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Hitler

Der Künstler als Politiker und Feldherr. Eine Herrschaftsanalyse

AutorWolfram Pyta
VerlagSiedler
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl848 Seiten
ISBN9783641157012
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis32,99 EUR
Der Diktator und die Macht der Inszenierung
Dieses Buch gewährt einen völlig neuen Blick auf Herrschaft und Persönlichkeit Adolf Hitlers. Sein Aufstieg und sein mörderisches Regime, so zeigt Wolfram Pyta, beruhten vor allem auf der radikalen Anwendung ästhetischer Prinzipien, welche sich der selbsternannte Künstler Hitler vor seinem Eintritt in die Politik im Jahre 1919 zu eigen gemacht hatte.

Wolfram Pyta, renommierter Neuzeithistoriker und Direktor der Forschungsstelle Ludwigsburg zur NS-Verbrechensgeschichte, untersucht aus ebenso erhellender wie ungewöhnlicher Perspektive den Aufstieg des brotlosen Künstlers Hitler zum allmächtigen Politiker und Feldherrn. Der Historiker zeigt, wie Hitler durch raffinierte Ästhetisierung der Politik seine Massengefolgschaft fand - dem verhinderten Theaterarchitekt und passionierten Wagnerianer half dabei vor allem die konsequente Inszenierung seiner politischen Auftritte. In dem von ihm entfesselten Weltkrieg erlangte Hitler zudem die totale militärische Herrschaft, weil ihm der Geniekult die nötige Legitimation verlieh. So wird auf überraschende Weise deutlich, dass der Diktator und militärische Führer Hitler ohne sein reklamiertes Künstlertum nicht zu verstehen sind.

Wolfram Pyta, geboren 1960 in Dortmund, leitet als Universitätsprofessor die Abteilung für Neuere Geschichte am Historischen Institut der Universität Stuttgart sowie die Forschungsstelle Ludwigsburg zur NS-Verbrechensgeschichte. 2007 erschien bei Siedler seine vielgelobte Biographie 'Hindenburg. Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler', 2015 folgte 'Hitler. Der Künstler als Politiker'.

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Leseprobe

1
Hitlers Kunstverständnis

Die folgenden Ausführungen kreisen um die Frage, auf welchen Feldern der Kunst sich Hitler in seinen formativen Jahren betätigte. Es geht dabei nicht darum, die künstlerischen Aktivitäten Hitlers während seiner Jugendzeit in Linz bis zum Jahre 1908, in den künstlerischen Lehrjahren in Wien bis 1913 und während seines Aufenthalts in München bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August 1914 komplett aufzulisten. Eine solche buchhalterische Aufzählung stößt schon aufgrund der schlechten Quellenlage auf natürliche Hindernisse108 und ist im Kontext der hier verfolgten Fragestellung auch nicht sinnvoll. Die Durchsicht der überlieferten Zeugnisse Hitlers zu dessen künstlerischen Vorlieben und Tätigkeiten ist vielmehr geleitet von der Frage: Hat Hitler in seiner unpolitischen Lebensphase das Verhältnis der Künste zueinander so konfiguriert, dass er nach seinem Einstieg in die Politik von 1919 an auf ein breites Repertoire von Darstellungsmodi zurückgreifen konnte, die ihm seinen politischen Aufstieg ermöglichten? Es soll also herausgefunden werden, ob sich Hitler vor allem in seiner Wiener und Münchner Zeit ein ästhetisches Rüstzeug aneignete, mit dem er als Künstler-Politiker von 1919 an tief verwurzelte ästhetische Erwartungshaltungen an das Politische besonders erfolgreich bedienen konnte.

