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E-Book

Ich mach' dann mal weiter!

AutorDaniel Bachmann, Georg Uecker
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783104906171
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
***Ein kämpferisches Leben zwischen Lindenstraße und Christopher Street*** Der erste Kuss zweier Männer in einer deutschen Fernsehserie machte Georg Uecker, alias Dr. Carsten Flöter, schlagartig berühmt. Das Urgestein der »Lindenstraße« musste privat schwere Schicksalsschläge einstecken: Sein Freund stirbt an AIDS, und er selbst erhält im Rahmen einer Krebsbehandlung eine HIV-Diagnose. Er verliert alles, was er hat, doch kämpft sich ins Leben zurück. Wenige Jahre später ist er aber wieder zurück, begeistert die Fernsehzuschauer in der 'Lindenstraße', wie auch als Spielleiter in der 'Schillerstraße' und Producer der Late Night Show 'Blond am Freitag'. Er tourt mit eigenen Bühnenshows durch Deutschland.

Daniel Oliver Bachmann studierte Volks- und Betriebswirtschaft in München und Pforzheim und Drehbuch an der Filmakademie Baden-Württemberg.

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Leseprobe

Poli is ein glokes Fet


In vielerlei Hinsicht war 1962 ein großartiges Jahr. Die Beatles brachten mit »Love me do« ihre erste Single heraus, mit »Dr. No« kam der erste James-Bond-Film in die Kinos, die Rolling Stones um Mick Jagger und Keith Richards traten zum ersten Mal auf, im Radio wurde die erste »Pumuckl«-Hörspiel-Folge gesendet und in einem Krankenhaus in Münchens Stadtteil mit dem wunderbaren Namen Gern brachte mich im November meine Mutter zur Welt. Da mein Vater Nürnberger mit ostfriesischen Wurzeln ist, während meine Mutter aus Oslo stammt, können wir hier durchaus von einer handfesten deutsch-norwegischen Gemeinschaftsarbeit sprechen, die fast zwanzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges immer noch alles andere als selbstverständlich war. Während bei meinem Bruder ein Jahr zuvor die Geburt sehr dramatisch verlaufen war – meine Mutter litt während der Schwangerschaft unter einer schweren Nierenvergiftung, was dazu führte, dass mein Bruder noch vor dem Geburtstermin per Kaiserschnitt zur Welt kam –, blieb ich, wie man mir später sagte, im Soll: Ich kam nicht zu früh und nicht zu spät und vor allem kam ich da raus, wo ich neun Monate zuvor reingekommen war. Die Geburt verlief im Großen und Ganzen normal, und nach ungefähr acht Stunden war ich auf der Welt – »ein rundes, fröhliches Ding«, wie mich meine Mutter liebevoll beschrieb. Mir gefällt diese Beschreibung, denn ein fröhlicher Optimismus zieht sich durch mein Leben. Trotz der vielen dunklen und tiefschwarzen Momente, von denen hier noch die Rede sein wird, gehöre ich zu den Menschen, die am Horizont den hellen Schein wahrnehmen und für die das berühmte Wasserglas immer eher halbvoll ist.

 

Meine Eltern hatten sich beim Tanzen kennengelernt, was mich jedes Mal, wenn sie davon erzählen, freut. Denn kann man sich einen beschwingteren Moment des Kennenlernens vorstellen? Es war ein spätsommerliches Studentenfest in Oslo.

Mein Vater hatte ein Stipendium für sein Studium der Nordischen Philologie, meine Mutter studierte Germanistik. Sie konnten sich von Anfang an in zwei Sprachen unterhalten, ganz zu schweigen von der internationalen Sprache der Liebe, die sie ebenfalls gut beherrschten. Denn schon wenige Monate später war meine Mutter mit meinem Bruder schwanger. Für meinen Vater und meine Mutter stellte sich damit schnell die Frage, wo sie ihr gemeinsames Leben als junge Eltern verbringen sollten: in der Metropole am Fjord oder viele Breitengrade südlicher in der noch ziemlich neuen Bundesrepublik. Meine Eltern wägten ganz pragmatisch Chancen und Risiken ab, und gleich nach der Hochzeit fanden sie sich in einem Liegewagen der norwegischen Staatseisenbahn wieder, der sie fein säuberlich nach Männern und Frauen getrennt Richtung Deutschland brachte.

