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E-Book

Hat es Spaß gemacht, Mr. Wilder?

Gespräche mit Cameron Crowe

AutorBilly Wilder, Cameron Crowe
VerlagKampa Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl496 Seiten
ISBN9783311700708
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Nach den drei wichtigsten Regeln des Filmemachens gefragt, antwortete Billy Wilder bekanntlich: »Du sollst nicht langweilen, du sollst nicht langweilen, du sollst nicht langweilen.« Und daran hält er sich auch als 93-Jähriger im Gespräch mit dem Regisseur Cameron Crowe. Niemand ist vor Wilders bissigem Humor sicher, ob Marlene Dietrich, »Mutter Teresa mit schöneren Beinen«, Erich von Stroheim, dem er eine Vorliebe für Dessous nachsagt, oder Marilyn Monroe, »ein endloses Puzzle ohne jede Lösung«. Cameron Crowe ist ein fordernder Gesprächspartner, immer wieder entlockt er Wilder erhellende Bekenntnisse, über seine Vorliebe für Schwarzweiß oder seinen Sinn für Ausstattung zum Beispiel. Und Wilder erinnert sich: An seine Jugendjahre in Wien, seine Zeit als Journalist in Berlin und die Emigration in die USA, wo er sich als bettelarmer Drehbuchautor zunächst ein winziges Hotelzimmer und Dosensuppen mit einem gewissen Peter Lorre teilte - immerhin im Chateau Marmont.

Billy Wilder, geboren 1906 in einer österreichisch-ungarischen Kleinstadt im heutigen Polen, gilt als einer der talentiertesten und einflussreichsten Filmemacher überhaupt. Seine Karriere als Regisseur, Drehbuchautor und Filmproduzent umfasst fünf Jahrzehnte und über sechzig Filme, darunter zahlreiche stilbildende Hollywood-Klassiker des Film noir, des dramatischen und vor allem des komischen Films, die von zeitloser Relevanz sind. Mit insgesamt einundzwanzig Oscar-Nominierungen und sechs Auszeichnungen gilt Wilder auch als einer der meistgeehrten Künstler des 20. Jahrhunderts.

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Leseprobe

Einleitung


»Haben Sie ein gutes Ende für dieses Ding?«, fragt Billy Wilder, der größte lebende Filmautor und -regisseur.

Im Frühjahr 1998 macht man viel Aufhebens über den heftigen Regen, den El Niño mit sich bringt, also brauchen wir nicht über den sintflutartigen Wolkenbruch zu sprechen, der an diesem nassen Nachmittag über Kalifornien niedergeht. Wir haben uns gerade vor seinem Büro getroffen, das versteckt in einer Seitenstraße in Beverly Hills liegt, und sind zu dem Raum hinaufgegangen, der ihm als ruhiges Arbeitszimmer dient. Er klappert mit den Schlüsseln, findet den richtigen und blickt hinunter auf seinen linken Schuh, dessen Schnürsenkel sich gelöst hat. Ein weiterer Schritt könnte zu einem Sturz führen, also bleibt er wie angewurzelt im Flur stehen. Er ist 91 Jahre alt, und sich im Stehen hinunterzubeugen ist ihm schon seit Jahren physisch nicht mehr möglich. Er schaut nicht zu mir herüber, und ich nicht zu ihm. Die Situation ist uns beiden ein wenig peinlich, daher bücke ich mich schnell, um den Schnürsenkel zu binden. Wir betreten sein Büro und setzen uns hin zu unserem letzten Gespräch. Die Serie von Interviews hat sich über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr erstreckt.

 

Stellen Sie sich einen Moment lang eine Party vor, eine einigermaßen elegante Veranstaltung, bei der nur Figuren aus Billy-Wilder-Filmen anwesend sind.

Dort drüben am Piano, mit einem Drink in der Hand, steht der dem Untergang geweihte Walter Neff aus Frau ohne Gewissen. Er versucht, nicht dauernd zu der aufbrausenden Sugar aus Manche mögen’s heiß hinüberzublicken. Fran Kubelik und C.C. Baxter aus Das Appartement tanzen zu einem postmodernen Jazzstück eng umschlungen in einem anderen Zimmer, während Norma Desmond aus Boulevard der Dämmerung die große Freitreppe herunterschreitet, um sich zu dem hartherzigen und ambitionierten Chuck Tatum aus Reporter des Satans zu gesellen. Und draußen in dieser Vollmondnacht, in einem Baum versteckt, hockt die liebeskranke Sabrina und beobachtet jede Bewegung in diesem Haus voller illustrer Charaktere in der Hoffnung, einen Blick auf David Larrabee zu erhaschen.

