Foto: © Windrich&Sörgel/Thorsten Steinhaus
Gelungene
Unternehmenskulturen
Interview mit
Sebastian Purps-Pardigol
Sebastian Purps-Pardigol lebt eine »Patchwork-Karriere«: Nach dem Studium an der Medizinischen Hochschule in Hannover wurde er Journalist und hat zudem diverse weltweit leitende Aufgaben in verschiedenen Unternehmen wie zum Beispiel Ericsson, SonyMusic und Swisscom.
Seit 2008 ist Sebastian Purps-Pardigol als Referent, Management- und Organisationsberater selbstständig tätig. Mit seiner Beratergruppe Unternehmenswandel unterstützt er Firmen, die eine Potenzialentfaltungskultur erschaffen wollen.
Inspiriert durch die Freundschaft mit dem Neurobiologen Prof. Dr. Gerald Hüther hat er die Erkenntnisse der modernen Hirnforschung mit den Methoden des Management-Trainings verbunden. Zusammen gründeten sie die Non-Profit-Initiative »Kulturwandel in Unternehmen und Organisationen«. Sein Grundlagenwerk »Führen mit Hirn« wurde in Deutsch, Englisch sowie Chinesisch veröffentlicht.
www.kulturwandel.org
www.sebastian-purps-pardigol.com
Sie betreiben gemeinsam mit Ihrem Freund Gerald Hüther das Projekt kulturwandel.org, bei dem Sie seit sieben Jahren Firmen mit bemerkenswerten Unternehmenskulturen analysieren. Welche sind die wichtigsten Erkenntnisse, die Sie hieraus gewinnen konnten?
Nach mehreren hundert Interviews mit Aufsichtsräten, Vorständen, Geschäftsführern, Führungskräften, Mitarbeitenden und Betriebsräten lassen sich einige wiederkehrende Muster erkennen. Das Grundlegendste zuerst: Wenn Führungskräfte in einem Unternehmen die Kultur verändern möchten, sind sie gut beraten, diese Veränderung zuallererst bei sich selbst zu beginnen. Das geschieht idealerweise auf den Ebenen des Verhaltens und der Haltung.
Konkret heißt das: Mitarbeiter brauchen einen sichtbaren Wandel im Verhalten des Chefs, um ihm vertrauen zu können, dass er es ernst meint. Das Ziel dieses Verhaltenswandels sollte es sein, eine bessere Version von sich selbst zu werden. Es geht darum, sich persönlich weiterzuentwickeln und damit zu einem Vorbild, einem Vorreiter der Veränderung und des Über-sich-hinaus-Wachsens für die Mitarbeiter zu werden.
Ein Antibeispiel: Vor einigen Jahren wurde ich von einem Bundesministerium nach Berlin eingeladen. Die Abteilungsleiter hatten von kulturwandel.org erfahren und wollten wissen, was ich ihnen über bemerkenswerte Unternehmenskulturen zu berichten hatte. Im Anschluss fragten die Damen und Herren mit einer erinnerungswürdigen inneren Distanz, was sie in ihrem Ministerium ändern sollten, um die von mir beschriebene Menschen zugewandte Kultur zu erreichen. Ich habe ihnen im ersten Schritt mehr ehrliche Selbstreflexion und die Erarbeitung eines gemeinsamen zukünftigen Bildes der Kultur im Ministerium empfohlen, denn diesen Menschen wäre – so wie ich sie erlebte – niemand begeistert gefolgt. Meine Empfehlung fiel auf nicht besonders fruchtbaren Boden, erzählte mir eine Staatssekretärin wenige Monate später amüsiert. Aber es war ein Beispiel, wie den Chefs ein Kulturwandel in der eigenen Organisation sicherlich nicht gelingt – sie waren zu keiner sichtbaren eigenen Verhaltensveränderung bereit.
Wenn Führungskräfte heutzutage Mitarbeiter begeistern wollen, über sich hinauszuwachsen, gelingt das oftmals einfacher, wenn der Mitarbeiter einen Chef erlebt, dem das bei ihm selbst gelungen ist. Um es in einer Metapher auszudrücken: Sie würden im Sportstudio auch nicht den Tipps des Fitnesstrainers mit hängendem Bierbauch, sondern eher denen des Fitnesstrainers mit der durchtrainierten Figur folgen, oder?
Zusätzlich zu dieser Verhaltensänderung braucht es einen Wandel der inneren Haltung. Eine günstige innere Haltung einer Führungskraft wäre, wenn sie Menschen zugewandt führt; wenn ihr die Mitarbeitenden und deren Entwicklung am Herzen liegen.
Was verstehen Sie unter »Menschen zugewandt führen« konkret?
