seine innern Theile erschüttert.[10]

Die Stadt, in der Leibniz nun eine Anstellung fand, hatte kaum 10000 Einwohner und war erst 40 Jahre zuvor nach den welfischen Erbteilungen 1636 von den Herzogen von Braunschweig-Lüneburg calenbergischer Linie zur Residenz gewählt worden. Sie vermittelte noch wenig vom Glanz barocker Pracht, die nach 1680 mit dem Ausbau der Oper und der Errichtung der Sommerresidenz Herrenhausen im Rahmen der Möglichkeiten eines mittelgroßen absolutistisch regierten Staates zur Geltung kommen sollte. Leibniz trat in den Dienst eines Fürsten, der, Kunst und Wissenschaft gegenüber aufgeschlossen, aus persönlicher Frömmigkeit zum Katholizismus übergetreten war, die in großer Mehrheit protestantische Bevölkerung seines Landes in Glaubensfragen aber unbehelligt ließ. Johann Friedrich prägte damit eine Atmosphäre der Toleranz und gegenseitigen Verständnisses, die sich mit dem Leibniz’schen Grundsatz deckte, dass jede Lehre einen Kern der Wahrheit enthalte und es darauf ankomme, aus allen Theorien und Meinungen das Richtige zu nehmen und in Harmonie zu verbinden. Das galt sowohl für Fragen der Wissenschaft wie für religiöse Anschauungen, die Leibniz in Hannover vor allem zusammen mit dem Loccumer Abt Gerhard Wolter Molanus in den Reunionsgesprächen mit der katholischen Kirche wie in den Unionsbemühungen von Calvinisten und Lutheranern auszugleichen suchte.

Leibniz wohnte zunächst im herzoglichen Schloss an der Leine in den Räumen der Bibliothek, die er in den nächsten Jahren systematisch erweiterte. Als Hofrat war er in die Arbeit der obersten Justizbehörde des Landes eingebunden, doch brachte der Herzog genug Verständnis auf, wenn Leibniz sich anderen Aufgaben widmete. Tatsächlich, so schreibt er 1678, möchte ich nicht verurteilt sein, einzig und allein die Sisyphusarbeit der Gerichtsgeschäfte wie einen Felsblock zu wälzen.[11] Ihm blieb genügend Zeit für das philosophische Gespräch, für seine weiter wachsende Korrespondenz und für die Lösung mathematischer und naturwissenschaftlicher Probleme.

Seine juristische Kompetenz machte sich der Herzog, um Rangerhöhung und Ansehen seines Landes im Konzert der europäischen Mächte bemüht, vor allem in politischen und staatsrechtlichen Grundsatzfragen zunutze. Leibniz’ wichtigste Denkschrift auf diesem Gebiet unter Johann Friedrich, mit der er unter dem Pseudonym Caesarinus Fürstenerius das Gesandtschaftsrecht des Hauses Hannover auf dem Friedenskongress von Nimwegen 1679 gegen den kaiserlichen und kurfürstlichen Alleinvertretungsanspruch begründen wollte, löste mit der These von der doppelten, in Harmonie einander ergänzenden Souveränität von Kaiser und Reichsfürsten auch an den Universitäten erhebliche Diskussionen aus. Das aufgrund seiner verworrenen Herrschafts- und Rechtsverhältnisse von dem Staatsrechtler Samuel Pufendorf als «einem Monstrum ähnlich» apostrophierte Deutsche Reich besaß in den Augen von Leibniz durchaus die Voraussetzungen, föderale Strukturen und Reichsidee zum beiderseitigen Nutzen von Kaiser und Territorien zu erneuern.

Rastlos entwickelte Leibniz Pläne zur Reform der Staatsverwaltung, zur Verbesserung von Ackerbau und Manufakturwesen, zur Prüfung und Anwendung technischer Neuerungen – Vorschläge, mit denen er stets auch eine Aufwertung seiner eigenen Stellung in der Hierarchie der Hofgesellschaft anstrebte. Nacheinander brachte er sich mit Denkschriften als Direktor des Archivwesens, als Verwalter des säkularisierten Klosterguts oder als technischer Direktor des Harzer Bergbaus ins Gespräch, ohne dass allerdings dieses Feuerwerk von Projekten, die damit verbunden waren, große Beachtung fand. Einzig die Vorschläge zur Entwässerung der Harzer Bergwerke mittels Windkraft führten 1679 zwischen dem Herzog, dem Bergamt und Leibniz zu einem Vertrag, durch den Leibniz, mit Gewinn und Verlust an diesem Unternehmen beteiligt, Gelegenheit gegeben wurde, seine technischen Neuerungen in der Praxis zu erproben. Leibniz verband damit die Hoffnung, sich Geldquellen für seine weitgesteckten Ziele der Wissenschaftsförderung und -anwendung zu erschließen.

