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E-Book

Über Bord - 28 Stunden allein im Indischen Ozean

AutorBrett Archibald
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl368 Seiten
ISBN9783104905471
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis3,99 EUR
Niemand sah ihn fallen, keiner hörte seine Hilferufe - er war allein in der stürmischen See Es sollte ein unbeschwerter Männertrip werden, doch für ihn wurde es die Hölle: April 2013, irgendwo vor Sumatra, mitten im Indischen Ozean. Der 51-jährige Brett Archibald wacht in der Nacht bei starkem Wellengang auf. Ihm ist schlecht und er beschließt, an Deck frische Luft zu schnappen. Ein fataler Fehler, denn plötzlich wird ihm schwindelig. Das nächste, was er mitbekommt, ist, dass er hustend aus dem Wasser auftaucht, das Boot bereits 30 Meter von ihm entfernt. 28 Stunden allein im offenen Meer liegen vor ihm, unter Haien und inmitten giftiger Quallen, nur bekleidet mit Shorts und T-Shirt. 28 unendlich lange Stunden, bis das Wunder geschieht und er gerettet wird! Dies ist seine Geschichte.

Brett Archibald war mehr als 35 Jahre lang ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann und beruflich in aller Welt unterwegs. Nach seiner Rettung änderte er sein Leben: Er verkaufte sein Bauunternehmen und ist heute ein international gefragter Vortragsredner. Der gebürtige Südafrikaner lebt mit seiner Frau und den beiden Kindern in Cape Town.

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Leseprobe

Die Mentawai-Inseln


Alles fing mit einer E-Mail an, einer Einladung, die man unmöglich ablehnen konnte: Surfen in einem atemberaubenden tropischen Paradies mit den besten Wellen der Welt. Die Idee dazu wurde an einem dieser typischen Männerabende geboren und im Lauf der Zeit nicht nur beim gelegentlichen Bier immer wieder propagiert.

Irgendwann fand sich auch ein triftiger Grund – »Gibt es eine bessere Möglichkeit, seinen fünfzigsten Geburtstag zu feiern?« –, auf den Tony Singleton sich berufen konnte, um seine zehn besten Freunde zum Mitmachen zu bewegen. Der Köder, den er auswarf, war eine Tour auf einem Surfcharterboot rund um die indonesischen Mentawai-Inseln.

Alle zehn Männer waren Südafrikaner Anfang fünfzig und schon seit der Schulzeit befreundet. Einige hatten schon als Fünfjährige gemeinsam die erste Klasse besucht, andere hatten sich im Lauf der Grundschule kennengelernt. Die allermeisten jedoch hatten als Teenager mit Zottelfrisur auf den Fluren und Sportplätzen der Westville Boys’ Highschool in Durban Freundschaft geschlossen.

»Los, Jungs, das ist jetzt genau der richtige Zeitpunkt«, hatte Tony gemailt. »Get the feeling!«

Er schrieb, dass er vorsichtshalber schon mal die Naga Laut angefragt habe, das Boot, mit dem einige von ihnen schon im Jahr zuvor unterwegs gewesen seien, und nannte Reisedaten und Preise.

»Das ist noch ziemlich am Anfang der Saison, aber wir sind über Vollmond unterwegs. Also sollte es einerseits nicht zu überlaufen sein, und andererseits werden wir gute Wellen haben. Ich weiß, dass es gerade ein bisschen schwierig ist, aber das wird schon, also schauen wir nach vorn und gehen es an. Seid ihr dabei?«

Bis zum Sonntagabend hatten Niall Hegarty, Craig Killeen, Mark Ridgway, Mark Snowball, Jean-Marc Tostee, Benoit Maingard, Brett Archibald, Eddie Pickles und Tony selbst zugesagt. Nur Weyne Mudde brauchte etwas mehr Zeit, um seine Frau und Kinder davon zu überzeugen, dass eine solche Auszeit mit den Kumpel die geeignete Form war, seinen Fünfzigsten zu feiern.

Sie würden Vorstandssitzungen und geschäftliche Zwänge, Beziehungszwist und erdrückende Hypotheken hinter sich lassen, um eine Reise zu unternehmen, die sie später »Zehn-grüne-Flaschen-Tour« tauften, in Anspielung auf das Bintang, ein ziemlich dünnes indonesisches Lagerbier.

