Voraussetzungen – 14 Punkte, ohne die es nicht geht
Das Konzept unserer Fortbildung bietet viel Spielraum für eigene Ideen, Abwandlung und Weiterentwicklung – das ist sogar ausdrücklich erwünscht. So, wie wir dieses Konzept in den letzten Jahren immer wieder verändert, angepasst und auf verschiedene Gruppen individuell ausgerichtet haben, wird es auch in Zukunft in jeder konkreten Umsetzung eine Neuinterpretation und Weiterentwicklung erleben.
Es gibt jedoch einige Punkte, die wir als Grundvoraussetzungen für die Durchführung ansehen. Es handelt sich dabei um die Eckpfeiler einer inklusiv ausgerichteten Fortbildung, die Inklusion nicht nur theoretisch »lehrt«, sondern in jedem Schritt konkret vorlebt. Wir legen diese Empfehlungen allen Trainerinnen und Trainern, Prozessbegleiterinnen und Prozessbegleitern besonders ans Herz. Eine Fortbildung zur Begleitung inklusiver Prozesse kann aus unserer Erfahrung ohne die folgenden Punkte nicht funktionieren – oder umgekehrt: Diese Punkte ergeben sich ganz automatisch aus einer Arbeit, die Inklusion als Haltung selbstverständlich zugrunde legt.
1. Haltung: Inklusion gelingt nur inklusiv
Inklusion kann man nicht vermitteln, wenn man sie nicht selbst lebt. Denn Inklusion ist kein »Projekt«, kein Vorgang, den man in definierten Schritten »abarbeiten« und abhaken kann, sondern eine Haltung, die immer wieder und überall wirksam wird. Um diese Haltung lebendig werden zu lassen, ist es wichtig, dass Trainerinnen und Trainer, Prozessbegleiterinnen und Prozessbegleiter inklusive Werte kennen und thematisieren – und gleichzeitig ganz natürlich in ihrem Handeln vorführen. Das Ziel und die Botschaft unserer Fortbildung lauten: Wir sind überzeugt von der Idee Inklusion. Und wir wollen mit unserem Angebot dazu beitragen, dass inklusive Werte sich in unserer Gesellschaft etablieren. Dabei liegt uns die inklusive Qualität der Prozesse am Herzen.
Wie bereits beim Leitbild erwähnt, verkörpern die Trainerinnen und Trainer, Prozessbegleiterinnen und Prozessbegleiter deshalb idealerweise selbst inklusive Werte: Sie bieten allen Akteurinnen und Akteuren der zu begleitenden Organisation eine echte Teilhabe. Sie gehen wertschätzend mit sich und den Beteiligten um, sie akzeptieren und respektieren unterschiedliche Sichtweisen, sie arbeiten ressourcenorientiert und sorgen für Nachhaltigkeit. Sie teilen ihre Expertise in den Bereichen Organisationsentwicklung und systemisches Denken. Sie machen Mut und motivieren, bleiben dabei selbstkritisch, sind sich der Widersprüche in unserer Gesellschaft und der daraus resultierenden großen Herausforderungen und Anstrengungen bewusst. Sie leben ein Modell vor und haben ein großes Repertoire an Moderationsmethoden, die diesem Anliegen gerecht werden. Sie begreifen Prozessbegleitung als wertvolle Ressource.
2. Ein inklusives Lernverständnis
»Bildung ist eine den Menschen befreiende Aktion.« Dieser Satz von Martin Buber passt zu unserem Bildungs- und Lernverständnis. Ziel der Fortbildung ist nicht so sehr das »Beladen« von Menschen durch einen Transfer von Wissen, sondern die Öffnung neuer Horizonte für individuelle Bildungsprozesse, die zu erweiterten oder neuen Kompetenzen in der Begleitung von Veränderungsprozessen führen. Das ist nur dann möglich, wenn eine Fortbildung zu selbstständigen Lösungen herausfordert und die Teilnehmenden sich als ein lebendiger Teil mit ihr verbinden. Lernprozesse generieren sich im Menschen selbst und werden durch ihn gesteuert. Lernende, die beim Lernen Selbstwirksamkeits- und Kompetenzerfahrungen machen, entwickeln Zuversicht in ihre eigene Entwicklungsfähigkeit.
Für uns wird ein inklusiver Lernprozess dann erfolgreich begleitet, wenn die Lernenden – wie die Organisationen, in denen sie tätig sind – zu neuen Haltungen und Orientierungen, neuen Erkenntnissen und erweiterten Handlungsoptionen kommen. Dazu muss jeder Lernschritt Gelegenheit geben: den eigenen Entwicklungsprozess in den Blick zu nehmen, eigene Widerstände zu erkennen und zu reflektieren, um daraus weitere Entwicklungsvorhaben abzuleiten. Es ist die inklusive Qualität einer Fortbildung, die den Teilnehmenden Raum gibt, sich immer wieder selbst als Lernende zu erleben, sich zu orientieren und sich für das eigene Lernen und das Lernen der Gruppe verantwortlich zu fühlen.