Damit wird eine Perspektive auf Hitler gewählt, die sich in zweifacher Weise von Teilen der bisherigen Hitler-Forschung unterscheidet: Zum einen wird bei diesem Ansatz nicht krampfhaft nach Zeugnissen gefahndet, welche die Entstehung einer politischen Weltanschauung Hitlers in diesen frühen Jahren belegen sollen. Bei nüchterner Analyse der ganz wenigen halbwegs zuverlässigen Quellen über diese weitgehend im Dunkeln liegenden Jahre wird man ohnehin zu dem Schluss kommen, dass es keine wirklich validen Dokumente gibt, die für diese Zeit eine programmatisch verfestigte politische Grundüberzeugung bei Hitler belegen. Dies gilt nicht nur für die Behauptung, Hitler sei schon in seinen frühen Jahren zu einem überzeugten Antisemiten herangewachsen; auch an der These, Hitler sei ein rabiater Nationalist im deutschnationalen Sinne gewesen, wird man erhebliche Abstriche machen müssen. Zweifellos hat Hitler zu seinem Heimatland Österreich kein Loyalitätsgefühl entwickelt, sondern sich politisch stark am Deutschen Reich orientiert.109 Aber das allein machte aus ihm keinen Menschen, dessen politische Vorstellungswelt ausgereift war und der einem klaren politischen Koordinatensystem folgte. Dass Hitler sich so in Mein Kampf präsentierte, ist vor allem ein Beleg für die Konstruktion seiner Biographie entlang opportuner politischer und narrativer Haltepunkte, aber auf keinen Fall ein belastbares Quellenzeugnis über seinen Entwicklungsstand.

Wenn man sich entschließt, Hitlers Lebensjahre bis 1914 nicht aus einer rein politikhistorischen Perspektive zu betrachten, eröffnen sich dagegen ganz neue Erkenntnismöglichkeiten. Dann gerät die Ästhetik ins Blickfeld, und der Weg ist frei für die Betrachtung von Hitlers Entwicklung bis 1914 unter dem Aspekt der Genese einer künstlerischen Vita. Wir wollen Hitler mithin in den Blick nehmen als »Künstler, Kunstliebhaber, Kunsttheoretiker«, um eine Formulierung des Literaturwissenschaftlers Heinz Schlaffer aufzugreifen.110 Hitler selbst hat keine systematischen Reflexionen über diesen Zusammenhang angestellt – auch weil er sich erst als Politiker gelegentlich über den in Frage kommenden Zeitraum äußerte und dabei nach sehr funktionalen Aspekten vorging, indem er Kunst radikal politisierte.111 Welche heuristischen Potentiale ein anders akzentuierter Zugriff zu erschließen vermag, hat erstmals die magistrale Studie der Kunsthistorikerin Birgit Schwarz112 verdeutlicht. Ihr Werk belegt überzeugend, dass sich Hitler gezielt in eine ästhetische Tradition stellte, die enorme politische Sprengkraft besaß, nämlich in die Tradition des Geniegedankens, der in der deutschsprachigen politischen Kultur fest verwurzelt war. Die Dynamik zwischen einer genuin ästhetischen Zuschreibung und einem darin in nuce enthaltenen, in die Politik ausgreifenden Herrschaftsanspruch hat der Literaturwissenschaftler Jochen Schmidt bereits in den 1980er Jahren in einer imponierenden zweibändigen Studie113 in den Blick genommen. Schwarz geht über die Grundlagenforschung von Jochen Schmidt hinaus, indem sie Hitlers Genialisierungsstrategie in jenem Bereich der Kunst untersucht, der allem Anschein nach für Hitler einen privilegierten Status besaß: in der Malkunst.114

Wir können an diese überaus verdienstvollen Vorarbeiten anknüpfen, auch wenn wir in der vorliegenden Studie einen anders akzentuierten Zugriff wählen. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie Hitler die Künste in ein Verhältnis zueinander setzte, wie er sie anordnete und ob es eine Rangfolge der Künste gab. Diese Perspektive ist deswegen heuristisch ergiebig, weil sie erlaubt, Hitlers Begegnung mit den Künsten zu systematisieren, so dass das daraus resultierende Profil des Künstlers Hitler zugleich systematische Aussagen über den Transfer des Künstlers Hitler in den Politiker Hitler erlaubt. Mit anderen Worten: Es kann ein Mehrwert an Erkenntnis über den Politiker Hitler generiert werden, wenn die ästhetischen Modi systematisch herauspräpariert werden, deren sich der Künstler Hitler bediente. Dies gilt vor allem für Hitlers Entwicklung von einer Münchner Lokalgröße zum Anführer der stärksten politischen Kraft im Reich, also für den Zeitraum von 1919 bis 1933. Insbesondere liefert ein derartiger Zugang heuristische Möglichkeiten zur Beantwortung der Frage, warum Hitler seinen ins Extreme ausgeweiteten Herrschaftsanspruch – nämlich die Okkupation der militärischen Führerschaft von 1939 an – legitimieren konnte. Davon handelt der zweite Teil der vorliegenden Studie.

