2
Lassen Sie sich inspirieren!
Eine Reise zu den Schulen
der Zukunft
Die Zukunft hat längst begonnen. Es gibt sie schon, die Zukunft der Schule. Überall in Deutschland. Bevor wir uns mit Fragen beschäftigen wie den Herausforderungen, die die Zukunft an uns stellt, oder wie Schule heute als ein Relikt aus dem 20. Jahrhundert immer noch prägend ist, laden wir Sie ein, sich mit uns zunächst auf eine Inspirationsreise zu begeben … Diese Reise soll Ihnen eine Vorstellung davon geben, wie die Schule des 21. Jahrhunderts schon heute an vielen Orten in Deutschland praktiziert wird. Lassen Sie sich von diesen Beispielen aus der Praxis inspirieren, bevor wir diese später theoretisch untermauern.
Das Lernbüro
Montag, 8:30 Uhr, eine Realschule in München. Offene Türen und offene Räume. Neben dem Englischraum ist der Matheraum. Im Gang gegenüber der Deutschraum. Im »Lernbüro Deutsch« sind die Schüler in ihre Arbeit vertieft. Anja, Bea und Sabine gehen hoch in die Bibliothek, sie brauchen ein Fachbuch. Andere werfen ihre Rechner an. Ben, der am Lernbaustein Literatur arbeitet, entwirft gerade ein neues Cover für das Buch, das er sich als Literaturbeispiel ausgewählt hat. Peter schaut sich ein Video auf einem Tablet an. Eine Gruppe von drei Schülern hat sich in eine Ecke zurückgezogen und entwickelt eine Werbekampagne, Teil des Bausteins Werbung. Zu Beginn hatten sich alle Schüler mit ihren Aufgaben versorgt: In Regalen stehen die sogenannten Lernbausteine, Kästen mit Lernaufträgen. Die Bausteine sind aufeinander abgestimmt, vom Fundament bis zum Dach werden Stock für Stock die curricularen Basics bearbeitet. Die Schüler können sich morgens aussuchen, ob sie Deutsch, Englisch oder Mathematik bearbeiten wollen. Zwei Deutsch-Bausteine haben schon einen QR-Code. So gibt es einen aufbereiteten Zugang zu zahlreichen Videos und digitalem Lernmaterial, Schreibübungen, Spielen. Es herrscht Stille und konzentrierte Arbeitsatmosphäre. Als bei einer Schülerin Probleme bei einer Grammatikregel auftauchen, bittet sie eine Mitschülerin um Hilfe. Im Mathelernbüro nebenan ist die Lehrerin gerade dabei, einer kleinen Schülergruppe die Einführung in den Baustein »Terme« zu geben. Im Lernbüro kann die Lehrerin sich die Zeit nehmen, um im Einzelgespräch ein Problem zu besprechen. Vor dem Englischraum bieten Studierende Talkings an. Die Studierenden arbeiten im Rahmen ihres Praxissemesters als Co-Lehrer mit. Im Lernbüro kann jeder und jede im eigenen Tempo lernen. Mathe kann man abstrakt oder haptisch begreifen. Christina meldet sich zum Test an. Sie möchte den Baustein Geometrie abschließen.
