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E-Book

Im Iran dürfen Frauen nicht Motorrad fahren ...

Was passierte, als ich es trotzdem tat

AutorLois Pryce
VerlagDumont Reiseverlag
Erscheinungsjahr2017
ReiheDuMont Welt - Menschen - Reisen E-Book 
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783616491028
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR

Eine Frau, ein Motorrad und die wagemutigste Reise ihres Lebens
Eines Tages entdeckt Lois Pryce in London einen Zettel an ihrem weitgereisten Motorrad: Eine persönliche Einladung in den Iran, ausgesprochen von einem Fremden namens Habib. Die Neugierde der Abenteurerin ist geweckt. Dass Frauen im Iran offiziell gar kein Motorrad fahren dürfen ... und alle Bekannten ihr dringend davon abraten ... geschenkt! Ihre ebenso mutige wie überraschende Reise in den echten Iran kann beginnen: 5000 Kilometer mit Helm und Hidschab - und zahllosen unvergesslichen Begegnungen.

Dieses E-Book basiert auf:
1. Printauflage 2017



<p>Lois Pryce, Jahrgang 1973, ist für ihr Leben gern unterwegs, je abenteuerlicher, desto besser. 2003 kündigte sie ihre Stelle bei einem bekannten britischen Radiosender und brach auf zu ihrem ersten großen Abenteuer: 20.000 Kilometer mit dem Motorrad von Alaska über Feuerland bis nach Argentinien. Seitdem bereist sie die Welt. Ihr Markenzeichen: das Schaffell auf dem Sattel ihres Motorrads. Sie schreibt regelmäßig für die New York Times, den Guardian u.a. und kuratiert das <em>Adventure Travel Film Festival</em>. Lois Pryce lebt mit ihrem Mann in London auf einem alten holländischen Frachtkahn. Die britische Zeitung The Telegraph zeichnete sie jüngst aus als eine der zehn größten Abenteurerinnen unserer Zeit.</p>

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Leseprobe

2

Geh und weck dein Glück!

Zwei Monate später war ich auf meinem Motorrad unterwegs durch die Türkei, immer weiter in Richtung Osten. Ich folgte dem klassischen Hippie-Trail aus den Sechziger- und Siebzigerjahren – nur dass diese Straße im 21. Jahrhundert eine ganz andere Angelegenheit war. Noch vor wenigen Jahrzehnten stellte die Standardroute Türkei-Iran-Afghanistan-Pakistan den Initiationsritus Abertausender argloser britischer Teenager auf dem Weg nach Indien dar. Aber heute, ein, zwei Generationen später, hatte der Iran sich vom Rest der Welt abgeschottet; Kabul, die einst lebenslustige Stadt, war Kriegsgebiet; die Buddhas von Bamiyan im Zentrum Afghanistans waren zerbombt, und Pakistan eine No-go-Area, zugänglich nur mit Militäreskorte für die wenigen Reisenden, die sich auf diesen Spießrutenlauf einlassen wollten.

Ich kam zu spät auf die Welt, um diese unschuldige Zeit zu erleben; meine Weltreisen fielen ziemlich genau zusammen mit dem »War on Terror«, dem Krieg gegen Terror. Im Frühjahr 2003 hatte ich meinen sicheren, aber eintönigen Bürojob bei der BBC aufgegeben, um mit dem Motorrad von Alaska nach Argentinien zu fahren, gerade als George Bush im Irak einmarschierte. Auf der ersten Etappe dieser Tour wehte noch stolz die US-amerikanische Flagge. Doch kaum hatte ich die Grenze nach Mexiko passiert, sah die Welt ganz anders aus. Und als ich dann Mittelamerika erreichte, tauchten überall die Graffitis auf – BUSH GENOCIDO, ENEMIGO DE LA HUMANIDAD. Ich verbrachte viel Zeit damit, zu erklären, dass ich doch einen britischen Pass hätte, »Soy inglesa!«, dass ich kein kriegstreibender Gringo aus dem Land nördlich der Grenze sei –, und es schien ein bisschen zu helfen. Doch wenige Jahre später bei meiner Fahrt durch das muslimische Nordafrika wurde zwischen den beiden Ländern kaum noch unterschieden. Unsere »engen Beziehungen« bedeuteten, dass wir in den Augen der restlichen Welt unter einer Decke steckten. Grenzsoldaten sahen meinen Pass und spuckten Tony Blairs Namen in den Sand, während sie mir widerwillig den Pass stempelten. Hey! Ich war bei der Antikriegsdemo 2003 dabei, wollte ich ihnen sagen. Aber was hätte es genützt? Ungefähr so viel wie die Demo selbst. In den Jahren darauf war London durch die Bombenattacken vom 7. Juli erschüttert worden, und 2007, als ich am Rand der algerischen Sahara erfuhr, dass Saddam Hussein getötet worden war, wusste ich, dass die Zeiten, in denen ich mit Grenzbeamten über David Beckham und Prinzessin Diana plaudern konnte, endgültig vorbei waren. Jetzt, auf meiner ersten Tour durch den Nahen Osten, unterwegs in ein Land, das berühmt war für seine Feindschaft mit Großbritannien, verspürte ich eine Mischung aus Trauer, Wut, Bedauern und Scham, auch wenn ich für die vergangenen Ereignisse nicht persönlich verantwortlich war. Der großartige britische Pass hatte seinen Glanz verloren, und das hochtrabende Statement auf der Innenseite – »Der Außenminister Ihrer Majestät fordert im Namen Ihrer Majestät, den Inhaber dieses Passes frei und ungehindert passieren zu lassen und dem Inhaber dieses Passes nötigenfalls Beistand und Schutz zu gewähren« – wirkte fast schon lächerlich. Dann mal viel Glück, Ma’am.

