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E-Book

Innovation in kleinen Schritten

Zur sozialräumlichen Kooperation von Kindertagesstätten, Hilfen zur Erziehung und Allgemeinem Sozialen Dienst

VerlagHirnkost
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783947380176
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Dieses Buch handelt von Versuchen, die Kooperation zwischen Kindertagesstätten und Hilfen zur Erziehung zu verbessern und - in sozialräumlicher Perspektive - zu qualifizieren. In enger, sozialräumlich ausgestalteter Kooperation von Öffentlichem und Freiem Träger sollen die Ausgangslagen für nicht ausgrenzende Erziehungs- und Unterstützungsleistungen verbessert werden. Im Erfolgsfall führt eine solche Reform durch Integration und Flexibilität von Betreuungs- oder Hilfesettings sowie Nutzung sozialräumlicher Ressourcen - insgesamt also durch einen stärkeren Lebensweltwie Sozialraumbezug - auch zur Vermeidung formeller Hilfen zu Erziehung ('Fälle') und vor allem aber zu einer veränderten Infrastruktur eines gelingenden Aufwachsens. Im vorliegenden Buch werden theo retische Hintergründe, praktische Probleme und Erfolgsbedingungen sowie methodische Hinweise zur Umsetzung einer solcherart veränderten 'Hilfephilosophie' anhand der Erfahrungen eines Projekts, das bei fünf unterschiedlichen (Freien) Trägern in fünf verschiedenen Regionen angesiedelt war, dargestellt und diskutiert. Zielgruppe: Mitarbeiter*innen in Kindertagesstätten und Hilfen zur Erziehung, Praktiker*innen der Kinder- und Jugendhilfe, Politiker*innen, Studierende und Lehrende im Bereich der Sozialen Arbeit und Sozialpädagogik

Der Postillion e.V. ist ein freier und gemeinnütziger Träger der Kinder- und Jugendhilfe im Rhein-Neckar-Kreis, der es sich zur Aufgabe gemacht, gute Lebensbedingungen für Kinder und Jugendliche zu schaffen.

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Leseprobe

Einführung


I.


Dieses Buch handelt von Versuchen, die Kooperation zwischen Kindertagesstätten (Kita), Hilfen zur Erziehung (HzE) und Allgemeinem Sozialen Dienst (ASD) zu verbessern und in sozialräumlicher Perspektive zu qualifizieren. In allen Bereichen gibt es ja schon des Längeren die Diskussion und das Versprechen, HzE wie Kindertagesbetreuungen durch vermehrte oder verbesserte Kooperationen und eine stärkere Öffnung in den sozialen Raum leistungsfähiger zu gestalten. Dazu gibt es relativ konsistente Vorlagen (z. B. Hinte/Treeß 32014; Früchtel/Cyprian/Budde 2007; Deutschendorf u. a. 2006), aber auch Begründungen, die entsprechend ihrer Herkunft aus Politik, dem Kita-Kontext, aus HzE-Diskursen oder unterschiedlichen sozialwissenschaftlichen Begründungen differieren und unterschiedliche Positionen favorisieren.

Hiermit sind auch bereits – jenseits der Betroffenen – die entscheidenden Akteur*innen, die das Feld der HzE wie der Kitas strukturieren, benannt. Ohne dass durch politische Akteur*innen im Kontext sozialstaatlichen Handelns entsprechende rechtliche, finanzielle und infrastrukturelle Mittel zur Verfügung gestellt werden, können weder HzE noch Kita dauerhaft und flächendeckend operieren. Der Preis für diese Ressourcenbereitstellung ist, dass in die geförderten Maßnahmen politisch-kulturelle (und historische) Problemdefinitionen sowie Ziel- und Bewertungsdimensionen eingeschrieben sind, die vorrangig den Interessen und Eigensinnigkeiten der jeweiligen Instanzen folgen (Offe 1972; Dollinger u. a. 2017; für den Kita-Bereich: Mierendorff 2013). Dass Organisationen und Professionelle mit vergleichsweise großen Ermessensspielräumen für die Erbringung der Leistungen zuständig sind, verkompliziert die Situation noch. Unterschiedlichste empirische Forschung belegt, „dass Organisationen nicht schlicht als Einrichtungen betrachtet werden können, die öffentliche Problemdefinitionen einfach umsetzen. Im Gegenteil weisen sie eine komplexe Eigensinnigkeit bzw. distinkte Formen des ‚Sensemaking‘ (Weick 1995) auf, so dass kontextuelle Handlungsaufträge spezifiziert und je nach organisational verfügbaren und plausibilisierbaren Handlungsoptionen realisiert werden“ (Dollinger u. a., a. a. O.: 10). Unterschiedliche Konzeptionen, auch mit gegenläufigen Adressierungen im Vergleich zu den institutionalisierten Vorgaben, zeigen dies plastisch, wenn etwa jugendliche Normabweichler*innen als Träger von Innovationen und nicht als Objekte erzieherischer Einflussnahme angesehen werden.

