Die Probleme, die durch Schwierigkeiten und Hindernisse bei der Bewältigung der phasentypischen Entwicklungsaufgaben (Anhang Punkt 1) entstehen können, gelten als Regulationsstörungen der frühen Kindheit.
Definitionen
„Als Regulationsstörung wird bei Säuglingen und Kleinkindern eine alters- oder entwicklungsmäßig außergewöhnliche Schwierigkeit bezeichnet, ihr Verhalten in einem oder mehreren Interaktionskontexten wie Selbstberuhigung, Schlafen, Füttern oder Aufmerksamkeit angemessen zu steuern.“[7]
„Weiterhin ist wichtig zu betonen, dass eine Regulationsstörung als ein systemisches Konstrukt in dem Sinne zu verstehen ist, dass es keine monokausalen Ursachenzuschreibungen nahelegt, sondern gemeinsame Interaktionen und Bezogenheiten betrachtet. Sie ist keine Störung des Kindes und auch keine Störung der Mutter bzw. des Vaters, sondern eine zeitweilige Beeinträchtigung der gemeinsamen Interaktion.“[8] In diesem Zusammenhang kann von einer Interaktionsstörung gesprochen werden.
„Es wird davon ausgegangen, dass es zu einer Regulationsstörung kommt, wenn es keine gute Passung zwischen den Selbstregulationsfertigkeiten des Kindes und der Fremdregulation durch die Eltern gibt. Die Passung zwischen Eltern und Kind kann vor allem dann schwierig sein, wenn die Eltern sich unter Druck fühlen, in der Partnerschaft Probleme haben oder in einer schwierigen Situation leben. Es kann dazu aber auch kommen, wenn an das Kind Selbstregulationsanforderungen gestellt werden, denen es noch nicht gewachsen ist.“[9]
Interaktion im Prozess der Regulation
Definition
„Laut Fremdwörterbuch (Duden Band 5, 4. Auflage 1982, S. 350 f.) handelt es sich um einen in Soziologie und Psychologie geläufigen Terminus, mit dem „aufeinander bezogenes Handeln zweier oder mehrerer Personen“ oder die „Wechselbeziehung zwischen Handlungspartnern“ bezeichnet wird. (Soziale Interaktion).“[10]
Die Notwendigkeit einer gelungen Interaktion in der Eltern-Kind-Beziehung
Überwiegend gelungene Interaktionserfahrungen tragen zur Entwicklung einer sicheren Bindung bei, die wiederum Voraussetzung für eine gesunde Entwicklung des Kindes ist.
„Die Erfahrungen des Babys im Zusammenleben mit seinen Eltern bilden die Grundlage seiner seelischen Struktur. Wiederkehrende kleinste Kommunikationseinheiten werden zusammen mit dem begleitenden Gefühl gespeichert. Sie bilden die Grundlage für Erwartungen an die Umwelt und das Selbsterleben. Es ist also die Interaktion, über die sich elterliche Einstellungen und Probleme mitteilen und Eingang in die Ausbildung der psychischen Struktur des Kindes finden (Selbstbild, Erwartungen an Andere, Vertrauen in die eigene Selbstwirksamkeit bzw. in die Unterstützung durch andere Menschen etc.). Eine anhaltende Störung der Eltern-Kind-Interaktion sagt spätere psychische Entwicklungsprobleme des Kindes voraus. Daher ist die Beobachtung und Behandlung der Interaktion ein wichtiger Bestandteil der frühen Interventionen.“[11] Die im Zitat von Fr. Deneke erwähnten Entwicklungsprobleme des Kindes können sich bereits in sehr früher Zeit als Regulationsstörung manifestieren. Wobei zu beachten ist, dass nicht jede Regulationsstörung der frühen Kindheit ihren Ursprung in der Interaktion zwischen Mutter/Vater und Kind haben muss, dennoch hat jede anhaltende Regulationsstörung Auswirkungen auf die Interaktion und somit auf das Erleben und das Selbstbild aller Interaktionspartner und auf das Miteinander der Familie.
Menschliche Interaktionen sind nicht immer perfekt aufeinander abgestimmt und müssen es auch nicht sein. „Es kann im Gegenteil sogar hilfreich sein, Erfahrungen auch mit frustrierenden Interaktionen zu machen.“[12] Dies gilt auch für die frühe Eltern-Kind-Interaktion. Zum Problem wird die dysfunktionale Interaktion allerdings dann, wenn die „Zeiten positiver Gegenseitigkeit immer geringer werden“[13], d. h. wenn dysfunktionale Muster und Frustrationen überhandnehmen und wenig bis gar keine Gelegenheit bleibt, gelungene Interaktionen zu erleben.
Interaktion zwischen Eltern und dem Säugling – ein zirkulärer Prozess
„Die lange Phase der frühkindlichen Abhängigkeit impliziert, dass der Säugling in der Bewältigung der frühen Anpassungs- und Entwicklungsaufgaben nicht auf sich allein gestellt, sondern auf Unterstützung seiner Eltern oder anderer primären Bezugspersonen angewiesen ist.“[14] Voraussetzung dafür, dass Eltern dem Kind angemessene Unterstützung bei der Co-Regulation geben können, ist ein Gelingen der vorsprachlichen Kommunikation, also der Verständigung zwischen Eltern und dem Säugling.
