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E-Book

Hedy Lamarr

Filmgöttin - Antifaschistin - Erfinderin

AutorMichaela Lindinger
VerlagMolden Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783990405222
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis23,99 EUR
Hedy Lamarr (1914-2000): Ein Teenager aus Döbling wurde in den 1930er-Jahren durch 'skandalöse' Nacktszenen und die erste Darstellung eines weiblichen Orgasmus in der Filmgeschichte zum Arthouse-Filmstar. In Hollywood stieg sie kurzfristig zur größten Leinwandgöttin aller Zeiten auf. Als Jüdin und Hitler-Gegnerin erlebte sie die Zäsuren und Brüche fast des gesamten 20. Jahrhunderts. Heute gilt sie als 'Mrs. Bluetooth'. Die Historikerin Michaela Lindinger entkräftet auf Basis neuer Quellen gängige Klischees und Falschinformationen, porträtiert eine Frau mit Ecken und Kanten und zeichnet so völlig neues Bild der ehemals 'schönsten Frau der Welt'.

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Leseprobe

I
Legenden aus dem World Wide Web


Graswurzeln


„Ich hasse Konventionen.“


Die Tüfteleien von Hedy Lamarr und George Antheil, die zu einem verschlüsselten Kommunikationssystem führen sollten, gibt es in den USA sogar als Comic.

Statt „The ,Ecstasy‘-Girl“ nennt man sie heute „Mrs. Bluetooth“. (Fast) vergessen scheint der größte Sex-Skandal der Filmgeschichte, den Hedy Kiesler 1933 mit dem tschechischen, beinahe dialogfreien Arthouse-Streifen „Ekstase“ ausgelöst hatte. Doch begann die zweite Laufbahn der Schauspielerin erst mit sehr großer Verspätung. Und auch in diesem Fall half die Filmkarriere, denn jener Mann, der sich so stark für die Wahrnehmung und Anerkennung von Hedys Erfindung aus den 1940er-Jahren einsetzte, war in seiner Jugend ein großer Verehrer ihrer Kunst gewesen. Nun ist er weit über 80 und sitzt in typischer „Texas-Montur“ in einem Raum voller Computer. Er wird soeben für den Film „Calling Hedy Lamarr“ (Regie: Georg Misch) über Hedys Lebenswerk interviewt. Am Telefon erklärt er der kleinen Tochter aus Hedys ehemaliger Nachbarsfamilie das „Frequenzsprungverfahren“, das Hedy Lamarr erfunden hat:

„Was für ein brillanter Kopf Hedy war! Eine Methode zur Fernsteuerung von Torpedos, sodass sie vor Störungen sicher sind. Spreizband-Technologie und Frequenzsprung-Technik sind sehr kompliziert, schwierig zu verstehen. Es war ein Mittel zur geheimen militärischen Kommunikation. Früher wurde nur auf einer Frequenz gefunkt. Also: Wie hindert man den Feind daran, abzuhören, was gesagt wird? Und da kommt Hedy die Idee: Frequenzsprünge! Man verwendet einfach eine Vorrichtung, die das gewünschte Signal aufnimmt, von Frequenz zu Frequenz springt und in rascher Folge sendet. Und am anderen Ende hat man eine Vorrichtung mit demselben Code, die das Signal empfangen kann. Somit ist man nicht immer auf nur einer Frequenz. Das Signal kann nicht gestört oder unterbrochen werden. Dass man von einer Frequenz zur anderen springt, ist so revolutionär, dass einem die Spucke wegbleibt. Heute gibt es moderne Versionen. Die Japaner verglichen Hedy mit Mata Hari, der Spionin aus dem Zweiten [sic] Weltkrieg. Hedy hatte technisches Denkvermögen. Sie bekam zwar nie einen Oscar, aber plötzlich viele Wissenschaftspreise, unter anderen den Preis des amerikanischen Erfinderclubs. Auf ihrer Erfindung basiert eine milliardenschwere Technologie: Digital Spread Spectrum, Frequency Hopping, das ist alles ihre Idee. Schnurlostelefone, kabellose Lautsprechertelefone ebenfalls. Kabellose Headsets. Es ist überall. Die ganze Handyindustrie, das neue Bluetooth (der Film stammt aus dem Jahr 2004, Anm.), kabellose Satellitenverbindungen, das kabellose Internet, kabelloser Datenverkehr. Ein billionenschweres Business. Die schöne Helena ist jene Frau, deren Schönheit 1000 Schiffe in See stechen ließ. Doch Hedy Lamarr ließ Millionen Chips vom Stapel. Hedys Erfindung ist die Basis für GPS, sie steckt sogar im Lenksystem der Cruise Missile.“

