Das Judentum
Die Entstehung der jüdischen Religion
Mit dem Ende der abrahamitischen Religion im Jahr 70 n.Chr. beginnt die Entwicklung der jüdischen Religion. Im Jahr 135 n.Chr. hat man festgelegt, welche Schriften das heilige Buch der Juden bilden. Diese Bücher aus der Zeit des ersten Gottesstaates bilden den Tanach. Was darin steht, darf nicht mehr verändert werden.
Doch wie so oft stellt sich die Tradition als etwas Hinderliches heraus. Neue Priester müssen neue Gesetze und Verordnungen erlassen können. Hier beginnt der Umbruch der Tradition, die das Judentum mit Mischna bezeichnet. Es ist das hebräische Wort für „Wiederholung.“
Hatte nicht einst Gott zu unseren Vorfahren geredet? Dieser Kontakt mit Gott auf dem Berg Sinai bestand nicht nur aus der Übergabe von Gesetzestafeln. Gott hatte auch zu Moses geredet. Was im heiligen Buch des Tanach fest verankert ist, das ist nur die eine Seite, die schriftliche Tora.
Moses hat aber noch eine mündliche Tora von Gott erhalten. Und diese wurde von einer Priestergeneration zur nächsten weitergegeben.
Diese mündliche Überlieferung wird jetzt in den Vordergrund gerückt. Das ist die „Mischna“. Die Weisungen Gottes werden aktualisiert. Der Lehrer trägt vor, der Schüler spricht es laut nach. Er wiederholt es, Mischna.
Mit der Mischna entsteht das Judentum
Mit dem Beginn der Mischna erreicht die ehemalige Abrahamitische Religion eine neue Qualität. Wir müssen von nun an von der jüdischen Religion sprechen. Gottes Wort kennt zwei Wege, die in der Schriftform im Tanach (Altes Testament) und mündlich in der Mischna, dem priesterlichen Wort, existieren.
Die Mischna reglementiert die jüdische Religion. Sie ist nicht auf Eindeutigkeit festgelegt, sondern stellt bewusst verschiedene Meinungen nebeneinander. Hier soll gerade Spielraum für Deutungen, Interpretationen und Anweisungen bleiben. Das schafft Freiheit für göttlich-priesterliches Wort.
Die jüdisch-theologische Entwicklung vollzog sich in zwei geografisch getrennten Regionen: Babylon und Jehuda. Das babylonische Judentum war sehr aktiv in der Ausgestaltung der Religion. Die babylonischen Juden lebten unter anderen Bedingungen, als die jüdische Gemeinde in der Provinz Jehuda. Letztere bezeichnet das Judentum als 'Eretz Jisrael' (Land Israel). In Palästina gab es eine andere Mischna als in Babylon. Die Mischna wurde wiederum aufgeschrieben. Das ist der Talmud. Im Jahr 220 n.Chr. einigte man sich auf eine endgültige Fassung. Der Talmud zeigt auf, wie göttliches Gesetz im Alltag anzuwenden ist.
Definition 'Judentum'
Bei der Abgrenzung des Judentums gegenüber dem Christentum folgen wir dem jüdischen Wissenschaftler Micha Brumlik:
„Das Judentum und das ist das rabbinische Judentum, so wie wir es heute kennen, ist nicht die Religion Abrahams, ist auch nicht die Religion der alten Israeliten oder der Judäer, wie es in der Bibel bezeugt wird, sondern die Religion der talmudischen Weisen, die zwischen dem zweiten und vierten Jahrhundert christlicher Zeitrechnung entstanden ist.“24
Im weiteren führt Brumlik aus, Judentum und Christentum sind nicht wie Mutter und Tochter, sondern wie Geschwister zu sehen, die etwa zeitgleich entstanden sind, sich jedoch getrennt haben.
Das gemeinsame heilige Buch (Tanach-Altes Testament) wird im Judentum und Christentum unterschiedlich verstanden und interpretiert.
Die Theologie des Judentums
Die Aufzeichnung der Mischna ist in 6 Sachgebiete gegliedert.
- Sera'im („Aussaat“): Abgaben an die Priester, soziale Bedürftigkeit, Umgang mit Fremden
- Mo'ed („Festzeiten“): Religiöse Feste und das Fasten
- Naschim („Frauen“): Das Familienrecht
- Nesikin („Schäden“): Das Strafrecht
- Kodaschim („Heiligtümer“): Die Speisevorschriften und Opferriten
- Tohorot („Reinigungen“): Die Reinheitsvorschriften
Aus den Themenkreisen ist ersichtlich: Hier wird das gesamte gesellschaftliche Leben unter religiösen Gesichtspunkten geregelt und priesterlich dominiert.
Es ist die Fortführung der alten Idee vom Gottesstaat.
Eine Unterscheidung zwischen Religion und allgemein-öffentlichem Leben ist dem Judentum fremd. Es gibt keine Kirchenbehörde. Kirche und Staat bilden eine Einheit. Das gesamte Leben ist unter religiösem Gesichtspunkt zu sehen. Doch die Religion ist dezentral geworden. Jede Gemeinde regelt ihr religiöses Leben selbstständig.