»Es war ja unsere Hochzeitsnacht«, erinnerte sich meine Mutter an die denkwürdige Reise. »Der Zufall wollte es, dass wir Wand an Wand lagen. Die ganze Nacht gaben wir uns Klopfzeichen. Liebes-Morse-Zeichen, bis es draußen hell wurde.«

Als sie in München ankamen, bestand ihr Besitz aus zwei Koffern, die mein Vater trug, und im Bauch meiner Mutter wuchs bereits mein Bruder heran. Damals regte sich schon das sogenannte Wirtschaftswunder, trotzdem waren in der Stadt noch überall die Wunden des Bombenkrieges zu entdecken. Wohnungen blieben Mangelware; eine zu kriegen erwies sich für ein junges Paar mit Kind und ohne Einkommen als schiere Unmöglichkeit. Die Mutter meines Vaters erbarmte sich, zog aus ihrer kleinen Wohnung aus und ließ all ihre Verbindungen spielen, um für sich eine noch winzigere Unterkunft zu ergattern. Zudem zahlte sie meinem Vater vorab den ganzen Teil seines Erbes aus, damit meine Eltern einigermaßen über die Runden kamen und mein Vater sein Studium in München fortsetzen konnte.

Viel Zeit und Geld für Schwabinger Vergnügungen gab es für die beiden nicht, doch sie hatten ja sich, was dazu führte, dass meine Mutter schon bald wieder schwanger wurde. Dieses Mal mit mir. Dem runden, fröhlichen Ding, das da kommen sollte.

 

Während ich dies schreibe, versuche ich, meine ersten Erinnerungen wachzurufen. Leider habe ich keine Bilder unserer Wohnung im Kopf, dafür erinnere ich mich an den Park, in dem wir spielten. Der Luitpoldpark, mitten in Schwabing. Während meiner Sandkastenzeit entwickelte sich Münchens bevölkerungsreichster Stadtteil zum Synonym von Freizügigkeit und Lebenslust und wurde in den Siebzigern sogar zum Partynabel Deutschlands. Doch das fand in einem Paralleluniversum statt, das mit unserer Welt keine Berührungspunkte hatte. Für meine immer wieder mal von Heimweh geplagte Mutter blieb Schwabing ein bisweilen fremder Planet. Sie erzählte mir, wie sehr sie unter dem litt, was der Bayer »granteln« nennt. Oft habe sie das als harsch und abweisend empfunden, sagte sie, und immer wieder zeigte sich der Schatten des zurückliegenden Krieges. Eines Tages betrat sie das Geschäft eines Metzgers in der Nachbarschaft. Bevor sie ihre Wünsche äußern konnte, fuhr sie der Mann an: »Wo kimmsd du ha?«

»Aus Norwegen«, antwortete meine Mutter, höflich wie immer.

Der Mann legte sein blutiges Schlachtermesser zur Seite, krempelte den Ärmel seiner Metzgerkutte hoch und wies auf eine hässliche Narbe, die sich über den Oberarm zog.

»Das ist Norwegen«, sagte er. Dann griff er zum Schlachtermesser, was das Letzte war, das meine Mutter sah, bevor sie fluchtartig den Laden verließ.