Die auch immer normativ aufgeladenen Bilder, die Institutionen und Professionelle von ihren Klient*innen haben und inszenieren (oder dies zumindest versuchen), kollidieren allerdings manchmal mit der Realität und empirischen Vielfalt von Kindern und Eltern sowie deren eigentätiger Art und Weise, in der sie sich die Hilfs- und Erziehungsangebote aneignen bzw. mit ihnen differenziert umgehen. Als Produzent*innen oder zumindest Ko-Produzent*innen der Gestaltung und Auswirkungen von Hilfen und Erziehung, wo diese nicht als Dressur erscheint, be- und verarbeiten sie die Teilnahme an solcherart Bildungsprozessen auf der Grundlage biographischer Vorerfahrungen oder Bewältigungsmuster und sozialstrukturell-materieller und sozialräumlich erscheinender Chancenstrukturen. Diese gestalten sich – trotz flächendeckender Investitionen im Kita-Bereich und steigender Fallzahlen im Bereich der HzE – aber zunehmend disparitär, was u. a. mit dazu beigetragen hat, den sozialen Raum – jenseits der klassischen oder kritischen Gemeinwesenarbeit (vgl. Peters 1983) – für die Armutsbekämpfung in EU-Programmen und Soziale Arbeit insgesamt wieder zu entdecken.

Das in der (Fach-)Öffentlichkeit und Politik wahrgenommene Gemeinsame an der Sozialraumorientierung ist vordergründig der Versuch, ein dreifaches Versprechen einzulösen:

HzE und Kita sollen durch eine Orientierung auf den sozialen Raum für die Menschen, die auf diese Leistungen angewiesen oder davon betroffen sind, hilfreicher oder inklusiver bzw. weniger ausgrenzend und lebensweltlicher und damit auch – sowohl geographisch als auch niedrigschwelliger – erreichbarer gestaltet werden.

Zweitens sollen die Organisationen durch die mit einer Sozialraumorientierung verbundenen Veränderungen selbst profitieren und einen Professionalisierungs- und Legitimationsschub erhalten.

Und drittens schließlich sollen sich diese Prozesse zumindest im Bereich der HzE möglichst auch wirtschaftlich – u. a. durch Stärkung von Regeleinrichtungen vor Ort und Fallvermeidungen – kostenreduzierend oder Ausgabensteigerungen beschränkend auswirken.

Unter Sozialraumorientierung wird dabei, ungeachtet einer notwendigen theoretischen Verständigung (s. Teil I), (kommunal-)politisch und verwaltungsseitig zunächst eine Orientierung an Quartieren „unterhalb der Stadt- bzw. Kreisebene verstanden […], die über die Herstellung sozialer Bezüge oder Milieus identitätsstiftend wirken und Fokus für soziales und politisches Handeln sind.“ Unter „sozialräumlichen Ansätzen in den Hilfen zur Erziehung“ werden Strategien verstanden, die „die Planung und Erbringung von Leistungen im Kontext sozialräumlicher Bezüge verorten, diese umsetzen, auf deren Wirkungen Bezug oder auf deren Gestaltung Einfluss nehmen. Zentrale sozialräumliche Bezüge sind dabei die sozialen und kulturellen Regelangebote. […] Durch eine bessere Abstimmung mit den Angeboten des Regelsystems können somit bereits Hilfeeffekte erzielt werden, die einen Übergang in Hilfen zur Erziehung vermeiden helfen bzw. zur Inanspruchnahme weniger intensiver Hilfen führen.“ (JFMK 2013: 17)