Die niederländische Tänzerin Margaretha Geertruida Zelle, die sich Mata Hari nannte, war zwar Spionin im Ersten Weltkrieg und wurde aus diesem Grund bereits 1917 hingerichtet, aber das spielte für den US-Internet-Fan, der Hedys Erfindung aus dem Zweiten Weltkrieg publik machen wollte, vermutlich eine eher marginale Rolle … In einer weiteren Szene des Films erläutert ein US-Soldat, dass die Präzisionsbomben der US-Armee, die zum Beispiel im Irak-Krieg eingesetzt wurden, auch das von Lamarr entwickelte „geheime Kommunikationssystem“ verwendet hätten. „Hedy steckt in all dem“, meint der uniformierte Army-Angehörige voller Stolz.

„Missel-Gided Torpido“


Der eingangs erwähnte ältere Mann in seinem texanischen Outfit trägt anstatt einer Krawatte einen massigen Türkisklunker in Form von Stierhörnern am Hemdkragen und auf seinem Kopf sitzt ein enormer Cowboyhut. Er war viel in Sachen Hedy Lamarr unterwegs. Sein Name ist David R. Hughes, sein Beruf: Ex-Colonel der US-Armee. Schon als Bub war er in die Hollywood-Hedy verliebt. Nach seinem Ausscheiden aus der Armee begann er, sich für das soeben in größerem Ausmaß Platz greifende Internet zu interessieren. Seine Recherchen zu den Bereichen Funktechnologien und drahtlose Übertragungstechniken sowie seine Verbindungen zum US-Militär dürften dazu beigetragen haben, dass er eines Tages auf das US-Patent „No. 2292387“ vom 11. August 1942 gestoßen ist, ein „geheimes Kommunikationssystem“ („Secret Communication System“), eingereicht von Hedy Kiesler Markey und ihrem damaligen Erfindungskollegen, dem Musiker George Antheil.

Mr. Hughes begann, in den Vereinigten Staaten für Hedy Lamarr, die für ihn eine so große Bedeutung als Idol gehabt hatte, die Werbetrommel zu rühren. Viele Jahre lang betrieb er Lobbying für die „geniale Göttin“, die den Leuten in den 1980er-Jahren nur noch als abgetakelte Ex-Diva beziehungsweise durchgeknallte Ladendiebin, wenn überhaupt, geläufig war. Schließlich brachte „Forbes“, ein weltweit einflussreiches Wirtschaftsmagazin, im Jahr 1990 ein Telefoninterview – wohl noch am Festnetz – mit Hedy, von der man bald sagen sollte, sie habe unter anderem das Handy erfunden. Sie klang verbittert: „Ich verstehe nicht, warum es keine Namensnennung gibt, wenn das System weltweit verwendet wird. Kein Brief, kein Dank, kein Geld. Ich verstehe es nicht. Ich nehme an, sie nehmen es (= das Patent, Anm.) einfach und vergessen die Person, die es erfunden hat.“

Der pensionierte Ex-Colonel Hughes stand für das genaue Gegenteil von Hedys Äußerungen. Er tat alles, um Hedy als Erfinderin bekannt zu machen, nicht zuletzt wohl, um auch selbst eine Art früher Internet-Star zu werden und mit seiner Website, einer der ersten der USA, Geld zu verdienen. Den Co-Autor des Patents „No. 2292387“ erwähnte er hingegen kaum – wer kannte schon Georges Antheil. Der wilde surrealistische Komponist aus den 1920er-Jahren hätte auch kein werbewirksames Gesicht abgegeben, das man in Zeitschriften hätte abdrucken und in der Internet-Kommunikation verwenden können. Eher klein gewachsen und unscheinbar, wäre Antheil weder ausreichend attraktiv noch interessant genug gewesen. Genutzt hätte es ihm freilich auch nichts mehr, der Musiker war seit 1959 tot.

