Ärmel hoch zur Inventur von Vermögen und Schulden
Im Privatleben nennen wir das Bilanzaufstellen üblicherweise einen Kassensturz. Eine etwas lässige Bezeichnung, die auch unsere Politiker lieben, weil sie glauben, sich uns nach Wahlen verständlich machen zu müssen. Dabei interessiert uns an einer neuen Regierung überhaupt nicht, was sie in der Staatskasse vorfindet, sondern vielmehr, mit welchen zukünftigen Taten sie den Wert unseres Gemeinwesens zu verbessern beabsichtigt. Aber wir sollen natürlich im Wesentlichen die Botschaft erhalten, dass der vor der Wahl geäußerte Tatendrang wohl am unzureichenden Kapital scheitert. Überraschung, Überraschung.
Wir selbst brauchen uns zum Glück nichts vorzumachen und können daher unseren privaten Kassensturz beherzt angehen. Da wir unsere Vermögensgegenstände nicht nur auflisten, sondern auch bewerten wollen, müssen wir uns zuvor noch über die Zielvorstellung einigen. Dabei gehen wir zweckmäßigerweise von der Annahme aus, wir wollten sämtliche Vermögensteile an unserem Bilanzstichtag zu Geld machen. Der Wert unseres Vermögens ist dann der Geldbetrag, den wir bei realistischer Einschätzung erzielen würden, wenn wir alle Vermögensteile heute veräußern würden. Wir müssen also in jedem Einzelfall die Frage beantworten, ob wir überhaupt einen Käufer finden würden und welchen Betrag der dann zu zahlen bereit wäre. Gesucht wird mithin der heutige Marktwert unserer Vermögensgegenstände.
Dabei ist es wichtig, im Auge zu behalten, dass wir eine zeitpunktbezogene Betrachtung durchführen. Heute ist unsere Vermögensstruktur eine andere als morgen. Wir kaufen ein, geben Geld aus, wir arbeiten, bekommen Lohn – zu wenig, ganz recht –, wir schließen Verträge mit Vermietern, Versicherungen, Telefonanbietern, wir machen eine Erbschaft oder bekommen von Oma einen größeren Schein zum Geburtstag. Alle diese Dinge verändern laufend unseren Vermögensstatus, sie machen uns reicher oder ärmer. Es muss daher ein sauberer Schnitt gemacht werden, eine Momentaufnahme unseres Vermögens zu einem bestimmten Zeitpunkt.
Dazu stellen wir zwei möglichst vollständige Listen auf: eine Liste aller unserer Besitztümer einschließlich aller Dinge, auf die wir heute einen Anspruch haben, und eine weitere Liste aller unserer Schulden und aller Ansprüche, die andere gegen uns haben. Danach bewerten wir jede Einzelposition und ordnen ihr den dabei ermittelten Geldbetrag zu. Wenn es sich nicht schon um Geldbeträge handelt, versuchen wir möglichst realistisch festzustellen, was wir für die jeweilige Position bei einem Verkauf heute erlösen würden.
Zugegeben, das ist auch für unseren recht überschaubaren Privatbereich eine Menge Arbeit. Aber wir müssen daraus natürlich keine Wissenschaft machen, ein pragmatisches, praxisgerechtes Vorgehen genügt völlig. Mit einer überschlägigen Abschätzung der Größenordnung können wir uns zufriedengeben. Und wer es genauer wissen will, dem sind keine Grenzen gesetzt.
Wirtschaftsunternehmen sind da wesentlich schlechter dran, weil sie einen Haufen gesetzliche Bewertungsregeln und Rechnungslegungsvorschriften peinlich genau beachten müssen. Das bleibt uns zum Glück erspart. Erst wenn wir unsere Privatbilanz mit der unseres Partners vergleichen wollen, müssen wir uns mit ihm auf Regeln einigen, eben auf unsere eigenen Rechnungslegungsvorschriften.
Beginnen wir also mit der Auflistung aller unserer Vermögensgegenstände. Am besten geordnet nach gleichartigen Gruppen. Dabei ist es im Hinblick auf die Bewertung zweckmäßig, die Besitztümer nach dem Grad ihrer Liquidierbarkeit zu unterscheiden nach Bargeld, Bankkonten, Forderungen, Vorräten, Sachanlagen und Finanzanlagen. Das Bankkonto ist leichter zu Geld zu machen als das Sofa, das Auto, die Immobilie oder gar die Unternehmensbeteiligung.
Naheliegend ist, beim Bargeld anzufangen, unserem Kassenbestand. Geldbörse, Brieftasche, Jackentasche, Küchenschrank, Sparschwein, Matratze, alles muss durchstöbert werden. Das Sparschwein aber bitte nicht gleich zerdeppern, es genügt eine sorgfältige Schätzung, wir wollen ja nicht übertreiben. Finden sich noch Dollar oder Britische Pfund vom letzten Urlaub, werden die jeweiligen Beträge in Euro umgerechnet.
Es folgen unsere Bankkonten: Giro-, Spar-, Termingeldkonto, Renditesparen, Wertpapierdepot, Kreditkonto und was der vielfältigen Kontenbezeichnungen mehr sind. Konten mit negativem Bestand, wie beispielsweise das Kreditkonto und häufig genug auch das Girokonto, werden in unsere zweite Liste aufgenommen, die die Überschrift Schulden bekommt.
