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Vertriebsmanagement – neue Aufgabenfelder für Controller?
Ausgangslage und Relevanz
Der Vertrieb ist eine der wichtigsten Funktionen im Unternehmen. Neben Beschaffung, Produktion und Logistik ist er ein zentrales Element im innerbetrieblichen Wertekreislauf und kein Unternehmensbereich ist so nah am Kunden. Schätzungsweise mehr als eine Million Arbeitnehmer sind in Deutschland mit vertrieblichen Tätigkeiten beschäftigt, und für zahlreiche Unternehmen macht der Vertrieb den größten Teil des Marketingbudgets aus (vergleiche Ehrmann 2002, S. 866).
Vertriebsmanager sehen sich dabei mit einigen Herausforderungen konfrontiert. So muss sich beispielsweise der Vertrieb dem Vorwurf aussetzen, im Vergleich zu anderen Funktionsbereichen ein hohes Steigerungspotenzial in Bezug auf die Produktivität aufzuweisen (vergleiche Krafft 2003, S. 500). Gleichzeitig sehen sich Vertriebsmanager einer zunehmenden Komplexität im Marktumfeld gegenüber: Es herrscht ein erhöhter Druck auf Preise, Lebenszyklen der Produkte werden immer kürzer und Kunden äußern immer höhere Ansprüche. Vertriebsmanager sind somit gewissermaßen »Diener zweier Herren«, die gleichzeitig dem Wohl ihrer Kunden, aber auch den Interessen ihres Unternehmens verpflichtet sind. Der Forderung der Unternehmensführung nach mehr Produktivität und Effizienz zu begegnen, ist für Vertriebsmanager vor diesem Hintergrund kein einfaches Unterfangen. Hier setzt der vorliegende Advanced Controlling-Band an. Wir vertreten die These, dass Controller einen sinnvollen Beitrag zur Unterstützung des Vertriebsmanagements leisten können. Durch Übernahme neuer Handlungsfelder können sie mehr noch als bisher das Vertriebsmanagement proaktiv begleiten und einen Beitrag zur Verbesserung der Qualität von Managemententscheidungen leisten.
Gestützt auf diesen gedanklichen Rahmen haben wir eine empirische branchenübergreifende Erhebung durchgeführt, an der sich 191 überwiegend deutsche Unternehmen beteiligt haben. Ziel der Untersuchung war es, zu einer Bestandsaufnahme zu gelangen, inwieweit Vertriebsmanager bereits heute eine systematische Unterstützung erfahren und an welcher Stelle es sinnvoll ist, diese Unterstützung weiter auszuweiten beziehungsweise welche Rolle Controller dabei spielen können.
Der Band gliedert sich wie folgt: Im nachfolgenden Abschnitt wird kurz auf das Tätigkeitsspektrum des Vertriebsmanagements eingegangen und der Bedarf für eine systematische Führungsunterstützung aufgezeigt.
In Kapitel 2 geht es um Controlling im Vertrieb. Wir stellen kurz die wesentlichen Aufgaben vor, zeigen, welche Strukturen eine Controllingfunktion im Vertrieb annimmt, und diskutieren, warum Controller geeignet sind, eine systematische Unterstützung für das Vertriebsmanagement zu leisten.
In Kapitel 3 gehen wir auf die Herausforderungen im Vertriebsmanagement und das Ausmaß der geleisteten Führungsunterstützung ein. Anhand der Aufgabenfelder des Vertriebsmanagements werden die wesentlichen Herausforderungen und Probleme beleuchtet. Die Ergebnisse der empirischen Erhebung zeigen, in welchem Ausmaß bisher eine Unterstützung durch ein Controlling erfolgt.
In Kapitel 4 werfen wir die Frage nach einer Perspektive für ein Vertriebscontrolling auf. Wir zeigen, inwieweit eine intensive Führungsunterstützung die Vertriebsorganisation und das Unternehmen als Ganzes weiter bringt, an welchen Stellen eine stärkere Führungsunterstützung sinnvoll wäre und welche Rolle Controller dabei spielen können.
Der Band schließt mit einer Zusammenfassung und einem Ausblick.
Das Tätigkeitsspektrum des Vertriebsmanagements
Aufgabenfelder
Das Vertriebsmanagement ist für ein breites Feld an Aufgaben verantwortlich. Es gestaltet die Vertriebsstrategie und Vertriebsorganisation, es führt und managt die Vertriebsmannschaft und es ist verantwortlich für das Informationsmanagement. Im Folgenden werden die Aufgaben kurz vorgestellt.
Vertriebsstrategie und Vertriebsorganisation
Das Vertriebsmanagement ist verantwortlich für das Setzen von mittelfristigstrategischen Zielen für den Vertrieb und die Entwicklung von Maßnahmen zur Zielerreichung.
Das Vertriebsmanagement gestaltet die Vertriebsorganisation. Dies betrifft die Aufbauorganisation, die territoriale Struktur, die Vertriebskanäle und die Beziehung zu Vertriebspartnern sowie die Ablauforganisation und das Management von Schnittstellen.