„Das Ehepaar Papousek spricht von den intuitiven Kompetenzen der Eltern, die es ihnen ermöglichen, sich auf den Säugling einzustellen und seinem Wahrnehmungssystem und den emotionalen Bedürfnissen gemäß zu reagieren.“[15] Demnach sind „Eltern mit Verhaltensdispositionen ausgestattet, die komplementär zu den Prädispositionen des Säuglings angelegt sind und ihnen ermöglichen, ihr Verhalten im Austausch mit dem Baby intuitiv von Moment zu Moment auf seine Bedürfnisse und Voraussetzungen abzustimmen.“[16] Die Eltern vereinfachen hierbei z. B. ihre Sprache, sprechen langsamer und betonter in einer höheren Stimmlage (Ammensprache), überziehen die Mimik in der Kommunikation mit dem Säugling und halten einen bestimmten Abstand ein, der es dem Kind ermöglicht, sie visuell zu erfassen. Zudem stimmen Eltern ihre Äußerungen in Form von akustischen Reizen und Gestik auf den Säugling ab, warten seine „Antwort“ ab, gehen in einen Dialog mit dem Kind. Je nach Entwicklungsstand und Situation passen die Eltern ihr Interaktionsverhalten an die Bedürfnisse und Fähigkeiten des Kindes an. Sie unterstützen damit die momentane Regulation des Kindes und geben ihm dennoch durch Beobachtung und angemessene Unterstützung genügend Raum, selbstregulatorische Fähigkeiten zu entwickeln. Das Kind trägt seinen Teil zum Interaktionsprozess bei, indem es sich in gut regulierten Zuständen mit Hilfe der angebotenen Stimulation der Eltern oder später durch das Nutzen von Übergangsobjekten oder eigenen selbstregulatorischen Fähigkeiten im psychischen Gleichgewicht halten kann bzw. bei Unruhe dieses Gleichgewicht wieder erreicht. Ein immer wieder neues Abstimmen der Interventionen, orientiert an den Bedürfnissen und Fähigkeiten des Kindes ist notwendig, um einen gelungenen Interaktionsprozess entstehen zu lassen. Dabei wird von einem Prozess ausgegangen, welcher durch aufeinander bezogene und gegenseitig rückgekoppelte Einflussfaktoren gekennzeichnet ist.
Die Entstehung von „Engelskreisen“[17]
Gelingt es den Eltern, aus dem Interaktionsverhalten des Babys Hinweise auf Aufnahmebereitschaft und Überlastung, selbstregulatorische Fähigkeiten und Schwierigkeiten sowie seine momentanen Bedürfnisse und Befindlichkeiten, Vorlieben und Interessen abzulesen, sind Eltern in der Lage, die Signale des Babys zu erkennen, sich von ihnen leiten zu lassen und dem Kind auf seine individuellen Fähigkeiten abgestimmte regulatorische Unterstützung anzubieten, indem sie es anregen, beruhigen und trösten, indem sie die Art und Intensität ihrer Anregung in Bezug auf Aufnahmefähigkeit und Toleranzgrenzen dosieren und indem sie dem Kind in Belastungssituationen emotionale Rückversicherung und Geborgenheit vermitteln, schaffen sie die Grundlage für eine sichere Basis durch gelungene Interaktion. „Sie kompensieren, was das Baby noch nicht alleine bewältigen kann und bieten ihm in den Interaktionen und Zwiegesprächen des Alltags einen Rahmen, in dem es seine heranreifenden Fähigkeiten zur Selbstwirksamkeit und Selbstregulation erproben und einüben kann.“[18] Funktioniert das kommunikative Zusammenspiel zwischen Eltern und Kind, können Anpassungs- und Entwicklungsaufgaben der frühen Kindheit auch in turbulenten Krisenzeiten gemeinsam bewältigt werden. „So kommt ein vor Übermüdung schreiendes Baby auf dem Arm der Mutter unter dem Klang ihrer Stimme und sanftem Wiegen zur Ruhe, es entspannt sich, schmiegt sich an und findet in den Schlaf. Auch die Mutter kann sich mit dem Baby entspannen und von der alarmierenden, stress-induzierenden Wirkung des Schreiens erholen. Im gleichen Zuge gewinnt sie eine der schönsten Rückmeldungen des Babys, die sich eine Mutter erträumen kann: „Ich fühle mich bei dir geborgen“, ein Feedback, dass sie im Selbstvertrauen auf ihre genuinen Kompetenzen bestärkt. Mutter und Baby unterstützen sich somit gegenseitig und lassen ein in sich stabiles Kommunikationsmuster einer beiderseitigen positiven Beziehungserfahrung entstehen, einen „Engelskreis“.“[19]
Die Entstehung von „Teufelskreisen“[20]
Eltern von Babys mit Regulationsstörungen haben in ihrem gemeinsamen Leben noch kaum einen Engelskreis erlebt. So sind die Eltern von Babys mit...