Als eine Anforderung an die zukünftige Entwicklung der Hilfen zur Erziehung, schlussfolgert die Jugend- und Familienministerkonferenz der Länder (JFMK), sei zu überlegen, wie die Hilfen zur Erziehung „stärker mit Angeboten der Regelsysteme verknüpft werden können. Hierzu gehört auch, dass Schnittstellen und Übergänge zu Regelsystemen“ – insbesondere auch der Kindestagesbetreuung – „wechselseitig konkret und verbindlich beschrieben und ausgestaltet werden müssen. […] Hier ist zu erörtern, wie das Verhältnis (der) Leistungserbringung zwischen Hilfen zur Erziehung und den anderen Angeboten der Regelversorgung im Rahmen des KJHG im Hinblick auf die Gestaltung und Priorisierung neu justiert werden kann.“ (Ebd.: 20)

(Grund-)Schulen, die aber nur partiell in die Zuständigkeit des KJHG (SGB VIII) fallen, wechselweise die Offene Kinder- und Jugendarbeit, Beratungsstellen und insbesondere Kitas, deren Besuch für die allermeisten Kinder inzwischen ein Teil ihrer Alltagsnormalität darstellt, stehen deshalb in den letzten 15 – 20 Jahren im Fokus der fachpolitischen Aufmerksamkeit. Zunehmend richtet sich die Fachdiskussion dabei jenseits von Fragen der Quantität und rechtlich garantierter Realisierbarkeit von Kitaplätzen auf die Qualität der Angebote der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung (FBBE). Diesbezüglich dominieren drei Diskussionslinien, die alle auf die Funktionen von Kitas als Regelinstitutionen im Kontext sozialer Disparitäten abheben: (1) Kitas als Bildungseinrichtungen, (2) Kitas als soziale Inklusionseinrichtungen sowie (3) Diskussionen um Aufgaben von Kitas im Kontext des Kinderschutzes (vgl. Lochner 2018).

Es werden Programme für einen möglichst frühen Kitastart und zusätzliche resilienzstärkende präventive Angebote an Kinder und ihre Familien entwickelt, aber da ein rein kindzentrierter Handlungsauftrag als wenig nachhaltig eingeschätzt wird, votieren viele kommunale Programme für die Weiterentwicklung von Kitas zu Familienzentren (vgl. ebd.).

Folgt man den Einschätzungen z. B. des 14. Kinder- und Jugendberichts (KJB) oder dem Strategiepapier der JFMK vom Juni 2013, dann ist ein zentrales Ziel der Weiterentwicklung der HzE, Unterstützungs- und Hilfebedarfe frühzeitig zu erkennen und Hilfen so auszugestalten, dass sie nachhaltig sind und für die betroffenen Kinder, Jugendlichen und ihre Familien positive Entwicklungsperspektiven sichern, wozu auch gehört, ihr normales Lebensumfeld zu erhalten, zu entwickeln und biographische Brüche und Beziehungsabbrüche sowie negative Karrieren möglichst zu vermeiden. Dazu gibt es inzwischen im Feld Kita – HzE vielfältige regionale, integrative und vernetzende Formate (vgl. Teil I; Lochner 2018), aber dennoch tun sich HzE und Kita schwer mit der Kooperation.

Historisch bedingt gibt es in Deutschland seit den Regularien des Jugendwohlfahrtsgesetzes (JWG) in der Restaurationsphase nach dem Zweiten Weltkrieg bislang eher wenig Verbindungen zwischen der Kitabetreuung und Einrichtungen und Diensten der Hilfen zur Erziehung1, obgleich beide Teil der Kinder- und Jugendhilfe sind und man § 1 des KJG/SGB VIII als Klammer gemeinsamer Aufgaben betonen könnte. Aber die Aufgaben der beiden Leistungssegmente sind auf den ersten Blick sehr verschieden. Geht es einerseits primär um Bildung, Betreuung und Erziehung zunehmend für alle...

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