Meinen ersten Vorgeschmack auf den Orient bekam ich in Istanbul mit seiner aufregenden Skyline aus Minaretten und Kuppeln und der mächtigen Bosporus-Brücke, dem Bindeglied zwischen Europa und Asien. Doch je weiter ich ostwärts fuhr, desto mehr schwand meine Zuversicht, das iranische Außenministerium überlisten zu können. Ihr Misstrauen bei meinem Visaantrag war ansteckend; sie waren paranoid, was meine Person betraf, und jetzt war auch ich paranoid. Seit der Stürmung der Botschaft 2011 war das Erteilen von Visa an britische Staatsbürger eine heikle Angelegenheit geworden. Ich stellte mir vor, wie irgendein dämoni-scher Beamter in Teheran seinen allmächtigen Stempel schwang und mit irrem Lachen die Antragsformulare glückloser Briten in seinem Papierkorb verbrannte. Erstaunlich, dass sie mich überhaupt ins Land lassen wollten.

Je weiter ich mich von zu Hause entfernte, desto unruhiger wurde ich. Die langen Tage im Sattel beim Überqueren des einsamen türkischen Pontus-Gebirges gaben mir die Gelegenheit, in Gedanken alle möglichen dramatischen Szenarien durchzuspielen, wie ich an der Grenze abgewiesen und wegen Spionage ins Gefängnis geworfen wurde, aus meiner Zelle ausbrach und in einer Nacht- und Nebelaktion per Anhalter in einem Lkw voller Schnaps auf irgendeiner obskuren Schmugglerroute über die Berge entkam.

Meine Ankunft in der funktionalen, leicht trostlosen türkischen Hauptstadt Ankara machte meinen fieberhaften Vorstellungen ein Ende und gab mir eine angenehme, wenn auch weniger theatralische Antwort auf mein Problem: den Transasia-Express, der einmal pro Woche zwischen Ankara und Teheran verkehrte. Der erste Halt auf iranischer Seite war Täbriz, die nordwestliche Grenzstadt, die ich zu meiner ersten Station auserkoren hatte. Für den Preis von ein paar Kebabs konnte ich mich mitsamt Motorrad in den Zug setzen, den Rest des Landes durchqueren und tausend Kilometer weiter direkt hinter der iranischen Grenze aussteigen. Dort angekommen, konnte ich hoffentlich mein Bike aus dem Frachtwaggon holen und einfach losfahren. Es gab Zeiten, da wäre mein jüngeres, puristisch denkendes Ich dagegen gewesen, meine Motorradreise auf diese Art zu unterbrechen, aber was soll’s! Das Austricksen der iranischen Behörden war meine oberste Priorität, und außerdem freute ich mich als heimlicher Eisenbahnfan darauf, in einem Zug mit einem so romantischen Namen zu fahren.

