1. Kopfstand der Marktregeln
Der Siegeszug von Kundenzufriedenheit und Service in der Servicewüste Deutschland
Ich wusste nicht, wie mir geschah. Plötzlich sprachen alle über Kundenservice. Gerade eben war die Servicewüste Deutschland noch in aller Munde und Titelthema im Stern gewesen. Und auf einmal war die Welt wie ausgewechselt! Das war vor 20 Jahren. Bis dahin war das Motto »Profit is the Name of the Game« erste Wahl im deutschen Wirtschaftsalltag. Nur wenige Unternehmen hatten verstanden, dass der wichtigste Erfolgsfaktor ein anderer ist. Doch dann, Stück für Stück, wachte die Wirtschaft auf und entdeckte ihn: den Kunden. Immer mehr Unternehmer entwickelten ein Bewusstsein dafür, dass der Kunde der wesentliche Schlüssel zum Erfolg ist.
Deutschland folgte dabei einem Trend, der weltweit für Furore sorgte. Kundenzufriedenheit und Service bekamen einen ganz neuen Stellenwert. Wer sich nicht an die neuen Regeln hielt, wurde abgestraft oder verschwand sogar ganz vom Markt. Und noch etwas passierte: Die Kunden wurden sich ihrer Macht bewusst. Sie merkten, wie sie hofiert wurden, und begannen, ihre Karten auszuspielen. So fand man den störenden Kunden immer häufiger als gern gesehenen Gast in TV-Talkshows wieder, und meine Vorträge zum Thema Kunde boomten.
Vorübergehend glaubte ich sogar, dass die Unternehmen die Herausforderung Kunde tatsächlich verstanden hätten. Ein großer Irrtum, denn die Entwicklung geht weiter. Wir stehen nach der ersten großen Welle der Kundenzufriedenheit alle wieder in den Startblöcken. Wer also glaubt, mit einfachem Kundenservice im sicheren Hafen gelandet zu sein, wird sich warm anziehen müssen. Denn wir befinden uns in einem Entwicklungsprozess, bei dem kein Stein auf dem anderen bleiben wird. Was die Veränderung antreibt, ist die digitale Welt. Sie allein wird dafür sorgen, dass wir den Faktor Kunde noch ein weiteres Mal neu erfinden müssen. Um die Beschwerde eines Kunden zu beantworten, reicht es heute bei Weitem nicht mehr aus, gute Textbausteine zu formulieren und den, der am besten passt, in die Antwort an den Kunden zu kopieren. Ein guter Freund von mir – Topmanager bei einem Global Player und dort verantwortlich für das internationale Service-Business – formuliert es so: »Wir sind gerade erst am Anfang.« Er vermutet, dass höchstens 20 Prozent der großen Konzerne wirklich verstanden haben, welchen Wert die Kunden wirklich für sie haben.
Produkte sind out. Heute will der Kunde Erfahrungen.
Der Begriff »Customer Experience Management« (kurz CEM) ist ein aktueller Modebegriff und bringt diese Herausforderungen auf den Punkt. Es reicht nicht mehr, dem Kunden einfach nur Produkte anzubieten. CEM – zu Deutsch Kundenerfahrungsmanagement – geht davon aus, dass Erlebnisse für den Kunden geschaffen werden müssen, um eine emotionale Bindung zwischen Kunden und Produkten beziehungsweise Anbietern aufzubauen. Das Ziel ist es, aus »einfachen« Kunden begeisterte Botschafter für Produkte und Marken zu machen.
Erfolgsfaktor Internet
Kundeninnovationen sind der Erfolgsmotor: Wer zuerst kommt, gestaltet den Markt.
Sowohl Kunden als auch Unternehmen leben heute in einer Zeit, in der die größten Veränderungen der Wirtschaftsgeschichte stattfinden. Der Hauptdarsteller in diesem Wirtschaftsepos ist das Internet. Wer den wichtigsten Akteur nicht ernst nimmt, scheitert. Quelle, Karstadt & Co. – die Liste wird jeden Tag länger. Wir wissen längst, dass die Kunden von heute die digitalen Chancen für sich zu nutzen wissen. Kunden sind nicht mehr unbedingt treu. Liefert ein Onlineshop schneller als der andere, entscheidet sich der Kunde für den schnelleren Shop. Kommt ein Produkt auf den Markt, das es vorher noch nicht gab, wird der Kunde es kaufen. Selbst bei Innovationen, die keiner vorhersehen kann, greifen die Kunden vehement zu, sobald sie entdecken, dass es da etwas ganz Neues und Außergewöhnliches gibt. Denken Sie beispielsweise an die Berliner Firma brands4friends, die Topdesignerware bis zu 70 Prozent günstiger anbietet und für 150 Millionen Euro an Ebay verkauft worden ist. Inzwischen gibt es mehrere Anbieter dieser Art, doch damals war brands4friends einer der Ersten.
brands4friends
Der Onlineshopping-Klub für hochwertige Markenprodukte wurde 2007 in Berlin von Constantin Bisanz, Christian Heitmeyer, Nicolas Speeck und Marion Zimmermann gegründet. Heute hat das Unternehmen über 5 Millionen registrierte Mitglieder und mehr als 200 Mitarbeiter. 2011 kaufte Ebay das Unternehmen für 150 Millionen Euro. Im gleichen Jahr setzte der Plattformbetreiber Private Sale 70,8 Millionen Euro um.