Dann kommen wir zu unseren Forderungen, den Ansprüchen, die wir heute gegen andere haben. Von wem haben wir noch Geld zu bekommen? Die Auflistung dieser Forderungen will eingehend überlegt sein, weil uns einige, oft wesentliche Ansprüche gar nicht so unmittelbar als Forderungen bewusst sind. In diese Kategorie gehören ausstehende Löhne, Gehälter, Honorare und Vergütungen, Renten, Unterhaltszahlungen, Sozialhilfeansprüche, von uns ausgestellte, noch unbezahlte Rechnungen, Steuerrückzahlungen, Versicherungsansprüche, verliehene Gelder, Vorauszahlungen zum Beispiel für Mietnebenkosten oder Energie, Anzahlungen für die neue Küche oder den zurückgelegten Anzug, Kautionen, aber auch die Monatskarte, die Bahncard und Briefmarken, für die wir noch unterschiedliche Transportleistungen erwarten dürfen. Ein weites Feld, aber für jeden Einzelnen bei einigem Nachdenken doch wieder überschaubar. Und natürlich können wir Kleinkram wie Monatskarte, Bahncard und Briefmarken auch ganz pragmatisch weglassen.
Als nächste Gruppe sichten wir unsere Vorräte. Als Vorräte wollen wir hier alle Besitztümer bezeichnen, die zum – wie es immer so schön heißt – alsbaldigen Verbrauch bestimmt sind. Von der Tüte Müsli bis zur Salami, vom Paket Waschpulver bis zur Zahnpastatube, vom Druckerpapier bis zur Katzenstreu und vom Blumendünger bis zum Päckchen Stahlnägel. Allerdings macht es für unsere Zwecke wenig Sinn, darüber eine Liste anzufertigen. Solange wir nicht von einigen dieser Dinge ganze Paletten gebunkert haben, können wir uns durchaus mit einem Merkposten begnügen, dem dann ein angemessener Schätzwert zugeteilt wird. Und wenn es wirklich im Kühlschrank, in der Speisekammer und im Keller öd und leer ist, machen wir für den Posten Vorräte eben einen Strich.
Kassenbestand, Bankguthaben, Forderungen und Vorräte werden in der Wirtschaft auch als Umlaufvermögen bezeichnet, weil sie sich im Laufe des Umsatzprozesses eher vorübergehend im Besitz des Unternehmens befinden. Die längerfristig oder dauerhaft genutzten Wirtschaftsgüter zählen dagegen zum Anlagevermögen.
Unser privates Anlagevermögen umfasst unser dauerhaftes Eigentum von der Büroklammer über die Möbel, die Kleidung, das Auto und die Immobilie bis zu Finanzinvestitionen wie der Unternehmensbeteiligung. Wir unterscheiden deshalb hier noch einmal die Sachanlagen von den Finanzanlagen. In die meisten dieser Besitztümer haben wir Geld oder Arbeit investiert. Aber wir zählen dazu auch alles, was wir geschenkt bekommen oder geerbt haben, denn genau genommen haben uns diese Dinge ebenfalls irgendwie Arbeit gekostet. Denken Sie nur an die pflichtschuldigen Besuche bei der Erbtante.
Zum Sachanlagevermögen zählt im Wesentlichen unser Hausrat. Die Empfehlung, hier einmal Inventur zu machen, kommt Ihnen bekannt vor? Klar, die Anregung kommt von Ihrer Hausratversicherung, die Ihnen zudem die Schrecken einer möglichen Unterversicherung ausmalt und Sie ermahnt, auch bloß nichts zu vergessen. Dabei sollten Sie alle Einzelteile mit dem Neuwert, dem heutigen Wiederbeschaffungswert, ansetzen, um so die Höhe Ihrer notwendigen Versicherungssumme ganz zuverlässig zu ermitteln.
Natürlich wissen die Versicherungsleute auch, dass niemand sich dranmacht und alle Büroklammern, Möbel, Bücher, Geschirr, Kleidung, Wäsche und was sonst noch an Besitztümern vorhanden ist, mit dem jeweiligen Neuwert auflistet. Sie wollen Ihnen vermutlich mit Blick auf die Versicherungssumme auch nur konkret vor Augen führen, welche erstaunlichen Werte Sie bereits um sich herum angesammelt haben. Tatsächlich ist es meistens weit mehr, als man denkt.
Aber der Versicherer reicht Ihnen auch die helfende Hand, indem er Ihnen ersatzweise anbietet, den Neuwert Ihrer Besitztümer mit 650 Euro je Quadratmeter Ihrer Wohnfläche anzusetzen. Ein statistischer Durchschnittswert deutscher Haushalte, wird gesagt. Und als kurioses Ergebnis erkennen Sie nebenbei sofort den Weg zum Reichtum: Einfach in eine größere Wohnung umziehen, und der Wert Ihres der Versicherung bedürftigen Hausrats steigt beträchtlich, auch wenn Sie kein Stück mehr besitzen.
Da ist es dann doch besser, tatsächlich einmal Inventur in seinem Reich zu machen, zumindest grob überschlägig. Es muss ja nicht jede Büroklammer gezählt werden. Und alles, was erkennbar keinerlei Wiederverkaufswert mehr hat, wird gleich ganz weggelassen. Das Ergebnis kann nicht nur als Grundlage für die Bewertung des Hausrats in Ihrer Privatbilanz dienen, sondern zugleich mit einer Abschätzung des Neuwerts zur Überprüfung der Versicherungssumme der Hausratversicherung herangezogen werden.
Haben wir neben Sachanlagen wie dem Hausrat, dem Auto und dem Immobilienbesitz noch Geld in eine Firma gesteckt oder Darlehen vergeben, ist es zweckmäßig, diese Vermögensgegenstände zur Unterscheidung von Sachanlagen als Finanzanlagen zu bezeichnen und gesondert aufzulisten. Dazu gehören unter anderem Gesellschaftsanteile einer GmbH, einer Kommanditgesellschaft, eines Handwerksbetriebes, Aktien einer Aktiengesellschaft, stille Beteiligungen und langfristige Darlehen. Für unsere...