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Hinter Pflug und Schraubstock - Skizzen und Anekdoten aus dem Taschenbuch eines Ingenieurs

Wanderlebensregeln, Blut und Eisen, Der blinde Passagier, Hast du's erlebt?, Geld und Erfahrung, Unter der Erde, Die Sphinx von Gizeh, Der Tartarenrebell hinter dem Dampfpflug...

AutorMax Eyth
Verlage-artnow
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl545 Seiten
ISBN9788026853398
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis1,99 EUR
Dieses eBook: 'Hinter Pflug und Schraubstock - Skizzen und Anekdoten aus dem Taschenbuch eines Ingenieurs' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Max von Eyth (1836-1906) war ein deutscher Ingenieur und Schriftsteller. Auf vielen Reisen und langjährigen Auslandsaufenthalten, u. a. nach Ägypten und in die USA, warb er für die Einführung von dampfmaschinengetriebenen Pflügen in der Landwirtschaft. Eyth war auch bei der Errichtung der Seilschifffahrt auf dem Rhein maßgeblich beteiligt. In der Zeit des Amerikanischen Bürgerkriegs reiste er nach Ägypten. Der Nilstaat bemühte sich zu dieser Zeit, Hauptproduzent von Baumwolle für Europa zu werden. Drei Jahre war Eyth Chefingenieur des ägyptischen Prinzen Said Halim Pascha. Die Erlebnisse dieser Zeit beschrieb er in seinem Werk Hinter Pflug und Schraubstock. Inhalt: Wanderlebensregeln Der blinde Passagier Die Schmiede Das verhängnisvolle Billardbein In der Gießerei Blut und Eisen Der Monteur Dunkle Blätter Am Schraubstock Hast du's erlebt? Geld und Erfahrung Unter der Erde Der Tartarenrebell hinter dem Dampfpflug Die Sphinx von Gizeh Berufstragik Winterabend

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Leseprobe

Das verhängnisvolle Billardbein



Ein rätselhafter Kindertraum hat mich als Jungen jahrelang mit heimlicher, unerklärlicher Sehnsucht erfüllt. Ich sprach mit niemand darüber, wie man nicht über Dinge spricht, die unser Innerstes bewegen. Doch ganz ohne Äußerung blieb dieses Gebilde kindlichen Traumlebens nicht. Meine Schulhefte und vor allem eine Schulausgabe von Ciceros Reden gegen Katilina, die einen breiten, weißen Rand hatte, wimmelten von Pyramiden. Die Herren Professoren, außer dem alten Zeichenlehrer, den niemand beachtete, schüttelten die Köpfe. Denn man hielt sie für Dreiecke und sah darin einen unpassenden Hang zur Geometrie und anderen unklassischen Allotrien. Daneben fand sich manchmal auch ein kleiner mißgestalteter Hund, für den ich rückhaltlos ausgescholten wurde. Sogar der Zeichenlehrer mußte hier den Kopf schütteln. Ich schwieg still, im Gefühl erlittenen Unrechts. Es war gar kein Hund. Es war eine Sphinx, das Rätsel alles Lebens, am Fuß der Grabdenkmale der ältesten Könige der Welt. Welche Erbärmlichkeiten waren dagegen die Republik und die ganze römische Plebs samt dem langen Cicero! Das Ziel meiner kindlichen Sehnsucht war Ägypten.

Mein Traumland aber mit seinen ernsten, geheimnisvollen Göttern, die keine unübersetzbaren Dummheiten machten wie Zeus und Aphrodite und Hermes; mit seinen tausendjährigen Menschen, die mit offenen Augen in ihren Felsengräbern lagen, als ob sie morgen aufstehen und ihre braunen, steifen Arme strecken wollten; mit seinem heiligen Strom und dem stillen Mörissee abseits in der Wüste; am Ufer Flamingos und Pelikane und ein schlummerndes Krokodil: das alles schien so unsäglich fern, unerreichbarer als der Himmel! Und nun hatte ich es doch erreicht, völlig unerwartet, fast plötzlich. Gestern noch, schien es mir, war ich im Schnee des Brenners steckengeblieben; heute brannte die Sonne Afrikas auf meinen Schädel. War es zu verwundern, daß es mir seit sechs Wochen manchmal zumute war, als sei ich hinter dem Katilina eingeschlafen und träumte noch immer meinen alten Kindertraum, besonders morgens, kurz vor dem eigentlichen Erwachen, wenn die Moskitos satt waren und ringsum Friede herrschte, im stillen Schimmer des erwachenden Morgens?

