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Im Strom unserer Zeit

Lehrjahre, Wanderjahre & Meisterjahre

AutorMax Eyth
Verlage-artnow
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl370 Seiten
ISBN9788026853404
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis1,99 EUR
Dieses eBook: 'Im Strom unserer Zeit' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Max von Eyth (1836-1906) war ein deutscher Ingenieur und Schriftsteller. 1862 trat er bei der englischen Dampfpflugfabrik Fowler in Leeds ein und übernahm die Auslandsvertretung für Dampfpflüge. Auf vielen Reisen und langjährigen Auslandsaufenthalten, u. a. nach Ägypten und in die USA, warb er für die Einführung von dampfmaschinengetriebenen Pflügen in der Landwirtschaft. Eyth war auch bei der Errichtung der Seilschifffahrt auf dem Rhein maßgeblich beteiligt. In der Zeit des Amerikanischen Bürgerkriegs reiste er nach Ägypten. Der Nilstaat bemühte sich zu dieser Zeit, Hauptproduzent von Baumwolle für Europa zu werden. Drei Jahre war Eyth Chefingenieur des ägyptischen Prinzen Said Halim Pascha. Die Erlebnisse dieser Zeit beschrieb er in seinem Roman Hinter Pflug und Schraubstock. 1882 kehrte Eyth nach Deutschland zurück. Er gründete gemeinsam mit dem Landwirt und Politiker Adolf Kiepert im Jahre 1885 die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) und blieb bis 1896 deren geschäftsführender Direktor. Seine restlichen Jahre verbrachte er, ledig geblieben, hauptsächlich mit schriftstellerischer Tätigkeit bei seiner Mutter in Ulm. So verarbeitete er beispielsweise den Eisenbahnunfall auf der Firth-of-Tay-Brücke in seiner 1899 erschienenen Erzählung Die Brücke über die Ennobucht. Max Eyth hat außer seinem literarischen auch ein umfangreiches zeichnerisches Werk hinterlassen. Seine Zeichnungen entstanden oftmals auf seinen geschäftlichen Reisen und haben meist naturalistische Darstellungen von Bauwerken, Straßen- und Hafenszenen zum Inhalt.

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Leseprobe

64.



Schubra, den 31. September 1864.

Es ist nur recht und billig, daß auch ich dem alten Rah, dem Sonnengott Ägyptens, um diese Zeit des Jahres meine Opfer bringe.

Ich war ein paar Tage lang krank und finde, daß das sein Gutes haben kann. Man vereinsamt und vertrocknet zu sehr in dem unablässigen Geschäftstrubel. Ihr in dem stillen Kloster mit Sophokles und Homer und einer Anzahl strebsamer Jungen, ich in Schubra und Kassr-Schech mit Dampfmaschinen und Baumwollenfabriken und einem Haufen Halbwilder – wer ist wohl weniger in der großen Welt? Man mag laufen, so weit man will, man sieht überall nur seinen eignen Horizont. Und bei meiner Art von Beschäftigung, die Körper und Geist Tag und Nacht umtreibt, ist's leichter und gefährlicher, sich unter den Dornen zu verlieren. Da kommt denn ein Unwohlsein. Das eiserne Mühlwerk, das ohne Erbarmen alte gute Erinnerungen zermalt und zerreibt, steht auf ein paar Tage still. Und man merkt in dieser Stille plötzlich, daß man eigentlich doch auch ein Mensch war, und steht mit halbvergessener Wehmut, wohin man treibt, 's ist ein wahrer Segen. –

Äußerlich ist allerdings ein Unwohlsein in Ägypten kein Vergnügen. Den Abend, an dem ich mir mit großer Gewandtheit selbst acht Blutegel ansetzte und schließlich, da ich mit dem Stillen des Blutes nicht zustande kommen konnte, meine Stirne mit Schreinerleim verklebte, benutzte mein Koch, um mit einem Teil meiner Habe durchzubrennen, so daß ich zunächst ohne Nachtessen und Frühstück zu vegetieren hatte. Wer weiß, wie es gegangen wäre, wenn nicht mein fauler Dragoman eine ungewohnte Anwandlung empfunden hätte, nach seinem verschwundenen Herrn zu sehen.