Folgt man dem US-Technologie-Magazin „Wired“, war David R. Hughes Mitte der 1990er-Jahre, als viele schon ein Handy besaßen und das Internet langsam, aber sicher Einzug in die Privathaushalte hielt, die bekannteste Online-Persönlichkeit der USA. Die amerikanische Technik-Auszeichnung, die Hedy Lamarr bald bekommen sollte, hatte Hughes im Jahr 1993 selbst erhalten. Sein Verdienst? Er war „Grassroots-Evangelist“ – also ein Mensch, der andere ohne finanzielle Interessen nur im persönlichen Gespräch von einer Idee oder Sache zu überzeugen sucht. Hughes plante beispielsweise, Schulen in ländlichen Bereichen der Vereinigten Staaten mit Computern auszustatten, um der offenbar rückständigen Landjugend Anschluss an die großen restlichen USA zu ermöglichen. Findet also ein solcher Evangelist durch seine mündliche Überzeugungskraft weitere „Evangelisten“, so tragen diese die Idee weiter und scharen so eine immer größere Anzahl von Anhängern um sich. Die weltweit bekannteste IT-Firma Apple soll ursprünglich auf solche Weise begonnen haben und der frühere dortige „Chef-Evangelist“ Guy Kawasaki meinte, es gehe bei jener Art Werbung darum, dass jeder Einzelne die Welt zu einem besseren Ort machen könne. Übrigens soll auch der Aufstieg des Kaffeeriesen Starbucks auf derartige „Evangelisten“ zurückzuführen sein. Ein paar wenige, die unbedingt Kaffee in Plastikbechern durch die Gegend tragen wollten, überzeugten andere, dass die Welt mit Kaffeebechern in der Hand erst lebenswert sei.

Hedy Lamarr als „Schöne Helena“ im von ihr selbst produzierten Film „L’amante di Paride“ (1954).

David R. Hughes arbeitete in den 1990ern also an der Computervernetzung „aller Menschen, die guten Willens sind“ und brachte so ganz nebenbei Hedy Lamarr noch einmal internationalen Ruhm, denn sein Einfluss in der stetig wachsenden Online-Community war nicht zu unterschätzen. Er besaß eine frühe Domain, die er „The Well“ genannt hatte, und steuerte über diese Community die Kampagne zur Bekanntmachung von Hedys Patent. Und so kam es, dass die vom Magazin „Playboy“ unter die „100 sexiest film stars of the 20th century“ gewählte Wienerin 1997 einen Technik-Oscar erhielt – denselben wie vier Jahre vorher ihr Propagandist David R. Hughes: den amerikanischen Electronic Frontier Foundation (EFF) Pioneer Award. Dieser Preis geht vor allem an Einzelpersonen, die sich um die individuelle Nutzung von Computern verdient gemacht haben. Als weiterer Österreicher wurde 2016 der Salzburger Datenschutzaktivist Max Schrems mit einem EFF Pioneer Award bedacht.

Wie die österreichische Kaplan-Medaille nahm auch den EFF-Preis Hedys Sohn Tony Loder entgegen. Er hatte seine Rede so choreografiert, dass während seiner Dankesworte sein Handy klingelte. Auf diese Weise wollte er erneut auf die Erfindung seiner Mutter aufmerksam machen. Außerdem spielte er anrührende Worte der alten Hedy („Ich bin froh, dass es nicht umsonst gewesen ist.“) ein, die er auf einem Diktiergerät aufgenommen hatte.

Nun behauptete allerdings Hedys Tochter Deedee, dass ihre Mutter „vollkommen untechnisch“ gewesen sei. Als ihr diese zum ersten Mal von ihrer patentierten Erfindung erzählt habe, habe Deedee nur abgewunken: „Yes yes, sure, Mum“, habe sie gesagt. Erst nachdem „Mum“ ihr das Patent unter die Nase gehalten habe, habe sie es glauben können. Dann sei sie aber ganz ehrfürchtig gewesen. Sie freue sich, wenn Hedys „Beitrag zur...

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