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E-Book

Ich gegen Amerika

Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz

AutorIrene Stratenwerth, Reinhard Berkau
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783644424913
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Reinhard Berkau ist seit 25 Jahren Rechtsanwalt in Hamburg, als ihn ein gewonnener Prozess nach Miami führt. Es geht um eine Geldforderung, und er gerät unschuldig in eine Falle. Das FBI verhaftet ihn wegen angeblicher «Verschwörung zu einer Erpressung»; Strafmaß: bis zu 25 Jahre. Erst nach zwei Jahren und einer Odyssee durch neun Haftanstalten wird er nach Deutschland überstellt. Während alle Welt über Guantánamo spricht, erlebt Berkau hautnah die schockierenden Zustände in den zivilen US-Gefängnissen, Willkür, die Enge und zugleich die Isolation der Gefangenen, ihre Verzweiflung, das Desinteresse an ihnen - im Jargon der Wärter sind sie nur «bodies» - Körper. Futter für den Moloch eines zum Teil privatisierten gefängnisindustriellen Komplexes, der zum Multimilliarden-Dollar-Geschäft geworden ist. Berkau lässt sich nicht entmutigen. Mit Hilfe seiner Familie und seiner Freunde nimmt er den Kampf um die Freiheit auf - und kehrt am Ende als ein anderer Mensch nach Hause zurück.

Reinhard Berkau, geboren 1952, ist Rechtsanwalt mit dem Schwerpunkt Wirtschafts- und Strafrecht. Er studierte Soziologie, Englisch und Rechtswissenschaften. 1980 gründete er seine Kanzlei in Hamburg-Altona, in der er bis heute als Anwalt praktiziert.

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Leseprobe

2


Das Broward County Jail ist ein schmuckloser Zweckbau, der knapp drei Kilometer vom Stadtzentrum von Fort Lauderdale entfernt direkt am Intracoastal Waterway liegt. Diese Wasserstraße zieht sich, wenige Kilometer von der Küste entfernt, durch ganz Florida. Vor dem Gefängnisgebäude dümpeln die Yachten der Langzeiturlauber auf dem Wasser, rundherum stehen Apartmenthäuser, deren Bewohner auf ihren Balkonen die Sonne Floridas genießen.

Die Gesichter, die hinter den schmalen Glasscheiben des Gefängnisses gelegentlich auftauchen, sind bleich. Statt Fenstern gibt es nur hohe, mit Drahtglas versehene Schlitze, die so schmal sind, dass sich kein menschlicher Körper hindurchzwängen könnte. Das gibt dem Gebäude von außen die Anmutung eines Bunkers. Von innen sind diese Sehschlitze mit schräg angewinkelten, erkerförmigen Vorbauten versehen. Man kann nicht direkt an die Glasscheiben herantreten. Wenn man überhaupt einen Blick nach draußen erhascht, sieht man vor allem die Fassade des Baus, in dem man sich befindet.

Betrachtet man das Gebäude von oben – was dank Google map ohne weiteres möglich ist –, ähnelt seine Form einem in die Breite gezogenen Ypsilon. Während der Fuß dieses Ypsilons und die langen Schenkel des Gebäudekomplexes direkt an die umliegenden Straßen grenzen, erfolgt die Einlieferung der Gefangenen von der Innenseite. Aus der Vogelperspektive ist auch zu erkennen, dass es für die über 1500 Männer, die im Broward County Jail eingesperrt sind, keine nennenswerte Freifläche und keinen Sportplatz gibt.

 

Den Alltag in diesem Gebäude begann ich am ersten Tag nach meiner Inhaftierung kennenzulernen. Ich wurde geweckt, weil meine Zellentür mit einem lauten Knall aufsprang. Ich hatte keine Ahnung, wie spät es war. Ein schwarzer guard reichte mir etwas in die Zelle. Wahrscheinlich sollte dies das Frühstück sein: ein Bagel und ein Plastikschlauch mit einer roten Flüssigkeit. Ich hatte schon seit vielen Stunden nichts mehr gegessen, aber ich bekam keinen Bissen hinunter. Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, bis das nächste Mal ein guard kam, mir Handschellen anlegte und mir befahl mitzukommen. Die schwache Hoffnung, dass sich alles als Irrtum herausgestellt hatte und man mich freilassen würde, währte nicht lange. Ich wurde nur in einen anderen Teil des Gebäudes gebracht. Mit dem Lift ging es in den sechsten Stock.

