Die Motivation für diese Arbeit, insbesondere die Frage nach den Handlungsstrategien gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit bei Jugendlichen in Berlin und Brandenburg, resultiert aus meiner ehemaligen Tätigkeit als Dozent in der politischen Jugendbildung in Berlin und Brandenburg. In Gesamt- und Berufsschulen Ostberlins und Brandenburgs beobachtete ich häufig die Dominanz einer rechtsextremen Jugendkultur und von fremdenfeindlichen Einstellungen in den Klassen. Die von mir darauf angesprochenen Lehrkräfte ignorierten häufig diese Situation, begegneten ihr zumeist hilflos und einige wenige der Lehrkräfte teilten sogar die Einstellungen der rechten Jugendlichen.
Die Erstellung dieser Arbeit fällt in eine Zeit, in der die Diskussion über Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit das letztjährige „Sommerloch“ in der bundesrepublikanischen Politik- und Medienlandschaft bestimmte. Den Startschuss für diese öffentliche Diskussion gab die Partei „Bündnis 90/Die Grünen“ am 3. Juli 2000, als ihr Bundesvorstand konstatierte: „Zahlreiche Überfälle auf Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten, Menschen jüdischen und islamischen Glaubens zeigen: Rechtsextremismus ist kein Randproblem der Gesellschaft. (...) Die sogenannten ‚national befreiten Zonen’ haben insbesondere in Ostdeutschland zugenommen. Potenziellen Opfergruppen und auch demokratisch eingestellten Jugendlichen ist eine angstfreie Bewegung im öffentlichen Raum nicht möglich.“[1] Nach dieser Analyse folgte die Schlussfolgerung, „(...) daß zukünftig ‚Bündnis 90/Die Grünen’ der Bekämpfung des Rechtsextremismus deshalb höchste Priorität einräumen und den Punkt auf die für den 12. Juli 2000 geplante Sitzung der Rot-Grünen Koalitionsrunde setzen.“[2] Dies allein hätte nicht ausgereicht, um das Thema zu dem Bestimmenden dieses Sommers in den Medien zu machen. Endgültig setzte es sich in der öffentliche Diskussion nach dem Düsseldorfer Bombenanschlag am 27.Juli 2000 durch, bei dem sechs der neun Opfer jüdische Migranten aus Russland, der Ukraine und Aserbaidschan waren. Ein rechtsextremistischer Hintergrund wurde vermutet und das Attentat ist bis heute nicht aufgeklärt.[3]
Was hat sich aber heute im Verhältnis zu 1990 in Deutschland eigentlich geändert? Anetta Kahane, Leiterin der Regionalen Anlaufstelle für Ausländerangelegenheiten, Jugendarbeit und Schule in Berlin (RAA) beschrieb 1998 die Situation im Land Brandenburg so: “Wir haben akzeptiert, in einem Land zu leben, in dem besonders Fremde sich nach dem Dunkelwerden nicht mehr frei bewegen können und auf öffentlichen Plätzen und in Verkehrsmitteln ungeschützt sind, einem Land, in dem auf rechte Sprüche, Bedrohung und Gewalt oft mehr mit Verständnis als mit Empörung und dem Gesetz reagiert wird.“[4] Seit 1989 flackert die Diskussion über Rechtsextremismus in der Öffentlichkeit in unregelmäßigen Abständen auf: “Die gegenwärtige Debatte um Rechtsextremismus ist bereits die dritte ihrer Art in den vergangenen zehn Jahren“[5]. Spätestens nach den Pogromen gegen Asylbewerberheime in Hoyerswerda (1990), in Rostock-Lichtenhagen (1991) und nach den terroristischen Anschlägen auf die Häuser türkischer Einwandererfamilien in Mölln (1992) und Solingen (1993) hatte jede/r die Möglichkeit zu erfahren, wie die Realität in sogenannten „National befreiten Zonen“ in einigen Kommunen der neuen Länder der Bundesrepublik aussieht, aber auch wie feindlich die Stimmung gegenüber Migranten und Migrantinnen in ehemaligen Zentren des deutschen Arbeitermilieus u.a. in Regionen Bremens, des Ruhrgebiets und des Saarlands ist.
Die erste große Debatte fand entsprechend auch zwischen 1991 und 1993 statt, als Reaktion auf die hohe Zahl fremdenfeindlicher Gewalttaten, „...die zweifellos eine neue Qualität des Rechtsextremismus in Deutschland darstellte“.[6] Die zweite Welle der Rechtsextremismusdebatte setzte mit dem spektakulären Wahlerfolg der Deutschen Volksunion (DVU) im Frühjahr 1998 bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt ein. Dort erhielt sie 12,8% der abgegebenen Stimmen, und auch weitere Wahlerfolge der extremen Rechten in Bremerhaven 1998 (Die Republikaner 5,2 %) und Brandenburg 1999 (DVU 5,9%) hielten die Diskussion in der Öffentlichkeit lebendig.