Während einer Reise erreichte Leibniz Anfang Januar 1680 die Nachricht vom plötzlichen Tod seines Landesherrn. Für einen Moment erschien die Zukunft ungewiss, denn Amt und gegenseitige Treuepflicht waren im Verständnis der Zeit an die Person des jeweiligen Herrschers gebunden. Es ist kein Zufall, dass Leibniz in dieser Zeit der Ungewissheit damit beginnt, sich intensiv mit der Geschichte des Welfenhauses zu beschäftigen, wohl in der Absicht, auch auf dem Gebiet der Historiographie dem Haus Braunschweig-Lüneburg seine Dienste anbieten zu können. Im Februar suchte Leibniz den Nachfolger Johann Friedrichs, dessen Bruder Ernst August auf, der als protestantischer Fürstbischof zu dieser Zeit noch in Osnabrück residierte und Leibniz in seinen Ämtern bestätigte. Von den sporadischen Aufgaben in der Justizverwaltung weitgehend entbunden, wird Leibniz’ juristischer, politischer und historischer Sachverstand vom neuen Herrscher vor allem eingesetzt, um Erbansprüche, Standeserhöhungen und Glorie des fürstlichen Hauses in Denkschriften und Gutachten, Gedenkmünzen und geistreichen Glückwunschgedichten zu fürstlichen Hochzeiten zu untermauern. Für die wissenschaftlichen Projekte seines Hofrats hat der machtbewusste und repräsentationsfreudige Alleinherrscher wenig Verständnis. Der großzügige Etat, der Leibniz als Bibliothekar unter Johann Friedrich zur Verfügung stand, wird von ehemals 1500 Reichstalern pro Jahr auf weniger als 100 Taler zusammengestrichen, die Bibliothek selbst ist wegen Umbauarbeiten im Schloss für Jahre nicht benutzbar.

Rückhalt, fördernde Anteilnahme und Protektion fand Leibniz jedoch bei der Gemahlin des Herzogs, Sophie von der Pfalz, die er bereits 1679 in Herford kennengelernt hatte. Die Tochter des Winterkönigs Friedrich V. von der Pfalz und Enkelin Jakobs I. von England, deren Erbansprüche das Haus Hannover 1714 auf den englischen Thron bringen sollten, war eine ebenso geistreiche wie vielseitig interessierte Gesprächs- und Briefpartnerin, die dem Universalgelehrten Wohlwollen und freundschaftliche Verbundenheit jenseits ständischer Schranken und höfischer Etikette bis an ihr Lebensende bewahrte.

Leibniz scheint sich nur schwer mit den neuen, seinen vielfältigen Interessen und Projekten hinderlichen Bedingungen abgefunden zu haben, zumal auch die Windkraftversuche im Harzer Bergbau, die er Jahr für Jahr über viele Monate selbst leitete, nicht die erwünschten Erfolge zeitigten und schließlich wegen technischer Schwierigkeiten und den Widerständen des traditionsverhafteten Bergamts 1685 auf Geheiß des Herzogs eingestellt werden mussten. Jedenfalls streckte er schon im Juli 1680 heimlich seine Fühler nach Wien aus in der Hoffnung, den Einfluss als politischer Berater mit der Reputation des Universalgelehrten nun auf höherer Ebene zum allgemeinen und eigenen Nutzen miteinander zu verbinden. Wenn mich aber der Kaiser, so schreibt er an Johann Lincker, einen Bekannten aus Mainzer Tagen, in den Kreis seiner Hofräte aufnähme und damit das Amt und die Einkünfte eines Bibliothekars verbände, wie es auch unser Herzog Johann Friedrich hier getan hat, hätte ich Gelegenheit zur Entfaltung meiner Tatkraft.[12]

Der Misserfolg bei solchen Bewerbungen wie auch Rückschläge bei seinen zahlreichen Projekten zur Wissenschaftsorganisation, die sich in den folgenden Jahren noch des Öfteren einstellen werden, entmutigten Leibniz keineswegs, sondern spornten ihn nur umso mehr an, auf allen Gebieten weiterzuarbeiten, nach dem Grundsatz, wie er später einmal an die Kurfürstin Sophie schreibt, für das öffentliche Wohl zu arbeiten, ohne mich zu sorgen, ob es mir jemand dankt. Ich glaube, daß man damit Gott nachahmt, der sich um das Wohl des Universums sorgt,...

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