— VORSPANN
Wie gespiegelt:
Die beiden Leben der Grace Kelly
Grace ist ein schneebedeckter Berg, und wenn der Schnee
schmilzt, entdeckt man darunter einen glühenden Vulkan.
— Alfred Hitchcock4
Das Letzte, was sie gesehen haben mag: der Blick aus dem Auto auf das Fürstentum Monaco. Auf ihr Fürstentum. Auf das azurblaue Meer. Auf dieses gleißend helle Licht.
Dann muss es schlagartig dunkel um sie herum geworden sein.
Es ist der Morgen des 13. September 1982, kurz nach 9.30 Uhr. Es ist ein Montag, ein herrlicher Spätsommertag an der französischen Riviera. Die Sonne strahlt. Eine neue Woche beginnt.
Der Lastwagenfahrer Yves Raimondo5, der hinter dem braunen Rover 3500 die schmale Serpentinenstraße entlangfährt, von La Turbie hoch oben im französischen Hintergebirge hinunter nach Monaco, bemerkt irgendwann, dass die Bremslichter des Wagens vor ihm nicht zu erkennen sind. Bei dieser Geschwindigkeit, bei diesem Gefälle – die roten Bremslichter müssten längst aufleuchten. Plötzlich gerät der Wagen stark ins Schleudern und schrammt nahezu die Felswand, Raimondo, der all dies sieht, hupt daraufhin heftig. Der Wagen fängt sich wieder, vorerst. Es geht weiter stark bergab, und die nächste scharfe Haarnadelkurve ist bereits zu sehen. Noch immer keine Anzeichen, dass der Rover 3500 seine Fahrt verlangsamt und abbremst. Dann muss Yves Raimondo mitansehen, wie der Rover mit voller Fahrt ungebremst über die Kurve hinausrast. Der Wagen stürzt über die Klippe, den steilen Abhang vierzig Meter hinunter und bleibt zwischen Bäumen und Hecken liegen. Ein Blechhaufen, ein Wrack. In diesem braunen Rover befindet sich Grace Kelly.
Mit im Wagen sitzt ihre siebzehnjährige Tochter, Prinzessin Stéphanie, die den Sturz in die Tiefe überlebt, auf der linken Seite aus dem Wagen herauskriecht und herbeieilende Anwohner bittet, Hilfe zu holen: Maman, ihre Mutter, liege im Wagen. Maman – das ist die Fürstin von Monaco.
Erste Autos halten oben an, Menschen laufen umher. Zwei von einem Bauern gerufene Rettungswagen erreichen die Unfallstelle. Grace Kelly liegt quer im Wageninneren, mit dem Kopf nach hinten, den Beinen nach vorne, ein Bein wirkt seltsam verdreht. Ihre Augen sind glasig, sie reagiert nicht, ist offenbar nicht bei Bewusstsein. Auf ihrer Stirn hat sie eine klaffende Wunde. Sie muss von den Rettungsleuten durch das Heck herausgezogen werden und wird daraufhin sofort in einem der beiden Rettungswagen in das nach ihr benannte Krankenhaus, das »Hôpital Princesse Grace«, transportiert. In dem anderen Rettungswagen liegt ihre Tochter. Im Krankenhaus wird Grace Kelly untersucht und schließlich einer vierstündigen Notoperation unterzogen. Es muss zudem dringend eine Computertomographie ihres Kopfes gemacht werden. Der einzige Tomograph innerhalb des Fürstentums befindet sich jedoch nicht in dem hoch oben am Berghang gelegenen Krankenhaus, sondern in der Praxis des Arztes Dr. Mourou, im »Winter Palace« am zentralen Boulevard des Moulins 4, am anderen Ende des Landstriches. So wird die Schwerverletzte dorthin transportiert, und, da die Tragebahre nicht in den engen Aufzug passt, wo man sie hätte senkrecht aufstellen müssen, über das Treppenhaus hoch in das zweite Stockwerk getragen. Kostbare Zeit, die verstreicht. Am Ende werden es geschlagene dreizehn Stunden sein, seit der Unfall passiert ist.
Die Nacht vom 13. auf den 14. September wird eine Nacht der Ungewissheit werden, eine Nacht des Bangens und des Hoffens eines Ehemannes, Fürst Rainier III., und seiner zwei Kinder, Sohn Albert und Tochter Caroline. Das dritte und jüngste, Tochter Stéphanie, weiß von alledem noch nichts, da sie selbst mit schweren Wirbelverletzungen und einer Gehirnerschütterung im Krankenhaus liegt und Rainier sie dem Schock nicht aussetzen will. Sie wird erst Tage später vom ganzen Ausmaß der Tragödie erfahren, wird erst nach der Beerdigung, in Begleitung der Familie in die Kathedrale St. Nicholas geführt, an die Grabplatte der Mutter.
Anderntags – noch immer wissen weder die Monegassen noch die Weltöffentlichkeit genau, was mit ihrer Fürstin geschehen ist –, teilen die Ärzte Fürst Rainier mit, wie es wirklich um seine Frau steht. Sie war tags zuvor operiert worden. Ihr Brustkasten war geöffnet worden, ebenso ihre Bauchdecke. Die Blutungen im Kopf waren sehr stark. Die Hirnschäden sind anhaltend und schwer. Sie liegt im Koma, aus dem sie nicht mehr aufwachen wird. Seit sechs Uhr morgens ist sie praktisch klinisch tot. Es besteht keinerlei Hoffnung mehr.
Die Familie kommt, um Abschied zu nehmen. Nachdem sich Sohn Albert und Tochter Caroline von ihrer Mutter verabschiedet haben, bleibt Rainier allein bei seiner Frau zurück. Sie haben sechsundzwanzig gemeinsame Jahre hinter sich. Am Mittag schließlich erteilt Rainier den Ärzten die Erlaubnis, die Geräte abzustellen, die seine Frau bisher künstlich am Leben hielten. Es ist eine schwere Entscheidung in einer einsamen Stunde.