Christoph Butterwegge bescheinigt der deutschen Sozialwissenschaft nach 1945 eine nur konjunkturelle Beschäftigung mit dem Forschungsgegenstand „Rechtsextremismus“. Er sieht aber an den Diskussionen in den letzten Jahren aus wissenschaftlicher Sicht, daß „während der letzten Jahre eine interessantere Diskussion über Rechtsextremismus, Rassismus und Gewalt geführt wird, als es sie hierzulande je nach 1945 gab“.[7] Die Vielfalt von Untersuchungen und Erklärungsansätzen nach 1990 lassen das Forschungsgebiet heute sehr unübersichtlich erscheinen und daher ist es notwendig, eine für den Rahmen einer Magisterarbeit sinnvolle Eingrenzung und Zentrierung des Forschungsgegenstandes zu leisten.
Zur Systematisierung der Handlungsstrategien gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit bei Jugendlichen bediene ich mich in dieser Arbeit einer historischen und vergleichenden Methode. Zwei relevante Zeitabschnitte mit jeweils unterschiedlichen pädagogischen und theoretischen Ansätzen sind zu untersuchen:
1. Erstens die „antifaschistische Pädagogik“ vom Ende der siebziger Jahre bis zum Ende der achtziger Jahre. Herausragende Beispiele hierfür sind u.a. die Gedenkstättenpädagogik und antifaschistische Stadtrundfahrten.
2. Diese löste ein Jahrzehnt der Dominanz der „akzeptierenden Jugendarbeit mit Jugendlichen in rechten Jugendcliquen“ ab, mit dem theoretischen Überbau der „Bielefelder Schule“ um Wilhelm Heitmeyer, die eine „Individualisierungs- und Modernisierungsthese“ als Grund für rechtsextremistische und fremdenfeindliche Einstellungen bei Jugendlichen vertritt.
Den Schwerpunkt in der historischen Darstellung lege ich auf das Jahrzehnt der akzeptierenden Jugendarbeit. Zur Zeit befinden wir uns erneut in einem Paradigmenwechsel in der Sozialwissenschaft und der Pädagogik. Projekte, die die Entwicklung der „Zivilgesellschaft“ in den Kommunen fördern sollen und eine Theorie für eine Erziehung zur demokratischen Werten und kultureller Vielfalt lösen die „akzeptierende Jugendarbeit mit Jugendlichen in rechten Jugendcliquen“ ab, und die „Individualisierungs- und Modernisierungsthese“ von Wilhelm Heitmeyer in der Sozialwissenschaft als bestimmendes Erklärungsmodell ist abgelöst worden.
Die Fragestellungen, unter denen die Handlungsstrategien gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit bei Jugendlichen untersucht werden, gliedern sich wie folgt:
1. Welche Erklärung für die jeweils gegenwärtige gesellschaftliche Situation dominierte in der Sozialwissenschaft und in der Öffentlichkeit, die natürlich auch das gesellschaftliche Umfeld und die Strategie der Rechtsextremisten berücksichtigen muß.
2. Welche Akteure handelten mit welcher Methode für welche Zielgruppe gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus?
3. Welche Kritik wurde an der Handlungsstrategie geübt und was führte zu ihrer Ablösung?
Am Ende meiner Arbeit setze ich mich dann damit auseinander, welche Schlussfolgerungen sich aus dieser historischen und vergleichenden Perspektive für eine heutige Handlungsstrategie ziehen lassen und folge meiner These, daß in den dargestellten gesellschaftlichen Situationsanalysen wichtige Faktoren ausgeblendet wurden, deren Berücksichtigung aber für eine adäquate Bekämpfung von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit bei Jugendlichen in Berlin und Brandenburg notwendig sind.
Die Eingrenzung auf Berlin und Brandenburg bezieht sich im Wesentlichen auf die Darstellung empirischer Untersuchungen und der Darstellung von Beispielprojekten, wie z.B. das Handlungskonzept für ein „Tolerantes Brandenburg“.
Häufig verwende ich in den Kapiteln, die die gesellschaftliche Situation und die Empirie betreffen, Datenmaterial des Bundesinnenministeriums über erfaßte rechtsextremistische und fremdenfeindliche Straftaten, da andere Materialien darüber nicht vorliegen. Dies bringt folgende Schwierigkeit mit sich: „Problematisch dabei ist vor allem die offensichtliche Zunahme der Dunkelziffern. Insofern ist der offiziellen Statistik tendenziell misstrauisch zu begegnen, wenngleich sie relativ exakt erhoben sind.“[8] Nicht alle rechtsextremistischen und fremdenfeindlichen Straftaten, insbesondere Gewalttaten, werden von den Opfern angezeigt. Wagner und seine Mitarbeiter haben in einer Studie für Leipzig-Grünau errechnet, daß auf eine angezeigte Gewalttat zwölf nicht angezeigte Gewaltstraftaten kommen.[9] Einen weiteren Beleg für eine hohe Dunkelziffer liefert „Der Tagesspiegel“. Die Tageszeitung meldete am 17.1.2001 einen Anstieg der erfassten rechtsextremistischen und fremdenfeindlichen Straftaten: 1999 waren es 10037, im Jahr 2000 rund 14000. Auch die erfassten Gewalttaten stiegen um rund einhundert auf 840.[10] Dies wird so...