Es bedeutet, Menschen nicht weiterhin als Objekte, als Ressourcen zu sehen – der Begriff Human Resources drückt das ja bereits auf eine ungünstige Art aus. Unternehmen und Führungskräfte sollten sich eher fragen: »Wie geht es meinem Mitarbeiter? Wie fühlt er sich?« und »Was braucht er, damit er sich wohlfühlt und die in ihm liegenden Potenziale optimal entfaltet?«
Das 14.000-Mitarbeiter-Unternehmen Phoenix Contact hat das wunderbar gezeigt: 84 Jahre brauchte die Automatisierungstechnik-Firma, um einen Jahresumsatz von 1 Milliarde Euro zu erreichen. Dann setzten sie die Mitarbeiter, die Menschen, in den Fokus ihrer Unternehmensstrategie und wuchsen auf 1,6 Milliarden – in nur fünf Jahren! Bei der Hotelkette Upstalsboom verdoppelte sich der Umsatz sogar, nachdem sich das Unternehmen mehrere Jahre konsequent fragte: »Was brauchen unsere Mitarbeiter, um glücklich zu sein?«
Eine Menschen zugewandte Haltung haben wir bereits in früher Kindheit entwickelt. Eine kanadische Studie zeigt sehr eindrucksvoll, dass kleine Kinder ein hohes Maß an Glück entwickeln, wenn sie Dinge teilen und abgeben dürfen. Und auch bei Erwachsenen lässt sich in Experimenten nachweisen, dass das »soziale Geben« ein tief in uns verborgenes Bedürfnis ist, das zudem unser eigenes Wohlbefinden erhöht.
Ungünstige Beziehungserfahrungen und Enttäuschungen können jedoch dazu führen, dass dieses Bedürfnis und damit die Menschen zugewandte Haltung verloren geht. Wenn es Führungskräften gelingt, dieses Ursprüngliche wieder in sich zu entdecken und Mitarbeitenden auf Augenhöhe zu begegnen, fühlen diese sich gesehen. Dies ist ein erster Schlüssel, damit diese Menschen beginnen, die in ihnen liegenden Potenziale mehr zu entfalten.
Menschen tragen zwei neurobiologische Grundbedürfnisse in sich. Zum einen das Bedürfnis nach Verbundenheit und zum anderen das Bedürfnis, über sich hinauszuwachsen und (mit-)zugestalten.
Eine aktuelle Stanford-Studie zeigt, dass bereits das Gefühl von Verbundenheit einen bemerkenswert positiven Einfluss auf die Leistungsbereitschaft und auf das Energieniveau von Menschen hat. Wir reden hier von einer Steigerung von über 50 Prozent! Eine der wirksamsten Möglichkeiten, um Verbundenheit im Unternehmensalltag entstehen zu lassen, ist das Etablieren einer konsequent gut gelebten Feedbackkultur. Ich habe das vor einigen Jahren sehr eindrücklich bei einem DAX-Unternehmen erlebt. Gemeinsam mit der Personalabteilung haben wir folgendes Experiment gewagt: Ein gutes Jahr lang wurde ein Bereich des Unternehmens aus nahezu allen Trainings- und Personalentwicklungsmaßnahmen herausgenommen. Wir fokussierten uns während dieser Zeit ausschliesslich darauf, sehr intensive Feedbackworkshops durchzuführen. Nach kurzer Zeit hatten über 1.000 Mitarbeiter die Kompetenz, im Alltag untereinander anhand sehr sauber definierter Regeln Feedback zu geben und Feedback zu erhalten. In der darauf folgenden Mitarbeiterumfrage war der Zuwachs der Mitarbeiterzufriedenheit genau in diesem Konzernbereich überdurchschnittlich hoch – mit einer der günstigsten Personal-Maßnahmen, die dieses Unternehmen seit Langem durchgeführt hatte!
Wenn Menschen das Gefühl von Verbundenheit fehlt, aktiviert das den dorsalen anterioren cingulären Cortex – das Schmerzsystem im Gehirn. Ein Gehirn im Schmerzzustand ist kaum in der Lage, bestmöglich auf die sogenannten Exekutivfunktionen im präfrontalen Kortex zuzugreifen. Das ist der Ort unserer Potenziale – und die liegen in so einem Moment brach. Wenn sich Menschen Feedback geben und Unausgesprochenes aussprechen, verbessert sich die Beziehungsqualität. Verbundenheit entsteht, sie erhalten wieder mehr Zugriff auf ihren präfrontalen Kortex und somit auf die in ihnen liegenden Potenziale. Das kann sich spürbar auszahlen: Der Hosenmarke Gardeur aus Mönchengladbach ist es beispielsweise gelungen, im Kontext eines Markenkernprozesses, zu dem auch der Aufbau einer intensiven Feedback-Kultur gehörte, den Jahresüberschuss zu vervierfachen.
Und wie steht es um das zweite neurobiologische Grundbedürfnis, das sie erwähnten, das Bedürfnis des (Mit-)gestaltens?
Wenn ein Kind zwischen Bauklötzen und Schokolade wählen soll – wofür, glauben Sie, entscheidet es sich? Für die Schokolade, glauben viele Menschen. Damit liegen sie falsch. Die meisten Kinder entscheiden sich für die Bauklötze, und folgen damit einem der tiefsten Impulse, den wir Menschen in uns tragen: dem Bedürfnis, sich zu entfalten und zu gestalten.
Dieses Bedürfnis entsteht sehr früh. In den ersten Monaten nach unserer Geburt hatten viele von uns ein soziales Umfeld, das jeden unserer Fortschritte begeistert kommentiert hat. »Schau mal! Der Kleine hat mich angelächelt!« Oder: »Wie putzig! Sie hat heute ihre ersten Schritte gemacht!« Irgendwann begannen wir dann, zu sprechen. Wir erlernten Schreiben, Lesen, ein Telefon zu bedienen, eine Power-Point-Präsentation oder eine...