Doch Tier und Menschen beginnen jetzt wieder aufzuatmen; die welkgebrannten Blätter, die halbverdorrten Felder färben sich um den schwellenden Nil in unbeschreiblicher Herrlichkeit; die Abende und Morgen mit der frischen, reinen Luft, die Nächte mit ihrer wundervollen Sternenpracht und ihrem tausendfachen Gezirpe, Gequack und Gesang (Singvögel im deutschen Sinne gibt es freilich nicht) sind nahezu paradiesisch, und Schubra ist vielleicht der beste Ort, dies alles zu genießen. Aber allerdings, wenn man, wie eine kleine Vorsehung, das Wasser, das diese Welt so grün macht, selbst pumpen muß, nimmt sich alles etwas anders aus. Wie muß es der großen Vorsehung oft zumut sein, wenn sie ihre Welt betrachtet, in die sie liebevoll so viel Wasser pumpt, oft genug ohne Erfolg!

Nun möget Ihr einmal heruntersteigen von den Geisteshöhen, auf denen Ihr zu Hause seid und mich bei einem Fuhrmannsgeschäft begleiten, bei dem ich mich zu Hause fühlen muß, ob mir's behagt oder nicht. Das größte Stück meiner neuen Reparaturwerkstätte lag schon seit Monaten in Bulak, der Hafenstadt Kairos, etwa fünf Viertelstunden von Schubra. Es ist eine Stoßmaschine, im wesentlichen ein einziger Klotz von Gußeisen, zehn Fuß lang, etliche acht Fuß hoch, drei Fuß breit, der zehntausend Kilogramm wiegt. An sein Heranschaffen mit Gespannen war gar nicht zu denken; denn sobald ein ägyptischer Ochse merkt, daß etwas auf dem Wagen liegt, den er zu ziehen hat, so gibt er sich nur noch den Schein, dies zu tun. Spannt man aber ein paar Dutzend vor, so bringt keine Erdenmacht die Untiere dazu, auch nur meiner Richtung zu stehen. Die Hälfte mindestens streckt die schwarzen Köpfe dem Wagen zu. – Gut; ich wartete also, bis das Dampfpflügen vorüber war und fuhr sodann mit einer meiner Maschinen nach Bulak, zuerst die Sykomorenallee hinauf, mit dem gewöhnlichen Schweif jubelnder Kinder Sems und Hams, jung und alt, durch die Vorstadt Kairos, dann vorbei an staubbedeckten Moscheen und durch die verzweifelt engen Gassen von Bulak selbst, wo mein Maschinenwärter zum erstenmal – wir hatten die Straße früher schon öfter mit Glück passiert – einen kleinen Kaufladen umfuhr, endlich in den Hof des vizeköniglichen Arsenals, woselbst das plumpe Sorgenkind lag.

Nach dem üblichen Austausch langer Briefe, die ich zum Glück noch immer nicht lesen kann, sondern nur unterzeichne, war es mir gelungen, vom Arsenal den erforderlichen Wagen zu erhalten. Er gefiel mir schlecht genug; denn obgleich von gewaltiger Größe, wackelten die ausgelaufenen gußeisernen Räder wie betrunken um ihre Achsen, und mit Neid betrachtete ich ein neueres, noch größeres Exemplar, das müßig im Hofe stand. Aber meine Bitten und meine Berufung auf die Festigkeitslehre halfen nichts; ich war genötigt, zu nehmen, was man mir überlassen wollte, und mittels eines Kranens stellten wir den Gußblock auf das stöhnende Fuhrwerk.

Des andern Morgens wurde die Maschine angekuppelt und schleppte ordentlich majestätisch das eiserne Ungetüm hinter sich drein zum Arsenal hinaus. »Tor taib kedir!« (»ein guter Ochse!«) bemerkte ein kluger Araber, der mit stummem Erstaunen den kleinen Zug um die nächste scharfe Ecke verschwinden sah, die um ein Haar mitgenommen wurde. Ich selbst wurde durch das Unterzeichnen zahlreicher Bescheinigungen wegen Übernahme des Wagens und Entführung meiner Stoßmaschine eine Viertelstunde lang aufgehalten.

Als ich nachgeritten kam, fand ich hinter Bulak die Maschine ruhig und ernst, aber bewegungslos in der Mitte eines aufgeregten Menschengedrängs stehen. Niemand befand sich auf derselben; die Ventile bliesen wie wahnsinnig ab; das Geschrei der Bevölkerung erstickte jedoch den Warnungs- und Schmerzensruf des gequälten Kessels. Mit Mühe brach mein Kawaß mir Bahn. Endlich entdeckte ich im Mittelpunkt des Aufruhrs meinen Maschinisten, der mit blutüberzogenem Gesicht einen seiner Landsleute durchwalkte. Ein paar Gertenhiebe nach links und rechts tun in solchem Falle Wunder und schienen den Streitfall zur allgemeinen Befriedigung beizulegen. Einer der Eingeborenen hatte den Versuch gemacht, mit der Schmierölkanne, welche zufällig von der Maschine gefallen war, davonzulaufen, woraus sich das Weitere entwickelt hatte; denn meine Maschinenwärter glauben unser Maschinenöl allein stehlen zu dürfen.

