Sprung nach Afrika
Es wird noch mehr als ein Jahr dauern, bis sich seine Weissagung erfüllt, an die ich keinen Moment geglaubt hatte. Bertram Verhaag, der bekannt ist für seine außergewöhnlichen Dokumentarfilme, redet mir zu: »Erkundige dich doch mal, ob überhaupt ein Dreh in dem Kral möglich ist. Wäre doch fantastisch, wenn du dort eine Ausbildung zur Schamanin machen würdest und wir das filmen könnten.«
Ich weiß, dass Jambolane eine anerkannte Schamanenschule in seinem Kral gegründet hat und dass die Ausbildung bei ihm drei Jahre dauert. Das geht für mich auf keinen Fall. Bertram lässt sich nicht beirren: »Vielleicht geht es auch in einigen Monaten. Material für einen Film hätten wir dann genug. Flieg du erst einmal hin.«
Ich bleibe skeptisch, ob dieser Sangoma Heilungen, Rituale filmen lassen würde. Und was die Einmischung der westlichen Welt für seinen Stamm bedeuten würde, wäre ja auch zu bedenken.
Ich verspreche Bertram nichts, aber ich sage, dass ich mal anfragen würde, ob mein Kommen überhaupt noch erwünscht sei und wie es mit einem Film aussähe über mein Leben dort oder sogar über eine Ausbildung.
Wie immer wich ich aus auf die vertraute Stimme meines Verstandes, der mir sagte, dass ich diese Reise nur machen darf, wenn es sinnvoll ist für die Welt der Materie. Obwohl ich schon so vielen außergewöhnlichen spirituellen Menschen begegnet war, eigene tiefgehende Erfahrungen gemacht hatte, die schrille Stimme des Zweifels meldete sich immer wieder. Und obwohl meine Seele wusste, dass diese Reise ins Ungewisse nur deshalb stattfinden würde, weil sie wichtig sein würde für meine eigene Entwicklung und um dort Antworten zu bekommen.
Einige Wochen später bekomme ich eine Antwort von Jambolane. Er hat jemandem den Brief diktiert. Er habe sich schon gefragt, warum ich noch nicht dort sei. Ich wisse doch, dass sich die Weissagung erfüllen müsse. Auf die Fragen nach einer Ausbildung und einem Film reagiert er gar nicht.
Inzwischen hatte ich die früheste Möglichkeit wahr genommen, aus meiner freien Mitarbeit als Autorin fürs Fernsehen auszusteigen. Die Arbeit in dieser Scheinwelt hatte mir schon länger keine große Freude mehr gemacht, und mit der Abfindung würde ich über die Runden kommen, wäre auf jeden Fall frei, mich in neue Abenteuer zu stürzen.
Recherchen über den Stamm und den Teil Afrikas, in den ich reisen würde, machte ich nicht. Es sollte ja zuerst einmal ein kürzerer Besuch sein, bei dem ich die Möglichkeiten von Dreharbeiten erkunden würde. Ich war zu diesem Zeitpunkt nicht gebunden, und mein Untermieter würde sich um die Wohnung, die Blumen und den Hund kümmern.
Das Wichtigste aber war – ich spürte, dass es Veränderung, Wachstum in meinem Leben geben sollte. Dass ein Sprung ins Ungewisse genau jetzt richtig wäre – wo auch immer ich landen würde. Aufkommenden Ängsten oder meiner Skepsis wollte ich keinen Raum mehr lassen. Ein Wunsch, der nicht so schnell erfüllt werden sollte.
Ich würde zuerst einmal nach Johannesburg fliegen, und in den Stunden des Zwischenstopps würde ich zwei Entwicklungshelfer treffen, mit denen ich schon länger in Kontakt stand. Sie hatten unter anderem großen Erfolg mit Solarkochern und dachten, dass Jambolanes Clan sich vielleicht dafür interessieren würde. Eventuell könnte ich noch einen kleinen Zwischenstopp bei Percy in Soweto machen. Danach würde ich mit einer kleinen Maschine nach Nelspruit, der Hauptstadt von Mpumalanga, weiterfliegen.
Der Krüger-Nationalpark, den ich auch gern besuchen würde, ist dort ganz in der Nähe.
Alle nötigen Impfungen hatte ich machen lassen, aber sonst wollte ich mir über nichts mehr Gedanken machen. Freiheit sollte für mich jetzt anders aussehen als in den Jahrzehnten zuvor.
Bertram Verhaag, der Dokufilmer, ist mit einem kleinen Team am Flughafen, um meinen Abflug zu drehen, als Einstieg für einen eventuellen Film. Als Air France meine 30 Kilo Übergepäck nicht akzeptieren will, frage ich mit der Kamera im Hintergrund den Verantwortlichen, ob er wirklich eine Spendenaktion für bitterarme Menschen verhindern will. Ich hatte vor allem Bekleidung gesammelt, Spielzeug, Modeschmuck, Süßigkeiten für die Kinder und 300 Kondome von einer Aids-Beratungsstelle. Dass die Kondome zu Lachsalven führen und die Büstenhalter für die vierzehn Ehefrauen und unzähligen Töchter des Schamanen eine neue Mode kreieren würden, ahnte ich da noch nicht.
Meine Chuzpe hatte mich jedenfalls erst einmal ins Flugzeug gebracht – mitsamt dem Übergepäck.
