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Handlung und Wissenschaft

Die Epistemologie der praktischen Wissenschaften im 13. und 14. Jahrhundert - The Epistemology of the Practical Sciences in the 13th and 14th Centuries

VerlagDe Gruyter Akademie Forschung
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl177 Seiten
ISBN9783050047904
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis69,95 EUR

Im Mittelpunkt des vorliegenden Bandes steht die Untersuchung des Selbstverständnisses der praktischen Wissenschaften, wie es sich im 13. und 14. Jahrhundert im Umkreis der Höheren Fakultäten der Universität sowie insbesondere innerhalb der Philosophie artikuliert.

Die Frage nach der Wissenschaftsfähigkeit des überlieferten juristischen und medizinischen Wissens sowie jene nach dem wissenschaftlichen Anspruch der Praktischen Philosophie, insbesondere der philosophischen Ethik, und der Theologie, verstanden als einer „scientia practica“, beschreiben die Herausforderung, mit der sich die hier behandelten Autoren und Texte des Mittelalters beschäftigen.

Insbesondere werden in den in diesem Band versammelten Einzeluntersuchungen die Beiträge von Albert dem Großen, Thomas von Aquin, Johannes Duns Scotus und Wilhelm von Ockham zur Frage einer philosophischen Begründung des Status des menschlichen Handlungswissens und der praktischen Wissenschaften gewürdigt.

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Leseprobe

Zur Freiheit verurteilt. Zu den Voraussetzungen der praktischenWissenschaft im 13. und 14. Jahrhundert (S. 125)
Die Problemlage
Um sich selbst zu begreifen, hat der Mensch sich vor allem als ein handelndes Wesen zu begreifen. Ein handelndes Wesen im engeren Sinne ist der Mensch aber nur insofern, als ihm seine Handlungen in einem signifikanten Sinne zugerechnet werden können. Handlungen in diesem engeren Sinne scheinen dann vorzuliegen, wenn diese mit Absicht und nicht aufgrund eines dem Handelnden entzogenen Automatismus ausgeführt werden. Aber worin besteht das Absichtsvolle, das nach unserer Intuition das Handeln begleiten muss, wenn es zum Selbstverständnis des Menschen etwas beitragen soll?

Es gibt gute Gründe, das Absichtsvolle durch den Hinweis zu bestimmen, dass es auf die Möglichkeit rekurriert, eine Handlung auszuführen oder nicht, bzw. diese oder eine andere Handlung zu vollziehen. Mit dieser Festlegung auf alternative Handlungsmöglichkeiten kommt ein Verständnis von Freiheit und Selbstbestimmung ins Spiel, das weniger denn je als selbstverständlich oder gar unproblematisch betrachtet werden kann. Vor allem die verfeinerten Methoden hirnphysiologischer Diagnostik haben gerade in den letzten Jahren dazu geführt, der Debatte um die Möglichkeit und die richtige Deutung der Freiheit neue Impulse zu verleihen. Je verfeinerter die Untersuchungsmethoden werden, so eine weit verbreitete These, um so mehr lässt sich unser vermeintlich geistiges Leben auf neuronale Prozesse zurückführen, womit unsere menschliche Selbstdeutung zunehmend naturalistisch geprägt sein wird.

Man mag die Anwendbarkeit eines solchen biologischen Reduktionismus durchaus in Zweifel ziehen, wie dies bereits um 1270 Albertus Magnus tut, wenn er sich gegen die unreflektierte Anwendung physikalischer Regelmäßigkeiten auf das geistige Leben des Menschen wendet und damit der Leugnung der Freiheit durch die von ihm so genannten „Pseudophilosophen" entgegentritt. Allerdings sind für die Frage der Willensfreiheit mit einer solchen Ablehnung noch keineswegs alle Probleme erkannt, geschweige denn gelöst. Denn selbst wenn man einen harten Determinismus, d.h. die These, dass jegliche Freiheit von vornherein ausgeschlossen ist und deren Annahme letztlich ein Wunschdenken, bestenfalls eine pragmatische Unterstellung ist, ablehnt, bleibt die Deutung dessen, was Freiheit ausmacht, durchaus kontrovers.

Um das entscheidende Problem zu verdeutlichen, hat man sich folgendes Dilemma vor Augen zu führen. Mit dem Ausschluss einer deterministischen Deutung menschlichen Handels scheint man auch die Möglichkeit aufzugeben, eine Handlung kausal als das Resultat einer lückenlosen Ereigniskette letztlich bis auf die jeweils handelnde Person zurückzuführen. Selbst wenn man die handelnde Person im Augenblick der Handlung als frei von jeder Art kausalen Bestimmung und damit im Grunde genommen als frei von einer persönlichen Geschichte interpretierte, so würde diese Vermeidung des Determinismus das Band zwischen Handlung und handelndem Subjekt so weit lösen, dass sich ein sinnvolles Verständnis verantwortungsvollen Handelns und damit moralischer Werturteile verbieten würde. Dies ist der Fall, weil unter diesen Bedingungen nicht mehr nachvollziehbar ist, was die handelnde Person mit der Handlung selbst zu tun hat, wenn sie nicht mehr durch ein kausales Band mit ihrer Handlung verknüpft ist.

Verantwortung und damit die Möglichkeit moralischer Werturteile, so zeigt sich, kann aufgrund von zwei entgegengesetzten Deutungen des kausalen Zusammenhangs von Mensch und Handlung in Frage gestellt werden: Zum einen, wenn der kausale Zusammenhang durchgängig determiniert ist, zum anderen, wenn der kausale Zusammenhang ganz aufgehoben wird. Im ersten Fall hatte der Handelnde keine andere Wahl, so dass sich seine Handlungen nicht wesentlich von Vorgängen wie der Verdauung und dem Wachstum der Haare unterscheiden, bestenfalls entsprechen sie dem instinktgesteuerten Verhalten von Tieren.

Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis6
Vorwort8
Jurisprudenz und Medizin als praktische Wissenschaften10
The Practical Use of Roman Law in the Early Twelfth-Century12
La médecine entre théorique et pratique: retour sur quelques définitions originelles34
Das Konzept der praktischen Wissenschaften bei Albert dem Großen44
Die Philosophia Moralis als Enzyklopädie menschlicher Handlungen – zu Alberts des Großen Kenntnisnahme von der Aristotelischen Politik46
Theologia scientia affectiva oder scientia secundum pietatem bei Albertus Magnus – eine Alternative zur Dichotomie scientia theoretica aut practica?62
Praktische Vernunft und Wissenschaft bei Thomas von Aquin74
„Actus circa singularia sunt“ – „scientia non est de singularibus“. Thomas von Aquins Konzeption einer praktischen Wissenschaft76
Praktisches Wissen und „Praktische Wissenschaft“: Zur Epistemologie der Moralphilosophie bei Thomas von Aquin90
Zum epistemologischen Status der Medizin in der Summa Avicennae und bei Thomas von Aquin98
Thomas Aquinas and the Epistemology of Moral Wrongdoing108
Probleme praktischer Wissenschaft nach 1300124
Zur Freiheit verurteilt. Zu den Voraussetzungen der praktischen Wissenschaft im 13. und 14. Jahrhundert126
Zur Theologie als praktischer Wissenschaft im 14. Jahrhundert144
„Ius naturale non est immutabile – alligabatur necessitati voluntaria subiectio“. Wilhelm von Ockham und Nikolaus von Kues über die Begründung politischer Herrschaft154
Register antiker, mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Personen168
Zu den Autoren des Bandes172

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