Die Straße von Bulak nach Schubra ist vielleicht die beste in Ägypten: ein fester Erddamm unter dem Schatten mächtiger, alter Bäume; keine Möglichkeit, den Fuß an einen Stein zu stoßen, denn es gibt keinen. So ging's ohne Anstand vorwärts. Die Maschine, »der gute Ochse«, schleppte ohne ein Zeichen von Unbehagen ihre zweihundert Zentner auf dem schwankenden Gestelle hinter sich her. Unsre Werkstätte liegt jedoch etwa anderthalb englische Meilen hinter Schubra, und mit ahnungsvollem Grauen blickte ich in die Zukunft. Wir hatten drei oder vier kleine Kanäle und vor allem die Eisenbahn zu kreuzen, deren hoher Damm das Gut durchschneidet, und dann eine halbe Meile auf einem frisch aufgeworfenen Erddamm hinzutreiben, welchen nie etwas andres als der leichte Fuß der lastbaren Eselin gedrückt hatte.

Der erste der Kanäle ist mit Eisen überbrückt, indem das Wasser in einer gußeisernen Röhre von einer Seite des Wegs auf die andre geleitet wird. Diese ragt um etwas über die Wegfläche hervor. Die Straßenlokomotive überschritt die Röhre ohne Anstand. Nun kam der Karren. Krachend stiegen die Vorderräder auf die Röhre und glücklich sanken sie auf der andern Seite hinunter. ›Gewonnen!‹ dachte ich. Das gleiche dachte auch mein Maschinist, und in seiner Herzensfreude stößt er den Regulator weiter auf. Die Maschine keucht vorwärts, über die zweite Röhre setzend; in diesem Moment berühren die Hinterräder des Karrens die erste – sie steigen – sie krachen – und bums! mit einem markdurchdringenden Ruck, dem ein dumpfer Schlag folgt, ist das Tagewerk vollendet.

Der Wagen ist über der Brücke, hat aber die Hinterräder samt ihrer Achse zurückgelassen, und sämtliche Gesetze der Statik verhöhnend, steht die Stoßmaschine auf dem zusammengesunkenen Gestell. Der Weg ist durch sie versperrt; sie ist sogar frech genug, dem Pascha, der eine Viertelstunde später natürlich gerade diesen Weg nahm, das Recht auf seinem eignen Gut streitig zu machen. Zweihundert Zentner wiegen selbst einen Pascha auf.

Kranen gab es hier auf offenem Felde natürlich nicht. Aber fünfzig schreiende Fellachin, am Ende eines Riesenhebels aufgehängt, haben schon vor viertausend Jahren dieses Land zum Wunder der Welt gemacht. Genau dasselbe sinnreiche Prinzip hob das Hinterteil meines Wagens samt dem daraufstehenden toddrohenden Klotz Zoll um Zoll wieder in die Höhe, und nach zwei Tagen standen die alten Räder mit einer neuen Achse wieder säuberlich an ihrem Platz. Nur dreihundert Schritte von dem Orte dieses ersten Unglücks kreuzt der Weg den Eisenbahndamm. Bis dorthin ging am dritten Tag die Reise, während zugleich ein ausführlicher Brief an die Bahnverwaltung abgesandt wurde, um ihr anzuzeigen, daß ich am folgenden Morgen die Schienen kreuzen und vermutlich zusammenreißen werde, weshalb ich anheimstelle, sämtliche Züge zwischen Kairo und Kaliub bis auf weiteres einzustellen. Da Ägypten noch keine Bahnwärter kennt, so war dies von meiner Seite ein Akt der Menschlichkeit, der seine Anerkennung fand. Des andern Morgens kam eine Lokomotive von Kairo, hielt an der betreffenden Kreuzungsstelle und brachte den Eisenbahnbetriebsingenieur der Linie Kairo-Alexandrien und die erfreuliche Nachricht, daß sämtliche Züge in der Tat eingestellt seien und daß demnach ein Zusammenstoß mit meiner Stoßmaschine nicht wahrscheinlich sei.

Nun befindet sich vor dem Eisenbahndamm ein weiterer Wasserkanal, der aber mit Erde und Holz überbrückt und nur etwa vierzig Zentimeter tief ist. Die Maschine mit ihren breiten Rädern passierte ihn mit vollem Dampf, indem sie zugleich mit aller Kraft ansetzte, um die steile Böschung hinaufzukeuchen. Schwer und emsig humpelte...

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