Im Luitpoldpark allerdings war das Leben in Ordnung. Es gab einen riesigen Sandkasten, in dem ich, mein Bruder und noch viele weitere Kinder die Zeit verbrachten. Heute kommt es mir vor, als hätten sich alle geburtenstarken Jahrgänge der sechziger Jahre in diesem Sandkasten getummelt, denn noch immer habe ich das Geschrei im Ohr, das nur glücklich spielende Kinder von sich geben können, die noch nichts davon ahnen, was die Narben des Lebens bedeuten. Während wir im Sand tobten, saß meine Mutter mit anderen Müttern auf den Bänken, die den Spielplatz umgaben, und steckte ihre Nase in ein Buch. So sehe ich sie noch heute vor mir: lesend, und dabei immer wieder aufblickend, um sofort zu erkennen, welchen Unsinn wir Jungs gerade ausheckten. Meine Mutter wollte den Anschluss nicht verpassen, damit sie über kurz oder lang ihr Studium wieder aufnehmen konnte. Wann immer ich der Meinung war, dass ihre Aufmerksamkeit mir anstatt dem komischen Ding in ihrer Hand gelten sollte, packte ich Kuchenförmchen und Schäufelchen und buk meine Sandkuchen neben ihr auf der Bank oder gleich in ihrem dicken Schmöker. Gab man mir eine Bühne, versteckte ich mich nicht wie andere Kinder. Gab man mir keine, schuf ich sie mir. Dann zog ich mir eine Gardine über den Kopf, die ich in einem alten Karton gefunden hatte, und wurde zu Hui Buh, dem Schlossgespenst. Ich war der, der unterm Tisch hockte, um irgendwann mit Indianergeheul aufzutauchen und die Tischgesellschaft gefangen zu nehmen.

ADHS-Syndrom würden Pädagogen heute vielleicht über mein Verhalten sagen, doch meine Mutter machte sich keine Sorgen. Sie legte lachend das Buch weg und nahm mich auf den Schoß. Auch mein Vater ließ sich von meinen Clownerien niemals aus der Ruhe bringen. Heute kann ich mit Fug und Recht behaupten, dass meine Kindheit aus Essen, Schlafen, Kuscheln und Spielen bestand. Ich finde, darauf lässt sich ein anständiges Leben aufbauen.

 

Zu dieser Zeit wusste man selbst im fortschrittlichen Schwabing noch kaum etwas über den Feminismus. Auch meine Mutter, die schon damals das in Deutschland vorherrschende Frauenbild und die starren Geschlechterrollen als altmodisch und rückwärtsgewandt empfand, sollte sich erst Jahre später in der Frauenbewegung engagieren. Aber sie war wie mein Vater auch von jeher eine überzeugte, wenn auch nicht dogmatische Pazifistin. Umso überraschender kam ein ungewöhnliches Jobangebot ins Haus geflattert, das sie nach reiflicher Überlegung auch annahm: Lehrkraft für Norwegisch an einer US-Kaserne in der bayrischen Pampa. Zu dieser Zeit waren in Deutschland noch Hundertausende Soldaten der siegreichen Alliierten stationiert: Engländer im Westen und Norden, Franzosen und Kanadier im Südwesten, die Amerikaner fast überall, also auch in Bayern. Lenggries, im schönen Isarwinkel gelegen inmitten des bayerischen Alpenvorlandes, beherbergte nicht nur eine Einheit deutscher Gebirgsjäger der noch jungen Bundeswehr, sondern auch ein umfassendes Kontingent amerikanischer Soldaten. Die suchten nach einer Muttersprachlerin, die einer Handvoll Männern aus Georgia, Oklahoma, Wyoming und weiß der Kuckuck woher norwegische Vokabeln und Grammatik beibringen sollte. Das kam einigermaßen überraschend, hatte aber einen pragmatischen Grund: Ganz im Norden grenzte Norwegen auf fast zweihundert Kilometern Länge direkt an die Sowjetunion. Mit Argusaugen blickten eine Menge Leute in diesen eisigen Zeiten des Kalten Krieges auf die Grenze zwischen Nato und Warschauer Pakt. Daher dachten die Amerikaner, dass es gut wäre, ein paar Leute mit zumindest rudimentären norwegischen Sprachkenntnissen da oben zu stationieren. Da diese in Lenggries ausgebildet werden sollten, kam meine Mutter ins Spiel.

Wir brachen also unsere Zelte in Schwabing ab und machten uns auf Richtung Karwendelgebirge. In Lenggries angekommen, bezogen wir eine kleine Wohnung über einem Landgasthof, wo Abend für Abend die einheimische Bevölkerung Lieder sang, in denen viele Vokale und wenige Konsonanten vorkamen. Wenn mein Vater gerade in München seinem Studium nachging und auch sonst keine Kinderbetreuung aufzutreiben war, nahm meine Mutter gelegentlich mich...

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