Warum wir Hape lieben
Rein formell gesehen hat Hape Kerkeling den Status meines Lebensgefährten. Im Ernst: Niemand außer meinen Verwandten hat mich nun so lange begleitet wie er. Es ist, als wäre er schon immer da gewesen. Hape tauchte damals bei Extratour auf, der Sendung, in der es hieß »Jetzt kommt ein Karton«. Diesen Spruch, der heute unzählige Umzugskartons ziert, den haben wir schon als Kinder lauthals zitiert, sogar wenn der eine oder andere (also gut: ich) nicht wusste, dass es »Cartoon« heißen sollte.
Und können Sie sich noch an Hannilein erinnern? Dieses Pumuckl-ähnliche Kind, das Hape mit ungelenken Bewegungen perfekt spielte und das seine Mutter verdächtigte, das Meerschweinchen vom Balkon geschubst zu haben. Weil es immer Pipi in die Blumen gemacht hat. Das war nicht nur schreiend komisch, es war auch etwas völlig Neues.
Lustige Unterhaltung teilte sich doch in den Achtzigerjahren in zwei Lager. Entweder man schmunzelte mit Dieter Hildebrandt, der an »Birne« Kohl herumkritisierte, oder man schunkelte mit Gottlieb Wendehals. Entweder gesellschaftskritisch oder unter aller Kanone, viel mehr Auswahl gab es nicht. Wir erinnern uns: Im Radio hörte man »One Night in Bangkok« oder irgendwas von Modern Talking, im Kino lief Didi Hallervorden und im Fernsehen konnte man Sascha Hehn auf dem Traumschiff sehen. Falco lebte noch, Winzer aus Österreich panschten Frostschutzmittel in ihren Wein, Boris gewann mit 17 Jahren in Wimbledon und wir trugen alle entsetzliche Vokuhila-Frisuren.
Und dann kam Hape. Der hatte eine genauso schlimme Frisur wie wir und platzte ins Fernsehprogramm wie ein neuer Schüler in die Klasse – wo er sofort den Klassenclown gab, ohne Scheu vor den Lehrern und vor allem: saukomisch. So schickte Radio Bremen ihn im Rahmen der Sendung Extratour zur Verleihung des Deutschen Fernsehpreises als »Mann vor Ort« los. Der junge Hape aber fand das so langweilig, dass er einer spontanen Idee nachgab und sich mit dem Kamerateam vor die Herrentoilette stellte, um die Toilettenfrau zu befragen, welcher VIP sich die Hände gewaschen hatte und vor allem welcher nicht.
Es ist die Rolle seines Lebens: Er wird für uns immer der Klassenclown sein. Der aus der letzten Reihe. Der, der anderen einen Eselszettel auf den Rücken pappt und mal brillante, mal gute, mal weniger gute Scherze macht. Übel nehmen können wir ihm nichts, wird er doch nie verletzend oder bösartig: Der tut nix, der will nur spielen. Und vor allem: Er ist einer von uns. Er gehörte zu denen, die beim Völkerball immer als Letzter gewählt wurden, und gibt das auch zu. Er hat, wie wir, ein bisschen zu viel auf den Rippen, er feiert nicht ausschließlich Erfolge, sondern hat auch oft genug danebengehauen, er gibt sich nicht größer, gescheiter oder anders, als er ist. Wenn er auf eine Frage von Journalisten keine Antwort hat, dann sagt er auch einfach mal »Ich weiß es nicht«, statt sich etwas Schlaues aus den Fingern zu saugen. Das macht ihn normal und liebenswürdig und es bringt uns dazu, ihm alles zu verzeihen.
Hape Kerkeling ist einer der wenigen Künstler, der auch mal etwas machen darf, was uns überhaupt nicht gefällt – und den wir trotzdem nicht fallen lassen. »Das war blöd, aber vielleicht ist das Nächste wieder lustig«, ist unsere Reaktion. Er ist eben einer von uns und wir machen alle Fehler, das ist menschlich.
Menschlich war auch sein Ausstieg 2001, als er sich auf den Weg nach Santiago de Compostela machte. Haben wir nicht alle das Gefühl, wir müssten mal raus, alles hinter uns lassen, um zu uns zu finden und der ewigen Frage nach dem »Wer bin ich und wozu bin ich hier« auf den Grund zu gehen? In unserem Alltag mit seinem Erfolgsdruck, in dem wir uns manchmal vorkommen wie ein Hamster in einem Rad, das sich etwas zu schnell dreht, gedeihen Sinnkrisen wie die Gänseblümchen. Nicht umsonst boomen temporäre Klosteraufenthalte, immer mehr Menschen nehmen sich Auszeiten: Wir suchen Besinnung, Sinn, das Glück. Vermutlich haben deswegen auch Bücher, die sich mit dem Thema Glück beschäftigen, einen enormen Aufschwung erlebt.
Dass es da einem genauso geht wie uns und er sich dann auch wirklich aufgemacht hat, das spricht uns an und aus dem Herzen. Wenn er obendrein zugibt, auf seiner Pilgerreise auch zwischendurch mit dem Zug gefahren zu sein und sich ein Hotelzimmer geleistet zu haben, dann fühlen wir uns so ein bisschen erwischt: Denn so sind wir auch. Er macht keine Heldengeschichte daraus und ist damit wieder so nahe dran an jedem von uns, dass man ihn fast herzen möchte. In einem Interview mit der Zeit antwortete Hape Kerkeling auf die Frage, warum sein Buch so einen großen Erfolg hat:
»Offensichtlich haben Menschen, die das Buch gelesen haben, es weiterempfohlen. Und das sind Menschen, die in einem ähnlichen Tempo laufen, ticken, denken, reden wie ich« (nachzulesen auf www.zeit.de/2006/46/Kerkeling-Interview). Und das stimmt auch im Umkehrschluss: Er tickt so wie wir: »Wir sind Hape«, würde eine andere Zeitung mit vier Buchstaben es ausdrücken.