Auch stand ich sozusagen tatsächlich vor dem allzu frühen, unvermeidlichen Erwachen. Es war mein letzter Morgenritt von Kairo nach Schubra. Wir dachten wenigstens so: mein Esel, ich und selbst der kleine braune Eseljunge, Ali-Machmud, mit dem ich mich seit vier Wochen notdürftig zu verständigen gelernt hatte. Eine große Wehmut lag über uns und dem milden ägyptischen Frühlingsmorgen, der täglich heißer und mir trotzdem täglich lieber geworden war. Der Esel, dieser unentbehrliche Träger ägyptischer Freuden und Leiden, muß wohl öfter erwähnt werden, als es nach deutschen Begriffen schicklich erscheinen mag. Mit Unrecht. Er ist ein andres Wesen als sein geistig herabgekommener Namensbruder im kalten Norden: ausdauernd und pflichttreu, wenn auch nicht ohne eigne Ansichten über die Pflichten des Daseins; keineswegs ohne Wille und Selbstgefühl, doch von milder, kluger Sinnesart; ein redlicher Arbeitsgenosse des Mannes, ein stets dienstbereiter, diskreter Freund der Frauen; dem unruhigen, reizbaren Fremdling mit philosophischer Geduld, dem armen Fellah mit rührender Treue dienend, gleichzeitig aber – und das ist das Erstaunliche im Vergleich mit seinem Namensbruder deutschen Stammes – wie dazu geboren, sich in der besten Gesellschaft mit stolzem Anstand zu betragen.

Mein Esel also, welcher mit dem feinen Sinn orientalischer Höflichkeit je nach der Nationalität seines Reiters abwechslungsweise die Namen Radetzky, Palmerston und Napoleon führte, betrauerte den prächtigen ägyptischen Klee auf den mit Dampfkraft bewässerten Wiesen von Schubra, in denen er tagsüber, während ich meiner Arbeit nachging, unbelästigt von verkehrten Eigentumsbegriffen, botanisierte. Ali-Machmud beweinte einen Herrn, den er seit einem Monat ohne Schwierigkeit täglich um fünf Piaster prellen konnte, und ich empfand zum voraus eine Art Heimweh nach dem träumerischen Nilbild, von dem ich noch so wenig gesehen hatte und das ich jetzt schon, vielleicht auf Nimmerwiedersehen, verlassen sollte.

Denn ich war nur auf der Durchfahrt in Ägypten. Mein Reiseziel, eine Indigoplantage am Brahmaputra, lag in Assam, wohin ich zwei Dampfpflüge bringen sollte, die vorläufig noch zwischen Kapstadt und Kalkutta auf dem Indischen Ozean schwammen. Mein Koffer barg, gestempelt und gesiegelt, einen zweijährigen Vertrag mit einer indisch-englischen Indigogesellschaft neben einer blechernen Chininkapsel, groß genug, ein halbes Bataillon der britischen Armee den giftigsten Sumpffiebern zu entreißen. In dem Vertrag verpflichtet sich der Unterzeichnete, ohne Verzug und mit möglichster Beschleunigung bei der Firma Prescott & Co. in Kalkutta einzutreffen. Der für mich bestimmte »Piäno«dampfer sollte spätestens in drei Tagen von Suez abgehen. »Piäno« ist, nebenbei bemerkt, der im ganzen Orient übliche abgekürzte Name für die Peninsular and Oriental Steam-Navigation Company – kurz P and O –, wodurch nach englischer Art aus einem unbrauchbaren Firmentitel das nicht gerade schöne, aber brauchbare Wort »Piäno« entstand. Prescott und die Chininkapsel sollten dann weiterhelfen. Doch wer konnte voraussehen, wie sich in den kommenden zwei Jahren mein Vertrag und diese Kapsel zusammen vertragen würden? Assam klingt nicht sonderlich vertrauenerweckend. Wenn ich nicht so entsetzlich europamüde gewesen wäre, so wäre beides, Vertrag und Kapsel, wohl nie dazu gekommen, mein Leben zu beherrschen. Nun war ich aber in Afrika, im Lande meiner alten kindischen Sehnsucht, und noch keineswegs afrikamüde.