Ein weiteres wichtiges Aufgabenfeld betrifft das Management der Kundenbeziehung. Hier geht es zunächst darum, ein systematisches Kundenbeziehungsmanagement zu verankern, das heißt um die systematische Analyse, Planung, Durchführung und Kontrolle sämtlicher auf den Kundenstamm gerichteten Maßnahmen, mit dem Ziel, die Geschäftsbeziehung aufrechtzuerhalten oder intensiver zu pflegen. Im Rahmen dieses Kundenbeziehungsmanagements sind dann segmentspezifische Maßnahmen zu Verkauf und Betreuung zu entwickeln, was Aktivitäten und Entscheidungen in den Bereichen Segmentierung, Priorisierung, sowie Offerten- und Konditionengestaltung betrifft.
Management und Führung
Ein weiterer Verantwortungsbereich ist die jährliche Planung, Zielsetzung und Kontrolle. Dazu gehören die Vornahme der operativen Vertriebsplanung, die Erstellung entsprechender Budgets und die Setzung beziehungsweise Vereinbarung von Zielen für die Vertriebseinheiten. Im Rahmen von Kontrolle und Analyse gilt es, den Grad der Zielerreichung zu messen und die Abweichungen zu analysieren.
Hinzu kommen Personalmanagement sowie Motivation und Führung der Mitarbeiter. Wichtige Aufgaben sind die Gewinnung geeigneten Verkaufspersonals und dessen Weiterentwicklung sowie die Setzung von Anreizen. Daneben sind die persönliche Führung und die Gestaltung und Pflege der Führungskultur andere wichtige Hebel zur Motivation und Koordination der Vertriebsmitarbeiter.
Informationsmanagement
Der dritte große Aufgabenbereich des Vertriebsmanagements betrifft die Gestaltung und das Management von Informationssystemen. Hier gilt es sicherzustellen, dass die für eine professionelle Marktbearbeitung benötigten Informationen bereitstehen.
Im Spannungsfeld zwischen Kunden und Unternehmen
Das Aufgabenfeld des Vertriebsmanagements ist sehr anspruchsvoll. Das lässt sich schon anhand des oben dargestellten, umfangreichen Aufgabenkataloges ablesen: Das Spektrum reicht von Aufgaben strategisch-organisatorischer Art über Aufgaben des Personalmanagements und der Führung bis hin zu »Routineaufgaben« bei Planung und Budgetierung. Neben der Verantwortung für den eigenen Bereich sind Vertriebsmanager noch in Fragen der Unternehmens- und Marketingstrategie eingebunden, etwa wenn es darum geht, wichtige Weichen im Hinblick auf neue Produkte, Märkte, Werbemaßnahmen oder die Preisgestaltung zu stellen.
Darüber hinaus befinden sich Vertriebsmanager in einem Spannungsfeld: Wie bereits erwähnt, sehen viele Umfragen und Analysen im Vertrieb deutliche Potenziale zur Steigerung von Produktivität und Effizienz. Nachdem sich in den letzten Jahren entsprechende Maßnahmen und Projekte primär auf Verwaltung und Produktion gerichtet haben, wird nun auch zunehmend der Ruf nach einer Kostensenkung im Vertrieb laut. Gleichzeitig verlangt das Marktumfeld aber nach mehr Professionalisierung und Flexibilität im Vertrieb. Diese Entwicklung wird durch eine zunehmende Komplexität des Marktumfeldes getrieben, beispielsweise in Form einer erhöhten Markttransparenz, Änderungen im Verbraucherverhalten, kürzeren Produktlebenszyklen und einer »Anspruchsinflation« auf Kundenseite, die dazu führt, dass Kunden »immer mehr« wollen, aber immer weniger dafür zu zahlen bereit sind. Zunehmende Komplexität ergibt sich aber auch aus neuen Methoden der Kundenanalyse und -ansprache, die zur Verfügung stehen – aber auch beherrscht werden wollen.
Insgesamt zeichnet dieses Bild einen »Spagat«, der unter Umständen nicht leicht zu bewerkstelligen ist – gerade für Vertriebsmanager. Denn in vielen Vertriebsorganisationen liegt traditionell ein vom Ideal der Verkäuferpersönlichkeit und von Improvisation dominiertes Verständnis vor. Eine »Macherkultur« dominiert, und systematisches Management wird oft als Pflichtübung empfunden. Hinzu kommen die Profile von Vertriebsmanagern. Auch sie können erschwerend wirken. In der Regel durchlaufen Vertriebsmanager verschiedene Verkäufer-Karrierestufen, bevor ihnen die Verantwortung für bestimmte Funktionen innerhalb der Vertriebsorganisation übertragen wird. Der Aufstieg auf der Karriereleiter hängt dabei überwiegend von der Verkaufsleistung ab. Die Aufgabenprofile eines Vertriebsmanagers und eines Verkäufers unterscheiden sich jedoch erheblich. Als Vertriebsmanager sind weniger gute Verkaufskünste gefragt als vielmehr die Fähigkeit, eine Organisation zu führen und zu entwickeln. Vielen Vertriebsmanagern fällt es schwer, sich von ihrer...