Zum Geleit
»Wer sich aber wundern sollte, dass nach so vielen Geschichtsschreibern auch mir die Abfassung einer solchen Schrift in den Sinn kommen konnte, der lese zuvor alle Schriften jener anderen durch, mache sich darauf an die meinige und dann erst wundere er sich.«
Flavius Arrianos (95–180 n. Chr.)
Während des »langen 19. Jahrhunderts«[2] brachte die Dynastie der Habsburger eine ungewöhnlich große Anzahl von Familienmitgliedern hervor, deren Verhalten im In- und Ausland für beträchtliches Aufsehen sorgte. Der britische Staatsmann Winston Churchill, Enkel des 7. Herzogs von Malborough, mokierte sich einmal lautstark über die »idiotischen habsburgischen Erzherzoge«, womit er allerdings einer durchaus gängigen Einschätzung Ausdruck verlieh. Kaisertreue und monarchische Gesinnung konnten auch in Österreich nicht verhindern, dass die eingangs zitierte Einschätzung des Ministerpräsidenten Ernest von Koerber, wonach mit den »degenerierten« Habsburgern »nicht mehr viel anzufangen« sei, von vielen geteilt wurde. Die Tatsachen sprachen einfach für sich bzw. gegen einige Mitglieder dieser uralten Adelsfamilie, die Österreich seit Jahrhunderten – »aus der Tiefe der Zeiten her«[3] – regierte. Ein persönlicher Berater von Kaiser Franz Joseph schrieb in seinen unter dem Schutze der Anonymität publizierten Erinnerungen: »Es unterliegt keinem Zweifel, die Habsburger waren ein zu altes Geschlecht und es erging ihnen wie dem Weine, der, wenn er zu lange liegt und nicht sorgfältige, auffrischende Pflege findet, einfach Essig wird.«[4]
Aus dynastischen Erwägungen und primitivem Standesdünkel wurden von der Familie Habsburg seit Jahrhunderten wahre Orgien der Inzucht gefeiert, deren Ergebnisse sich in Schwachsinn, physischen Gebrechen, Charakterschwächen, intellektueller Impotenz und allerlei Geisteskrankheiten manifestierten. Bei manchen Prinzen und Prinzessinnen bewirkte diese fahrlässige Schwächung der Erbmasse lediglich einen vergleichsweise harmlosen Hang zur Extravaganz, bei anderen fielen die Folgen wesentlich dramatischer aus. Die mehrere Generationen fortdauernden Verwandtenehen zwischen der österreichischen und der spanischen Linie des Hauses schwächten die Dynastie nachhaltig und führten dazu, dass den Habsburgern ab dem 16. Jahrhundert schlicht und einfach die Ahnen abhanden kamen. Wer aber nun der Meinung anhängt, wonach die Jahrhunderte unter Umständen auch ein Fürstengeschlecht wie die Habsburger klüger machen könnten, unterliegt einem folgenschweren Irrtum. Ein aus dem Jahre 1839 stammendes »Familienstatut«, das wohlweislich vor der Öffentlichkeit geheim gehalten wurde, normierte, dass kein Familienmitglied ohne die Erlaubnis des Kaisers heiraten durfte. Dabei war die Auswahl ohnehin beschränkt, da sich ein Habsburger nur »standesgemäß« verehelichen durfte, womit ausschließlich Mitglieder jener Familien infrage kamen, die bis zurück zu den Urgroßeltern aus einem regierenden Haus entstammen mussten. Die Konsequenz dieser lächerlichen und aberwitzigen Selektion, dieser gemeingefährlichen Inzuchtgarantie, war, dass auch und insbesondere im 19. Jahrhundert zahlreiche Habsburger geistig und physisch schwerst beeinträchtigt waren. Der geistesschwache und zudem an Epilepsie erkrankte Kaiser Ferdinand I. – nach den Worten seiner Schwägerin Sophie »ein Trottel als Repräsentant der Krone«, nach jenen des Briten Lord Palmerston »eine vollkommene Null, beinahe ein Idiot« – gilt als eines der traurigsten Beispiele.
Die katholische Kirche verbot zwar die Eheschließung unter Blutsverwandten, doch wenn es sich um eine fürstliche Verbindung handelte, wurde die Ausnahme zur Regel erhoben und automatisch die Dispens erteilt. Es ist kein einziger Fall bekannt, dass die Kirche ihre Zustimmung zu einer solchen Heirat verweigert hätte. Vor allem zwischen den erzkatholischen Familien der Habsburger und der Wittelsbacher war es immer wieder zu politisch motivierten Ehen gekommen. Der bayerische König Maximilian Joseph verheiratete seine Tochter Karoline Auguste an den österreichischen Kaiser Franz I., dessen äußerst beschränkter Sohn Erzherzog Franz Karl, Kaiser Ferdinands Bruder, die bayerische Prinzessin Sophie ehelichte, eine Stiefschwester von Karoline Auguste, die nun auch die Schwiegermutter der jungen Braut wurde.