Das wäre nicht leicht gewesen unter den Sykomoren, die den Weg von Kairo nach Schubra überdachen. In der Nähe der Stadt, wenn man die Gleise der nach Alexandrien führenden Bahn überschritten hat, haben wir uns durch ein buntes, lustiges Gewimmel von wunderlichen Menschen und Tieren zu kämpfen. Ketten von Kamelen, die in behaglich schwingendem Gang und sich mürrisch räuspernd nach den Steinbrüchen des Mokattam ziehen, wandelnde grüne Berge von Klee, unter denen die emsigen Füßchen der Esel kaum zu sehen sind, Rudel halbverschleierter, aber trotz dieser mangelhaften Hülle lachender und kreischender Fellahweiber, Eier, Ziegenbutter, Melonen und Orangen kunstvoll auf dem Kopfe wiegend; dazwischen ein stattlicher Dorfscheich, hoch zu Roß, ein grünbeturbanter, würdiger Imam auf weißem Esel, von zwei Saisen mit sorgsamer Verehrung geleitet. Dann mit lautem Geschrei: »Platz, Platz, ihr Gläubigen! Links! Rechts, ihr Hundesöhne!« eine schwerfällige Harimskutsche hinter dem prachtvollen Arabergespann, eine Herde Ziegen mitten entzweispaltend. Ein lautes, farbiges Gedränge; das lebendige Blut, das der alten Kalifenstadt aus dem unerschöpflichen Delta zuströmt.

Nach einer Viertelstunde wird die Masse lichter, die Umgebung stiller. Der reizende Palast, den Said Pascha für die vizeköniglichen Gäste hat erbauen lassen, liegt hinter uns. Rechts zwischen den riesigen Baumstämmen der Allee hindurch erblickt man halbzerfallene Häuser in verwilderten Gärten, in denen Aloe, Kaktusbirnstauden und stumpige Dattelpalmen sich zu wirrem Gestrüpp verschlingen; links das weite Niltal, das sich nach dem Delta hin grün und sonnig ausbreitet. Denn die Schubraallee ist gleichzeitig der Damm, der das Überschwemmungsgebiet des Stromes begrenzt. Da und dort blitzt der Spiegel des Flusses, der bereits, Ende Februar, tief in seinem Bett zurückgesunken ist.

Entlang der Ufer prangt schon das glänzende Grün des ägyptischen Maises und da und dort, in noch hellerer Farbe, eines kleinen Zuckerrohrfeldes. Der Weizen schießt üppig aus dem kaum getrockneten Nilschlamm empor. Weiter hinaus erheben sich über der blaugrünen Fläche des Deltas in wundervoller Zartheit Gruppen von Palmen, die die Lage von Fellahdörfern bezeichnen. Dazwischen, als ob sie durch die Kleefelder glitten wie Schmetterlinge, die hochaufgerichteten weißen Segel zahlreicher Nilboote. Am Horizont endlich steigt die Libysche Wüste empor, starr und glühend im schattenlosen Sonnenlicht, und dort drüben die zwei großen Pyramiden von Giseh, jene unverwüstlichen Grabdenkmale einer Vergangenheit, die auch heute noch nicht zu sterben vermag.

Es ist eine stille Welt voll unerschöpflichen Lebens. In dem tiefen Staub der grünüberwölbten Straße versinkt jeder laute Ton. Vogelgezwitscher kennt der ägyptische Frühling nicht. Was singt, ist schon auf dem Wege nach dem kühleren Norden. Das Krächzen eines hundertjährigen Schöpfrades im Buschwerk am Wege wird lauter und verstummt wieder, während wir vorüberreiten. Lautlos stehen ein paar schwarze Büffel im Sumpf am Wege; lautlos breitet dort ein Araber seinen Gebetsteppich aus und beginnt gegen Mekka seine feierlichen Verbeugungen und seine stillen Gebete, ohne daß es jemand einfällt, ihn auch nur anzusehen.

Jetzt pfeift es in weiter Ferne, kaum hörbar. Wir spitzen die Ohren, der eine von uns dreien in hervorragender Weise. Nach drei Minuten ertönt ein zweiter und – Gott sei Dank! – nach sechs Minuten ein dritter Pfiff. Das war die Sorge und Freude meines Lebens. Der erste ägyptische Dampfpflug läuft noch! Das aufmerksame Langohr, das seinen Frühlingsklee wittert, erhält einen erfrischenden Hieb, Ali-Machmud schreit sein: »Yemenak! Schimala!« (»Rechts! Links!«), obgleich uns die ganze Straße zur Verfügung steht, lauter, und in tatenfreudigem Galopp geht es weiter.

Durch die Bäume schimmert jetzt ein mächtiges, himmelblau angestrichenes Gebäude in dem orientalischen Stile, wie sich ihn die...

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