3. Rollenklarheit: Prozessbegleiterinnen und -begleiter agieren auf verschiedenen Ebenen
Die Begleitung von inklusiven Veränderungsprozessen zeichnet eine besondere Komplexität aus. Das erfordert von den Prozessbegleiterinnen und -begleitern eine große Bewusstheit ihrer Rolle im Prozess und gleichzeitig eine Distanz, aus der sie jederzeit eine Metaebene im Prozess einnehmen können. Dazu gehört auch die Klarheit darüber, dass man als Prozessbegleiterin/-begleiter immer in zwei Prozessen gleichzeitig eine Rolle spielt: dem eigenen Begleitprozess, für den man einen Auftrag erhalten hat, den man beginnt, steuert und abschließt, – und dem Entwicklungsprozess der Organisation, der weit über den Ausschnitt der begleiteten Phase hinausgeht. Der Begleitprozess ist ein eigener, in Schritten geplanter Prozess, der zu jeder Phase des Entwicklungsprozesses einsetzen und abschließen kann. Ein Prozess begleitet den anderen. Trainerinnen und Trainer, die mit unserem Konzept arbeiten, sollten diese Rollenklarheit nicht nur selbst vorleben, sondern auch im Laufe der Fortbildung an den relevanten Stellen immer wieder thematisieren.
Wer Rollenklarheit hat
— kennt sowohl die eigenen als auch die Erwartungen der unterschiedlichen Prozessbeteiligten und kann sie, wenn nötig, kommunizieren und klären,
— unterscheidet zwischen den eigenen Erwartungen und den Erwartungen anderer,
— unterscheidet zwischen den Aufgaben einer Prozessbegleitung, einer Moderation, einer Beratung, einer Mediation,
— fühlt sich verantwortlich für den Begleitprozess und gestaltet diesen selbstbewusst, belässt Entwicklungsgeschwindigkeit und -ergebnisse jedoch in der Verantwortung der beteiligten Personen und der Organisation,
— ist nicht parteiisch und hält eigene Gefühle und Zielvorstellungen außen vor,
— kann mit möglichen Widersprüchen in seinen unterschiedlichen Rollen umgehen,
— klärt: Wer bin ich in diesem konkreten Veränderungsprozess, und was soll und darf ich hier tun? Wer bin ich als Prozessbegleiterin/-begleiter? Welche Art der Begleitung entspricht mir und meiner Aufgabe? Welche Interventionen setze ich, wann rede und wann schweige ich? Welche Ressourcen habe ich? Was sind meine Kompetenzen und meine Grenzen?
4. Selbstreflexion: Lehrende sind Lernende
Die Selbstreflexion ist eine wichtige Voraussetzung und Bestandteil dieser Rollenklarheit. Prozessbegleiterinnen und Prozessbegleiter sind Beraterinnen und Berater in einem geleiteten Prozess – und gleichzeitig Subjekt des eigenen Lernprozesses. Sie leben im Wechsel zwischen Sach- und Metaebene, zwischen lehrender und lernender Rolle. Umgekehrt sind auch die Teilnehmenden an einer Prozessbegleitung nicht nur Lernende, sondern auch Lehrende: Sie nehmen Anregungen von außen auf – und sind im Sinne von Partizipation und Verantwortungsübergabe ebenso auch Lehrende, die mit ihrem Feedback und ihrer Teilhabe am Prozess wichtige Anregungen und Informationen an die Prozessbegleiterinnen und -begleiter zurückspiegeln. Dasselbe gilt für die Trainerinnen und Trainer, die eine Qualifizierung leiten. Dieses permanente Zurückspielen von Erfahrungen aus dem Prozess in die eigene Tätigkeit ist eine Grundvoraussetzung, um inklusive Veränderung glaubwürdig zu vermitteln und die eigene Kompetenz permanent weiterzuentwickeln.
5. Feedback: eine Kultur der gegenseitigen wertschätzenden Rückmeldung
Jeder Mensch ist von Rückmeldungen abhängig, um die Wirkung seines Handelns oder seiner Aussagen zu spüren. Feedback ist in inklusiven Prozessen aber keine bloße Technik, sondern eine Kultur, die inklusiven Werten entspricht. Auch wenn es verschiedene Techniken gibt, um Feedback einzuholen, zu geben, zu organisieren (darauf gehen wir in mehreren Modulen ein), kommt es uns hier vor allem auf die Grundhaltung an: Feedback ist eine Voraussetzung dafür, dass alle teilnehmenden Menschen in einem inklusiven Prozess lernen und seine Entwicklung beeinflussen können. Feedback erlaubt es, einzelne Prozessschritte, Lernentwicklungen und die Qualität der Beteiligung aller zu reflektieren. Sich selbst ein Feedback geben heißt, über »Gipfelerlebnisse« und »Abgrunderfahrungen« im eigenen Entwicklungsprozess nachzudenken, die eigene Kompetenzentwicklung darzustellen und sich über die Rückmeldung der Gruppe zu orientieren. Bereits im ersten Modul empfehlen wir deshalb, ein gegenseitiges konstruktives und wertschätzendes Feedback als Grundelement einzuführen – und im Verlauf der Fortbildung als Kultur zu etablieren.
6. Index(e) für Inklusion: Fragen statt Antworten
Inklusion hat viel damit zu tun, bestehende Strukturen, Kulturen und Praktiken zu hinterfragen. Mit diesem Ziel hat Tony Booth (2000) auch den ersten »Index für Inklusion« für Schulen...