Am 14. September 1982 um 22.35 Uhr stirbt die Schauspielerin Grace Kelly, die Fürstin von Monaco, Gracia Patricia, viel zu jung, im Alter von nur zweiundfünfzig Jahren.
Nun erfährt es die Weltöffentlichkeit.
Eine Legende ist geboren.
Der offene Sarg von Gracia Patricia wird in der Schlosskapelle des auf dem Felsen gelegenen Fürstenpalastes von unzähligen Menschen aufgesucht, um einen letzten Blick auf sie werfen zu können. Um Abschied zu nehmen von ihrer Fürstin, ihrer Landesmutter. Abschied auch von der legendären Schauspiel- und Stilikone. Drei Tage wird sie dort aufgebahrt sein. Am 18. September wird der Sarg von der Schlosskapelle in einer Zeremonie mehrere hundert Meter hinüber zur Kathedrale Notre-Dame-Immaculée, Saint Nicholas, getragen, und in regelmäßigem Abstand ist eine Glocke zu hören, die jeweils nur einmal schlägt. Es ist ein Glockenschlag, der durch Mark und Bein geht und sich über den nur langsam vorankommenden Trauerzug legt.
Etwa einhundert Millionen Menschen sitzen weltweit vor den Fernsehbildschirmen – es ist ein in dieser Größenordnung nie dagewesenes mediales Massenereignis.
Unter den achthundert Trauergästen befinden sich Würdenträger aus aller Welt, langjährige Freunde und Teile ihrer Familie aus Philadelphia. Am 21. September schließlich wird Fürstin Gracia Patricia von Monaco im Chor in der Kathedrale beigesetzt. In jener Kathedrale, in der sich Grace Kelly und Fürst Rainier III. sechsundzwanzig Jahre zuvor am 19. April 1956 das Jawort gaben.
Die Monegassen stehen unter Schock, das kleine Fürstentum versinkt geradezu in Trauer. Eine globale Empathie setzt ein, eine phänomenale Welle der Trauer, vergleichbar etwa nur mit jener um John F. Kennedy im November 1963 oder jener um die im August 1997 in Paris bei einem tragischen Autounfall ums Leben gekommene Lady Diana. Und so wie Kennedy und Diana zu Ikonen der Moderne wurden, so wurden es ein James Dean und ein Elvis Presley, eine Marilyn Monroe und eine Romy Schneider. Oder, später, ein Michael Jackson, eine Amy Winehouse, eine Whitney Houston. Ihnen allen ist der allzu frühe Tod gemein. Ihre Legendenwerdung, ihre Ikonisierung ist allein schon dem Umstand geschuldet, nicht alt geworden zu sein, mitten im Leben gestanden zu haben, als es abrupt endete. Ihnen allen ist eine Singularität zu eigen, die sie ausmacht und abhebt von anderen ihrer Generation: Ihr Leben an sich ist ein Ausnahme-Phänomen. So wie das von Grace Kelly.
Für die Millionen anteilnehmenden Menschen ist Grace Kelly wie nur wenige andere »wie eine vollkommene Leinwand gewesen, auf die jeder seinen persönlichen Traum malen konnte«6, wie es einmal ihr langjähriger Freund Don Richardson formuliert.
Die Weltpresse überschlägt sich mit realen und vermeintlichen Neuigkeiten. Wie konnte die Fürstin durch einen schlichten Autounfall ums Leben kommen? Dieses scheinbar so banale, dunkle Ende scheint zu diesem scheinbar so glamourösen, hellen Leben nicht recht zu passen. Und dann musste sie just auf jener Serpentinenroute verunglücken, auf der sie einst, im Jahr 1954, mit gerade einmal vierundzwanzig Jahren, zusammen mit Cary Grant in Alfred Hitchcocks To Catch a Thief (Über den Dächern von Nizza, 1955) entlangfuhr, ebenfalls mit viel zu hoher Geschwindigkeit.
Erste Spekulationen und Gerüchte um den Tod Grace Kellys und die eigentliche Todesursache kommen auf. Gerüchte, die besagen, die noch nicht volljährige siebzehn Jahre junge Stéphanie habe am Steuer gesessen. Gerüchte, die Mutter und ihre aufmüpfige Tochter hätten, wie so oft in letzter Zeit, auch bei der Autofahrt heftigst miteinander gestritten. Gerüchte, Grace habe gar keinen Schlaganfall gehabt, wie es seitens des Fürstenpalastes offiziell hieß, sie sei vielmehr unglücklich gewesen und daher absichtlich über die Klippe der Haarnadelkurve gerast. Gerüchte sogar, ihr Tod sei durch politische Intrigen herbeigeführt worden. Vom hoch spekulativen Charakter all dieser Theorien einmal abgesehen, dürfte Prinzessin Stéphanie bis heute wohl der einzige Mensch sein, der mehr weiß.
Mit dem Tod von Grace Kelly wurde ein Mythos begründet – der Mythos um eine Frau, die mehrere Rollen innehatte und mehrere Leben gelebt hat. Um eine Frau, in deren Leben – das sich in zwei Hälften aufteilt, die beide genau sechsundzwanzigeinhalb Jahre ausmachen – die unfreiwillige Diskrepanz zwischen Schein und Sein stets groß war. Unter dieser Diskrepanz, die nicht zuletzt auch aus ihrer inneren Zerrissenheit, ihrem ausgeprägten Dualismus herrührt, litt sie selbst am meisten.
Sie selbst trat für das authentische Sein...