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E-Book

Ich sag's halt

Erinnerungen. Aufgezeichnet von Norbert Mayer

AutorNorbert Mayer, Peter Mati?
VerlagAmalthea Signum Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783903083349
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
Das Burgtheater, die Josefstadt und das Schiller Theater in Berlin sind seine Heimat. Peter Mati? hat in sechs Jahrzehnten Hunderte Rollen gespielt. Unverwechselbar ist seine Stimme, die er als Synchronsprecher vor allem Hollywood-Star Ben Kingsley leiht. Literaturfreunde schätzen seine Hörbücher, darunter die Gesamtaufnahme von Marcel Prousts »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit«. Mati? macht sie zum Erlebnis. Der Nachkomme einer k. u. k. Offiziersfamilie ist ein »echter Europäer«, ein Theatermann durch und durch. In seiner Autobiografie erzählt der hochaktive Künstler pointen- und aufschlussreich von Sternstunden des Theaters. Ein 32-seitiger Bildteil zeigt Höhepunkte der Karriere des Publikumslieblings

Peter Mati?, geboren 1937 in Wien, debütierte als Schauspieler 1960 am Theater in der Josefstadt. Seither ist er als Künstler unverwechselbar geworden - auf der Bühne wie auch in Rundfunk und Film. Seine ungeheure Vielfalt schließt Lesungen, Oper und Regie mit ein. Der Kammerschauspieler wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem erhielt Mati? den Albin-Skoda-Ring, das Große Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um das Bundesland Niederösterreich, das Goldene Ehrenzeichen des Landes Wien und das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse. Norbert Mayer, geboren 1958 in Fürstenfeld, war in Graz, Brüssel, Berlin und Wien als Journalist tätig, u. a. bei »Der Standard«, »Berliner Zeitung« und »Kurier«. Seit 2003 ist er Leitender Redakteur im Feuilleton der »Presse«. Er ist mit der Musikwissenschaftlerin Anita Mayer-Hirzberger verheiratet. Zuletzt bei Amalthea erschienen: Elisabeth Orth: »Aus euch wird nie was« (2015)

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Leseprobe

MIT KARL KRAUS IN SALZBURG


»Wir spielen immer, wer es weiß, ist klug.«

ARTHUR SCHNITZLER

Da liege ich nun, wie ein Geist, im Halbdunkel auf der Bühne des Salzburger Landestheaters, richte mich im Schlaf immer wieder auf und singe ein Couplet darüber, dass mir »doch nichts erspart« bleibe. Ich spiele den greisen Kaiser Franz Joseph, seine besten Tage sind in dieser Inszenierung von Die letzten Tage der Menschheit bei den Salzburger Festspielen 2014 längst vorbei.

Was wohl mein Vater dazu gesagt hätte, dass ich in der Stadt, in der ich meine Jugend verbracht habe, als Kaiser eine lächerliche Figur gebe, einen bornierten Herrn, der sich mächtig darüber echauffiert, dass man ihn »drangekriegt« habe? Dieser Franz Joseph singt auch Unmenschliches. Er ist bei Karl Kraus, der in seinem Drama all die verbalen Entgleisungen aufdeckt, die zum Ersten Weltkrieg beigetragen haben, ein grausamer Kriegstreiber. Weit hinten in diesem Lied offenbart sich der Charakter:

Mir war seit Kindesbeinen

schon alles einerlei.

Doch g’freut mich heut wie keinen

die blutige Schlamperei!

Heut bin ich ja noch rüstich,

noch rüst ich nicht zur Fahrt,

noch nicht für alles büßt ich,

noch viel bleibt euch erspart!