Hitler hat sich bereits in Linz, aber dann vor allem in Wien und auch in München ein breites Spektrum der Kunst eröffnet. Unbestritten ist, dass er ein leidenschaftlicher Theaterbesucher war, wobei ihn insbesondere das Musikdrama Richard Wagners faszinierte. Auch dem Schauspiel brachte er vereinzelt Interesse entgegen; vermutlich hat er im Wiener Burgtheater die wichtigsten Klassiker gesehen.115 Vieles spricht aber dafür, dass die Architektur diejenige Kunstform war, die er besonders schätzte.116 Versucht man diese künstlerischen Vorlieben Hitlers zu klassifizieren, ergeben sich interessante Aufschlüsse über die dynamische Interaktion von Ästhetik und Politik – zunächst einmal in Bezug auf seine bevorzugten Darstellungsmedien. Es bietet sich in Anschluss an die luziden Kategorisierungsofferten von Dieter Mersch117 an, hier grundsätzlich zwischen aisthetischen und diskursiven Medien zu unterscheiden. Die aisthetischen Medien sind auf Expressivität ausgelegt; und genau diese Eigenschaft verleiht ihnen in einer stark visuell und akustisch ausgerichteten politischen Kultur eine zentrale Bedeutung bei der Vermittlung politischer Botschaften. Wenn Bild und Ton bei der Erzeugung politischer Aufmerksamkeit eine Schlüsselrolle einnehmen, dann besitzen jene Politiker einen profunden Startvorteil, die aufgrund ihrer künstlerischen Herkunft Bild- und Tonkünste favorisieren und sie in eine interaktive Beziehung zu setzen vermögen. Da die Politik in Deutschland nach 1918 viel stärker einer visuellen und akustischen Kultur verhaftet war als in der Vorkriegszeit,118 konnte der Neupolitiker Hitler von seiner künstlerischen Grundausstattung enorm profitieren. Es fiel daher gar nicht ins Gewicht, dass der frühe Hitler kein inniges Verhältnis zur Dichtkunst entwickelte. Aus vielen – noch zu verfolgenden – Gründen nahm die Literatur in seiner Kunsthierarchie daher auch eine untergeordnete Position ein. Hitler hat erst in den frühen 1920er Jahren, im Grunde erst mit der Niederschrift von Mein Kampf während seiner Festungshaft im Jahr 1924 eine kurzzeitige intensivere Beziehung zu den diskursiven Medien des Sagens hergestellt; dieser Abstecher in die Schriftkultur blieb allerdings ein einmaliges Intermezzo.

Hitlers Stellung zu den Künsten lässt sich daher mit einem Begriffspaar einfangen, das Hans Ulrich Gumbrecht geprägt hat: Sinnkultur und Präsenzkultur. In Anlehnung an Gumbrecht, aber über ihn hinausgreifend wird an dieser Stelle darunter ein Versuch zur Typologisierung der ästhetischen Erschließung der Welt verstanden, welcher zwei durchaus simultan verlaufende, aber strukturell differente Zugangsweisen begrifflich markiert: Sinnkultur bezeichnet textbasiertes Verstehen, das im Kern ein individueller Akt der Sinnerzeugung ist; Präsenzkultur meint eine spezifische Form der ästhetischen Wahrnehmung, in der die reflexive Distanz keine Barriere darstellt. Im Modus der Präsenzkultur ist man räumlich und physisch in die Welt eingelassen; in diesem Modus eröffnen Tonkunst, Bildkunst und Raumkunst den Weg zum ästhetischen Erleben.119 Daher liegt es nahe, die Entwicklungsphase von Hitlers ästhetischen Positionen im Bereich der Präsenzkultur zu verorten. Die zentrale Frage lautet damit, in welches Verhältnis Hitler Bild, Ton und Raum setzte und inwiefern dieses Beziehungsgeflecht für einen späteren Transfer in die Sphäre des Politischen privilegierte Anknüpfungspunkte bot.

Für den Einstieg in dieses Thema ist es lohnend, eine von der Forschung erwähnte, aber auf ihren ästhetischen Gehalt noch nicht hinreichend abgeklopfte Begebenheit an den Anfang zu stellen. Als sich der noch nicht einmal...

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