Zur Belustigung der morgendlichen Pendler schob ich mein Bike durch den wuseligen Bahnhof von Ankara bis auf Gleis 2, wo es von einer Gruppe missmutiger türkischer Bahnhofsarbeiter in speckigen Hemden in den Frachtwaggon gehievt wurde. Als die Pfeife des Aufsehers schrillte, stiegen alle in den Zug, und da saß ich nun, allein in meinem Vierpersonen-Schlafwagenabteil. Nachdem wir stundenlang durch die Vorstädte Ankaras gerumpelt waren, spielte ich mit dem Gedanken, die türkische Eisenbahn freundlich darauf hinzuweisen, dass nicht nur der Name »Transasia«, sondern auch der Begriff »Express« eine Spur übertrieben waren. Nicht dass es mich gestört hätte. Ich hatte ein gemütliches Abteil für mich allein, und als es dunkel wurde und der Regen gegen die Scheibe trommelte, wusste ich, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte.

Die Ungestörtheit sollte allerdings nicht von Dauer sein. An der nächsten Station klopfte der Schaffner an meine Tür und teilte mir mit, dass ich ein paar Reisegefährten bekäme. »Bayan?«, fragte ich. Es war das Wort, das auf den Toilettentüren unter dem Frauenpiktogramm stand. Im Gang hatten mich ein paar Typen mit etwas zu viel Interesse und einem süffisanten »Salaam« angesprochen, und ich konnte nur hoffen, dass ich die nächsten beiden Nächte nicht in ähnlicher Gesellschaft würde verbringen müssen. Der Schaffner nickte und sagte in holprigem Englisch: »Ja, bayan, eine Frau und ihr ...« Er stockte und suchte nach dem richtigen Wort. »Küken.«

Ich stellte mir eine junge Frau mit Baby vor, also staunte ich nicht schlecht, als eine ältere iranische Dame in der Tür stand und das »Küken« sich als ihr Sohn mittleren Alters entpuppte.

Meine neuen Reisegefährten begrüßten mich wie eine lang verschollene Freundin, und nachdem sie ihre Betten hergerichtet hatten, wurde unverzüglich ein Geschirrtuch auf dem Tisch ausgebreitet. Und bergeweise Tupperdosen gestapelt. Aus ihnen kamen Unmengen von Brot, Käse, Tomaten, Trauben und ein selbst gemachter Aufstrich aus Eiern, Kartoffeln, Mayonnaise und Dill.

»Bitte, essen Sie mit uns«, sagten die beiden mit strahlendem Lächeln. Ich versuchte mir eine ähnliche Szenerie im Pendlerzug nach Doncaster vorzustellen, aber es wollte mir nicht gelingen. Ich hatte diffuse Kindheitserinnerungen aus den Siebzigerjahren, wo auf Zugreisen wildfremde Menschen ihr Essen miteinander teilten, aber die Chance, dass heutzutage meine Landsleute in einem öffentlichen Verkehrsmittel einem ausländischen Mitreisenden etwas von ihrer Mahlzeit abgeben würden, war gleich null. Ich fragte mich, ob dieses verbissene Festhalten an Privatsphäre und Eigentum symptomatisch war für ein kleines, überbevölkertes Land; ob es ein unbewusstes Bedürfnis war, sich an irgendetwas, egal an was, so derart zu klammern.

Dem ersten Gang folgte ein Kuchen aus Datteln und Nüssen, dazu gab es Tee, der mit Wasser aus einem kleinen elektrischen Reisekocher aufgebrüht wurde. Meine neuen Mitreisenden stammten aus der iranischen Stadt Isfahan, und das Küken, wie ich den Mann mittleren Alters ab jetzt in Gedanken nannte, sprach im Gegensatz zu seiner Mutter etwas Englisch. Aber mithilfe meines Persisch-Wörterbuchs wurstelten wir uns irgendwie durch, was die beiden sehr belustigte. Unterdessen wurde immer wieder neues Essen auf dem Tisch präsentiert, und irgendwann hatte ich die Gelegenheit, den bedeutenden Satz auszusprechen, den ein iranischer Freund in London mir wohlweislich beigebracht hatte: »Sîr schodam, merci – ich bin satt, danke.« Ich hatte das Gefühl, dieser Satz würde noch öfter zum Einsatz kommen.

Nachdem der Tisch abgeräumt worden war, schloss die Dame die Augen und legte die Hände zusammen.

»Jetzt bete ich.«

Sie begann einen hohen Klageton auszustoßen, der gefühlt ewig dauerte. Unbeholfen schweigend saß ich da, unsicher, wie ich reagieren sollte, und ich wünschte, wir könnten einfach nur über das Wetter reden oder uns Quizfragen stellen. Ich wusste nicht, wohin ich gucken sollte. Das Abteil fühlte sich plötzlich sehr eng und ein bisschen zu intim an. Ihr Sohn saß mit seliger Miene...

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