Mein Vater hatte in diesem großen Krieg gedient, der das bürgerliche Zeitalter beendete. Als sein Kaiser noch lebte, galten Späße über den Herrscher der Habsburger Monarchie beinahe als Hochverrat, zumindest aber als geschmacklos. Wenn bei uns im Haus über den Autor dieses gigantischen Lesedramas gesprochen wurde, sagte mein Vater nur: »Ah, der Fackel-Kraus!« Für einen braven Staatsdiener von Adel, der dieser Welt von gestern noch bis ins Mannesalter angehört hatte, war dies Werturteil genug. Meine Familie, die Klassiker wie Goethe und Schiller schätzte, die selbst für Wiener Moderne wie Schnitzler und Hofmannsthal ein Faible hatte, konnte nicht viel mit diesem bissigsten Kritiker seiner Zeit anfangen. Ich bin in einer Umgebung aufgewachsen, die großen Respekt vor Traditionen hatte und sie pflegte. Meine Mutter und ihre Geschwister haben als Kinder mit jungen Erzherzögen und Erzherzoginnen gespielt, mein Großvater Alexander von Warsberg war ein Kammerherr am Salzburger Hof der Habsburger. Kraus hingegen war gegen das Militär und vor allem gegen das angestammte Herrscherhaus. Seine Texte wirken prophetisch, er hat viel vom Schrecken des 20. Jahrhunderts erahnt. Man lese nur Die Dritte Walpurgisnacht, die 1933 entstand und die Machtübernahme der Nationalsozialisten seziert.

Durch die Beschäftigung mit Die letzten Tage der Menschheit habe ich den Zerfall der Monarchie kritischer zu sehen gelernt. Für die Generation meiner Eltern ging das wohl nicht mehr, für später Geborene setzte wiederum eine gewisse Verklärung der guten alten Zeit ein. Man denke an die Sissi-Filme der 1950er-Jahre. Für meinen Vater aber bedeutete die Monarchie die eigene Jugend, es war für ihn wahrscheinlich eine Zeit voller Begeisterung, er ist nicht ohne Euphorie ins Feld gezogen, im Jahr 1914. Der Kaiser, das war für ihn immer Franz Joseph I., nach dessen Tod im Jahr 1916 bedeutete ihm die kurze Herrschaft von Kaiser Karl nur noch einen Abgesang.

Kraus hat diese Endzeit mit einem mächtigen Werk begleitet. Zu seinen satirischen Spitzen hat Franz Schuh unlängst in einem Nachwort zu einer neuen Ausgabe von Die letzten Tage der Menschheit bemerkt, dort wo der Spaß aufhöre, fange bei Kraus der Witz erst an. Nur wer »die von Kraus selbst eingezeichneten Grenzen überschreitet, kann seinen Spaß, seine Hetz damit haben«.

Der Dichter des Untergangs war bereits neun Monate tot, als ich am 24. März 1937 auf die Welt kam. Und trotzdem, wenn ich in seiner Zeitschrift Die Fackel lese oder aus seinem fast 800 Seiten langen, 1922 in Buchform erschienenen Drama vortrage oder gar, wie unlängst in Salzburg und Wien, mehrere Rollen darin spiele, fühle ich mich seiner Zeit unheimlich nahe. Seine Texte sind von einer naturalistischen Anschaulichkeit, für einen Schauspieler ist es eine Lust, diese bösen Sätze, die oft so harmlos beginnen, mit Leben zu erfüllen.

Das alte Österreich in all seinen Schattierungen, das Kraus in seinem unerbittlichen Kampf gegen die Presse wie auch gegen die Phrase bloßstellt, ist mir sprachlich noch vertraut. Aus meiner Jugend kenne ich solche Zahlkellner und Abonnenten, Lakaien und Hofräte, die sein Drama bevölkern, ja sogar manchen Nörglern und Optimisten bin ich begegnet.

Ich hatte sie im Ohr, als ich im Jahr 2000 am Semmering im Rahmen der Festspiele Reichenau in der Regie von Hans Gratzer Figuren aus Die letzten Tage der Menschheit vorführte. Ich habe als Nörgler mit dem Optimisten als Handpuppe diese zentralen Dialoge gespielt, habe den Optimisten mit verstellter Stimme gesprochen. Ich musste mich nur an dieses Projekt vom Semmering zurückerinnern, um in Salzburg 14 Jahre später wieder in diese besondere Atmosphäre zu gelangen. Und als ich unlängst, weitere zwei Jahre später, in Wien Probenfotos von mir als Kaiser Franz Joseph aus Salzburg betrachtete, mit der hellen Uniform und den grünen Federn am Hut, dachte ich: Das Bild kommt mir doch bekannt vor. Ich kramte in alten Fotos, und tatsächlich wurde ich fündig: Mein Großvater väterlicherseits in heller Uniform als Feldmarschallleutnant und mit Federn am Hut. Ich sehe ihm als alter Kaiser auf der Bühne verblüffend ähnlich.