Surfboote in Indonesien sind grundsätzlich sehr teuer, weswegen vor allem eher wohlhabende Leute mittleren Alters sie mieten. An Bord treffen dann häufig Menschen unterschiedlicher Nationalität, die sich untereinander gar nicht kennen, aufeinander. In diesem Fall war es etwas anderes. Auf dem Boot würden alte Freunde, zum Teil seit Jahren räumlich getrennt, wieder zusammenfinden. Die von allen geteilte Begeisterung fürs Surfen würde sie wieder vereinen.

Alle zehn surften seit ihrer Kindheit, doch wegen familiärer und beruflicher Verpflichtungen kamen sie nur noch gelegentlich in ihrer Freizeit dazu. Die, die an der Küste wohnten, hatten natürlich öfter die Möglichkeit, aber doch nie so oft wie zu Zeiten ihrer jugendlichen Surfbesessenheit, als der warme Indische Ozean der Ostküste Durbans sie aus ihren Klassenzimmern lockte.

Das Meer war damals ihre Spielwiese. Im Südafrika der 1970er Jahre, als der Surfchampion Shaun Tomson auf dem Gipfel seines internationalen Ruhms stand, galt Surfen als eine Form der Rebellion, als Sport für Durchgeknallte – ein Ruf, mit dem sich die Jungen identifizierten und der sie verband.

Als Vierzehnjährige trampten Tony, Weyne, Ed und Mark »Ridgy« Ridgway in Shorts und T-Shirts, das Board unter den Arm geklemmt, auf der hügeligen Schnellstraße vom nördlichen Westville, wo sie wohnten, zu Durbans geschwungenen Sandstränden mit ihren kühlen Brisen. Dort trafen sie auf die anderen, die Tostee-Brüder, Craig, Benoit (»Banger« genannt), Niall und Brett, die im Zentrum und Süden von Westville wohnten, und Mark Snowball (»Snowman«), der aus dem Vorort Glenwood kam, aber zum »Westville-Boy ehrenhalber« ernannt wurde. Gemeinsam verbrachten sie dann den ganzen Tag beim Surfen. Es war ein freies und extremes Leben. An Wochenenden standen sie um halb fünf Uhr morgens auf und trampten nach Durban zu den noch unberührten Stränden und perfekten Wellen.

Niall Hegarty, der kurz zuvor aus England eingewandert war, bot das Surfen eine Möglichkeit, Freundschaften zu schließen. »Es gab keinen schöneren Anblick, als vom Surfbrett aus den Sonnenaufgang über den Wellen zu beobachten.«

JM, ein Schuljahr unter ihnen, war ihnen auf dem Surfbrett absolut ebenbürtig. Beide Tostee-Brüder waren Wasserratten, JMs jüngerer Bruder Pierre gewann später für das Springbok-Team Surfmeisterschaften. Auch Tony ging mit seinem älteren Bruder zum Surfen und machte mit der ganzen Familie Surfurlaub in Southbroom und an der deutlich wilderen Küste in der Transkei-Region.

Einige der Männer hatten sich im Laufe der Jahre größere Herausforderungen gesucht, waren den Verlockungen ausländischer Surfspots erlegen, und dabei war Indonesien mit seinen blendend weißen Stränden und unvergleichlichen Reefbreaks zu einem ihrer Favoriten geworden. Also waren alle zehn sofort dabei, als sich ihnen die Gelegenheit zum Surfen auf den Mentawais bot.

Die »Zehn-grüne-Flaschen-Tour« war also abgemacht. Diese Bezeichnung blieb auch, als Ed Nickles wegen Verdachts auf Hautkrebs in letzter Minute absagen musste, denn in Gedanken war er natürlich dabei. Und so kamen im April 2013 neun Männer aus mehreren Städten Südafrikas und aus anderen Ländern, in die sie zum Teil in der Zwischenzeit gezogen waren, in Indonesien zusammen: um an einem Ort, von dem sie schon immer geträumt hatten, ihrer Lieblingsbeschäftigung nachzugehen.

