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E-Book

Inklusion im Beruf

VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl216 Seiten
ISBN9783170252127
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis28,99 EUR
Vor dem Hintergrund des sozialrechtlichen Paradigmenwandels und den Forderungen der Behindertenrechtskonvention stellt sich heute die Frage nach dem Umgang mit Heterogenität in Berufsschulen und Betrieben völlig neu. Das Buch beschäftigt sich mit dem Anspruch und der Realität beruflicher Teilhabe, wobei die ökonomischen, technischen und politischen Kontextfaktoren einbezogen werden. Die thematischen Schwerpunkte liegen dabei auf den beruflichen Lehr-Lern-Prozessen, der Ausbildungsorganisation sowie den angebotenen Maßnahmen zur verbesserten Erwerbsbeteiligung und Arbeitsorganisation. Deutlich werden dabei auch die Grenzen der Inklusion in einem durch Marktmechanismen gesteuerten Bereich.

Professor Dr. Horst Biermann hat den Lehrstuhl für Berufspädagogik und berufliche Rehabilitation an der Technischen Universität Dortmund.

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Leseprobe

 

 

 

 

 

Berufliche Teilhabe – Anspruch und Realität


Horst Biermann


1          Internationale und nationale Entwicklungen


Auf internationaler Ebene werden vor allem durch die in einem langjährigen Prozess entwickelte Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN BRK), durch die Klassifikationen der Weltgesundheitsorganisation, aber auch durch die Entwicklungsstrategien der EU Vorgaben für nationale Politik gemacht. In die öffentliche Diskussion fließen auch Studien, Berichte und Evaluationen weiterer Organisationen wie OECD, ILO oder Weltbank ein. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts etablierte sich Rehabilitation International (RI) als weltweites Netzwerk. Die Deutsche Vereinigung für Rehabilitation (DVfE) sowie die Bundesarbeitsgemeinschaft Rehabilitation (BAR) vertreten die deutschen Verbände, Träger und Einrichtungen. Die jeweils nationale Umsetzung des Inklusionsgebots als Menschen- und Bürgerrecht und die Gestaltung einer inklusiven Gesellschaft sind Themen internationaler Konferenzen von »Reha International« (RI 2010). Während einige Länder eine bottom-up-Strategie verfolgen, ratifizierte die Bundesrepublik die UN-Konvention sofort und klärt erst jetzt in einem jahrelangen Implementierungsprozess die Folgen für Gesetzgebung, Finanzierung und Konzeptionierung der Rehabilitation und Teilhabe. Dabei werden die Bevölkerung und Wirtschaft erst jetzt vor allem durch Kampagnen, Öffentlichkeitsarbeit, Leuchttürme in diesen Prozess eingebunden (BMAS 2011b, 2013b). Die Umsetzung bleibt aber weiterhin eine Aufgabe von Experten. So ist auf bundespolitischer Ebene vorgesehen, den Vorschlag der Arbeits- und Sozialminister für ein Bundesteilhabegeld in den nächsten Jahren gesetzlich zu regeln und – nach rund zwei Jahrzehnten postulierten Paradigmenwechsels – in der nächsten Legislaturperiode die erforderlichen fünf Milliarden Euro im Haushalt zu sichern. In Deutschland besteht die paradoxe Situation, dass ein weltweit einmaliges, gesetzlich abgesichertes und flächendeckendes System der beruflichen Rehabilitation wegen seiner Sondereinrichtungen in Frage gestellt wird, wobei auch die vorgesehenen neuen Instrumente zur Teilhabe am Arbeitsleben in hohem Maße Besonderheiten in Unternehmen schaffen.

1.1       Internationale Aspekte


UNESCO-Salamanca-Erklärung


Der Anspruch auf Inklusion wird international vor allem von Bildungs- und Gesundheitsorganisationen der Vereinten Nationen forciert, weniger von der Internationalen Labor Organisation (ILO). Auf der UNESCO-Konferenz von Salamanca 1994 ging es vor allem um das Recht aller Kinder, unabhängig vom Geschlecht, vom sozialen Status oder von der Zugehörigkeit zu einer Minderheit, eine Schule zu besuchen (Unesco 1994). Berufliche Bildung blieb weitgehend ausgeklammert, verständlich, da die Systeme im internationalen Vergleich stark voneinander abweichen. Nicht geklärt wurden auch die Übersetzungsprobleme aufgrund der unterschiedlichen Kontexte: Education vs. Bildung; Berufsbildung vs. Training und Integration vs. Inklusion. Aufgegriffen wurde die Salamanca-Erklärung von der »Integrationspädagogik« in Deutschland, die damit gemeinsamen Unterricht von behinderten und nicht behinderten Kindern legitimierte.

International Classification of Functioning and Health


Die Weltgesundheitsorganisation einigte sich 2001 auf einen sozialwissenschaftlich begründeten Begriff von Behinderung und legte mit der International Classification of Functioning and Health (ICF 2001) ein »bio-psycho-soziales Modell« und Instrumentarium vor, das international Sozialstatistiken vergleichbar macht und das individuelle körperlich-psychisch-geistige Beeinträchtigungen in einen gesellschaftlichen Kontext stellt. Es wird danach gefragt, ob Aktivitäten und Partizipation barrierefrei zugänglich sind, wobei sich Einschränkungen durch Umweltfaktoren zu einer Behinderung verfestigen können (DIMDI 2005, S. 23). Die 1424 Codes über die Zustände einer Person operationalisieren, immer bezogen auf eine relevante Vergleichsgruppe, in einem Kontinuum den Grad der Beeinträchtigung und heben damit einen absoluten Behinderungsbegriff in Abgrenzung zur Kategorie »Gesundheit« auf. Besonders die Schweiz verfolgt mit diesem Ansatz, beginnend mit der Frühförderung, Zug um Zug pragmatisch und im Dialog mit den Betroffenen die Entwicklung einer sozialräumlichen Inklusion (Hollenweger/Lienhard 2006). Für berufliche Bildung in Deutschland wurde lediglich die Definition von Behinderung übertragen, eine praktische Umsetzung des ICF in der beruflichen Rehabilitation und Teilhabe steht jedoch bis heute noch aus und wird lediglich im Rahmen eines Modellversuchs erprobt (BAG BBW 2014).

