Kindheit und Jugend in Klagenfurt
Sigbert: alter dt. männl. Vorname (ahd. sigu ›Sieg‹+ ahd. beraht ›glänzend‹)1
Sigbert Hans Ramsauer wurde am 19. Oktober 1909 in Klagenfurt als einziges Kind von Maria Ramsauer (geb. Lendorfer) und Regierungsrat Christian Ramsauer geboren und in der röm. kath. Kirche von St. Egid in Klagenfurt getauft.2 Seine Mutter Maria Lendorfer, die in verschiedenen Akten als »Private« geführt wird, tritt in den erhaltenen Quellen kaum hervor. Über sie ist lediglich bekannt, dass sie die Tochter eines k.k. Steuerbeamten in Eisenkappel war. Der Vater Christian, aus Abtenau bei Salzburg stammend, wird im Trauungsbuch als »Besitzersohn« geführt. Zum Zeitpunkt der Geburt seines Sohnes arbeitete er als k.k. Regierungs-Concipist3, als beamteter Bezirkskommissär im Agrarwesen der noch bestehenden Monarchie. In der Qualifikationsbeschreibung seines Vorgesetzten wird er 1914 als aufstrebender Beamtentypus beschrieben: Ihm wird tadelloses, ausgezeichnetes, fleißiges und gewissenhaftes Verhalten beschieden, »sehr gewandt und energisch, für den Dienst vorzüglich geeignet«, ebenso wird er wärmstens für einen Leitungsposten empfohlen.4
Das soziale Umfeld der Ramsauers kann in den frühen Kindheitsjahren Sigberts als kleinbürgerlich mit zunächst stabilen, geordneten ökonomischen Verhältnissen bezeichnet werden. Auf die politische Gesinnung des Elternhauses lassen die Quellen zu diesem Zeitpunkt noch keinen eindeutigen Rückschluss zu, das politische Klima innerhalb der Familie dürfte jedoch nach verschiedenen Indizien großdeutsch und antisemitisch geprägt gewesen sein. Darauf deutet nicht zuletzt das berufliche Umfeld Christian Ramsauers mit seinem Naheverhältnis zum nationalliberalen Kärntner Bauernbund hin, in dessen Leitsätzen grundsätzlich »die Beseitigung des jüdischen Einflusses auf die Finanzwirtschaft und auf die wirtschaftliche, kulturelle wie sittliche Entwicklung des Volkes« gefordert wurde. Der Bauernbund bediente sich in der Zwischenkriegszeit, ähnlich den Großdeutschen, einer völkisch-nationalistischen Ideologie, »die in wesentlichen Elementen die ideologisch-propagandistischen Kernpunkte des Nationalsozialismus antizipierte«.5 In parteipolitischem Kontext deutet ein späterer Brief von Christian Ramsauer – zumindest für die frühen 1920er Jahre – auf ein Naheverhältnis zu Arthur Lemisch und dessen Deutschliberaler Partei hin, später dürfte auch er sich der NSDAP zugewandt haben.
Maturajahrgang 1929 des Bundesgymnasiums in Klagenfurt mit Sigbert Ramsauer, mittlere Reihe, 8. von links.
Wohnhaft in der Radetzkystraße 16, im bürgerlichen Bezirk Kreuzbergl in Klagenfurt, besuchte Sigbert mit Unterbrechungen das Klagenfurter Bundesgymnasium am Völkermarkter Ring, wobei er aus nicht näher geklärten Gründen die 6. Klasse in einem Bundesrealgymnasium in Graz absolvierte.6 In der 7. Klasse wurde er im Klagenfurter Gymnasium wieder als Privatist der 7b geführt,7 ehe er im Juni 1929 maturierte.
Mit der nationalsozialistischen Bewegung kam Ramsauer nach eigenen Aussagen bereits sehr früh in Kontakt: »[…] mit den Juden haben wir weiter kein b’sonderes Verhältnis g’habt, aber schon als Mittelschüler, im zarten Alter von ungefähr 14 Jahren, bin ich mit dem Hakenkreuz gangen, weil es war so ›in‹, sagen wir, in Klagenfurt.«8 Über seinen näheren Freundeskreis liegen keine Informationen vor, allerdings entstand während seiner Schulzeit auch jenes Netzwerk, das ihm nach 1947, dem Jahr seiner Verurteilung, von großem Nutzen sein sollte. Zu seinen Schulkameraden zählten u.a. der spätere ÖVP-Bundeskanzler Josef Klaus (1910–2001), der die Parallelklasse besuchte, sowie der spätere ÖVP-Verteidigungsminister Ferdinand Graf (1907–1969). Beide Politiker machten in der Nachkriegszeit auf unterschiedliche Weise ihre Einflüsse für Ramsauer geltend, insbesondere Ferdinand Graf, der vor allem in seiner Funktion als Staatssekretär im Bundesministerium für Inneres (1945–1956) für die Freilassung Ramsauers intervenierte und sich mehrmals für die Familie Ramsauer verwendete. Auch mit dem Vater Christian Ramsauer verband Graf eine nähere, beruflich bedingte Bekanntschaft über den Kärntner Bauernbund, als dessen Direktor Graf seit 1933 fungierte. Christian Ramsauer wiederum betätigte sich in diesem Zeitraum als Konsulent, ab August 1936 fungierte er als angestellter Geschäftsführer der »Sektion der Forstwirte« des Kärntner Bauernbundes.9
Annähernd zeitgleich mit Sigbert Ramsauers ersten Kontakten mit der nationalsozialistischen Bewegung kam es innerhalb der Familie zu einer einschneidenden Veränderung in der beruflichen Karriere des Vaters. Er wurde vorzeitig – nicht ganz freiwillig – im Alter von 43 Jahren pensioniert. Über die Umstände, die dazu geführt hatten, liegt ein 1940 verfasster Brief von Christian Ramsauer an den Reichsstatthalter von Kärnten, Franz Kutschera, vor, der zumindest die Binnensicht des Betroffenen dokumentiert – zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Dokuments stand Ramsauer sen. bereits wieder im kriegsbedingten Einsatz in der Verwaltung der Kärntner Landeshauptmannschaft.