Der älteste Sohn dieses wahrlich nicht viel versprechenden Paares bestieg im Jahre 1848 als Franz Joseph I. den Thron. 1854 heiratete er seine Cousine Elisabeth, genannt Sisi, die zweitälteste Tochter seiner Tante Ludovika. Die Gräfin Larisch-Wallersee, eine »unstandesgemäße« Tochter von Sisis Bruder Ludwig und der Schauspielerin Henriette Mendel, die nach dem Tod des psychisch und physisch schwer angeschlagenen Kronprinzen Rudolf am Wiener Hof in Ungnade gefallen war, schrieb über diese beiden Dynastien: »Die Mitglieder des königlichen und herzoglichen Hauses Wittelsbach sind, alles in allem genommen, sicherlich interessanter und geistvoller als die Habsburger. Wohl arten auch die Sonderlichkeiten der Bayern bisweilen in Wahnsinn aus, doch ist der Unterschied zwischen den beiden Familien der, dass bei den Habsburgern der Irrsinn sich meistens in Unmoral, Selbsterniedrigung und gemeinen Ehen äußert, während er den Wittelsbacher in einen romantischen Dulder verwandelt, der in Welten hoch über allen Banalitäten des Lebens schwebt. Durch die königliche Familie haben sich immer Spuren von Wahnsinn gezogen, Sonderlinge hat es immer in der herzoglichen Linie gegeben. Aber keiner von uns hat jemals die grausigen Schandtaten der Habsburger verübt.«[5]
Die erstmals 1913 erschienenen Memoiren der Gräfin Larisch, deren 23-jähriger Sohn Hans Georg sich im Jahre 1909 erschoss, nachdem er in einem Buch über die Rolle seiner Mutter im Mayerling-Drama erfahren hatte, sind, wenn es sich um historische Details handelt, mit Vorsicht zu genießen, Enttäuschung und Antipathie schimmern wie ein Wasserzeichen durch ihre Erinnerungen. Wenn sich die Gräfin in der zitierten Passage über die »grausigen Schandtaten der Habsburger« ereifert, drängt sich ein Satz des Teiresias aus Hölderlins Nachdichtung der »Antigone« auf, der lautet: »Welche Kraft ist das, zu töten Tote?«
Das vorliegende Buch ist gewiss kein Beitrag zur Entmumifizierung einiger Mitglieder des Hauses Habsburg-Lothringen, kein Rückfall in den »Habsburger-Kannibalismus« vergangener Jahrzehnte, die Feder wurde nicht in Jauche getaucht, in Weihrauch freilich schon gar nicht. Der byzantinische Stil mancher Autoren ist ebenso abzulehnen wie jener der pauschalen Aburteilung. Arthur Schopenhauer sagte einmal, dass der »natürliche Stil der Geschichtsschreibung der ironische« sei. Es ist somit die Ironie, die auf den nächsten Seiten Regie führt, nicht die Polemik. Das Buch steht unter dem Motto der Entsakralisierung und Entmythifizierung, der Enttabuisierung und Entzauberung, der Relativierung und Zurechtrückung. Ich schreibe über aristokratische Arroganz, über Anmaßungen und Zumutungen, über Standesdünkel, fanatisches Gottesgnadentum und die Obsession der Auserwähltheit, über den Wahnsinn dynastischer Inzucht und den Wahnsinn als deren katastrophale Folge, ich schreibe über kleine Schwächen und große Laster, über erzwungene Ehen und außereheliche Affären, über Bigotterie und unerträgliche Doppelmoral.
Ab und dann, wenn auch nur selten, umlichterte gleich einem bengalischen Flammenstreifen sogar ein Anflug von geistiger Größe die Familiengeschichte der Habsburger, was in der franziskojosephinischen Ära jedoch als eine Art genealogischer Betriebsunfall bewertet wurde. Von den unkonventionellen Denkern, den Reformern und Rebellen wollte der Kaiser nichts wissen. Über permanenten Ehebruch und Ausschweifungen aller Art sah er hingegen großzügig hinweg, solange das durchlauchtigste Treiben im Verborgenen stattfand und die Öffentlichkeit keinen Wind davon bekam. Wenn ein Erzherzog allerdings aufbegehrte oder sich gar anschickte, sich den Wünschen der Majestät zu widersetzen, reagierte Franz Joseph mit stählerner Faust. Gegenüber den Mitgliedern seines »Hauses«, um 1864 zählte man 66 Erzherzoge und Erzherzoginnen, war er geradezu unerbittlich. Das vom Fürsten Metternich erdachte »Familienstatut« eröffnete dem Kaiser als Familienoberhaupt umfangreiche »hausrechtliche« Möglichkeiten. Diese grotesken »Hausgesetze«, die ursprünglich die Position des schwachen Kaisers Ferdinand stärken sollten, sicherten ihm volle Souveränität und Gerichtsbarkeit über jeden Habsburger zu. Verfehlungen der hohen Herren wurden demnach nicht von einem staatlichen Gericht, sondern vom Kaiser bzw. dem Obersthofmarschallamt sanktioniert. Zudem stand ihm das »Recht einer besonderen Aufsicht« zu, welches sich »insbesondere auf Vormundschaften, Kurateln und Verehelichungen, überhaupt aber...