Stark sein im Team
Mittwoch 14:00 Uhr, Göttingen. Eine achte Klasse der Gesamtschule. Die Schüler tüfteln an einer Aufgabe und diskutieren. Der Lehrer hat in das Thema eingeführt, steht für Fragen zur Verfügung. Die Gesamtschule arbeitet durchgehend im Teamkleingruppenmodell. Ariane, Klassenlehrerin, erklärt uns: »Die Schüler arbeiten in festen Tischgruppen, die so zusammengestellt sind, dass eine heterogene Mischung von Schülern gemeinsam lernen kann.« An den Tischgruppen sitzen Persönlichkeiten, die nach dem alten System noch Realschüler, Gymnasiasten, Förderschüler oder Hauptschüler genannt wurden. Die Leistungsergebnisse sind, auch im Abitur, exzellent. »Das Rückgrat unserer Arbeit sind ganz klar wir, unser Team, der Zusammenhalt in unseren Jahrgangsteams, die kleine Schule in der großen, die örtliche Zusammengehörigkeit.« Alle fünf Klassen eines Jahrgangs lernen von der fünften bis zur zehnten Klasse auf einer Etage, mit einem räumlichen Mittelpunkt mit Spiel- und Arbeitsflächen in der Mitte. Der Teamraum für die Lehrkräfte mitten im Geschehen. »Unser Teamraum ist immer besetzt, wenn also Schülerinnen Anliegen haben, dann können sie jederzeit kommen und diese vorbringen. Wir sind immer da und haben ein offenes Ohr«, so Ariane.
16:00 Uhr, Teamsitzung des Lehrerteams. Das Treffen beginnt mit einer Lobrunde. Johannes, der Geschichtslehrer beginnt: »Kathrin, ich möchte dich loben. Im Konflikt mit Laura warst du mir ein so guter Beistand. Du hast mich echt aufgebaut und mir hilfreiche Tipps gegeben, wieder ins konstruktive Gespräch mit Laura zu kommen. Danke!« Die wöchentliche Teamsitzung im Teamraum, der reichlich ausgestattet ist mit Schränken voller Unterrichtsmaterial, Computerarbeitsplätzen, Fotos und Sprüchen an den Wänden, die jeden und jede erinnern, warum sie Lehrer geworden sind. Es herrscht eine zufriedene Stimmung, obwohl der Tag anstrengend war. Zahlreiche Vorfälle in den Klassen haben vielen Kollegen Höchstleistung abgefordert. Nun ist die Lobrunde eine Wohltat, sie stärkt Vertrauen. »Thorsten, danke für den Film über unser Projekt und dein Lächeln heute Morgen. Es hat mich durch den Tag getragen«, sagt Kathrin.
»Ungewöhnliche Begegnungen«
Donnerstag, 10:30 Uhr, ein Gymnasium in Düsseldorf. Der neunte Jahrgang arbeitet am Thema »Ungewöhnliche Begegnungen«. Die Schüler können sich zwischen vier Unterthemen entscheiden. Martin und Sven gehören zur Gruppe »Gesichter von Kulturen«. Ihr Klassenraum ist fast leer. Vier Schüler sitzen im Computerraum und skypen. Die anderen werten gerade in der Bibliothek ihre Notizen aus. Als »ungewöhnliche Begegnung« haben sie gewählt, dass jeder Schüler einen Menschen interviewt, der nicht in Deutschland geboren wurde. »Bei uns im Jahrgang gibt es einen Projekttag in der Woche. Da können wir richtig dranbleiben an unseren Themen und vor allem auch rausgehen«, erzählen Martin und Sven. »Wir haben uns gemeinsame Fragepunkte überlegt, weil wir nämlich ein Buch aus dem Projekt machen wollen.« Sie erzählen, dass alle Fotos von den Lieblingsorten der Gesprächspartner und von ihrem eigenen Lieblingsort gesammelt haben sowie jeweils ein Lieblingslied und ein Zitat, das jedem besonders am Herzen liegt. »Ich wusste meines sofort, aber für einige war es echt schwierig, sich für einen Spruch zu entscheiden. Nun stellen wir alles zusammen und bearbeiten es mit Hilfe eines Grafikprogramms.« Svens Vater ist Grafiker und hat der Klasse schon ein paar Tipps gegeben. 18 Kulturen und 13 Sprachen sind zusammengekommen. Jedes Zitat wird in Deutsch erscheinen und handschriftlich in der Heimatsprache. In vier Wochen ist Buchpremiere. Alle Interviewpartner sind eingeladen. Alle Schüler der neunten Klasse und alle Interviewpartner werden sich mit ihrem Lieblingsspruch vorstellen. Aufregend. Auch die Lieder und Instrumente werden eingebunden. Ein ungewöhnliches Fest im Projekt »Ungewöhnliche Begegnungen«.
