„Das Kind ist das Teuerste,
was eine Nation hat.“
(Brecht 1980, S. 65)
Aus dem Wandel der Familien ergeben sich unterschiedliche sozialpolitische, gesellschaftliche und gesetzliche Handlungsansätze. Alle zu bearbeiten würde den Rahmen der Arbeit sprengen. An dieser Stelle möchte ich den Personen-kreis der Akteure insoweit eingrenzen, dass ich meine Untersuchungen auf Familien mit Kindern und Alleinerziehende, im Besonderen mit kleinen Kindern bis drei Jahre, beschränke.
Im folgenden Kapitel wende ich mich der Personengruppe, den Konsequenzen, die sich aus dem familiären Wandel für sie ergeben, und den dazugehörigen gesetzlichen Rahmenbedingungen zu.
Ein Kind ist ein gezeugter und geborener Mensch, der mit der Vollendung der Geburt die Rechtsfähigkeit des Menschen nach § 1 BGB[7] erhält und damit auch alle Grundrechte des Grundgesetzes. Die Rechte der Kinder sind in der Bundesrepublik Deutschland durch das weltweite UN-Übereinkommen der
Kinderrechtskonvention, im Grundgesetz durch das „so genannte staatliche Wächteramt gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG[8]“ (Borsche 2001, S. 950) sowie im SGB VIII[9]
konstitutionell festgeschrieben. Laut § 7 SGB VIII ist die Begriffsbestimmung im
Absatz 1 wie folgt geregelt: „Kind, wer noch nicht 14 Jahre alt ist(…)“.
Weitere Differenzierungen in den Rechtsvorschriften regeln beispielsweise Schulpflicht, Geschäftsfähigkeit, Aufenthaltsbestimmung und andere wichtige
Angelegenheiten. Indirekt ist auch im Artikel 6 GG ein Grundrecht der Kinder auf Pflege und Erziehung in der Familie geregelt.
Gesetzliche Grundlagen, die für die Kindertagesbetreuung relevant sind, beschreibe ich im nachfolgenden Kapitel. Weitere Definitionen für die Unterscheidung von Phasen innerhalb der Kindheit, zur Bestimmung der Alters-gruppen finden sich in Bereichen der Medizin, Psychologie und Pädagogik.
In der sozialen Pädiatrie wird die Zeit von der Geburt bis zum 12. Lebensmonat
als Säuglingsalter bezeichnet, die Zeit vom Ende des Säuglingsalters bis zur
Schulzeit wird als Kleinkindesalter in zwei Perioden, dem Kriech- und Kinder-gartenalter, unterschieden (vgl. Wiskott 1977, S. 4.14).
Die Psychologie benennt die Zeit zwischen der Geburt und dem Beginn der Geschlechtsreife als Kindheit. Dabei wird zwischen Neugeborenem bis zum zehnten Lebenstag, Säugling bis etwa 1,5 Jahre, Kleinkind zwischen zwei bis sechs Jahren und Schulkind im Alter von sieben bis vierzehn Jahren differenziert (vgl. Brockhaus 2001, S. 292). Die Kindheit wird in der Pädagogik in fünf Stufen, von der
Geburt bis zur Geschlechtsreife, angeordnet: Beginnend mit Säuglingsalter, Kleinkindalter, Kindergartenalter, frühes Schulalter und mittleres Schulalter.
Bei der Differenzierung sind primär individuelle Bildungs- und Entwicklungsphasen bezeichnet, die genauen Altersangaben sind zweitrangig (vgl. Horney u. a. 1970, S. 58 f.).
Für die vorliegende Arbeit möchte ich mich bei der Bezeichnung der Altersstufen an der Differenzierung aus dem Fachgebiet der Pädagogik orientieren: a) Säugling – Kind im 1. Lebensjahr, b) Kleinkind – Kind im 2. und 3. Lebensjahr und c) Kindergartenkind – Kind im 4. bis 7. Lebensjahr.
Dabei ist im Besonderen die Stufe des Kleinkindes für die Arbeit relevant.
Die Lebenswelt der Kleinkinder verändert sich mit dem Wandel der Familie, das Ergebnis der steigenden Häufigkeit von Berufstätigkeit der Mütter, der Anstieg der Zahl der Alleinerziehenden, begleitet durch finanzielle Not, und der Abbau innerfamiliärer Hilfe wirken sich auf den Wunsch nach und den Bedarf an öffentlicher Kleinkinderbetreuung aus.
Laut der amtlichen Statistik liegt die Platz-Kind-Relation, institutionelle Angebote und Tagespflege, bundesweit bei 13,7 %, hat sich vom Jahr 2002 zum Jahr 2005 um 25 % verdichtet (vgl. BMFSFJ (c) 2006, S. 6) und soll nachhaltig weiter ausgebaut werden.