Diesmal sperrten sie mich in eine Zwei-Mann-Zelle zu einem wortkargen Schwarzen, der Wladimir oder so ähnlich hieß. Ganz hatte ich seinen Namen nicht verstanden. In dem höchstens sechs oder sieben Quadratmeter großen Raum standen ein Etagenbett, die mir schon bekannte Edelstahlkombination von Toilette und Waschbecken und ein winziger Schreibtisch. Wladimir hatte seine Sachen darauf ausgebreitet. Über dem Tisch hingen mehrere Grußpostkarten: zu Weihnachten, zum Geburtstag, zu Weihnachten und zum Geburtstag aus dem Jahr davor und so weiter. Dieses scheinbar harmlose private Arrangement schockierte mich: Mein Zellengenosse saß hier offenbar schon seit Jahren. Und ich wollte in spätestens ein oder zwei Tagen wieder draußen sein! Die Toilette musste ich in Anwesenheit meines roommate benutzen. Unser Raum war zudem für die guards durch Glasscheiben einsehbar.

Als ich die Zelle zum ersten Mal verlassen konnte, begann ich die Architektur dieser Haftanstalt etwas zu verstehen. Wir befanden uns in einer von zahllosen units, die sich wabenförmig aneinanderreihten. Unsere Zwei-Mann-Zellen lagen an der Außenwand des Gebäudes und gruppierten sich in zwei Etagen um einen größeren Gemeinschaftsraum, der vor allem als Esssaal benutzt wurde. Außerdem gab es hier einen Fernseher und mehrere Telefonautomaten. Aber man brauchte, um diese zu benutzen, ein Konto und musste sich von der Vollzugsverwaltung die Nummern seiner Angehörigen freischalten lassen. Bis das geregelt ist, dachte ich, bin ich längst nicht mehr hier.

Zur Gebäudeinnenseite hin waren die Gemeinschaftsräume, Käfigen gleich, vergittert. Dahinter saßen unsere Bewacher, die von ihrem Posten aus das Geschehen in drei bis vier units im Blick hatten, ohne mit uns direkt in Kontakt zu treten.

Die Einrichtung war überall auf das Allernotwendigste reduziert. Im Gemeinschaftsraum bestand sie aus ein paar fest montierten Vierer-Sitzgruppen. Die graublauen Fußböden, die Tische und die wenigen anderen Möbelstücke mit ihren wischfesten Oberflächen sollten vermutlich vor allem robust und pflegeleicht sein. Aber alles wirkte klebrig und schmutzig.

Niemals trat hier auch nur für einen kurzen Moment Ruhe ein. Ständig klapperten oder knallten Türen, wurde irgendetwas ausgeteilt oder eingesammelt, schrien Gefangene, stritten sich Männer, waren lautstarke Befehle von Wärtern zu hören. Diese Kakophonie steigerte sich ins Unerträgliche, als abends im Gemeinschaftsraum irgendein schwachsinniges Fernsehprogramm in Überlautstärke lief.

Die meisten Mitgefangenen, die ich bei der ersten gemeinsamen Mahlzeit sah, waren junge schwarze Männer oder Latinos. Ich nahm nicht viel Kontakt mit ihnen auf. Sie begegneten mir zwar freundlich, aber mit einer gewissen Scheu. Irgendwie war ihnen wohl schnell klar, dass dieser langhaarige ältere Herr aus einer anderen Welt kam als sie.

Mein erster Tag im Gefängnis war ein Sonntag. Wie spät es war, konnte ich nur ahnen, auch hier gab es nirgendwo eine Uhr. So konnte ich vorerst nichts anderes tun als warten. Und innerlich immer wieder die Situation durchgehen, die mich hierhergebracht hatte.

 

Nach zehn Stunden Flug über den Atlantik war ich in Miami gelandet. Andreas B. hatte mich vom Flughafen abgeholt. Florida empfing mich mit schönstem, frühlingshaftem Wetter. Dieser Jahresbeginn meinte es offenbar gut mit mir: Es war gerade mal zehn Tage her, dass ich von Mallorca nach Hamburg zurückgekehrt war.