Auch die anderen Projektgruppen des neunten Jahrgangs haben sich Besonderes zum Abschluss ausgedacht. Beim Projekt »Roter Faden« begegnen sich Senioren und Jugendliche intensiv in Zweierteams. Mit Fragen wie »Gibt es in Ihrem Leben einen Tag, den Sie nie vergessen werden?« oder »Wann hatten Sie das erste Mal das Gefühl, nicht mehr jung zu sein?«, mit Gesprächen über den kleinen großen Mut, Herausforderungen und Freudentagen blättert sich nach und nach eine Lebensgeschichte auf. Am Ende entsteht auf einem großen Blatt Papier der »Rote Faden«. Mit einem roten Wollfaden werden die Lebensstationen mit ihren Höhen und Tiefen und Schlenkern und Umwegen festgehalten und ausdifferenziert mit Skizzen, Fotos, kleinen Gegenständen. Auch bei diesem Projekt wird die gemeinsame Vorstellung ein berührendes Erlebnis sein. Wie auch das »Festmahl der Weltreligionen«, der Abschluss des dritten Projekts im neunten Jahrgang eines Düsseldorfer Gymnasiums.
Verantwortung lernen
Mittwoch, 16:00 Uhr, Verantwortungsfest in einer Aachener Schule. Eltern, Schüler, Lehrer, die Kooperationspartner, Studenten und Interessierte kommen in die Turnhalle. Heute beim Verantwortungsfest stellen die Siebt- und Achtklässler ihre Verantwortungsprojekte vor. Reges Treiben in der Halle, Campus-Charakter, der Andrang ist groß. Stolz präsentieren die Schüler ihre Projekte, beantworten Fragen, erzählen begeistert. 17:00 Uhr: Das Bühnenprogramm beginnt. Hermann (13), ein begeisterter Klavierspieler, leitet seinen Vortrag mit einem selbst geschriebenen Klavierstück ein und erzählt danach seine Geschichte. »Ich besuche jede Woche Frau Hensel im Seniorenheim. Sie sitzt im Rollstuhl, weil sie einen Schlaganfall hatte und nicht richtig laufen kann, auch sprechen kann sie kaum. Deshalb habe ich einen Rollstuhlführerschein gemacht, damit ich sie herumfahren darf«, erzählt Hermann stolz. Er bringt die Dame jedes Mal in die Kapelle des Seniorenheims, in der ein Klavier steht. Hermann schiebt den Rollstuhl so vor das Klavier, dass die Frau die Tasten sehen kann. »Ich spiele ihr immer vor, dann freut sie sich.« Die ältere Dame freut sich jedes Mal aufs Neue über den Besuch, den strahlenden Hermann und die schönen Klänge. Nach den ersten Treffen hat Hermann gespürt, dass hier etwas Gutes und Besonderes geschieht. Er ist Autist, hat das Asperger Syndrom und ist ein hochsensibles Kind. Er war sich sicher, dass das Klavierspielen für die ältere Dame Bedeutung hat. In den gemeinsamen Treffen schiebt er sie deshalb immer wieder an das Klavier, legt manchmal ihre Hände ganz bedacht auf die Tasten und drückt sie sanft gemeinsam mit ihr. »Seitdem Hermann da ist, haben wir das Gefühl, dass Frau Hensel sich wieder freuen kann. Sie tritt wieder mehr mit uns in Kontakt und wirkt viel lebhafter«, so die Pflegerin. »Vor zwei Wochen habe ich erfahren, dass Frau Hensel früher Pianistin war«, erzählt Hermann bewegt. Ein magischer Moment.
Sophia, 13 Jahre alt, macht ihr Verantwortungsprojekt in einer Grundschule mit 90 % Schülern mit...