Weitere Argumente für die frühe institutionelle Betreuung von Kleinkindern sollen Studien wie z. B. die PISA-[10] oder die IGLU-[11]Studie liefern, die den Bildungsstand und die Problematik im Bildungswesen dokumentieren (vgl. Schäfer 2005, S. 11).
Die Veröffentlichung der Studien bewirkt zudem ein steigendes Interesse der Eltern am Bildungsniveau ihrer Kinder (vgl. ebd., S. 12), damit rückt auch der Bildungsbegriff in den Vordergrund und die private Erziehung in die Öffentlichkeit.
Weitere Gründe für die Kleinkinderförderung liefern Gehirnforscher, die in den ersten Lebensjahren des Menschen die höchste Lernfähigkeit und Grundsteinlegung für weitere Lernprozesse sowie die besondere Bedeutung von Sozialkontakten, die sich positiv auf die kognitive Entwicklung auswirken, ansiedeln (vgl. Einsiedler 2005, S. 2). Des Weiteren spricht Einsiedler von einer permanenten historischen Überbewertung der mütterlichen Betreuung und befürwortet die zusätzliche Krippen- und Tagesmutterbetreuung, die überdies wichtige Entwicklungsimpulse geben kann (vgl. ebd., S. 8).
Eine weitere Bestätigung für die frühe institutionelle Betreuung liefern Belege über vernachlässigte Kleinkinder, deren Eltern ihrer Aufgabe und ihrer Pflicht für die Grundversorgung der Kinder nicht nachkommen (vgl. Engfer 2002, S. 801 f.).
Dagegen beschreibt Textor die Betreuungssituation der heutigen Kindheit bedingt durch den Ausbau der Angebote und die Dauer von Betreuung als kritisch überinstitutionell (vgl. Textor 1993, S. 8). Freiräume und unbeaufsichtigtes Spiel könnt in der heutigen Gesellschaftsstruktur nicht mehr stattfinden, Kinder müssten sich dem Alltag der Erwachsenen anpassen und verbrächten den größten Teil ihrer Zeit in Institutionen. Sie müssten sich in diesen „Sonderumwelten (…) mit verschiedenen Bezugspersonen, Normen, Regeln, Erwartungen und Anforderungen“ (ebd., S. 9) auseinandersetzen.
Forschungsarbeiten im Sinne einer wissenschaftlichen Längsschnitt- Untersuchung sind in der Bundesrepublik Deutschland defizitär, in Anbetracht des großflächigen Ausbaus der Betreuungsangebote für unter Dreijährige müssten „dringend Untersuchungen über die Konsequenzen einer sehr frühen Fremdbetreuung durchgeführt werden, wobei auch die Betreuungsdauer zu berücksichtigen wäre.“ (I[12]Textor, S. 5).
Qualitative Forschungsarbeiten dagegen belegen die Vorteile von Tagesbetreuung in den ersten Lebensjahren. Sofern die Tagesbetreuung eine hohe Qualität aufweist, beeinflusse sie positiv „die kognitive und soziale Entwicklung von Kindern.“ (I Wüstenberg, S. 1)
Im ersten Abschnitt habe ich davon gesprochen, dass Kinder Rechte haben;
die Grundlage bietet zum einen die KRK[13]. Die Organisation Vereinte Nationen, in der fast alle Staaten der Erde vertreten sind, hat sich 1989 auf dieses verbindliche Übereinkommen geeinigt. Inhaltliche Schwerpunkte der 54 Artikel umfassen Schutz, Förderung und Beteiligung von Kindern.
Als weitere Rechte auf internationaler und europäischer Ebene sind das Haager Minderjährigen-Schutzabkommen und das Europäische Schutzabkommen zu nennen. Eine Konvention des Europarates soll die europäischen Staaten bei der Umsetzung der KRK unterstützen.
Borsche fordert in seinem Aufsatz die Europäische Union dazu auf, die geplante Grundrechte-Charta zu verabschieden und somit einheitliche Regeln für Kinder und Jugendliche in Bezug auf Recht und Förderung für ganz Europa anzugleichen (vgl. Borche 2001, S. 952).
In der Bundesrepublik Deutschland werden neben den Grundrechten alle
Rechte, Leistungen und Förderungen für Kinder und Jugendliche bundeseinheitlich im SGB VIII (Sozialgesetzbuch, Achtes Buch, Kinder und Jugendhilfe) geregelt.
Das 1991 in Kraft getretene Gesetz mit 105 Paragrafen ist keine starre Institution, vielmehr ist das Gesetz ein sich ständig verändernder Prozess, der ausgebaut und novelliert wird.
1999 wurde der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz im § 24 SGB VIII eingeführt, 2005 wurde im Besonderen die Tagesbetreuung unter Dreijähriger durch das Tagesbetreuungsausbaugesetz und das Kinder- und Jugendhilfe-weiterentwicklungsgesetz geändert und...