Zur Freiheit verurteilt. Zu den Voraussetzungen der praktischenWissenschaft im 13. und 14. Jahrhundert (S. 125)
Die Problemlage
Um sich selbst zu begreifen, hat der Mensch sich vor allem als ein handelndes Wesen zu begreifen. Ein handelndes Wesen im engeren Sinne ist der Mensch aber nur insofern, als ihm seine Handlungen in einem signifikanten Sinne zugerechnet werden können. Handlungen in diesem engeren Sinne scheinen dann vorzuliegen, wenn diese mit Absicht und nicht aufgrund eines dem Handelnden entzogenen Automatismus ausgeführt werden. Aber worin besteht das Absichtsvolle, das nach unserer Intuition das Handeln begleiten muss, wenn es zum Selbstverständnis des Menschen etwas beitragen soll?
Es gibt gute Gründe, das Absichtsvolle durch den Hinweis zu bestimmen, dass es auf die Möglichkeit rekurriert, eine Handlung auszuführen oder nicht, bzw. diese oder eine andere Handlung zu vollziehen. Mit dieser Festlegung auf alternative Handlungsmöglichkeiten kommt ein Verständnis von Freiheit und Selbstbestimmung ins Spiel, das weniger denn je als selbstverständlich oder gar unproblematisch betrachtet werden kann. Vor allem die verfeinerten Methoden hirnphysiologischer Diagnostik haben gerade in den letzten Jahren dazu geführt, der Debatte um die Möglichkeit und die richtige Deutung der Freiheit neue Impulse zu verleihen. Je verfeinerter die Untersuchungsmethoden werden, so eine weit verbreitete These, um so mehr lässt sich unser vermeintlich geistiges Leben auf neuronale Prozesse zurückführen, womit unsere menschliche Selbstdeutung zunehmend naturalistisch geprägt sein wird.
Man mag die Anwendbarkeit eines solchen biologischen Reduktionismus durchaus in Zweifel ziehen, wie dies bereits um 1270 Albertus Magnus tut, wenn er sich gegen die unreflektierte Anwendung physikalischer Regelmäßigkeiten auf das geistige Leben des Menschen wendet und damit der Leugnung der Freiheit durch die von ihm so genannten „Pseudophilosophen" entgegentritt. Allerdings sind für die Frage der Willensfreiheit mit einer solchen Ablehnung noch keineswegs alle Probleme erkannt, geschweige denn gelöst. Denn selbst wenn man einen harten Determinismus, d.h. die These, dass jegliche Freiheit von vornherein ausgeschlossen ist und deren Annahme letztlich ein Wunschdenken, bestenfalls eine pragmatische Unterstellung ist, ablehnt, bleibt die Deutung dessen, was Freiheit ausmacht, durchaus kontrovers.
Um das entscheidende Problem zu verdeutlichen, hat man sich folgendes Dilemma vor Augen zu führen. Mit dem Ausschluss einer deterministischen Deutung menschlichen Handels scheint man auch die Möglichkeit aufzugeben, eine Handlung kausal als das Resultat einer lückenlosen Ereigniskette letztlich bis auf die jeweils handelnde Person zurückzuführen. Selbst wenn man die handelnde Person im Augenblick der Handlung als frei von jeder Art kausalen Bestimmung und damit im Grunde genommen als frei von einer persönlichen Geschichte interpretierte, so würde diese Vermeidung des Determinismus das Band zwischen Handlung und handelndem Subjekt so weit lösen, dass sich ein sinnvolles Verständnis verantwortungsvollen Handelns und damit moralischer Werturteile verbieten würde. Dies ist der Fall, weil unter diesen Bedingungen nicht mehr nachvollziehbar ist, was die handelnde Person mit der Handlung selbst zu tun hat, wenn sie nicht mehr durch ein kausales Band mit ihrer Handlung verknüpft ist.
Verantwortung und damit die Möglichkeit moralischer Werturteile, so zeigt sich, kann aufgrund von zwei entgegengesetzten Deutungen des kausalen Zusammenhangs von Mensch und Handlung in Frage gestellt werden: Zum einen, wenn der kausale Zusammenhang durchgängig determiniert ist, zum anderen, wenn der kausale Zusammenhang ganz aufgehoben wird. Im ersten Fall hatte der Handelnde keine andere Wahl, so dass sich seine Handlungen nicht wesentlich von Vorgängen wie der Verdauung und dem Wachstum der Haare unterscheiden, bestenfalls entsprechen sie dem instinktgesteuerten Verhalten von Tieren.