Es ist umstritten, in wieweit das Judentum eine übergreifende Glaubenslehre braucht. Der berühmte jüdische Gesetzeslehrer des Mittelalters, der in Cordoba geborene Maimonides, hatte eine solche Dogmenlehre des jüdischen Glaubens geschrieben. Doch hat die Geschichte des Judentums gezeigt, dass eine solche akademische Glaubenslehre nicht gebraucht wird.
Der jüdische Glaube wird in der kleinsten Zelle gelebt. Die Familie ist die Keimzelle der jüdischen Tradition. Der jüdische Lebensstil wird von Generation zu Generation weitergegeben. Jüdischer Glaube ist jüdisches Leben. Es realisiert sich im Feiern der jüdischen Feste und der Einhaltung von koscheren Speisevorschriften.
Das Judentum zerstreut sich weltweit
Die judäische Bevölkerung wandert in die Länder des Mittelmeerraums aus. Ein großer Teil ist dem alten Seeweg der Phönizier nach Andalusien gefolgt. Hier wird die große Bevölkerung der Juden später mit dem Christentum der Goten und den muslimischen Eroberern zusammentreffen.
In einem fremden Land muss Religion auf den Gedanken des Gottesstaates verzichten. Jüdische Religion muss in fremden Ländern unter einem fremden Staat leben oder sie wird untergehen.
Dieser Spagat gelingt dem Judentum. Auch ohne staatliches Zusammenleben pflanzt sich die jüdische Religion fort. Religiöse Zellen entstehen in allen Ländern, in die Juden auswandern.
Die Verlagerung des jüdischen Glaubens in die individuelle Ebene der Familie garantiert den Fortbestand des Glaubens und führt zu einer weltweiten Verbreitung des Judentums.
Der jüdische Kalender
Der jüdische Kalender orientiert sich am Mond. Das hat man aus Babylonien mitgebracht und beibehalten. Mit dem Neumond beginnt ein neuer Monat. Er stellt einen Geburtsvorgang dar.
Die Monatslänge wechselt sich ab zwischen 29 und 30 Tagen.
Das Jahr mit 12 Mondmonaten hat allerdings nur 354 Tage.
Um den Mond-Kalender an das Sonnenjahr (365 Tage) anzu-passen, legt man ein Schaltjahr mit einem 13. Mondmonat ein.
Auch die Monatsnamen stammen aus der babylonischen Zeit.
Das jüdische Jahr beginnt im Herbst mit dem Monat Tischri, dem babylonischen Wort für 'Anfang'.
Die Feste sind stets mehrtägig mit Ausnahme des Versöhnungsfestes 10 Tage nach Neujahr. Weil dieses Fest strenges Fasten verlangt, kann man es nicht über 24 Stunden hinaus ausdehnen.
Aufgrund der Unterschiedlichkeit von Mond- und Sonnenkalender verschieben sich die jüdischen Feste im Vergleich zu unserem julianischen Kalender.
Die einzelnen Feste
Der jüdische Glaube erlebt sich neben seinen exklusiven Speise-Vorschriften vor allem im Feiern seiner Feste. Diese bilden wesentliche Inhalte der mythischen Tanach-Geschichte ab.
- Das Neujahrsfest/ Rosch ha-Schanna wird im Sept./Oktober für 2 Tage gefeiert. Mit dem Beginn eines neuen Jahres wird an den Beginn der Welt erinnert.
- Jom Kippur/ Versöhnungsfest wird 10 Tage nach Neujahr gefeiert. Ein ganztägiger Gottesdienst und strenges Fasten prägen den Tag. Der Name ist der Öffentlichkeit durch den Jom-Kippur-Krieg vertraut.
- Das bedeutende Passahfest erinnert an die Flucht aus Ägypten. Eine Woche lang wird Brot gegessen, das ohne gesäuerten Teig gebacken werden muss.
- Schawuot wird 50 Tage nach dem Passahfest gefeiert, das Fest aus Anlass der Übergabe der Tora, des Gesetzes. Der Struktur nach ist es eher ein theologisches Fest. Im Gottesdienst werden die 10 Gebote verlesen. Die Tora wird bis in die Nacht hinein gelesen. Im Christentum wird an diesem Tag Pfingsten gefeiert.
- Das Laubhüttenfest/Sukkot erinnert an die Wanderung durch die Wüste unter Mose mit 40 Jahren Dauer. Das Fest dauert eine Woche. In dieser Zeit ruht die Arbeit. Gläubige Juden schlafen 1 Woche lang unter freiem Himmel. Es ist dem Erntedankfest vergleichbar.
- Das Purimfest erinnert an eine Begebenheit aus dem babylonischen Exil. Der persische König nimmt die jüdische Schönheit Esther zur Frau. Als Königin erfährt sie,
dass der Minister Hamam die Vernichtung aller Juden plant. Über Auslosung (Los=Persisch PUR) soll der Tag für das Pogrom ausgewählt werden. Esther gelingt es, den König umzustimmen. Statt der Juden wird Hamam hingerichtet. Purim ist ein lautstarkes Fest.
An diesem jüdischen Feiertag wird in der Synagoge das Buch Esther vorgelesen. Jedes mal wenn der...