»Mit 31.12.1922 habe ich auf Grund der Verordnung über den freiwilligen Abbau um meine Versetzung in den dauernden Ruhestand angesucht aus folgenden Gründen: Im Jahre 1917 wurde mir vom damaligen Landespräsidenten Graf Lodron die Stelle des Agrarlandesreferenten in Klagenfurt für den Zeitpunkt des Kriegsendes zugesichert. Dr. Arthur Lemisch garantierte mir, dass dieses Versprechen eingelöst wird. Auf das hin übersiedelte ich im November 1917 von Villach nach Klagenfurt. Bei meiner Abrüstung im Jahre 1919 war überraschenderweise an der Stelle des Landesagrarreferenten bereits statt des Hofrates Mayerhofer Ministerialsekretär Urbas. Dr. Lemisch war gegenüber der vereinigten Macht der Christlichsozialen und der Sozialdemokraten, welche Urbas nicht wegen seiner Fähigkeiten, sondern wegen seiner politischen Einstellung hergebracht hatten und hielten, nicht in der Lage, sein Versprechen einzuhalten. Nicht genug an dem, wollte man mich auch nicht etwa als Agrarbeamten in Klagenfurt belassen, sondern ich musste nach Villach. Wohnung wurde mir keine beigestellt und die Entfernungsgebühr im Laufe des Jahres 1922 eingestellt. Da ich vorstellig wurde, dass ich auf meine eigenen Kosten einen getrennten Haushalt zu führen nicht in der Lage bin, drohte mir das Präsidium mit dem Disziplinarverfahren. Dies bewog mich, dem vereinigten Druck der schwarzroten Koalition, dem sich Schumy mit besonderem Vergnügen anschloss, zu weichen. Ich überreichte Ende Dezember 1922 mein Pensionsgesuch. Von 1923 bis zum Umbruch war ich Rechtskonsulent und Geschäftsführer des Kärntner Wald- und Grundbesitzerverbandes und auch Rechtskonsulent des Zentralkomitees der Waldbesitzerverbände Österreichs. Im Dezember vorigen Jahres wurde ich zur Wiederverwendung von der Landeshauptmannschaft in Kärnten einberufen. Ich werde als vollwertige Konzeptkraft im Innen- und Aussendienste des Reichsstatthalters verwendet. Da meine Einstufung in eine angemessene Gehaltsstufe scheinbar Schwierigkeiten bereitet, bitte ich um meine Wiedereinstellung in den aktiven Dienst. Heil Hitler!«10
Wie der weitere Aktenverlauf des Zentralbesoldungsamtes seit den frühen 1930er Jahren bis weit in die Nachkriegszeit zeigt, spielten seit der unfreiwilligen Pensionierung Geldangelegenheiten und pekuniäre Aspekte eine zentrale Rolle im Leben der Ramsauers. Ramsauer sen. begriff sich nicht nur als politisches Opfer einer »schwarzroten« Intrige, sondern in weiterer Folge auch als Opfer von finanzbehördlichen Fehlleistungen, gegen die er in unterschiedlichen Lebensphasen mit der Akribie eines vom Leben enttäuschten Beamten eine Vielzahl von querulantischen Einsprüchen erhob und sich über Jahrzehnte hinweg einen Kleinkrieg mit den Finanzbehörden lieferte. Im Zentrum seiner Beschwerden standen stets finanzbehördliche Abzüge an seinen Ruhegenüssen, die sich aufgrund seiner Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit ergeben hatten. Die ökonomische Unsicherheit und Instabilität des Familieneinkommens, die Ramsauer sen. in diesen Schreiben stets hervorzustreichen pflegte, waren allerdings relativ: Mit einem Jahreseinkommen von 14.124 Schilling etwa für das Jahr 193511 nagte die Familie – trotz des mittlerweile studierenden Sohnes – keineswegs am Hungertuch, zumal Christian Ramsauer in den 1930er Jahren Waldbesitz aus den Lodron’schen Besitztümern nahe bei Gmünd erwerben konnte und damit den Grundstein für ein später fast 189 Hektar umfassendes Anwesen inklusive Eigenjagd legte.
Dass sich sein Sohn Sigbert in der Zwischenzeit zum »ewigen Studenten« entwickelt hatte, dürfte bei dem überaus leistungsorientierten Vater und Regierungsrat in Ruhe allerdings...