Auf der anderen Seite des Indischen Ozeans hatte der im australischen Perth in der Abfallwirtschaft tätige Lyall Davieson im Januar 2013 ein verblüffend ähnliches Projekt auf die Beine gestellt. Er hatte die australische Westküste rauf und runter telefoniert, entschlossen, seinem besten Freund Simon Carlin den Wunsch zu erfüllen, den fünfzigsten Geburtstag mit einem Surftrip zu den Mentawai-Inseln zu feiern.

Es hatte ihn Wochen gekostet, Simons engsten Freundeskreis, eine Gruppe von neun Männern, zu kontaktieren, die sich alle schon aus der Highschool kannten. Die meisten von ihnen waren bereits als Jungen zusammen surfen gegangen, hatten sich an den Stränden von Rottnest Island bei Perth, in der Nähe ihres Wohnviertels Trigg Point, Wettkämpfe geliefert oder ihr Können an den anspruchsvollen Wellen von Margaret River gemessen.

Nach einer Flut von E-Mails war es Lyall schließlich gelungen, abgesehen von Simon auch Colin Chenu, Dave Carbon, Pete Inglis, Jeff Vidler, Justin Vivian, Mark Swan und Gary Catlin zu überzeugen. Sie alle waren erfahrene Surfer, und viele waren bereits auf indonesischen Charterbooten unterwegs gewesen. Doch nun suchten sie eine neue Erfahrung, etwas weniger Standardmäßiges. Sie wollten ihre Fähigkeiten und Stärken an abgelegeneren Spots und schwierigeren Wellen erproben.

Der zum Reiseorganisator ernannte Lyall durchforstete also all die unwiderstehlichen Mentawai-Angebote im Internet auf der Suche nach einem Bootsvermieter, der zu Außergewöhnlichem bereit war. Was sie brauchten, war nämlich ein ganz besonderer Skipper: einer, der wusste, wo die teuflischen Wellen zu finden waren, der deren Anziehungskraft nachvollziehen und zugleich die damit verbundenen Risiken einschätzen konnte. Ein Mann, der verstand, dass die Jagd nach der perfekten Welle niemals endet.

In der ersten Aprilwoche 2013 ließen die neun Westaustralier ihre persönlichen und beruflichen Sorgen hinter sich und flogen über Bali nach Padang, wo sie mit einem der fähigsten und erfahrensten Skipper des gesamten Gebiets zusammentreffen würden, ein harter, aber guter Typ, der als echter Seebär Respekt genoss: Tony »Doris« Eltherington, ein emigrierter Australier, Kapitän der Raja Elang und ehemalige Surflegende der australischen Gold Coast.

Ganz Indonesien ist berühmt für seine Surfspots. Doch während Bali als Hochburg der Reichen und des Massentourismus gilt, sind die Mentawai-Inseln mit ihren Riffen und Buchten für Surfer der Heilige Gral. Als Inselgruppe innerhalb eines größeren Archipels liegen die rund siebzig Inseln abgeschieden, exotisch und ein wenig abenteuerlich (was zu ihrem Reiz beiträgt) in einem weiten Gebiet verstreut. Die Hauptinseln tragen so schöne, klingende Namen wie Siberut, Nord- und Süd-Pagai und Sipura. Von der Westküste Sumatras sind sie durch eine gefährliche, mehr als hundert Seemeilen breite Wasserstraße getrennt, die Meerenge Selat Mentawai.

Wenn man die Augen schließt und sich die perfekte Inselkulisse vorstellt, könnte glatt ein Bild der Mentawais dabei herauskommen: glitzernd blaues, glasklares Wasser, weiße Puderstrände, umgeben von Korallenriffen und tropischem Regenwald, wild und unerschlossen. Doch diese Schönheit hat ihren Preis.

Die Inseln liegen nämlich auf dem Sundagraben, einer seismisch hochaktiven Zone, die für regelmäßige Erdbeben und damit einhergehende verheerende Tsunamis verantwortlich ist. Kleinere Beben, die Menschenleben kosten, ereignen sich ständig, doch nur die großen schaffen es in die Schlagzeilen. Das trifft vor allem auf das Erdbeben im Dezember 2004 zu, als ein vom nördlichen Rand der Mentawais ausgehender Tsunami am zweiten Weihnachtstag zu einer der größten Naturkatastrophen seit Beginn der Aufzeichnungen führte. Man schätzte 230000 bis...

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