Was für ein Abend würde das sein! Und doch wäre die Chance gering, dass der Gastgeber sich blicken ließe, um Huldigungen entgegenzunehmen. Billy Wilder, der Meister der Leinwandgeschichten, gehört nicht zu denen, die gern Komplimente entgegennehmen. In den letzten zehn Jahren seines Lebens hatte er viel damit zu tun, pflichtbewusst Preise und Anerkennungen entgegenzunehmen, doch die Wahrheit ist noch viel »wilderesker«. All die Größen der Filmindustrie, die ihn ehrten, hätten ihre Zeit lieber dazu verwenden sollen, den großen Wilder für die Inszenierung neuer Filme zu engagieren. Was seine körperliche Kondition anbetrifft, so bewegt sich Wilder heute zwar vorsichtig, und manchmal nimmt er einen Stock zu Hilfe; dennoch erscheint er fast täglich in seinem Büro in Beverly Hills, liest, hält seine Kontakte zur Welt der Kunst aufrecht und informiert sich über die manchmal aufgeblasene zeitgenössische Filmware, der es traurigerweise oft an ausgeprägten Charakteren mangelt.

Billy Wilders Werk ist wie eine Schatztruhe voller Individuen aus Fleisch und Blut, die alle wunderbar lebendig sind. Sein Werk besteht aus einem bunten Kaleidoskop von Komödien, bei denen man vor Lachen vom Sitz fallen kann, treffenden Charakterstudien, sozialen Satiren, durch und durch spannenden Filmen und schmerzlichen Romanzen. Die besten Dinge des Lebens, das Traurige und das Lustige, das Ironische und das Höllische halten sich in seinen Filmen die Waage. Der große Ernst Lubitsch machte ihn mit dem Regiehandwerk vertraut, wobei Wilder auf seine Erfahrungen als Journalist zurückgreifen konnte, denn er wusste, wie eine Sache sich anhören musste und auszusehen hatte, die er jemandem vermitteln wollte. Wie kein anderer besaß Billy Wilder die Gabe, in seinen Filmen unvergessliche, mit allen menschlichen Stärken und Schwächen behaftete, glaubhafte Charaktere zu schaffen. Als 1997 ein Symposium der Directors Guild of America stattfand, an dem die von dem Regieverband für einen Preis nominierten Mitglieder teilnahmen, wurden die vier Nominierten gebeten, die Namen derjenigen zu nennen, die ihre Kreativität beflügelt hatten. Alle nannten nur einen Namen: Wilder.

 

Hier einige Details aus einem erfüllten, kosmopolitischen Leben: Wilder wurde am 22. Juni 1906 in der polnischen Stadt Sucha geboren, die damals zu Österreich gehörte. Sein Name war Samuel, aber seine Mutter nannte ihn nur Billie. Sein älterer Bruder Wilhelm, genannt Willie, war 1904 geboren worden. Einige Jahre später zogen die Wilders nach Wien. Was danach geschah, wurde oft übertrieben oder beschönigt, erklärt sich aber am besten mit dem, was Wilder selbst in den Gesprächen dazu sagt. »Vieles, was da geschrieben wurde, ist falsch«, sagt er heute. »Damals haben sie [die Presse- und Public-Relations-Abteilungen der Studios; Anm. d. Ü.] solche Sachen erfunden.«

Unbestritten aber ist, dass Wilders kreatives Leben begann, als er in Wien als Zeitungsreporter arbeitete. Er ging auf in dieser Rolle und bekam schnell den Ruf, seine Ziele hartnäckig anzugehen. Im Juni 1926 reiste Wilder nach Berlin und begann dort als Ghostwriter für den deutschen Film zu arbeiten. Bald aber schon erschien sein Name auch in den Titeln, und seine Arbeit gewann mehr an Profil, als sich der Krieg abzeichnete. Wilder floh erst nach Paris und dann nach Amerika. In Los Angeles lernte er Flüchtlinge aus Europa kennen, die bald die Filmgeschichte erheblich beeinflussen sollten. Einer von ihnen war Ernst Lubitsch, der sich dort bereits eingelebt hatte und mit dem sich Wilder schon nach kurzer Zeit zusammentat, um 1938 als Co-Autor Blaubarts achte Frau und ein Jahr später die einflussreiche Ninotschka zu verfassen. Sein Regiedebüt gab Wilder 1942 mit Der Major und das Mädchen; das Drehbuch hatte er mit seinem ersten langjährigen Mitarbeiter, Charles Brackett, geschrieben. Sein jüngster Film ist Buddy Buddy aus dem Jahr 1981, den er zusammen mit seinem anderen langjährigen Mitarbeiter, I.A.L. Diamond, geschrieben hatte.