Mein Großvater: Heinrich Matić von Dravodol, Feldmarschallleutnant

Wie also den Herrscher spielen? Zwei Herzen schlagen, ach, in meiner Brust. Ich sehe durchaus die gewollte Komik bei Kraus und bediene sie entsprechend. Ich gebe einen naiven, ja engstirnigen Menschen. Aber ich würde eben hoffen, dass er so, wie ich ihn darstelle, doch einen gewissen Rest an Würde behält. Das ist mehr als nur Nostalgie.

Die letzten Tage der Menschheit haben für mich seit dem Jahre 1972 eine große Rolle gespielt. Damals habe ich sie erstmals intensiv kennengelernt. Regisseur Hans Hollmann, der seit meinem Engagement am Theater in der Josefstadt Anfang der 1960er-Jahre entscheidend zu meiner beruflichen Entwicklung beigetragen hat, organisierte in Berlin eine Leseveranstaltung mit diesem Drama, im Capitol Kino in Dahlem, wo kleine literarische Veranstaltungen stattgefunden haben. Dort las zum Beispiel immer wieder Helmut Qualtinger. Der Kinobesitzer war kulturell sehr interessiert. So kam es in Westberlin immer wieder zu Begegnungen mit Wien.

Ich habe Qualtinger in Berlin auch bei anderen seiner legendären Lesungen getroffen, etwa jenen mit Texten von Anton Kuh oder mit den schockierenden Passagen aus Hitlers Mein Kampf. Danach kam ich bei einem Glas Wein ganz privat in den Genuss seiner stupenden Unterhaltungskunst. Ich saß mitten in Berlin in einem Lokal und glaubte, dem Herrn Karl oder gar Adolf Hitler zuzuhören.

Auch den 100. Geburtstag von Kraus haben Hollmann und ich 1974 in Berlin mit einer Lesung begangen, mit Karl Kraus contra Berlin. Über diese Veranstaltung schrieb der berühmte Theaterkritiker Friedrich Luft: »Berlin auf höchster Ebene angepöbelt.« Das war lobend gemeint. Allerdings habe Kraus in diesem Zusammenhang natürlich ebenso das kulturelle Wien angepöbelt. Dieser Autor kommentierte nämlich unter anderem den Ausflug des großen Schauspielers Alexander Girardi nach Berlin folgendermaßen: »Er will zur Berliner Bühne übergehen und kehrt wahrscheinlich nicht nach Wien zurück … Unsere Theatromanie ist eine kulturelle Angelegenheit; aber eine viel wichtigere ist unsere Teilnahmslosigkeit vor einem kulturellen Skandal, der zufällig in der Theatersphäre spielt. Wenn der Wiener Kultur das Herz herausgeschnitten wurde und sie weiterleben kann, so muß sie tot sein.« Man weiß, dass Girardi sehr wohl wieder nach Wien zurückgekehrt ist, doch das Thema hatte Kraus erneut Gelegenheit gegeben, Geifer abzulassen. Er konnte nicht anders. Seinen Berliner Kritiker-Kollegen Alfred Kerr bezichtigte er zum Beispiel der »Nummerierung kritischer Fürze«.

Ich hatte übrigens einmal Gelegenheit, Kerr darzustellen, 1992 in dem TV-Film Es hat gelohnt. Auch er war durchaus ein Nörgler. Es hat mir richtig Freude gemacht, diese geradezu Kraus’sche Figur im Film zu verkörpern. Und auf der Bühne der Werkstatt des Schiller Theaters spielte ich im Jahre 1988 in dem großen Drama von Kraus.

Eine Gruppe von Österreichern machte 1980 unter Hollmanns Leitung die Berliner mit dem Sarkasmus von Kraus bekannt: Nikolaus Paryla, Dagmar von Thomas, Hollmann selbst und ich hatten damit überraschend großen Erfolg. Wir sind mit dieser Produktion durch Berlin gezogen und noch weiter hinaus. Später haben wir mit unserem Kraus-Abend eine Tournee bestritten, die weiblichen Rollen wurden allerdings nicht mehr von Dagmar von...

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