Es ist ein Phänomen, dass ein derart bekannter Entertainer und Komödiant in den verschiedensten Altersklassen und sozialen Schichten so großen Erfolg hat. Das ist der markante Unterschied zu fast allen anderen Komikern. Denken wir nur an Harald Schmidt, Bastian Pastewka, Oliver Pocher oder auch an Mario Barth: Sie alle polarisieren, sprechen eine bestimmte Gruppe an, der Rest hält sie für unzumutbar, respektlos oder schlicht nicht witzig. Im Gegenzug gibt es fast niemanden, der Hape Kerkeling als polnischen Opernsänger mit seiner eigenwilligen Interpretation von Peter und der Wolf, die in dem Ausruf »Hurz!« endet, nicht lustig findet. Die einen klopfen sich auf die Schenkel, weil sie sich über die Vorstellung, dass ein Lamm »Hurz!« ruft, beömmeln. Andere halten die Parodie auf moderne klassische Musik für gekonnt, wieder andere lachen über die ernsthafte Diskussion des Publikums über das Stück. Und alle zusammen finden wir es köstlich, wie der vermeintliche Opernsänger sich selbst kaum das Lachen verkneifen kann. (Besonders als einer der Zuschauer fragt: »Kommen da noch mehr Tiere vor?«)
Das sind Lacher für die ganze Familie.
Knapp 20 Jahre ist es her, dass er, als Königin Beatrix verkleidet, vor dem Schloss Bellevue zu einem »lecker Mittachessen« vorfuhr. 20 Jahre! Welcher Sketch überdauert zwei Jahrzehnte und büßt dabei nichts von seiner Witzischkeit ein? Ein Geniestreich, auch wenn man bedenkt, wie leicht eine solche Aktion als respektlos oder Affront gelten könnte. Aber wir haben alle gelacht, sogar die Niederländer. Wir erinnern uns im Gegenzug an Oliver Pocher, der zum Auftakt des Prozesses gegen Jörg Kachelmann als ebendieser verkleidet vor dem Gerichtsgebäude vorfuhr: Da war für viele die Grenze des guten Geschmacks überschritten. Weil man nicht auf Leute einprügelt, die schon am Boden liegen.
Hape hingegen beschädigt niemanden. Dass er nichts Böses, sondern nur lustig sein will, strahlt aus ihm und jeder seiner Figuren heraus. Oder wie eine Besucherin einer seiner Live-Auftritte einmal sagte: »Er hat mich für einen Sketch auf die Bühne geholt, und das kann ja oft mal peinlich sein so etwas. Aber ich habe in keinem Moment geglaubt, dass er mich lächerlich macht, ich habe ihm voll vertraut.« Viele zynische Komödianten ziehen ihren Witz daraus, sich über andere lustig zu machen. Hape Kerkeling hingegen durchschaut Lächerlichkeiten und zeigt sie fein auf, dabei merkt man ihm immer seinen Respekt vor der Würde seiner Mitmenschen an. Da ist eine imaginäre Grenze, die er nicht überschreitet. Er verzichtet sogar eher auf die Ausstrahlung einer Szene, als andere Menschen bloßzustellen. (Während im heutigen TV ganze Sendungen ausschließlich darauf abzielen, Menschen bloßzustellen.) Bei Hape jedoch ist es immer mehr eine Liebeserklärung an die Menschen (und ihre Fehler) als eine Belustigung über ihre Unperfektion.
Selbst diejenigen, die er veräppelt, spüren das und können ihm das bisschen Spaß nicht krummnehmen. Im Rahmen seiner Sendung Darüber lacht die Welt tritt Hape Kerkeling als dicke Cousine Helga der Wildecker Herzbuben mit ebendiesen in der Musikscheune auf. Dort gibt er, sehr zum Schrecken der Moderatorin, das lustige Lied »Auszieh’n! Alle auszieh’n!« zum Besten und es klatscht und lacht der ganze Saal. Genauso war es bei Darüber lacht die Welt. Wenn wir uns einen Ingo Appelt in der gleichen Rolle vorstellen, fänden wir das unter Umständen nicht so komisch. Weil wir sofort merken: Hape Kerkeling lacht mit uns. Nicht über uns. Und er lacht in diesem Moment mit den Volksmusikfans, nicht über sie. Das ist auch der Grund, warum er die Stars der Volksmusik und andere Prominente für seine Sketche und Parodien gewinnen kann – mit Maria Hellwig singt er den alten Hit von Frank Sinatra, »Something stupid«, auf Deutsch: »Ich lieb’ dich«, und mit Howard Carpendale seinen Hit »Ti amo«. Dass er diese Stars mit einem Augenzwinkern parodieren kann und sie dabei auch noch mitmachen, diese Gratwanderung schafft er, weil man ihm seine Liebe zu den Menschen anmerkt, das macht seinen ganz besonderen Charme aus. Und während man amüsiert mitschunkelt, stellt man fest: Hape kann singen. Wäre er nicht auch ein wunderbarer Schlagerstar geworden?
Wenn der Mann mit den vielen Verkleidungen einmal die Masken ablegt, um als Hape Kerkeling in einem Interview oder einer Talkshow Rede und Antwort zu stehen, dann weiß man umso mehr seine Schauspielkunst zu schätzen: Der...