Während des Fluges werde ich innerlich kleinlaut, und alte Ängste holen mich doch wieder ein. Auf drei Monate mindestens habe ich mich nun festgelegt, und die Albträume der letzten Wochen machen mich verzagt. Von Moskitos, Schlangen, wilden Tieren habe ich geträumt und von schwarzen Menschen, die mich töten wollen. Die Apartheid ist erst wenige Jahre vorüber, und es gibt inzwischen viele Berichte über manchmal lebensbedrohliche Angriffe von Schwarzen auf weiße Touristen, oft mit tödlichen Folgen. Kein Wunder, dass es nach Jahrhunderten der Knechtung, Versklavung und Missachtung von schwarzen Menschen erst einmal eine Gegenbewegung geben würde, auch wenn die neuen schwarzen Führer, vor allem der charismatische Nelson Mandela, Versöhnung und nicht Rache wollten.
Aber ob sich das bis in diesen entlegenen Winkel des Kontinents herumgesprochen hatte?
Ich überspiele meine Verzagtheit gekonnt mit vordergründiger Gleichmütigkeit – auch dem Ehepaar Weinmann gegenüber, das mich am Flughafen erwartet. Wieder einmal bin ich das Kind, das im Wald pfeift, eine Überlebensstrategie, die mich lange begleitet hat. Die Weinmanns sind ein sympathisches Ehepaar aus dem Rheinland, das in Afrika schon viele Jahre Entwicklungsarbeit macht. Ich hatte schon von Deutschland aus Kontakt zu ihnen aufgenommen. Und nun freuen wir uns, uns endlich kennenzulernen. Ich muss in Johannesburg ein paar Stunden warten, und sie wollen diese Wartezeit gern mit mir verbringen.
Wir gehen in ein Bistro, und beide erzählen mir mit leuchtenden Augen von ihrem Engagement. Sie freuen sich wieder auf Deutschland, aber das Heimweh, das sie haben werden, wenn sie Afrika wieder verlassen, ist jetzt schon spürbar.
Gerade mit Solarkochern haben sie schon vielen Afrikanern helfen können.
»Und der Natur«, fügt Eberhard Weinmann hinzu, »denn dann müssen sie nicht noch den Rest des Baumbestands abholzen.«
Die beiden haben die Apartheid noch mitbekommen, sind froh, dass das nun vorbei ist, aber sie sagen auch, dass für Weiße das Leben jetzt erst einmal gefährlicher wird. Viele sind mit Gewalt von ihrem Land vertrieben, einige sogar getötet worden. In Johannesburg und anderen Touristenmetropolen nimmt die Kriminalität zu, denn es herrscht vielerorts ein unglaublicher Zorn auf die »Herrenrasse«, der lange Zeit niedergeknüppelt worden ist.
Ich erzähle ihnen von meinem Leben, meinem Vorhaben, und sie versprechen mir jede Unterstützung, die ich brauchen könnte. Die Stunden vergehen schnell, und als es heißt, der Flug nach Nelspruit sei auf den nächsten Tag verschoben worden, bieten sie mir an, eine Nacht bei ihnen zu bleiben.
Mir kommt die Idee, Percy in Soweto zu besuchen. Er ist ein Schüler von Jambolane, den ich auf dem Schamanenkongress kennengelernt hatte. »Da ist es besonders gefährlich«, meinen sie, »und es wird schwer sein, einen Taxifahrer zu finden, der Sie dorthin fahren wird.« Aber der Gedanke setzt sich in mir fest, und so rufe ich Percy an, der es ebenso für bedenklich hält, sich aber freuen würde, wenn ich käme. »Du bist eine Frau, die keine Angst hat, das spüren sie. Und du sagst einfach, dass du zu mir, einem Sangoma, fahren willst.«
Es gefällt den Weinmanns gar nicht, dass ich einen Abstecher nach Soweto machen will. Dort ist es fast noch gefährlicher als in Johannesburg. »Sie sollten auf keinen Fall stehen bleiben, auch nicht die Fenster öffnen, um jemanden nach dem Weg zu fragen«, raten sie mir, denn vor allem der Stadtteil Kliptown zähle neben den Favelas in Südamerika zu den gefährlichsten Orten der Welt. Sie sind besorgt, merken aber bald, dass sie mir nicht so schnell etwas ausreden können. »Percy hat gesagt, es sei okay, wenn ich komme, und außerdem werden mich meine Krafttiere und die guten Geister beschützen«, sage ich optimistisch und versuche damit, gleichzeitig sie und mich selbst zu beruhigen.
Ein Taxifahrer kommt, aber als er hört, wohin ich will, winkt er ab. »Das kann man mir gar nicht bezahlen«, sagt er, »mein Auto ist viel zu neu, als dass ich das riskieren würde. Und mein Leben ist mir auch viel zu viel wert.« Ich bitte ihn, mir einen Kollegen zu schicken, der ein nicht so schönes Auto hat wie er, und sage dass ich zu einem Sangoma wolle. Er kratzt sich kurz am Kopf, überlegt, ob er in diesem Fall nicht doch selbst fahren soll, sagt dann aber: »Ich weiß schon, wen ich frage. Jack kennt sich da besser aus als ich.«
Zehn Minuten später ist Jack da. Ein riesengroßer Schwarzer mit einem offenen, selbstsicheren Lächeln. »Mein Kollege hat mir schon gesagt, wohin es geht. Ich bin da aufgewachsen, und außerdem ist mein Auto wirklich nicht neu.« Er sieht die Besorgnis meiner weißen Freunde und schüttelt beschwichtigend den Kopf. »Bei mir ist sie ganz sicher, vertrauen Sie darauf.«
Ich stelle noch sicher, dass mein Gepäck rechtzeitig auf die Maschine nach Nelspruit gebracht wird, dann verabschiede ich mich von den freundlichen Entwicklungshelfern und sage zu, dass wir uns auf dem Rückflug wieder hier treffen würden. Vielleicht könne ich ihnen dann...