UN-Behindertenrechtskonvention


Eine Zäsur in der internationalen Diskussion über den Status von Minderheiten stellt die Behindertenrechtskonvention (BRK) der Vereinten Nationen (UN) dar. Diskutiert wurde über Jahre, ob eine gesonderte Konvention für behinderte Menschen, die über die allgemeine Erklärung der Menschenrechte hinausgeht, trotz ihrer positiven Intention nicht auch eine Diskriminierung darstellt. 2006 nahm die Generalversammlung der UN die »Convention on the Rights of Persons with Disabilities« an (CRPD, UN 2006). Folgende Prinzipien werden zugrunde gelegt und in 50 Artikeln konkretisiert: Würdigung individueller Autonomie, Entscheidungsfreiheit, Nichtdiskriminierung, Akzeptanz von Unterschiedlichkeit, Geschlechtergleichheit sowie Chancengleichheit und Barrierefreiheit. Artikel 27 befasst sich zwar mit der Inklusion in »Arbeit und Beschäftigung«, geht aber nicht weiter auf die Gestaltung einer inklusiven Berufsbildung ein. Auch im Artikel 24 über Bildung und im Artikel 26 zur Habilitation und Prävention wird Berufsbildung nicht weiter ausgeführt, sondern eher als Voraussetzung gesehen, um Selbstständigkeit durch Erwerbsarbeit zu erlangen und zu sichern. So argumentiert auch der Weltbehindertenbericht der WHO (2011). Da die Berufsbildungssysteme weltweit unterschiedlich organisiert sind – einmal mehr schulisch, einmal mehr betrieblich ausgerichtet oder wie im deutschen Kulturraum dual im Sinne einer Public-Private-Partnership verfasst – ist verständlich, dass die Konvention vor allem einen barriere- und diskriminierungsfreien Zugang zur landesüblichen Berufsbildung fordert. Damit intendiert die BRK vor allem Chancengleichheit zu sichern, nicht aber konkret Ausbildungs- und Arbeitsplätze bereitzustellen. Es bleibt Aufgabe des jeweiligen Staates, geeignete Maßnahmen und Regelungen zu treffen, um in Arbeit zu inkludieren. Dabei kann das Marktgeschehen generell nicht außer Kraft gesetzt werden, z. B. im Sinne eines verbrieften Rechts auf Ausbildung und Arbeit bzw. einer Pflicht hierzu. Allerdings soll dem öffentlichen Sektor eine Vorbildfunktion beim Zugang zu Arbeit und Beschäftigung zukommen. Neben den programmatischen Aussagen der Konvention ist eine kontinuierliche Berichterstattung der Staaten vorgesehen und es finden internationale Konferenzen zur Frage der Fortschreibung und Umsetzung der Inklusion statt. Die Bundesrepublik hat die UN-BRK 2009 ratifiziert und 2011 einen »Nationalen Aktionsplan« sowie einen entsprechenden Staatenbericht vorgelegt (BMAS 2009 u. 2011 a, b). Aufgrund des föderativen Staatsaufbaus wird den Ländern und Gemeinden die weitere Implementierung überlassen.

Europäische Initiativen


Die Entwicklung von Konzeptionen für Bürger der EU mit Behinderungen wurde besonders durch die Diskussion um die Öffnung der Psychiatrie gefördert. Gerade neue Formen von Arbeit wie Integrationsfirmen wurden entwickelt und Netzwerke sowie Unterstützerkreise gebildet. Die Madrider Deklaration des Europäischen Behindertenkongresses (2002) formulierte bereits mit Blick auf das Europäische Jahr des Menschen mit Behinderung (EJMB 2003) viele Aspekte der Salamanca-Konferenz und der UN-BRK (vgl. Theunissen 2013, S. 8f.). Behinderung wurde nicht mehr pathologisch als Defizit aufgefasst, sondern als gesellschaftliches Konstrukt. Menschen mit Behinderung sollten Experten in eigener Sache sein. Auch die Standardregeln der UN, die mit der Agenda 22 am Ende der UN-Dekade der Behinderten (1982-1992) auf kommunaler und regionaler Ebene umgesetzt werden sollten, wurden vor allem von Schweden forciert und in Deutschland durch die Deutsche Vereinigung für Rehabilitation Behinderter (DVfR) aufgegriffen und auch im Hinblick auf Bildung und Berufsbildung diskutiert (Fürst Donnersmarck-Stiftung/DVfR 2004). Parallel zu diesem Prozess der Veränderung der Situation behinderter Bürger und der Formulierung einer EU-Sozialcharta erfolgte allerdings eine eher ökonomisch ausgerichtete Strategie der Entwicklung der EU, die Freizügigkeit und Abbau finanzieller Barrieren vorsah.

Der Europäische Rat befasste sich auf der Konferenz von Lissabon im Jahr 2000 mit Bildung als...

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