Schaffen Sie also etwas, das der Kunde noch nicht kennt, das ihm das Gefühl gibt, dass er es schon immer haben wollte oder sogar ganz dringend braucht. Denn Kundenzufriedenheit allein ist eine Sackgasse. Zufriedene Kunden berichten immer nur über das, was sie bereits aus der Vergangenheit kennen. Gelingt Ihnen jedoch eine Kundeninnovation, können Sie den Markt für sich als Erster gestalten. Auch das deutsche Unternehmen HRS, ein Buchungsportal für Hotelzimmer, hat die neuen Möglichkeiten des Internets früh genutzt. Es bietet Privat- und Firmenkunden ein elektronisches Hotelreservierungssystem an. Kein Hotel kommt heute mehr an HRS vorbei.
HRS
Hotel Reservation Service, kurz HRS, hat seinen Hauptsitz in Köln und bietet Privat- und Firmenkunden eine Plattform für die Buchung und Reservierung von Hotelzimmern über das Internet. Gegründet hat der Inhaber Robert Ragge sein Unternehmen bereits 1972 als Reisebüro, das sich auf die Zimmervermittlung in Messezeiten spezialisierte. Bereits 1995 erfolgt der Launch der ersten HRS-Webseite in mehreren Sprachen. Heute hat die HRS Group rund 80 Millionen Nutzer pro Jahr und bietet über 250.000 Hotels aller Kategorien in 190 Ländern an. Weltweit arbeiten 1.300 Mitarbeiter für HRS und die Tochterunternehmen. Der Marktanteil liegt bei über 60 Prozent. Geschäftsführer ist Tobias Ragge, der Sohn des Gründers.
Viele Firmen, die heute eine marktführende Rolle spielen, haben ihre Kunden nicht nur zufriedengestellt, sondern verblüfft. Mit dem Internet haben Sie als Unternehmer dafür einen guten Partner an der Seite. Einen Partner, der Ihnen dabei helfen wird, neue Wege zu gehen. Einer meiner Kunden, der Kieferorthopäde van den Bruck aus Wesel, ist diesen Weg gegangen und hat es geschafft, direkt vom ersten Kontakt im Internet mit dem Patienten eine ganz andere Beziehung aufzubauen. Obwohl in Deutschland noch völlig unüblich, kann man auf seiner Homepage Termine direkt online buchen.
Paradigmenwechsel
Die Dampfmaschine als Zugpferd des Commonwealth: Innovationen sind verantwortlich für den Erfolg ganzer Staaten.
Vielleicht ist Ihnen der Russe Nikolai Dimitrijewitsch Kondratjew ein Begriff, der für seine Überzeugungen leider sein Leben lassen musste. Kondratjew entwickelte die »Theorie der Langen Wellen«, bei der es um zyklische Wirtschaftsentwicklung geht. Leider passte Stalin nicht, was er da hören musste. Kondratjew wies nach, dass in Wellen von 50 Jahren Wohlstand nicht von der richtigen politischen Grundeinstellung abhängig ist, sondern einzig und allein von sogenannten Durchbruchinnovationen und Paradigmenwechseln. Seit 1780 hat er fünf Perioden ausgemacht, die zeigen, dass die Staaten und Menschen, die Innovationen besser umgesetzt haben als andere, zur Weltmacht wurden. So erfanden etwa die Engländer die Dampfmaschine und bauten damit das Commonwealth auf. Danach folgten die Gründerzeit in Europa, ausgelöst durch die Eisenbahn, die chemische Industrie, die Automobilindustrie und die Informationstechnologie.
Willkommen in der Gründerzeit der digitalen Welt! Höchste Zeit, den Kunden neu zu entdecken.
Heute entsteht gerade das Paradigma des sechsten Zyklus. Der Startschuss für das digitale Zeitalter ist also gerade erst gefallen. Geprägt wird diese Entwicklung durch Hightech wie Internet und Robotik und als großes neues Thema die Bedeutung des Menschen durch eine Verbesserung seines Lebens und seiner Gesundheit. Es ist Gründerzeit. Und damit meine ich keine Unternehmensneugründungen, sondern die Möglichkeiten etablierter Unternehmen, die Beziehung zum Kunden neu zu entdecken und über das Internet neue Chancen zu nutzen.
Bei der vorhin erwähnten Zahnarztpraxis van den Bruck buchen Patienten ihre Termine bereits online. Ich sage: Die anderen machen es nicht, weil sie noch nicht auf die Idee gekommen sind, dass es bereits Ärzte gibt, bei denen man sich online einen Termin holen kann. Wenn sie es erst einmal wissen, werden sie es auch tun. Ob Massagepraxis, Kosmetikerin oder der Friseur um die Ecke: Warum kann ich nicht kurz vor Mitternacht einen Termin online über die Webseite meines Friseurs vereinbaren? Oder noch besser über eine App – ganz egal, wo ich gerade bin, aber genau dann, wenn mir einfällt, dass ich einen Termin brauche? Ganz einfach: Das Internet ist heute auf dem Stand eines siebenjährigen Kindes. In wenigen Jahren werden wir lachen, wenn wir zurückschauen. Denn das, was heute wie Fortschritt pur aussieht, sind die ersten Samenkörner der Entwicklung.
Digitale Geschäftsideen
Ich bin davon überzeugt, dass zwei Drittel aller Geschäftsideen noch gar nicht erfunden wurden. Denn alles, was noch kommt, wird auf dem basieren, was heute möglich wird. Technische Möglichkeiten, Kundentrends, der gesellschaftliche Wandel,...