Andreas besaß ein kleines Wohnhaus mit einem Grundstück direkt am Intracoastal. Die Platzverhältnisse – zwei Schlafzimmer, eine offene Küche – waren für amerikanische Verhältnisse eher bescheiden. Aber mit seinen perfekt gepflegten Rasenflächen, dem Swimmingpool vor der Terrasse und den Palmen, die abends effektvoll von unten angestrahlt wurden, verfügte das Grundstück über all jene Attribute, mit denen die bessergestellten Bewohner Floridas demonstrieren, dass sie auf der Sonnenseite des Lebens gelandet sind.

Im Laufe der Jahre, in denen er mein Mandant war, hatten wir uns ein bisschen näher kennengelernt. Andreas war ein Mann etwa in meinem Alter, der einer vermögenden Familie entstammte. Nach seinem Rückzug aus der Autoindustrie hatte er Geld vor allem in Unternehmen investiert, die von Carl F. in Deutschland betrieben wurden – die beiden kannten sich aus Fort Lauderdale. Ich hatte diese Unternehmen seit Mitte der neunziger Jahre immer wieder bei der Vertragsgestaltung beraten.

Doch dann war es zu Streitigkeiten zwischen den beiden gekommen, und aus der Auflösung ihrer geschäftlichen Beziehungen ergaben sich weitere Auseinandersetzungen. Ich hatte, als rechtlicher Vertreter der Firma ACCONSA1, vor wenigen Wochen einen Zivilprozess gegen Carl F. gewonnen und ein Urteil im Gepäck, nach dem Carl F. über eine halbe Million Dollar plus Anwalts- und Gerichtskosten zu zahlen hatte. Ich konnte die Zwangsvollstreckung einleiten. Ich konnte, auf Grundlage des Urteils im Zivilprozess, sogar Strafanzeige wegen Betruges gegen Carl F. erstatten, aber das wollte ich nur tun, wenn es zu keiner gütlichen Einigung kam.

Warum also überhaupt außergerichtlich verhandeln? Dafür gab es mehrere Gründe: Weil Carl F. in Berufung gehen konnte und es weitere Monate oder gar Jahre dauern würde, bis die Sache abgeschlossen war. Weil es mühsam werden würde, unsere Forderung mit Hilfe der US-Behörden einzutreiben und ein Strafverfahren nach deutschem und amerikanischem Recht gegen ihn anzustrengen. Weil wir uns letztlich nicht sicher sein konnten, ob Carl F. nicht mit seiner Frau und seinen Kindern aus Florida verschwinden würde, bevor er seine Schulden bezahlt hatte.

 

Das Treffen mit Carl F. war für Samstagvormittag, den 14. Januar, 10 Uhr im Haus von Andreas B. angesetzt gewesen. Ich war aufgrund der Zeitverschiebung an diesem Vormittag viel zu früh aufgewacht und hatte mehrere Stunden damit verbracht, einen handschriftlichen Vertragsentwurf aufzusetzen. Unser Gegner erschien in Begleitung seiner Ehefrau und seines Rechtsanwaltes Hermann W. Die Stimmung unter den Beteiligten war leicht angespannt, aber durchaus bemüht. Obwohl es draußen ziemlich kühl war – für diesen Tag war eine Kaltfront angekündigt –, setzten wir uns auf die Terrasse. Der Hausherr verteilte Decken und Pullover für seine zu leicht bekleideten Gäste und servierte Getränke.

Zunächst ging es um die Angelegenheit, über die ich vor dem Hamburger Landgericht prozessiert hatte. Anfangs drohte die Diskussion in eine gegenseitige Aufrechnung von Fehlleistungen und Vorwürfen abzugleiten. Aber dann schienen doch alle Beteiligten daran interessiert, den Streit endlich aus der Welt zu schaffen. Wir kamen zu einer Vereinbarung, die am Montagvormittag mit Unterstützung von zwei amerikanischen Rechtsanwälten aufgesetzt und unterzeichnet werden sollte.

Danach nahm das Gespräch eine etwas eigenartige Wendung: Carl F. bat seinen Anwalt, die Verhandlungen für einen Moment zu verlassen und im Auto zu warten. Dieser schien über diese Bitte zwar überrascht, ließ sich dann aber zu dem BMW geleiten, der draußen am Straßenrand stand.

Für mich völlig...

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