Wilders Talent, die dunklen Seiten der Menschen mit Humor zu betrachten, entwickelte sich frühzeitig. »Zu Hause wurde ich geschlagen«, verkündet er nüchtern und charakteristischerweise ohne Larmoyanz. Aber sonstige Details aus seiner Kindheit bleiben in den Interviews Randbemerkungen. Bei gezielten Fragen konnte Wilder zurückhaltend und wortkarg sein. Er war dann schnell mit einem Scherz oder einem anderen Thema zur Hand.

1928 starb Wilders Vater in Berlin, wo er Billy bei einem Zwischenstopp nach einer Amerikareise besuchte. Wilders Mutter starb im Konzentrationslager Auschwitz. Er bekämpfte diese furchtbare Erinnerung, indem er seine Karriere mit beispielloser Intelligenz und Zielstrebigkeit verfolgte. Wilder blühte auf in Hollywood, dieser Weltmetropole eines erbarmungslosen Geschäfts, machte Filme und genoss alsbald den Ruf eines kreativen Genies, eines meisterhaften Regisseurs und eines Weltklassehumoristen, an dem andere immer gemessen werden. Er hat ein mächtiges Ego, das schwer zu knacken ist. Es hat Zeiten gegeben, in denen man ihn vulgär nannte, und Jahre, in denen man seine späteren Arbeiten niedergemacht hat. Diese Achterbahnfahrt muss jeder Neuerer mitmachen, der im Licht der Öffentlichkeit steht. Er kultiviert unsentimental Romantizismus und Eleganz. Sein Werk hat überlebt, weil er sich nie irgendwelchen Trends anbiederte und erhobene Zeigefinger fehlten. Als Künstler ist er relevant, weil er Sentimentalität nicht kennt. Sein eigenes Werk beurteilt er klarsichtig und zuweilen unbarmherzig. Er hat jeden Preis erhalten und jede Anerkennung bekommen. Und er ist immer noch sehr lebendig. Ein prächtiges Leben, perfekt geschrieben und gespielt, und man kommt nicht umhin, sich zu fragen, ob die beste Figur, die der junge Billie Wilder geschaffen hat, nicht vielleicht Billy Wilder selbst ist.

 

1995 hatte ich gerade zwei Filme hinter mich gebracht und lange Jahre der Inspiration durch Billy Wilders Werk. Wie viele andere aufstrebende Regisseure unternahm auch ich die Pilgertour zu seinem Büro. Er kannte meine Arbeiten nicht und ich erwartete dies auch nicht von ihm. Ich brachte ein Plakat von Das Appartement mit und den Kopf voller Fragen. Ich hatte um ein Treffen mit ihm hart kämpfen müssen, das von meinem Agenten, Robert Bookman von CAA, der Wilder flüchtig kannte, arrangiert worden war. Ich kam einige Minuten zu früh vor dem Büro an, das in einem unscheinbaren Gebäude über einem Geschenkeladen auf dem Brighton Way in Beverly Hills lag. Drinnen rührte sich nichts. Ich blickte durch den Postschlitz und sah zwei dunkle Räume, die nicht mit Memorabilien vollgestopft waren, in denen nur einige Bücher standen und ein Schreibtisch voller Papiere.

Um die Zeit totzuschlagen, spazierte ich die nächsten zwei Stunden um den Block. Zwischendurch rief ich von der Telefonzelle an der Ecke seinen Anrufbeantworter an. Als ich mich gerade entschlossen hatte aufzugeben und mit dem Autoschlüssel in der Hand den ersten Schritt auf meinen Wagen zu machte, erschien Wilder auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Er sah absolut wie Wilder aus, ein untersetzter Mann, in einem Tweed-Jackett elegant gekleidet und mit Mütze, und er kam direkt auf mich zu. Ich näherte mich ihm zögernd, mit der formellen Höflichkeit eines...

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